BT-Drucksache 15/2690

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -15/2149,15/2678- Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz)

Vom 10. März 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2690
15. Wahlperiode 10. 03. 2004

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Horst Seehofer, Andreas Storm, Hildegard Müller, Gerald Weiß
(Groß-Gerau), Annette Widmann-Mauz, Dr. Wolf Bauer, Monika Brüning,
Verena Butalikakis, Cajus Caesar, Dr. Hans Georg Faust, Michael Hennrich,
Hubert Hüppe, Volker Kauder, Gerlinde Kaupa, Barbara Lanzinger, Maria Michalk,
Matthias Sehling, Jens Spahn, Matthäus Strebl, Wolfgang Zöller und der Fraktion
der CDU/CSU

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
– Drucksachen 15/2149, 15/2678 –

Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen
Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung
(RV-Nachhaltigkeitsgesetz)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Mit der so genannten Riester-Rentenreform 2001 wollte die Bundesregierung
den Rentenbeitrag mittelfristig stabilisieren und einen Anstieg des Beitrags auf
22 Prozent im Jahr 2030 begrenzen. Zugleich hat sie ein Netto-Rentenniveau
von 67 Prozent im Jahr 2030 versprochen. Damit sollte „der breite gesellschaft-
liche Konsens für die Rentenreform bekräftigt“ werden, heißt es im Entschlie-
ßungsantrag der Koalitionsfraktionen vom 25. Januar 2001 (Bundestagsdruck-
sache 14/5164).
Bereits mit der Einsetzung der so genannten Rürup-Kommission Ende 2002
und damit nicht einmal zwei Jahre nach Verabschiedung der Riester-Renten-
reform ist klar geworden, dass diese Reformziele weit verfehlt werden und die
Riester-Reform gescheitert ist. Mit seinen Aussagen am 14. März 2003 und
10. September 2003 im Deutschen Bundestag hat Bundeskanzler Gerhard
Schröder das Scheitern der Rentenreform letztlich eingestanden. Seine Begrün-
dung für eine neue Rentenreform, man habe die Arbeitsmarktentwicklung zu
optimistisch und die demographische Entwicklung zu pessimistisch einge-
schätzt, und sein Eingeständnis, es sei ein Fehler gewesen, den unter der unions-
geführten Bundesregierung Ende 1997 eingeführten demographischen Faktor
aufgehoben zu haben, kommt einem Offenbarungseid gleich.
Infolge der durch die verfehlte Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Bun-
desregierung in den letzten sechs Jahren verursachten hohen Arbeitslosigkeit

