BT-Drucksache 15/2696

Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen

Vom 9. März 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2696
15. Wahlperiode 09. 03. 2004

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Julia Klöckner, UrsulaHeinen, Peter H. Carstensen (Nordstrand),
Gerda Hasselfeldt, Albert Deß, Gerlinde Kaupa, Maria Eichhorn, Peter Bleser,
Gitta Connemann, Helmut Heiderich, Uda Carmen Freia Heller, Dr. Peter Jahr,
Marlene Mortler, Bernhard Schulte-Drüggelte, Kurt Segner, Jochen Borchert,
Cajus Caesar, Hubert Deittert, Thomas Dörflinger, Susanne Jaffke, Laurenz Meyer
(Hamm), Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, Dr. Klaus Rose, Norbert Schindler,
Georg Schirmbeck, Max Straubinger, Volkmar Uwe Vogel, Monika Brüning
und der Fraktion der CDU/CSU

Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen

Übergewicht ist die häufigste ernährungsmitbedingte Gesundheitsstörung bei
Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Jedes 5. Kind und jeder 3. Jugend-
liche sind übergewichtig. Steigendes Risiko für Krankheiten, wie Diabetes oder
Herz-Kreislauf-Erkrankungen, und psychosoziale Probleme bei vielen betroffe-
nen Kindern und Jugendlichen sind die Folgen. Von den Übergewichtigen leiden
300 Millionen sogar an Fettleibigkeit. Übergewicht begünstigt die Entstehung
lebensgefährlicher Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Beschwerden und Dia-
betes, die jährlich Millionen von Menschen das Leben kosten.
Allerdings – soviel ist heute aus wissenschaftlichen Studien bekannt – ist Über-
gewicht multikausal bedingt: Übergewicht ist nicht nur eine Folge von Fehl-
ernährung, sondern gleichfalls von Bewegungsmangel. Falsche Ernährung,
Bewegungsmangel und fehlende Stressbewältigung äußern sich bei vielen
Jugendlichen heute in Gesundheitsstörungen. Diese Störungen stellen die
Weichen für ernsthafte Erkrankungen im Erwachsenenalter. Eine effektive Ver-
haltensbeeinflussung bei Kindern und Jugendlichen kann daher dazu beitragen,
schwierige Umlernprozesse im Erwachsenenalter zu vermeiden. Das soziale
Umfeld der heranwachsenden Kinder spielt hierbei eine bedeutende Rolle,
ebenso das erzieherische Engagement der Eltern.
Neue Studien bestätigen, dass Ernährungsprobleme häufig auch soziale Pro-
bleme sind. Insofern erweist sich das Problem der Gesundheit von Kindern und
Jugendlichen verstärkt als gesellschaftliches Phänomen. Die Verantwortung für
eine gesunde und ausgewogene Ernährung übernehmen in erster Linie die
Eltern. Darüber hinaus ist es immer wichtiger, in Kindergärten und Schulen
eine verbesserte Ernährungserziehung, gesündere Verpflegung und mehr Bewe-
gung sicherzustellen. Grundkenntnisse über Lebensmittel und ihre Zubereitung
sind Kulturtechniken, die jedes Kind beherrschen sollte.
Da in Deutschland 11 Millionen Schüler allgemein bildende Schulen und 2,5
Millionen Jugendliche Berufschulen besuchen, ist die Schule neben dem häus-
lichen Bereich ein zentrales Interventionsfeld für präventive Maßnahmen. Hier

