BT-Drucksache 15/2465

Entwicklungspolitik muss Bekämpfung von HIV/Aids verstärken

Vom 10. Februar 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2465
15. Wahlperiode 10. 02. 2004

Antrag
der Abgeordneten Conny Mayer (Baiersbronn), Dr. Christian Ruck, Annette
Widmann-Mauz, Dr. Ralf Brauksiepe, Hartwig Fischer (Göttingen), Klaus-Jürgen
Hedrich, Siegfried Helias, Rudolf Kraus, Sibylle Pfeiffer, Christa Reichard
(Dresden), Peter Weiß (Emmendingen), Rainer Eppelmann, Norbert Geis,
Dr. Egon Jüttner, Jürgen Klimke, Wolfgang Zöller und der Fraktion der CDU/CSU

Entwicklungspolitik muss Bekämpfung von HIV/Aids verstärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Nach Angaben von UNAIDS, dem Gemeinsamen Programm der Vereinten Na-
tionen zu HIV/Aids und der Weltgesundheitsorganisation (WHO), leben heute
mehr als 40 Millionen Menschen mit der Immunschwächekrankheit. An deren
Folgen sterben täglich mehr als 10 000 Menschen. 2 000 Kinder unter 15 Jah-
ren infizieren sich täglich neu. Von den mehr als 40 Millionen HIV-infizierten
Menschen weltweit leben fast drei Viertel in Afrika, darunter auch drei Millio-
nen Neugeborene und Kleinkinder. In einigen Ländern südlich der Sahara lie-
gen die Infektionsraten bei über 30 Prozent. Bei Frauen und Mädchen sind die
Infektionsraten teilweise bis zu fünfmal höher als in der männlichen Bevölke-
rung. Nach Darstellung von UNICEF, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Na-
tionen, haben heute schon rund zehn Millionen Kinder in Afrika südlich der
Sahara einen oder beide Elternteile durch Aids verloren.
Nach Schätzungen von UNAIDS liegen die künftigen Epizentren dieser welt-
weiten Epidemie in Indien und China sowie in Osteuropa und Zentralasien. In
Osteuropa und Zentralasien sind derzeit mehr als 1,5 Millionen Menschen mit
dem Virus infiziert, davon eine Million allein in der Russischen Förderation.
Aber auch in den baltischen Staaten, der Ukraine und Moldawien steigt die
Anzahl der mit HIV/Aids lebenden Menschen stetig an. Dadurch wird deutlich,
dass HIV/Aids keinesfalls nur ein afrikanisches Problem ist. Eine unverzügli-
che und konsequente Intervention zum jetzigen Zeitpunkt könnte die Epidemie
in Osteuropa eindämmen, bevor ihre Folgen das gleiche Ausmaß wie auf dem
afrikanischen Kontinent erreichen.
Auf der Sondersitzung der Vollversammlung der Vereinten Nationen (VN) zum
Thema HIV/Aids am 22. September 2003 in New York warnte VN-Generalsek-
retär Kofi Annan vor einer Verfehlung der im Juni 2001 auf dem VN-Gipfel zu
HIV/Aids gesetzten Ziele zur Eindämmung der Epidemie. Die Vereinten Natio-
nen gingen im Jahr 2001 von Investitionen der Entwicklungsländer und ihrer
Partner in Höhe von 1,5 Mrd. US-Dollar aus. Im Juni 2001 wurde festgehalten,
dass eine Erhöhung der finanziellen Mittel zur Bekämpfung von HIV/Aids um
weitere sieben bis zehn Mrd. US-Dollar jährlich notwendig sei, um die wich-
tigsten Maßnahmen zur HIV-Prävention und Aids-Behandlung weltweit zu er-
möglichen.