Drucksache 15/2690 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

und der damit verbundenen Beitragsausfälle steckt die gesetzliche Renten-
versicherung in der größten Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik
Deutschland. Im Jahr 2004 wäre ohne Notmaßnahmen ein Anstieg des Renten-
beitrags auf 20,3 Prozent erforderlich gewesen. Bei Verabschiedung der Ren-
tenreform 2001 lag die Beitragsprognose für 2004 noch bei 18,7 Prozent. Auch
langfristig werden die Beitragssatzziele der Reform weit verfehlt. So geht der
von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines RV-Nachhaltigkeitsgesetzes
davon aus, dass sich nach geltendem Recht ein Anstieg des Beitragssatzes auf
24,3 Prozent im Jahre 2030 ergibt.
Auch die Aussagen der Riester-Rentenreform zum Rentenniveau haben sich als
unhaltbar erwiesen. Nach Aussage der Sachverständigen führt der vorliegende
Gesetzentwurf zusammen mit der Neuordnung der einkommensteuerrecht-
lichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen zu
einer Absenkung des Nettorentenniveaus auf 52,2 Prozent im Jahr 2030 und auf
unter 50 Prozent im Jahr 2040. Das heißt, das Leistungsniveau der gesetzlichen
Rente sinkt von bisher zwei Drittel auf die Hälfte des bisherigen Nettoeinkom-
mens. Die gesetzliche Rente hat damit nur noch den Charakter einer beitrags-
finanzierten Basissicherung. Im Hinblick auf die dramatisch hohe Arbeitslosig-
keit in den neuen Bundesländern führt dies besonders für den Personenkreis der
Langzeitarbeitslosen zu deutlichen sozialpolitischen Problemen.
Angesichts dieses Paradigmenwechsels im Sicherungsziel der gesetzlichen
Rente muss eine neue Gewichtung von gesetzlicher, privater und betrieblicher
Altersvorsorge getroffen werden. Wir brauchen ein Gesamtkonzept, in dem die
Reform der gesetzlichen Rentenversicherung mit der vorgesehenen Neurege-
lung der Besteuerung der Alterseinkünfte sowie einer Neukonzeption der staat-
lich geförderten privaten und betrieblichen kapitalgedeckten Altersvorsorge
verknüpft wird. Eine Verabschiedung des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes vor einer
Entscheidung über die Besteuerung der Altersbezüge und die Reform der priva-
ten und betrieblichen Altersvorsorge ist und bleibt Stückwerk.
Der Generationenvertrag, auf dem das System der umlagefinanzierten gesetz-
lichen Rentenversicherung aufbaut, kann nur durch Familien mit Kindern erfüllt
werden. Im Hinblick auf das Pflegeurteil des Bundesverfassungsgerichts vom
3. April 2001 muss eine zukunftsgerichtete Sozialpolitik verstärkt Anreize für
Familien mit Kindern setzen. Deshalb ist für eine gerechte und wirksame Be-
rücksichtigung der Erziehungsleistung von Familien und deren höherer finanzi-
eller Belastung im Vergleich zu Beitragszahlern ohne Kinder eine Kombination
aus einer höheren Rentenleistung im Alter und einer Unterstützung in der Bei-
tragsphase erforderlich. Auch der Bundesrat fordert als eine Grundvorausset-
zung für eine nachhaltige Rentenreform Verbesserungen für Familien durch
eine stärkere Anrechnung von Zeiten der Kindererziehung und durch Entlastun-
gen bei der Beitragszahlung. Deshalb ist enttäuschend, dass der Gesetzentwurf
der Bundesregierung überhaupt keine Maßnahmen zur Verbesserung der fami-
lienpolitischen Elemente in der Rentenversicherung vorsieht.
Zudem ist und bleibt die Finanzlage der Rentenversicherung auch in diesem
Jahr kritisch. Infolge der unverantwortlichen Absenkung der Schwankungs-
reserve auf nur noch 0,2 Monatsausgaben besteht die Gefahr, dass die Renten-
versicherungsträger die Rentenzahlungen im Laufe des Jahres 2004 nicht mehr
aus eigener Kraft erbringen können. Die Sachverständigen haben in der öffent-
lichen Anhörung keine Entwarnung geben können, auch wenn die Bundes-
regierung gebetsmühlenartig eine Entspannung der Rentenfinanzen verkündet.
Die Gefahr einer Rente auf Pump im Herbst 2004 und damit eine Anhebung des
Rentenbeitrages für das Jahr 2005 ist noch nicht gebannt. Damit droht Ende
2004 eine Nachbesserung der Reform, noch bevor diese am 1. Januar 2005 in
Kraft tritt.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2690

1. Gesamtkonzept zur Reform der Alterssicherung vorlegen – Verabschiedung
des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes verschieben

Die gesetzliche Rente reicht nicht mehr aus, den erworbenen Lebensstandard
im Alter zu sichern. Sie muss um eine kapitalgedeckte Sparrente als zweites
Standbein der Altersvorsorge ergänzt werden. Dieses zweite Standbein ist im
„Drei-Säulen-Modell“ des deutschen Alterssicherungssystems bereits grund-
sätzlich angelegt. Es muss eine neue Gewichtung von gesetzlicher, privater und
betrieblicher Altersvorsorge getroffen werden. Die Bedeutung der betrieblichen
und privaten kapitalgedeckten Vorsorge muss deutlich ausgeweitet werden. Da-
neben muss nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 6. März 2002
die einkommensteuerrechtliche Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen
und Altersbezügen bis Anfang 2005 neu geordnet werden.
Vor diesem Hintergrund ist die Vorlage eines Gesamtkonzepts erforderlich, in
dem die Reform der gesetzlichen Rente mit der vorgesehenen Neuregelung der
Besteuerung der Alterseinkünfte sowie einer Neukonzeption der staatlich ge-
förderten privaten und betrieblichen kapitalgedeckten Altersvorsorge verknüpft
wird. Nur eine umfassende Reform der Alterssicherung schafft Vertrauen und
findet Akzeptanz in der Bevölkerung. Ohne eine Entscheidung über die Besteu-
erung der Altersbezüge und die Reform der privaten und betrieblichen Alters-
vorsorge bleibt das RV-Nachhaltigkeitsgesetz Stückwerk. Deshalb muss die
Verabschiedung des Gesetzentwurfs verschoben werden, bis Klarheit über das
Alterseinkünftegesetz besteht. Ansonsten besteht die Gefahr, dass das RV-
Nachhaltigkeitsgesetz noch schneller nachgebessert werden muss als die
Riester-Rentenreform.
2. Faire Lastenverteilung zwischen den Generationen schaffen – erweiterten

