BT-Drucksache 15/2335

Umdenken in der Kongopolitik

Vom 13. Januar 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2335
15. Wahlperiode 13. 01. 2004

Antrag
der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Friedbert Pflüger, Hartwig Fischer
(Göttingen), Dr. Ralf Brauksiepe, Siegfried Helias, Rudolf Kraus, Conny Mayer
(Baiersbronn), Sibylle Pfeiffer, Christa Reichard (Dresden), Peter Weiß
(Emmendingen), Rainer Eppelmann, Norbert Geis, Dr. Egon Jüttner, Jürgen
Klimke, Arnold Vaatz und der Fraktion der CDU/CSU

Umdenken in der Kongopolitik

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Demokratische Republik Kongo (DR Kongo) war über mehrere Jahre hin-
weg der Schauplatz des bisher größten afrikanischen Krieges, an dem zeitweise
bis zu sechs verschiedene afrikanische Staaten beteiligt waren. Der Konflikt ist
auf eine Vielzahl verschiedener Ursachen und Auslöser zurückzuführen. Neben
den sicherheitspolitischen Interessen einzelner Nachbarländer, kommen illegale
Ressourcenausbeutung durch kriminelle Eliten, kriegerische Auseinanderset-
zungen innerkongolesischer Milizen und ethnische Spannungen zum Tragen.
Schätzungen zufolge sind diesem Krieg seit 1998 mehr als 3,3 Millionen Men-
schen zum Opfer gefallen, rund 3,4 Millionen Kongolesen gelten als Vertrie-
bene und Flüchtlinge. Die meisten Toten stammen aus der Zivilbevölkerung,
die unter den sich durch die Kriegssituation dramatisch verschlechternden
Lebensbedingungen leidet und meist nicht durch direkte Waffeneinwirkung,
sondern infolge von Plünderung und Vertreibung, mangelnder Ernährung und
Krankheiten gestorben ist. Die Lage der Menschenrechte ist katastrophal.
Das Lusaka-Abkommen (10. Juli 1999), das von Angola vermittelte Luanda-
Abkommen (6. September 2002) und die beiden von Südafrika vermittelten
Pretoria-Abkommen I und II (30. Juli 2002 und 17. Dezember 2003), die den
Rückzug der ausländischen Truppenverbände und die Entwaffnung der Rebel-
lenfraktionen vorsehen, stellen für die DR Kongo eine einmalige Chance dar,
das Land zu befrieden und die nationale Einheit wieder herzustellen. Eine Fort-
setzung des gewaltsamen Konflikts, würde hingegen das entsetzliche Leid der
Bevölkerung weiter verschärfen und die DR Kongo endgültig in Anarchie und
Gewalt versinken lassen. Durch wieder anwachsende Flüchtlingsbewegungen
und die Zunahme des illegalen Ressourcenhandels würde nicht nur eine weitere
Destabilisierung Zentralafrikas drohen, sondern auch andere Länder im süd-
lichen und östlichen Afrika negativ betroffen sein.
Nach langen und zähen Verhandlungen, ist es Präsident Joseph Kabila im Juli
2003 gelungen, eine Übergangsregierung zu bilden, die einen Ausgleich zwi-
schen der alten Kabila-Regierung und den verschiedenen Parteien und Rebel-
lenfraktionen herstellt. Auch wenn die Zusammensetzung der Übergangsregie-
rung nicht unproblematisch ist und die einzelnen Vertragspartner nicht alle ihre