Drucksache 15/2465 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Mindestens sechs Millionen Menschen benötigen heute in Entwicklungslän-
dern dringend eine Behandlung mit Aids-Medikamenten. Bislang können dort
weniger als 300 000 Menschen mit lebensverlängernden anti-retroviralen Me-
dikamenten versorgt werden. (In Deutschland sind rund 43 000 Menschen mit
HIV/Aids infiziert, etwa 5 000 leben mit Aids. Der Zugang zu einer Behandlung
ist hier gegeben.) Vor einer Behandlung mit anti-retroviralen Medikamenten
steht stets die Kenntnis über den eigenen HIV-Status. Nur wer sich testen lässt
weiß, ob er HIV-positiv ist und kann sich gegebenenfalls für eine Behandlung
entscheiden. Bei der Behandlung von HIV/Aids-Patienten spielen neben dem
Preis der Medikamente auch die Qualitätssicherung, der Ausbau der lokalen In-
frastruktur, Ausbildung für medizinisches und medizinisch-technisches Perso-
nal und die Bereitschaft der nationalen Regierungen, HIV/Aids öffentlich zu
thematisieren, eine zentrale Rolle.
In den letzten Jahren haben sich die Preise für Aids-Therapien drastisch ge-
senkt. Das ist vor allem auf Nachahmerprodukte – so genannte Generika – zu-
rückzuführen, die heute kostengünstiger angeboten werden können als die Ori-
ginale. Damit verbunden ist der am 30. August 2003 von den WTO-Mitglied-
staaten (WTO=Welthandelsorganisation) erzielte Kompromiss, wonach Ent-
wicklungsländer, die keine eigene ausreichende Produktionskapazität haben,
Generika dann importieren dürfen, wenn die öffentliche Gesundheit in Gefahr
ist. Bislang durften die von den Epidemien besonders betroffenen Länder diese
Präparate aufgrund der unter dem TRIPS-Abkommen vereinbarten Patent-
rechte nicht einführen, sondern höchstens selbst herstellen.
Im Jahr 2000 haben die Staats- und Regierungschefs auf dem Millenniums-
Gipfel der Vereinten Nationen in New York die Millenniums-Ziele verabschie-
det und sich zu deren Umsetzung verpflichtet. Die Bekämpfung von HIV/Aids,
Malaria und anderen Krankheiten ist eines der acht Ziele des Millennium-
programms. Bis zum Jahr 2015 soll die Ausbreitung von HIV/Aids zum Still-
stand gebracht werden. Da die Hälfte aller HIV-Neuinfektionen junge Men-
schen, besonders junge Frauen und Mädchen, betrifft, sind diese eine besonders
wichtige Zielgruppe im Kampf gegen Aids. Ein verantwortungsbewusster Um-
gang mit Sexualität und die Möglichkeit, sich selbst vor dem Virus zu schützen
muss durch Bildungsarbeit und Aufklärungskampagnen gefördert werden. Au-
toritätsmissbrauch und Gewalt gegen Frauen und Mädchen (insbesondere inter-
generative Sexualität) müssen offen thematisiert, strafrechtlich verfolgt und
durch Stärkung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stellung des weib-
lichen Geschlechts konsequent bekämpft werden.
Die rasante Ausbreitung der HIV/Aids-Epidemie gefährdet die Erreichung wei-
terer Millenniums-Ziele, insbesondere die Verbesserung der Gesundheit von
Müttern und die Verringerung der Säuglingssterblichkeit.
Nicht nur durch die Vereinbarung der Millenniums-Ziele ist die internationale
Gemeinschaft für die Eindämmung der HIV/Aids-Epidemie verantwortlich.
Auch die ungeheure Dimension und Folgen der Epidemie machen deutlich,
dass umgehendes und gemeinsames Agieren im internationalen Kontext unum-
gänglich ist. So hat die Krankheit in einigen Ländern von Subsahara-Afrika die
Erfolge der internationalen Entwicklungszusammenarbeit der letzten Jahre be-
reits zunichte gemacht. HIV/Aids hat gerade in Entwicklungsländern gravie-
rende Auswirkungen auf die nationale Wirtschaft, das Bildungs- und Gesund-
heitswesen aber auch auf die Sicherheits- und Außenpolitik. Internationale Ver-
antwortung zur Eindämmung von HIV/Aids umfasst nicht nur finanzielles En-
gagement der Partnerländer, sondern auch die Bereitschaft, dem Thema HIV/
Aids allerhöchste politische Priorität einzuräumen und einer Stigmatisierung
des Themas sowie der betroffenen Menschen entgegenzuwirken.
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, würdigte am 22. Sep-
tember 2003 die Rolle des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberku-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2465