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können Heranwachsende aus allen Schichten über einen Zeitraum von 12 bis 13
Jahren erreicht werden.
Aus diesem Grund haben sich im Bereich der Schulen bereits breitenwirksame
Informations- und Präventionsangebote etabliert. Auf Bundesebene wurde die
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) eingerichtet, die bun-
desweite Aufklärungskampagnen durchführen und die Effektivität und Effi-
zienz gesundheitlicher Aufklärung durch Qualitätssicherungsmaßnahmen ver-
stärken soll.
Nicht nur die persönlichen Belastungen der Übergewichtigen, sondern auch die
gesellschaftlichen Folgekosten von Übergewicht sind enorm. Bis zu einem
Drittel der Gesamtkosten des Gesundheitswesens, so Schätzungen von Er-
nährungswissenschaftlern, würden durch ernährungsmitbedingte Krankheiten
verursacht (genauere Zahlen hierzu können dem Ernährungsbericht der Deut-
schen Gesellschaft für Ernährung entnommen werden).
Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
(BMVEL) und der Deutsche Sportbund (DSB) haben im Frühjahr des vergan-
genen Jahres angekündigt, bei der Bekämpfung der Ursachen für Übergewicht
bei Kindern und Jugendlichen künftig stärker zusammenarbeiten zu wollen. Bei
Gesprächen der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft, Renate Künast, mit dem DSB-Präsidenten Manfred von Richthofen
im April 2003 kündigte Bundesministerin Renate Künast an, dass das Thema
„Kinder und Ernährung“ ein Arbeitsschwerpunkt und Gegenstand einer mehr-
jährigen Kampagne des BMVEL sei.
Nach Zeitungsberichten plant das BMVEL nun die Einrichtung eines Fonds für
übergewichtige Kinder. Die konkrete Ausgestaltung dieses Fonds und dessen
finanzielle Speisung ist bislang ebenso unbekannt, wie die geplanten Initiativen
und Projekte, die aus den Mitteln dieses Fonds bestritten werden sollen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie hoch ist die Zahl der sowohl übergewichtigen als auch adipösen Kinder

und Jugendlichen in Deutschland, und wie haben sich diese Zahlen in den
vergangenen zwei Jahrzehnten entwickelt?

2. Wie hoch ist die Zahl der übergewichtigen respektive adipösen Kinder und
Jugendlichen in den einzelnen Bundesländern?

3. Wie lassen sich diese Zahlen angesichts unterschiedlicher Referenzmasse
und Messmethoden interpretieren, was unternimmt die Bundesregierung,
um die Erhebungen künftig zu standardisieren?

4. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die möglichen durch Übergewicht
und Adipositas entstehenden Folgekosten für das Gesundheitswesen; wie
hat sich dieser Anteil in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt und welche
Prognose für dessen Entwicklung in den kommenden zwei Jahrzehnten gibt
die Bundesregierung ab?

5. Worin sieht die Bundesregierung die wesentlichen Gründe für das Über-
gewicht und welches integrierte Gesamtkonzept, welchen Lösungsansatz,
verfolgt sie, um dem multikausalen Problem entgegenzuwirken?

6. In welchen Bereichen sieht die Bundesregierung die wesentlichen Ansatz-
punkte für eine Bekämpfung von Übergewicht und wie will sie dabei vor-
gehen?

7. Welche Rolle spielt hierbei die Aufklärung der Eltern?

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8. Welche Maßnahmen einschließlich Aufklärungsmaßnahmen zur Förde-
rung von gesunder Ernährung und von ausreichender Bewegung werden
derzeit seitens der Bundesregierung betrieben, und welche konkreten Maß-
nahmen sind geplant?

9. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über die Initiativen auf
Länderebene und der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Or-
ganisationen, einschließlich der Wissenschaft zur Verbesserung des Er-
nährungswissens und zur Verbesserung der körperlichen Fitness, vor?

10. Ist der Bundesregierung bekannt, welche Initiativen davon erfolgreich oder
Erfolg versprechend sind, und was unternimmt sie, diese Lösungsansätze
bekannt zu machen und zu verbreiten?

11. Aus welchen Mitteln und in welcher Höhe finanziert die Bundesregierung
die derzeit laufenden Kampagnen und welche konkrete Finanzierung sieht
die Bundesregierung für die geplanten Maßnahmen vor?

12. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die von ihr ausgegebenen Mit-
tel effizient eingesetzt werden; wie werden die Maßnahmen wissenschaft-
lich begleitet und auf ihre nachhaltige Wirkung hin evaluiert?

13. Wie versucht die Bundesregierung die besonders von Übergewicht und
Adipositas betroffenen Bevölkerungsgruppen zu erreichen, bzw. welche
der durchgeführten oder in Planung befindlichen Maßnahmen stellen ge-
zielt darauf ab?