Drucksache 15/2335 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Zusagen einhalten, gibt es gegenwärtig keine politische Alternative. Die Ver-
besserung der Lebensbedingungen der Menschen, die Wiederherstellung von
Recht und Ordnung, Wirtschaftsreformen, Dezentralisierung und die Durchfüh-
rung von freien Wahlen innerhalb der nächsten Jahre sind die wichtigsten poli-
tische Ziele.
Das Zustandekommen der Übergangsregierung ist ein Verdienst der VN-Frie-
densmission MONUC, die den Rückzug, die Entwaffnung und die Reintegra-
tion der Milizenverbände in ein ziviles Leben und die Einhaltung der Friedens-
abkommen überwacht. Ganz entscheidend für die Verhinderung weiterer krie-
gerischer Auseinandersetzungen in Bunia im Distrikt Ituri und das Zustande-
kommen der Übergangsregierung war auch nach Darstellung des UN-
Sonderbeauftragten für die Demokratische Republik Kongo, Botschafter Wil-
liam Lacy Swing, im Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung, die von Frankreich geführte EU-Eingreiftruppe ARTEMIS, an der
auch die Bundesrepublik Deutschland beteiligt war. Ohne die erfolgreiche AR-
TEMIS-Mission wäre es nicht zu einem robusten MONUC-Mandat gekom-
men. Das engagierte Auftreten der EU und die klare Botschaft an die Rebellen-
gruppen im Ostkongo, den Frieden notfalls auch mit Waffengewalt zu sichern,
ist die Grundlage für den Erfolg der umstrukturierten und personell und materi-
ell besser ausgestatteten MONUC-Mission.
Obwohl sich die Bundesrepublik Deutschland an der MONUC-Friedensmis-
sion im Rahmen des VN-Haushaltes mit rund 10 Prozent beteiligt, sind derzeit
im Bereich der Stabsstellen keine deutschen Mitarbeiter bei der MONUC – we-
der in der zivilen noch in der militärischen Komponente – eingesetzt. Durch die
Nichtbeteiligung verzichtet die Bundesrepublik Deutschland auf die Möglich-
keit, sich aktiv in die VN-Mission einzubringen und ihr Engagement sichtbar
zu machen. Eine stärkere Präsenz der Bundesrepublik Deutschland in Form von
deutschen Stabsmitarbeitern in der Mission würde von der MONUC-Führung
sehr begrüßt, weil deutsches Stabspersonal als unparteiisch, lösungsorientiert
und von kolonialistischer Vergangenheit unbelastet gilt und daher im Friedens-
prozess einen besonderen Beitrag leisten kann.
Eine wichtige Rolle für den Friedensprozess spielen auch nationale zivilgesell-
schaftliche Organisationen, Kirchen und internationale NGOs, die ihre Arbeit
lobenswerterweise auch während des Konfliktes aufrecht erhalten haben und
den Transitionsprozess sehr engagiert begleiten.
Auch wenn der Friedensprozess nach wie vor sehr labil ist, gibt die derzeitige
Entwicklung in der DR Kongo Anlass zur Hoffnung. Die Zivilbevölkerung ist
kriegsmüde und sehnt sich nach Frieden und Sicherheit. Ein weiteres und inten-
siveres Engagement der internationalen Gemeinschaft ist nun besonders ge-
fragt, um die bisher größte Chance auf Frieden in der Region der Großen Seen
zu unterstützen. Dabei gibt es zwei große Herausforderungen zu bewältigen:
Zum einen gilt es, den konfliktprovozierenden und destabilisierenden Einfluss
einzelner Nachbarländer zu unterbinden. In den letzten Wochen berichten inter-
nationale Medien und lokale Experten wieder über eine verstärkte Einmischung
Ruandas und Ugandas im Ostkongo. Die Vorwürfe reichen von der Unterstüt-
zung von Milizen und der Ausbeutung von Bodenschätzen, bis hin zur Infiltra-
tion ruandischer Truppenverbände im Ostkongo. Berichten zufolge ist auch
Simbabwe an der illegalen Ausbeutung der Bodenschätze in der DR Kongo
beteiligt. Sollten sich diese Verdachtsmomente bestätigen, müssen alle außen-
und entwicklungspolitischen Register gezogen werden, um Ruanda, Uganda,
Simbabwe und gegebenenfalls weitere konfliktschürende Länder zum Einlen-
ken zu bewegen. Bedauerlicherweise hat die Bundesregierung bei den im
November 2003 abgeschlossenen Regierungsverhandlungen mit Ruanda offen-
bar keinen Druck dahingehend ausgeübt, diese Einmischung künftig zu unter-
lassen. Die Bundesregierung plant jedenfalls, die Entwicklungszusammenarbeit

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2335

mit Ruanda in bisheriger Höhe fortzusetzen. Beobachter im In- und Ausland
werten dies als ein falsches Signal für den Friedensprozess in der DR Kongo.
Darüber hinaus ist es notwendig, den Friedensprozess durch Wiederaufbauhilfe
zu unterstützen. Schnell sichtbare Erfolge sind die Voraussetzung dafür, dass
die kongolesische Bevölkerung Vertrauen in die neue Regierung gewinnt und
den Friedensprozess unterstützt. Die Bundesregierung hat sich hier bislang
kaum bewegt. Weder hat sie den Status der DR Kongo als nur „potenziellem
Partnerland“ geändert, noch sind bisher sonstige konkrete Bemühungen zur
Wiederaufnahme der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit erkennbar.
Diese Untätigkeit fällt umso mehr auf, weil sie im augenfälligen Widerspruch
zur bevorzugten Behandlung von Ruanda und Uganda in der deutschen Ent-
wicklungspolitik steht.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. den Friedensprozess in der DRKongo durch eine kohärente Außen-, Sicher-

heits- und Entwicklungspolitik zu unterstützen. Dazu gehört vor allem, die
Politik gegenüber den Ländern der Region aufeinander abzustimmen;

2. die DR Kongo wieder zu einem Partnerland der deutschen Entwicklungszu-
sammenarbeit zumachen. Die erfolgreiche Entwicklung des kongolesischen
Friedensprozesses liegt im deutschen außen- und sicherheitspolitischen In-
teresse. Er muss deshalb kraftvoll unterstützt werden;

3. endlich deutsche Mitarbeiter in Stabsstellen und deutsche Stabsoffiziere in
die MONUC-Friedensmission zu entsenden;