Demographiefaktor einführen
Grundlegendes Ziel einer nachhaltigen Reform der Alterssicherung muss es
sein, jüngeren Menschen eine ausreichend sichere Lebensplanung zu ermög-
lichen und gleichzeitig älteren Menschen ein hohes Maß an Verlässlichkeit zu
bieten. Dazu müssen die Lasten der Alterssicherung fair auf Rentner und Bei-
tragszahler verteilt werden. Dieser Gedanke steckte auch hinter dem demogra-
phischen Faktor, der unter der unionsgeführten Bundesregierung bereits Ende
1997 eingeführt, dann aber nach dem Regierungswechsel 1998 von der jetzigen
Bundesregierung wieder aufgehoben worden ist. Durch diese verhängnisvolle
Fehlentscheidung sind wir um Jahre zurückgeworfen worden.
Durch den vorliegenden Gesetzentwurf soll die Anpassungsformel um einen
Nachhaltigkeitsfaktor ergänzt werden. Auch wenn sich dieser Korrekturfaktor
vom demographischen Faktor unterscheidet, weil er neben der veränderten De-
mographie auch die Veränderung der Relation zwischen Rentnern und Beitrags-
zahlern berücksichtigt, hat er doch dieselbe Zielrichtung. Deshalb wird die
Modifizierung der Anpassungsformel um einen Nachhaltigkeitsfaktor im
Grundsatz begrüßt. Auf der einen Seite nehmen die Renten weiter „am Wohl-
standszuwachs der Gesellschaft“ teil, ihr Anstieg fällt allerdings flacher aus.
Auf der anderen Seite wird der Anstieg des Rentenbeitrags begrenzt und die
junge Generation nicht überfordert. Dieser Gedanke liegt auch dem erweiterten
Demographiefaktor zugrunde, wie ihn die so genannte Herzog-Kommission
vorgeschlagen hat.
Allerdings lehnen wir es ab, dass der Nachhaltigkeitsfaktor in die bestehende
Anpassungsformel eingefügt wird und damit in den nächsten Jahren parallel
zum Altersvorsorgeanteil (sog. Riester-Faktor) wirkt. Zum einen ist die Berück-
sichtigung des Altersvorsorgeanteils bei der Rentenanpassung völlig will-
kürlich. Der Altersvorsorgeanteil soll die gesetzlich vorgesehene staatliche
Förderung für die sog. Riester-Rente widerspiegeln. Dabei erfolgt der Abzug
des Altersvorsorgeanteils im Rahmen der Rentenanpassung unabhängig vom

Drucksache 15/2690 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Umfang der tatsächlich gezahlten Beiträge der Beschäftigten für die zusätzliche
Altersvorsorge. Angesichts der enttäuschenden Abschlusszahlen der Riester-
Verträge von gerade 15 Prozent der Förderberechtigten stellt die Kürzung der
Rentenanpassung um den vorgesehenen Altersvorsorgeanteil bei 100 Prozent
der Rentner für diese nichts anderes als ein Sonderopfer dar. Eine Kürzung ist
allenfalls im Umfang der tatsächlich durch die Aktiven betriebenen Altersvor-
sorge zu rechtfertigen. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die vorgese-
hene Orientierung der Rentenanpassung an der Entwicklung der versicherungs-
pflichtigen Entgelte der Erwerbstätigen dazu führt, dass Entgeltbestandteile, die
im Rahmen einer Entgeltumwandlung bei der betrieblichen Altersvorsorge
sozialabgabenfrei sind, nicht mehr zu einer Erhöhung der Rentenanpassung
führen. Eine solche Bereinigung der Einkommen um umgewandelte Gehalts-
bestandteile zusammen mit dem Altersvorsorgeanteil bedeutet für die Rentner
eine doppelte Dämpfung der Rentenanpassung. Eine kumulierte Begrenzung
der Rentenanpassung durch Altersvorsorgeanteil und Berücksichtigung allein
der versicherungspflichtigen Entgelte der Erwerbstätigen ist für die Rentner
unzumutbar.
3. Faire Lastenverteilung innerhalb der Generationen schaffen – Pflegeurteil