14. Wie hoch sind die derzeitigen Ausgaben der Lebensmittelwirtschaft für
Ernährungsinformationen, und welche Ausgabenhöhe hält die Bundes-
regierung für angemessen?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass besonders in CDU/
CSU-geführten Bundesländern, etwa in Bayern oder Baden-Württemberg,
in Schulprojekten intensiv über Ernährungskunde gelehrt wird?

16. Beabsichtigt die Bundesregierung auf die Länder einzuwirken, um eine in
den Lehrplänen verankerte Integration des Themas der gesunden Ernährung
und ausreichender Bewegung, das heißt die Vermittlung eines gesunden
Lebensstils, bei Kindern und Jugendlichen an Schulen zu erreichen?

17. Sieht die Bundesregierung ein Programm zur Förderung der Gesundheit
von Kindern und Jugendlichen in den neu einzurichtenden rund 10 000
Ganztagsschulen vor, und wie sieht die konkrete Umsetzung eines solchen
Programms aus?

18. Welche Rolle spielt bislang die BZgA und mit welchen Mitteln wird diese
Einrichtung seitens der Bundesregierung alljährlich unterstützt?
Gibt es eine Erfolgskontrolle für die Arbeit der BZgA?

19. Hält die Bundesregierung die derzeit angelegten Maßnahmen im Bereich
der Kindergartenerziehung für ausreichend und welche zusätzlichen Publi-
kationen sieht die Bundesregierung neben dem bereits bestehenden Band
der BZgA „Bewegungsförderung im Kindergarten“ vor?

20. Mit welchen zusätzlichen Publikationen beabsichtigt die Bundesregierung
die Gesundheitserziehung in der Schule zu fördern und welchen Erfolg
verzeichnet die bereits bestehende Reihe der BZgA „Schulische Gesund-
heitserziehung und Gesundheitsförderung“?

21. Welche Maßnahmen trifft die Bundesregierung, um die existierenden Un-
terrichtsmaterialien zur Gesundheitserziehung und Gesundheitsförderung
in der Schule publik zu machen und deren Nutzen zu maximieren?

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22. Wie hoch sind die finanziellen Mittel, die die Bundesregierung für das
Projekt Karawane 2000 der BZgA zur Verfügung stellt?

23. Wie viele Anrufer werden täglich bei dem von der BZgA eingerichteten
Infotelefon registriert?

24. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die Informationsange-
bote der BZgA, insbesondere das Infotelefon, besser bekannt zu machen?

25. Welchen messbaren Erfolg hat die von der BZgA initiierte Wanderausstel-
lung „Gut Drauf“ vorzuweisen und plant die Bundesregierung weitere Ver-
anstaltungen dieser Art?

26. Welche finanzielle Unterstützung sieht die Bundesregierung vor, um neben
den bereits bestehenden Programmen in den öffentlich-rechtlichen Rund-
funkanstalten, namentlich dem Kinderkanal von ARD und ZDF, neue TV-
Formate für die Gesundheitsförderung zu etablieren?

27. Plant die Bundesregierung, das Budget für die Publikationen der BZgA zu
erhöhen, und wenn ja, um welchen Betrag?

28. Sieht die Bundesregierung begleitende Pilotprojekte vor, mittels derer die
Länder in der Gestaltung ihrer Aufklärungsarbeit unterstützt werden kön-
nen?

29. Welche konkreten Vorstellungen hat die Bundesregierung über die Bildung
eines Fonds aus Mitteln der lebensmittelherstellenden Industrie?

30. Wie beabsichtigt die Bundesregierung die Sicherstellung einer gezielten
Verwendung der durch einen Fonds gewonnenen Mittel allein zur Aufklä-
rung über gesunde Ernährung von Kindern und Jugendlichen?

31. Welche Rolle übernimmt nach den Planungen der Bundesregierung das
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) und
wie stimmen sich das BMGS und das BMVEL untereinander ab?

32. Welche Koordination sieht die Bundesregierung für die Aktionen „Gesund
aufwachsen: Ernährung, Bewegung, Stressbewältigung“ der Gesellschaft
für Versicherungswissenschaft und Gestaltung e. V. und des BMGS sowie
der Aktion „Kinderleicht“ des BMVEL vor?