4. sich stärker an der MONUC-Friedensmission konstruktiv zu beteiligen;
5. generell die multilateralen Stabilisierungsbemühungen in der DR Kongo bi-

lateral zu flankieren;
6. für die Dauer der Friedensmission in der DRKongo einen deutschenMilitär-

attaché zu akkreditieren und vor Ort einzusetzen;
7. sich auch in Europa und auf der Ebene internationaler Geber, für die Intensi-

vierung der Entwicklungszusammenarbeit mit der DRKongo einzusetzen;
8. zu prüfen, ob die DR Kongo über die beschlossenen bilateralen Entschul-

dungsmaßnahmen hinaus, auch auf internationaler Ebene durch weitere
Schuldenerleichterungen unterstützt werden kann;

9. sich auf internationaler Ebene dafür einzusetzen, die Planung undDurchfüh-
rung der „Große Seen Konferenz“ in Nairobi im Jahr 2004 durch internatio-
nale Geber in enger Abstimmungmit den afrikanischen Verantwortlichen zu
unterstützen;

10. sich für eine engeKoordinierung der internationalenGeber in der DRKongo
einzusetzen;

11. sich auf internationaler Ebene dafür einzusetzen, die Einhaltung desWaffen-
embargos durch Luftüberwachung zu unterstützen;

12. sich auf der Ebene der Vereinten Nationen dafür einzusetzen, internationale
Kontroll- undMonitoringmechanismen für denAbbau vonRohstoffen in der
DR Kongo und dessen internationalen Handel zu entwickeln. Insbesondere
ist zu prüfen, ob die UN sich bei einer Überwachung des Ressourcenhandels
an den Grenzen und Flughäfen beteiligen kann;

13. die Regierung der DR Kongo aufzufordern, alle von ihr unterzeichneten in-
ternationalenMenschenrechtsabkommen einzuhalten;

14. sich dafür einzusetzen, demZustand der Rechts- und Straflosigkeit imOsten
der DR Kongo entgegenzuwirken und den Aufbau staatlicher Institutionen,

Drucksache 15/2335 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
insbesondere Justizwesen und Polizei, z. B. durch die Entsendung deutscher
Experten zu unterstützen;

15. die Effizienz des von Deutschland mitfinanzierten Programms zur Entwaff-
nung, Demobilisierung, Eingliederung und Reintegration (DDRRR) der An-
gehörigen bewaffneter Gruppen, vor allem der zwangsrekrutierten Kinder-
soldaten zu überprüfen und umgehend zu steigern;

16. die hervorragende Arbeit nationaler und internationaler NGOs und der
kirchlichen Friedens- und Entwicklungsarbeit verstärkt zu unterstützen;

17. die Vorbereitung und Durchführung nationalerWahlen in der DRKongo tat-
kräftig zu unterstützen;

18. den Berichten über eine ruandische und ugandische Einmischung in der DR
Kongo mit Nachdruck nachzugehen und für den Fall, dass sie sich bewahr-
heiten, die Regierungen Ruandas und Ugandas nachdrücklich aufzufordern,
die Unterstützung von Milizen einzustellen, eigene Truppenverbände voll-
ständig von kongolesischem Territorium zurückzuziehen und die illegale
Ressourcenausbeutung im Ostkongo zu unterbinden;

19. für den Fall, dass sich die Meldungen über die Einmischung von Nachbar-
ländern in der DRKongo bewahrheiten, bilateral und inmultilateralen Foren
die Fortführung der Entwicklungszusammenarbeit mit Ruanda und Uganda
von einemEnde der Einmischung in der DRKongo abhängig zumachen und
gegebenenfalls weitere Sanktionsmechanismen in Erwägung zu ziehen;

20. für den Fall, dass sich dieMeldungen über die EinmischungRuandas imOst-
kongo bewahrheiten, die Ruanda im Rahmen der HIPC-Entschuldungsiniti-
ative in Aussicht gestellte Entschuldung auch von der Beendigung der mili-
tärischen Einmischung und der illegalen Ausbeutung der Ressourcen in der
DRKongo abhängig zu machen;

21. Simbabwes Engagement in der DR Kongo eingehend zu prüfen. Sollte sich
bewahrheiten, dass Simbabwe an der illegalenAusbeutung von Bodenschät-
zen beteiligt ist, somüssen sowohl Simbabwe als auch die kongolesischeRe-
gierung aufgefordert werden, alle möglichen Maßnahmen zu ergreifen, dies
zu unterbinden.

Berlin, den 13. Januar 2004
Dr. Christian Ruck
Dr. Friedbert Pflüger
Hartwig Fischer (Göttingen)
Dr. Ralf Brauksiepe
Siegfried Helias
Rudolf Kraus
Conny Mayer (Baiersbronn)
Sibylle Pfeiffer

Christa Reichard (Dresden)
Peter Weiß (Emmendingen)
Rainer Eppelmann
Norbert Geis
Dr. Egon Jüttner
Jürgen Klimke
Arnold Vaatz
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.