des Bundesverfassungsgerichts umsetzen und Familienkomponente aus-
bauen

Die Erziehung von Kindern hat grundlegende Bedeutung für das Funktionieren
eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems. Darauf hat das Bundes-
verfassungsgericht in seinem Urteil zur Pflegeversicherung vom 3. April 2001
ausdrücklich hingewiesen. Zwar werden die Leistungen der Rentenversiche-
rung immer durch Beiträge der jeweils erwerbstätigen Generation finanziert.
Doch nur wenn die heute noch nicht erwerbstätige Generation der Kinder und
Enkel zahlreich genug ist, um später selbst ausreichende Beitragszahlungen zu
leisten, können auch in Zukunft die Leistungen für die ältere Generation noch
erbracht werden.
Im Hinblick auf die Doppelbelastung aus Kindererziehung und Beitragszahlung
von Versicherten mit Kindern hat das Bundesverfassungsgericht einen Aus-
gleich nicht nur auf der Leistungsseite, sondern auch bei der Beitragszahlung
gefordert. Da auch für die gesetzliche Rentenversicherung als umlagefinanzier-
tes System die Erziehung von Kindern ebenso grundlegend ist wie die Zahlung
von Beiträgen, hat das Gericht ausgeführt, dass die Bedeutung des Urteils auch
für andere Zweige der Sozialversicherung bis Ende 2004 zu prüfen sein wird.
Vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts brauchen wir
innerhalb einer Generation eine faire Lastenverteilung zugunsten derer, die
Kinder erziehen. Deshalb sprechen wir uns in zweierlei Hinsicht für eine Stär-
kung der Familien bei der Rente aus. Zum einen soll sich die Kindererziehung
stärker als bisher bei der Rentenhöhe auswirken. Zum anderen sollen Familien
mit Kindern bei den Beiträgen entlastet werden. Wir sprechen uns deshalb für
die schrittweise Einführung eines Zuschusses zu den Rentenversicherungsbei-
trägen (Kinderbonus) in Höhe von 50 Euro pro Kind und Monat aus.
4. Arbeitsmarktbedingungen für ältere Arbeitnehmer verbessern, Frühverren-

tung stoppen – tatsächliches Renteneintrittsalter erhöhen
Vorrangiges Ziel der Wirtschafts- und Sozialpolitik muss es sein, eine Steige-
rung der Erwerbsbeteiligung von Arbeitnehmern in der Altersgruppe der über
55-Jährigen zu erreichen. Die Erwerbstätigenquote in dieser Altersgruppe
beträgt in Deutschland lediglich 41,5 Prozent gegenüber 68 Prozent in der
Schweiz, 70 Prozent in Schweden und 60 Prozent in den USA. Eine Steigerung
der Erwerbsbeteiligung der Älteren setzt ein grundsätzliches Umdenken der
Arbeitnehmer, aber auch der Arbeitgeber voraus. Bestehende Anreize zur
Frühverrentung müssen konsequent abgebaut werden. Die Weiterqualifizierung

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/2690

der Arbeitnehmer im mittleren Alter als Schlüssel zu höheren Erwerbsquoten
Älterer muss erhöht werden. Auch die Arbeitsplatzgestaltung und Berufspla-
nung muss an einen im Durchschnitt späteren Renteneintritt angepasst werden.
Auf diese Weise muss zunächst das durchschnittliche tatsächliche Rentenein-
trittsalter dem gesetzlichen Rentenalter von 65 Jahren angenähert werden.
5. Private Altervorsorge grundlegend vereinfachen und flexibilisieren, betrieb-

