BT-Drucksache 15/2578

Die Berliner Afghanistankonferenz - eine neue Chance für mehr Kohärenz und Koordinierung beim Wiederaufbau

Vom 2. März 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2578
15. Wahlperiode 02. 03. 2004

Antrag
der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Hermann Gröhe, Dr. Ralf Brauksiepe,
Hartwig Fischer (Göttingen), Klaus-Jürgen Hedrich, Siegfried Helias, Gerlinde
Kaupa, Rudolf Kraus, Conny Mayer (Baiersbronn), Sibylle Pfeiffer, Christa
Reichard (Dresden), PeterWeiß (Emmendingen), Rainer Eppelmann, Norbert Geis,
Dr. Egon Jüttner, Jürgen Klimke, Arnold Vaatz und der Fraktion der CDU/CSU

Die Berliner Afghanistankonferenz – eine neue Chance für mehr Kohärenz
und Koordinierung beim Wiederaufbau

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Mit den zwei Petersberger Konferenzen von 2001 und 2002 wurde der Versuch
unternommen, den Weg Afghanistans in Richtung Demokratie, Rechtstaatlich-
keit und Wiederaufbau vorzubereiten. Nun soll eine weitere, für Ende März in
Berlin vorgesehene Konferenz die Weichen stellen für die Fortführung des
Wiederaufbaus nach den für dieses Jahr geplanten Präsidentschafts- und Parla-
mentswahlen.
Erst kürzlich hatte der afghanische Finanzminister Ashraf Ghani den Bedarf sei-
ner Regierung für die nächsten sieben Jahre mit 28,5 Mrd. US-Dollar beziffert.
Nachdem beim letzten Gebertreffen in Tokio 2002 noch 4,5 Mrd. US-Dollar zu-
gesagt worden waren, sind diese Mittel nun weitgehend verbraucht. Die Bereit-
schaft der internationalen Gebergemeinschaft zur Fortführung der finanziellen
und technischen Unterstützung des Landes im bisherigen Umfang wird von Be-
obachtern skeptisch beurteilt. Erschwerend kommt hinzu, dass der Wiederauf-
bau langsamer vorangeht als geplant. Dies liegt in erster Linie an der immer
noch instabilen inneren Lage und der Tatsache, dass ein erheblicher Teil der
maßgeblichen politischen Persönlichkeiten des Landes ihrer Eigenverantwor-
tung im Hinblick auf die Schaffung von Entwicklung fördernden Rahmenbedin-
gungen nicht gerecht wird. Nicht nur Regruppierungsversuche versprengter
Taliban und Rest-Al-Qaida, sondern vor allem auch die mangelnde Durch-
setzungsfähigkeit der Regierung Hamid Karzai gegenüber den regionalen
Machthabern und die Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Provinzherr-
schern behindern den Aufbauprozess. Hinzu kommen aber auch gravierende
Versäumnisse der Geberseite einschließlich der Bundesregierung. Der sicher-
heitspolitische Prozess der Friedenssicherung ist bislang mit der entwicklungs-
politischen Aufgabe des Wiederaufbaus nur ungenügend verzahnt. Die Koordi-
nierung der zahlreichen multilateralen, bilateralen und nichtstaatlichen entwick-
lungspolitischen Geber untereinander funktioniert immer noch nicht richtig.
Schon die entwicklungspolitischen Aktivitäten Deutschlands alleine ergeben
gravierende Koordinierungs- und Effizienzdefizite. Denn die Bundesregierung
hat es versäumt, eine zentrale Koordinierungsinstanz hierfür zu bestimmen.
Am Wiederaufbau beteiligte Ressorts wie das Bundesministerium für wirt-