33. Welche finanziellen und personellen Mittel stellt die Bundesregierung im
BMGS für die Förderung der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
zur Verfügung und wie hoch ist der Anteil dieser Mittel, der in die Aufklä-
rung über gesundheitsbewusste Ernährung bzw. die Förderung von Bewe-
gung bei Kindern und Jugendlichen fließt?

34. Welchen Forschungsbedarf sieht die Bundesregierung zu den das Thema
Übergewicht begleitenden Faktoren?

35. Inwieweit leistet auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) einen Beitrag durch entsprechende Forschungsförderung?

36. Findet eine entsprechende Abstimmung hinsichtlich des Programms
„Futur“, „Vitale Menschen, Märkte und Kulturen durch Ernährung“ und
anderer Projekte des BMBF statt?

37. Welche Zusammenarbeit gibt es zwischen dem BMGS und dem Deutschen
Sportbund?

38. Welche Maßnahmen zur Koordinierung zwischen allen mit der Thematik
befassten Ministerien stellt die Bundesregierung in Aussicht?

39. Beabsichtigt die Bundesregierung, die Herstellung, den Vertrieb oder die
Bewerbung bestimmter Süßigkeiten zu beschränken?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/2696

40. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass eine Zuckerreduzierung in
Lebensmitteln eine ausreichende Maßnahme zur Bekämpfung der Über-
gewichtigkeit bei Kindern und Jugendlichen darstellt?

41. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Bewerbung und der Ver-
trieb von Süßigkeiten und besonders zucker- oder fetthaltigen Lebensmit-
teln in Großpackungen einen Einfluss auf das Ernährungsverhalten von
Kindern und Jugendlichen hat, und wenn ja, plant die Bundesregierung das
Angebot derartiger Großpackungen gesetzlich zu beschränken?

42. Ist es nach der gegenwärtigen Gesetzeslage erlaubt, z. B. bei Fast-Food den
Nahrungsmitteln Stoffe zuzusetzen, die bewirken, dass das Hungergefühl
schneller als üblich wiederkommt?
Wenn ja, wie ist die Position der Bundesregierung hierzu?

43. Hat die Bundesregierung ein integriertes Konzept, das unter Einbeziehung
aller Faktoren gegen die Ursachen der Übergewichtigkeit bei Kindern und
Jugendlichen vorgeht, und wie sieht dieses Konzept aus?

44. Wie weit sind die Vorbereitungen des BMVEL für eine neue nationale Ver-
zehrsstudie und wie sieht der Zeitplan aus?

45. Welche Einrichtungen, Organisationen und Experten sind vom BMVEL
für das Konzept bisher konsultiert worden; was soll gegenüber den bisheri-
gen Studien verbessert werden?

46. Welche Vorsorgemaßnahmen sieht das derzeitige Gesundheitssystem vor,
um Übergewichtigkeit bei Kindern in einem frühen Stadium zu diagnosti-
zieren?

47. Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung in den vergangenen
12 Monaten unternommen, um die seinerzeit angekündigte Zusammen-
arbeit von Kindern, Eltern, Schulen, Kindertagesstätten, Ärztinnen und
Ärzten, Krankenkassen, Multiplikatoren im Gesundheitswesen, Sportver-
einen, Wissenschaft, Ernährungswirtschaft, Lebensmittelhandel, Medien
und Politik zu fördern?

48. Welche Ergebnisse kann die Bundesregierung vorweisen, die aus der Reise
des Parlamentarischen Staatssekretärs bei der Bundesministerin für Ver-
braucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Matthias Berninger, in die
USA zum Thema der gesundheitsbewussten Ernährung von Kindern und
Jugendlichen gewonnen wurden?

49. Wie bewertet die Bundesregierung Untersuchungen durch die Weltgesund-
heitsorganisation, dass in Amerika und Kanada die Investition von 1 US-
Dollar in Prävention durch Sport Einsparungen im Gesundheitswesen von
3,2 US-Dollar erbringt, und hält es die Bundesregierung angesichts zuneh-
mender Übergewichtigkeit auch aufgrund von Bewegungsmangel für
geboten, den im § 20 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vor-
gesehenen Betrag von 2,56 Euro zu erhöhen?

Berlin, den 9. März 2004
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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