liche Altersvorsorge stärken und Benachteiligung von Frauen vermeiden
Angesichts der bisher enttäuschenden Bilanz der Riester-Rente und der nach
Aussage der Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung zum Altersein-
künftegesetz nur kosmetischen und bei weitem nicht ausreichenden Reform-
maßnahmen in diesem Bereich ist eine grundlegende Neukonzeption der priva-
ten und betrieblichen kapitalgedeckten Altersvorsorge erforderlich.
Wir brauchen eine flexiblere Ausgestaltung der privaten Vorsorge, die den indi-
viduellen Bedürfnissen der Menschen gerecht wird. Dazu bedarf es zunächst
einer deutlichen Entschlackung der Förderkriterien. Unverzichtbare Qualitäts-
kriterien für förderfähige Vorsorgeprodukte sind eine Garantie der eingezahlten
Beiträge sowie die Möglichkeit eines bedingten Kapitalwahlrechts bei der Ver-
wendung der eingesparten Beiträge und der staatlichen Förderung frühestens ab
dem 60. Lebensjahr. Daneben ist der förderunschädliche Wechsel des Vorsorge-
produkts sicherzustellen sowie die Möglichkeit zur Einbeziehung oder Um-
wandlung von Altverträgen. Auch das Wohneigentum als die am weitesten ver-
breitete und stabilste Form der Altersvorsorge muss wirksam gefördert werden.
Die staatliche Förderung muss vor allem auf Familien mit Kindern und Bezie-
her niedriger Einkommen konzentriert werden, damit vor allem diejenigen un-
terstützt werden, die aus eigener Kraft keine Eigenvorsorge betreiben können.
Nur auf diese Weise kann die ergänzende private Altersvorsorge zu einer echten
Förderrente für die ganze Bevölkerung umgeformt werden, mit der die abseh-
baren Versorgungslücken der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversiche-
rung geschlossen werden können. Wegen der im Vergleich zur individuellen
Vorsorge günstigeren Kostenstruktur muss die betriebliche Altersvorsorge
gestärkt werden. Dazu müssen die im Alterseinkünftegesetz vorgesehenen Ver-
schlechterungen der steuerlichen Rahmenbedingungen für die betriebliche
Altersvorsorge überprüft werden. Zudem müssen die Anliegen von Frauen
berücksichtigt werden, die von der dramatischen Absenkung des Niveaus der
gesetzlichen Rente besonders betroffen sind und für die eine kompensatorisch
angelegte Zusatzversorgung im Alter deshalb umso erforderlicher ist.
6. Bewertung der Anrechnungszeiten wegen Schule und Studium erhalten
Die Abschaffung der Bewertung der Anrechnungszeiten wegen schulischer
Ausbildung und Hochschulausbildung lehnen wir ab. Diese Maßnahme bedeu-
tet für alle heute unter 60-jährigen Versicherten mit einer dreijährigen Schul-
ausbildung eine monatliche Rentenminderung von bis zu knapp 60 Euro pro
Monat. Die vorgesehene vierjährige Übergangsfrist reicht nicht aus. Die Betrof-
fenen haben keine Möglichkeit, die wegfallenden Rentenansprüche auf ander-
weitige Art vollständig zu kompensieren. Zudem unterliegt die vorgesehene
Unterscheidung zwischen akademischer und nichtakademischer Ausbildung
nach Aussage der Sachverständigen verfassungsrechtlichen Bedenken. Anders
als die Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung Ulla Schmidt
immer wieder behauptet, handelt es sich bei der Abschaffung der Bewertung
von schulischen Ausbildungszeiten nicht um die Beseitigung eines Akademi-
kerprivilegs. So beträgt die Zahl der Hochschulausbildungszeiten nach Aussage
der Experten im Rentenzugang 2002 lediglich etwa 10 Prozent. Auch die
Unterscheidung zwischen schulischer und beruflicher Ausbildung bei der
Rente ist nicht nachvollziehbar.

Drucksache 15/2690 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Wir fordern, bei der Bewertung von Anrechnungszeiten wegen schulischer und
beruflicher Ausbildungszeiten nicht an die Art der Ausbildung, sondern stärker
an die Höhe des später erzielten durchschnittlichen Entgelts anzuknüpfen. Die
Begünstigung durch die Bewertung der Ausbildungszeiten könnte dann gezielt
den Versicherten zugute kommen, die nur geringe durchschnittliche Renten-
anwartschaften erwerben. Hiervon würden im besonderen Maße Frauen profi-
tieren.
7. Eigenständigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung stärken – Nachhaltig-