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schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das Auswärtige Amt und das
Bundesministerium des Innern zeichnen sich durch gegenseitige Abgrenzung
und Zersplitterung ihrer Bemühungen anstatt durch enge Koordinierung und
Kooperation aus. Auch ist die Aufbauarbeit der Bundeswehr vor Ort zwar hoch
angesehen, muss jedoch noch besser mit den Aktivitäten der anderen entwick-
lungspolitischen Akteure verzahnt werden.
Gefördert wird diese Problematik durch eine haushaltstechnische Konstruktion,
die mit dem Grundsatz der Haushaltstransparenz schwer vereinbar ist: Das
Auswärtige Amt erhält Finanzmittel in Höhe von 30 Mio. Euro aus dem Etat
des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
zur Durchführung eigener Aktivitäten in Afghanistan, leitet hiervon aber einen
erheblichen Teil an das Bundesministerium des Innern für von dort gesteuerte
Maßnahmen weiter.
Die internationalen Wiederaufbaubemühungen leiden aber auch an anderen
konzeptionellen Defiziten. Besonders augenscheinlich wird dies im Hinblick
auf den wieder erstarkten Drogenanbau. Afghanistan ist nach wie vor der welt-
weit mit Abstand größte Lieferant von Heroin, das auch in Deutschland das
Leben unzähliger Drogenabhängiger ruiniert hat. Die bisherigen Bemühungen
der für die Drogenbekämpfung in Afghanistan zuständigen Briten haben zu
keinem nennenswerten Ergebnis geführt, obwohl das Land zunehmend von
drogenmafiösen Strukturen durchzogen wird, an denen auch Al-Qaida-Ele-
mente partizipieren sollen. Ein nachhaltiger Aufbau des Landes kann daher nur
funktionieren, wenn der Kampf gegen den Drogenanbau massiv verstärkt wird.
Dabei wird es langfristig nicht ausreichen, den Drogenanbau mit polizeilichen
oder militärischen Mitteln zu beseitigen. Wird den Bauern danach mit Hilfe der
Entwicklungszusammenarbeit keine Möglichkeit für andere legale Einkom-
mensquellen aufgezeigt, droht deren soziale Destabilisierung und die Rückkehr
zum Drogenanbau. Die hierfür benötigten entwicklungspolitischen Anstren-
gungen sind bisher von der internationalen Gebergemeinschaft nicht in aus-
reichendem Maße in Angriff genommen worden.
Die Wahrung der Menschenrechte ist unabdingbar für Wiederaufbau und nach-
haltige Entwicklung. Die neue afghanische Verfassung hat hierfür z. B. im Hin-
blick auf die Gleichberechtigung von Männern und Frauen die notwendige
Grundlage geschaffen. Diese gilt es nun in der Verfassungswirklichkeit umzu-
setzen, in der immer noch Diskriminierung, Gewalt und Menschenrechtsverlet-
zungen vorkommen. Verbunden damit ist auch die Hoffnung vieler Afghanen,
die nach wie vor herrschende Straflosigkeit für begangene Menschenrechtsver-
letzungen zu beenden und die begangenen Kriegsverbrechen, Verbrechen
gegen die Menschlichkeit oder Fälle des Völkermords zu untersuchen und
aufzuklären.
Der Wiederaufbau Afghanistans wird somit auch in den nächsten Jahren hohe
Geberzusagen erfordern. Die Bundesregierung muss daher die bevorstehende
Konferenz als Chance begreifen, sich viel intensiver als bisher um einen mög-
lichst effizienten Einsatz der eigenen Gelder sowie auf internationaler Ebene
um eine engere Koordinierung und Kooperation zu bemühen. Nur so kann die
internationale Staatengemeinschaft wirksam dazu beizutragen, Frieden, Demo-
kratie, nachhaltige Entwicklung und Wohlstand in Afghanistan zu erreichen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. sich bei der bevorstehenden Konferenz in Berlin auf internationaler Ebene

nachdrücklich für den Abschluss eines neuen mehrjährigen Kooperations-
rahmenabkommens für Afghanistan unter möglichst breiter Geberbeteili-
gung einzusetzen und dieses Bestreben mit der Ankündigung eines weg-
weisenden, der Rolle und Interessenlage unseres Landes angemessenen
deutschen Engagements zu untermauern;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2578

2. auf eine engere Abstimmung der sicherheitspolitischen Maßnahmen zur
Friedenssicherung mit den entwicklungspolitischen Maßnahmen zum Wie-
deraufbau einschließlich einer besseren Verzahnung der Aufbauarbeit der
Bundeswehr mit der Tätigkeit der entwicklungspolitischen Organisationen
vor Ort hinzuwirken;

3. auf eine bessere Koordinierung der am Wiederaufbau beteiligten multi-
lateralen, bilateralen und nichtstaatlichen Geber zu dringen;

4. die Effizienz der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan
nicht zuletzt durch eine konsequente Koordinierung zu steigern;

5. auf internationaler Ebene auf eine konsequentere Bekämpfung des Dro-
genanbaus zu drängen;

6. sich in Abstimmung mit den anderen Gebern für umfassendere entwick-
lungspolitische Maßnahmen im Hinblick auf die Schaffung alternativer
Einkommensquellen für diejenigen Teile der Landbevölkerung einzuset-
zen, die sich vom Drogenanbau losgesagt haben;

7. auf internationaler Ebene weitere konkrete Maßnahmen anzuregen, um die
Durchsetzungsfähigkeit der Regierung Hamid Karzai gegenüber den regio-
nalen Machthabern zu stärken;

8. darauf zu drängen, dass alle Beteiligten die erforderlichen Maßnahmen er-
greifen, damit in ganz Afghanistan glaubwürdige Wahlen in einem sicheren
Umfeld stattfinden können;

9. sich für eine konsequente entwicklungsfördernde landesweite Durchset-
zung des in der neuen afghanischen Verfassung verankerten Schutzes der
Menschenrechte einzusetzen;

10. die afghanische unabhängige Menschenrechtskommission bei der Unter-
suchung und Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen zu unter-
stützen;

11. sich für eine Verbesserung der Situation der Frauen einzusetzen und die
afghanische Regierung auf die eingegangenen Verpflichtungen hinzuwei-
sen, zumal die Beteiligung der Frauen am sozialen, gesellschaftlichen und
politischen Leben wesentliche Voraussetzung für den Aufbau des Landes
ist;

12. zusammen mit Italien, der Führungsnation für die Justizreform, die Rechts-
und Justizberatung zu intensivieren;

13. eine Strategie zu entwickeln, wie die für den Wiederaufbau des Landes so
wichtige sichere und freiwillige Rückkehr afghanischer Flüchtlinge und
Vertriebener in ihre Heimat unterstützt werden kann.

Berlin, den 2. März 2004
Dr. Christian Ruck
Hermann Gröhe
Dr. Ralf Brauksiepe
Hartwig Fischer (Göttingen)
Klaus-Jürgen Hedrich
Siegfried Helias
Gerlinde Kaupa
Rudolf Kraus
Conny Mayer (Baiersbronn)

Sibylle Pfeiffer
Christa Reichard (Dresden)
Peter Weiß (Emmendingen)
Rainer Eppelmann
Norbert Geis
Dr. Egon Jüttner
Jürgen Klimke
Arnold Vaatz
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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