lose und Malaria (GFATM) als eines der effektivsten Instrumente zur Finanzie-
rung des Kampfes gegen HIV/Aids. Der GFATMwurde 2001 mit Unterstützung
der G8-Staaten eingerichtet und erhielt bisher rund 4,9 Mrd. US-Dollar an Zusa-
gen bis 2008. Für das Jahr 2004 sind insgesamt rund 1,2 Mrd. US-Dollar zuge-
sagt. Für 2005 kann der Fonds nach heutigem Stand mit rund 800 Mio. US-Dol-
lar rechnen. Seit der Fonds seine Tätigkeit 2002 aufnahm, konnten 224 Projekte
in 121 Ländern gefördert werden. Dabei werden rund 60 Prozent der Mittel für
die Bekämpfung von HIV/Aids, 23 Prozent für Malaria und 17 Prozent für Tu-
berkulose verwendet. Anfang 2004 gehen die Projekte, die 2002 bewilligt wur-
den, in die zweite Phase. Vor allem für Behandlungsprogramme sollen dann
größere Summen ausgeschüttet werden. Wichtige Kriterien dabei sind, dass alle
relevanten Akteure einbezogen und Maßnahmen der Vorsorge, Behandlung und
Pflege miteinander verbunden werden. Darüber hinaus startet die vierte Pro-
jektrunde. Insgesamt benötigt der GFATM bis Ende 2005 Mittel in Höhe von
fünf Mrd. US-Dollar.
Prävention und Therapie sind zwei Seiten derselben Medaille. Der Deutsche
Bundestag unterstützt jede Initiative, die Prävention und Therapie als gemein-
sames Konzept ansieht. In Projekten, in denen bereits behandelt wird, zeigt
sich, dass gerade das Wissen um die Möglichkeit der Behandlung die Chancen
erhöht, dass die Menschen sich einem HIV-Test unterziehen. Außerdem ermög-
licht die anti-retrovirale Therapie, dass Menschen mit HIV weiterhin am gesell-
schaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilnehmen können.
Der Deutsche Bundestag begrüßt Initiativen der betroffenen Entwicklungsländer.
Bisher haben 40 afrikanische Länder landesweite Programme zur Aids-Bekämp-
fung entwickelt. Am Beispiel Ugandas zeigt sich, welch positive Auswirkungen
eine konsequente Politik der Aufklärung haben kann. Als die Lebenserwartung in
den neunziger Jahren drastisch gesunken war, reagierte Uganda mit einer inten-
siven öffentlichen Informationskampagne. Die positiven Folgen liegen in einem
erheblich erhöhten Kondomgebrauch und dem Rückgang der Neuinfektionen.
Beispiel Südafrika: Sehr spät und nach jahrelangem Ignorieren des dramatischen
Anstiegs der Zahl von HIV/Aids-Infizierten hat die südafrikanische Regierung im
November 2003 einen nationalen Aktionsplan aufgestellt. Dieser Plan sieht die
sofortige Einführung der Behandlung von HIV/Aids-Patienten mit lebensver-
längernden anti-retroviralen Medikamenten vor. Dazu soll 2004 in jedem Distrikt
des Landes mindestens eine spezielle Gesundheitsstation eingerichtet werden. Die
internationale Gebergemeinschaft wird auf die konkrete Umsetzung dieses Planes
sehr aufmerksam und sorgfältig zu achten haben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. der Bekämpfung von HIV/Aids einen höheren politischen Stellenwert auch

auf allerhöchster politischer Ebene einzuräumen, wie dies beispielsweise in
Großbritannien, Irland, Frankreich oder den USA der Fall ist;

2. die HIV/Aids-Bekämpfung insbesondere bei persönlichen Kontakten und
Auslandsbesuchen offensiv anzusprechen, Lösungswege zu diskutieren und
dazu beizutragen, dass HIV/Aids nicht, wie es in einigen Entwicklungs-
ländern weiterhin der Fall ist, stigmatisiert wird, sondern als gesellschaft-
liches Problem anerkannt und angegangen wird;