keitsrücklage schrittweise aufbauen
Die heutige Schwankungsreserve der gesetzlichen Rentenversicherung dient
dazu, konjunkturbedingte Schwankungen des Beitragsaufkommens auszuglei-
chen und die Eigenständigkeit der Rentenversicherung zu sichern. Durch die
wiederholten Eingriffe der Bundesregierung in die Reserven der Rentenversi-
cherung und insbesondere durch die Absenkung der Rücklage auf lediglich 0,2
Monatsausgaben besteht die Gefahr, dass die Rentenversicherungsträger die
Rentenzahlungen im Laufe des Jahres 2004 nicht mehr aus eigener Kraft er-
bringen können.
Deshalb ist es notwendig, die Rentenreserve mittelfristig wieder aufzufüllen.
Allerdings greift der Gesetzentwurf der Bundesregierung auch in diesem Be-
reich zu kurz. Die Bundesregierung beabsichtigt lediglich eine Anhebung der
Obergrenze der Reserve auf 1,5 Monatsausgaben, die Untergrenze soll dagegen
unverändert bei 0,2 Monatsausgaben verbleiben. Um unterjährig die Liquidität
der Rentenversicherung aus eigenen finanziellen Mitteln zu gewährleisten und
den Einfluss konjunktureller Schwankungen auszugleichen, ist es erforderlich,
auch den unteren Zielwert der Schwankungsreserve auf ein ausreichendes
Niveau anzuheben. Wir fordern deshalb, dass in der Zeitspanne des Aufbaus
der Nachhaltigkeitsreserve auf 1,5 Monatsausgaben bei der Festsetzung des
Beitragssatzes der im jeweiligen Vorjahr erreichte Wert bis zum Erreichen von
einer Monatsausgabe als Mindestrücklage dauerhaft festgeschrieben wird.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. die Verabschiedung des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes zu verschieben und ein

Gesamtkonzept vorzulegen, in dem die langfristig tragfähige Reform der
gesetzlichen Rente mit der vorgesehenen Neuregelung der Besteuerung der
Alterseinkünfte sowie einer Neukonzeption der staatlich geförderten priva-
ten und betrieblichen kapitalgedeckten Altersvorsorge verknüpft wird, weil
die gesetzliche Rentenversicherung nur noch die Funktion einer beitrags-
finanzierten Basissicherung hat und deshalb eine neue Gewichtung von ge-
setzlicher, privater und betrieblicher Altersvorsorge erforderlich ist,

2. die Rentenanpassungsformel durch Einführung eines erweiterten Demogra-
phiefaktors zu einer Vertrauensformel umzugestalten, der die Lasten der
Alterssicherung nach einem nachvollziehbaren und verlässlichen Regel-
mechanismus fair zwischen den Generationen verteilt und den in der Anpas-
sungsformel enthaltenen Altersvorsorgeanteil entbehrlich macht,

3. die Kindererziehung stärker als bisher bei der Rentenhöhe anzurechnen und
zur Entlastung von Familien mit Kindern einen Zuschuss zu den Renten-
versicherungsbeiträgen (Kinderbonus) in Höhe von 50 Euro pro Kind und
Monat schrittweise einzuführen,

4. die Arbeitsmarktbedingungen für ältere Arbeitnehmer zu verbessern, die
Frühverrentung zu stoppen und dadurch das tatsächliche Renteneintrittsalter
zu erhöhen,

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/2690

5. eine Neukonzeption der ergänzenden kapitalgedeckten Altersvorsorge vor-
zulegen, bei der die private Altersvorsorge grundlegend vereinfacht und
flexibilisiert, die betriebliche Altersvorsorge deutlich gestärkt und die Be-
nachteiligung von Frauen vermieden wird,

6. die Bewertung der Anrechnungszeiten wegen Schule und Studium zu erhal-
ten und bei der Bewertung von Anrechnungszeiten wegen schulischer und
beruflicher Ausbildung stärker an die Höhe des später erzielten durch-
schnittlichen Entgelts anzuknüpfen und

7. nach dem nahezu vollständigen Abbau der Schwankungsreserve das Finanz-
polster der Rentenversicherung schrittweise wieder aufzufüllen, um kon-
junkturbedingte Schwankungen auszugleichen und den Rentenbeitrag mit-
telfristig zu stabilisieren und in der Zeitspanne des Aufbaus der Rücklage
auf 1,5 Monatsausgaben bei der Festsetzung des Beitragssatzes den im
jeweiligen Vorjahr erreichten Wert bis zum Erreichen von einer Monatsaus-
gabe als Mindestrücklage dauerhaft festzuschreiben.

Berlin, den 9. März 2004
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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