3. zu prüfen ob das Vorliegen eines angemessenen politischen Engagements
für die HIV/Aids-Bekämpfung als Bedingung einer bilateralen Zusammen-
arbeit mit Entwicklungsländern mit hohen HIV/Aids-Infektionsraten ange-
sehen werden kann;

4. die Umsetzung der Millenniums-Ziele, insbesondere die Verpflichtung im
Hinblick auf die Eindämmung von HIV/Aids, stärker als bisher zu unterstüt-
zen;

Drucksache 15/2465 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
5. schnellstmöglich ein abgestimmtes, schlüssiges Konzept für eine bessere
Zusammenarbeit den beteiligten Ministerien bei der Bekämpfung von HIV/
Aids vorzulegen. Ziel muss eine optimale Vernetzung der HIV/Aids-Arbeit
in Deutschland und ein Know-how-Austausch zwischen Deutschland und
den Entwicklungsländern sein;

6. bei den Ausgaben für die HIV/Aids-Bekämpfung größere Transparenz
herzustellen. Dabei ist aufzuzeigen, ob die Richtlinien zur Ermittlung der
HIV/Aids-Ausgaben den 25 Kategorien so genannter key interventions von
UNAIDS entsprechen;

7. nach der Anerkennung des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tu-
berkulose und Malaria (GFATM) als ein zentrales Instrument zur globalen
Bekämpfung von HIV/Aids jetzt ein höheres politisches und finanzielles
Engagement im Hinblick auf den GFATM folgen zu lassen. Dazu gehört
auch, dass Deutschland einen Ländervorsitz im Vorstand des GFATM über-
nehmen sollte;

8. bei der Nennung der Ausgaben für die HIV/Aids-Bekämpfung, insbeson-
dere bei den Mitteln für den GFATM, nur den Anteil einzuberechnen, der
beim GFATM auch für die HIV/Aids-Bekämpfung aufgewandt wird;

9. künftig bei der bilateralen Zusammenarbeit Prävention, Behandlung sowie
Betreuung und Versorgung von HIV-Patienten und ihrer Angehörigen (ins-
besondere Waisen) als zentrale Felder der HIV/Aids-Bekämpfung anzuer-
kennen und anzugehen. Dazu gehört, den Anteil von Projekten in der bilate-
ralen Entwicklungszusammenarbeit, die neben Prävention auch Behandlung
und Betreuung bzw. Versorgung von Aids-Waisen umfassen, zu erhöhen;

10. Maßnahmen zu unterstützen, die die wirtschaftliche, rechtliche und gesell-
schaftliche Situation von Frauen (Empowerment) verbessern;

11. die Kooperationsländer verstärkt auf die Notwendigkeit und den Erfolg
von Sexualbildung hinzuweisen. Im Bereich der Prävention sind Aufklä-
rungs- und Informationsprogramme der erste und wichtigste Schritt, um
Neuinfektionen zu verhindern;

12. den Dialog zwischen Pharmaindustrie und Entwicklungsländern zu unter-
stützen, mit dem Ziel einer breiten Bereitstellung von kostengünstigen,
qualitativ hochwertigen anti-retroviralen Medikamenten sowie einem wei-
teren Ausbau von Public-Private Partnerships;

13. schnellstmöglich einen konkreten Vorschlag zur Umsetzung des WTO-
Abkommens in nationales Recht vorzulegen, um mit dem von den WTO-
Mitgliedstaaten erzielten Kompromiss die im TRIPS bestehende Rege-
lungslücke für „grenzüberschreitende Zwangslizenzen“ sachgerecht zu
schließen.

Berlin, den 10. Februar 2004
Conny Mayer (Baiersbronn)
Dr. Christian Ruck
Annette Widmann-Mauz
Dr. Ralf Brauksiepe
Hartwig Fischer (Göttingen)
Klaus-Jürgen Hedrich
Siegfried Helias
Rudolf Kraus
Sibylle Pfeiffer

Christa Reichard (Dresden)
Peter Weiß (Emmendingen)
Rainer Eppelmann
Norbert Geis
Dr. Egon Jüttner
Jürgen Klimke
Wolfgang Zöller
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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