BT-Drucksache 15/2152

Den Friedensprozess im Sudan unterstützen

Vom 9. Dezember 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2152
15. Wahlperiode 09. 12. 2003

Antrag
der Abgeordneten Hermann Gröhe, Dr. Egon Jüttner, Rainer Eppelmann,
Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Christian Ruck, Holger Haibach, Irmgard Karwatzki,
Melanie Oßwald, Daniela Raab, Hartwig Fischer (Göttingen), Karl-Theodor Freiherr
von und zu Guttenberg, Hubert Hüppe, Julia Klöckner, Werner Lensing, Albert
Rupprecht (Weiden), Dr. Wolfgang Schäuble, Arnold Vaatz und der Fraktion der
CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Rainer Funke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
und der Fraktion der FDP

Den Friedensprozess im Sudan unterstützen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Nach über zwanzigjährigem Bürgerkrieg besteht seit diesem Herbst die Hoff-
nung, dass ein Friedensabkommen zwischen der sudanesischen Regierung
(GoS) in Khartum und der Führung der Sudanesischen Volksbefreiungsbewe-
gung (SPLM) geschlossen werden kann. Das Sicherheitsabkommen, das die su-
danesische Regierung unter Leitung des Vizepräsidenten Ali Osman Mohamed
Taha und der Vorsitzende der SPLM/SPLA, Dr. John Garang, am 25. Septem-
ber 2003 in Naivasha/Kenia vereinbart haben, ist ein entscheidender Schritt auf
diesem Weg.
Wie auch bereits im Machakos-Protokoll vom Juni 2002 vereinbart worden
war, soll der Süden nach Ablauf einer Übergangsperiode von sechs Jahren in ei-
nem Referendum unter internationaler Aufsicht entscheiden, ob er weiterhin
Bestandteil der Republik Sudan blieben will. In dieser Zeit wird die Sudanesi-
sche Volksbefreiungsarmee SPLA fortbestehen. Innerhalb von sechs Monaten
nach Unterzeichnung des Friedensabkommens soll eine Übergangsregierung
aus Vertretern aller sudanesischen Regionen gebildet werden; außerdem sind
Wahlen vorgesehen, die aber nicht vor Ablauf eines Jahres nach der Unter-
zeichnung stattfinden werden.
Dies ist ein großer Fortschritt. Doch zahlreiche Probleme sind noch nicht ge-
löst. Nicht geregelt ist bislang die Verteilung der Staatsfinanzen (insbesondere
der Einnahmen aus der Ölförderung), die Aufteilung der politischen Ämter in
einer gemeinsamen Regierung sowie der Grad an Selbstbestimmung der drei
umstrittenen Regionen Abyei, Nuba-Berge und Funj (Southern Blue Nile).
Hinzu kommt, dass die SPLM mindestens Autonomie will. Gemäß der Verein-
barung im Machakos-Protokoll lehnt die Bewegung die Übernahme des im
Norden geltenden Scharia-Rechts entschieden ab. Das Vertrauen in Zusagen
der sudanesischen Regierung ist im Süd-Sudan aufgrund der bisherigen Erfah-
rungen mit gebrochenen Verträgen sehr gering.

Drucksache 15/2152 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Das Sicherheitsabkommen vom 25. September 2003 ist darüber hinaus mit dem
Makel behaftet, dass nicht alle politischen Parteien und Gruppierungen im Nor-
den wie im Süden in die Friedensgespräche einbezogen wurden. Deren Beteili-
gung und Zustimmung ist aber erforderlich, wenn das Abkommen nachhaltig
umgesetzt werden soll. Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen miliz-
artigen Gruppierungen und ethnisch bedingte Zusammenstöße würden sonst
andauern.
In die Vereinbarung zwischen dem Norden und dem Süden müssen aber auch
andere Landesteile einbezogen werden. In der Region Darfur im Westen an der
Grenze zum Tschad dauern die Kämpfe zwischen sudanesischen Regierungs-
truppen und Einheiten der Sudanesischen Befreiungsbewegung (SLM) an.
Gleichzeitig kämpfen Nomadenstämme arabischer Herkunft und Bauernvölker
afrikanischer Herkunft in der häufig von Dürreperioden heimgesuchten Provinz
um fruchtbares Land. Nach Aussagen der Hilfsorganisation USAID wurden
durch die Auseinandersetzungen in der Provinz Darfur bis Ende Oktober dieses
Jahres über 600 000 Menschen aus ihren Häusern vertrieben.
Wie der sudanesische Außenminister Mustafa Osman Ismai’il führenden Ver-
tretern der IGAD (Intergovernmental Authority on Development, der ostafrika-
nischen Regionalorganisation von Äthiopien, Dschibuti, Eritrea, Kenia, Sudan,
Somalia und Uganda) selbst erläuterte, muss der Frieden im Sudan im Zusam-
menhang mit einem Frieden in der gesamten Region gesehen werden, wozu
auch Vereinbarungen in den Krisengebieten Nord-Ugandas, Somalia, Eritrea
und Äthiopien gehörten. Seiner Ansicht nach kann das Abkommen für den Su-
dan nicht isoliert gehalten werden. Diese Einsicht darf aber nicht zum Vorwand
dienen, den Friedensprozess im Sudan zu verzögern.
Der Krieg hat über zwei Millionen Menschen das Leben gekostet, eine halbe
Million floh in die Nachbarländer, etwa vier Millionen Menschen sind Binnen-
flüchtlinge. Das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) beginnt
nun, an einem Rückführungsprogramm für die in die angrenzenden Länder
Geflohenen in den Sudan zu arbeiten. Gleichzeitig finden zurzeit Gespräche
zwischen dem UNHCR und der sudanesischen Regierung statt, um die vor zwei
Jahren begonnene Rückführung von 300 000 eritreischen Flüchtlingen abzu-
schließen.
Für den Friedensprozess ist eine substanzielle Verbesserung der Menschen-
rechtslage im gesamten Staatsgebiet unabdingbar. Die Situation der Menschen-
rechte ist gekennzeichnet durch Folter, Todesstrafe, unmenschliche und ernied-
rigende Strafen, Inhaftierungen ohne Kontakt zur Außenwelt, willkürliche
Festnahmen und Verschleppungen, geschlechtsspezifische Menschenrechtsver-
letzungen. Kinder wurden im Verlauf des Bürgerkriegs von allen Konfliktpar-
teien als Soldaten rekrutiert. Ganze Bevölkerungsgruppen wurden aus den Öl-
fördergebieten vertrieben. Alle Konfliktparteien machten sich in den bewaffne-
ten Auseinandersetzungen schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig. In
dem Friedensabkommen muss daher unbedingt die Gewährung und Einhaltung
von Grund- und Menschenrechten sowie der Aufbau rechtsstaatlicher Struk-
turen im gesamten Staatsgebiet verankert werden. Dazu gehören vor allem auch
die Gewährung und Einhaltung von Religions- und Meinungsfreiheit. Eine un-
abhängige Presse ist zur Begleitung dieses Prozesses von großer Bedeutung.
Der Einfluss und das Gewicht der Kirchen und Religionsgemeinschaften wie
auch zivilgesellschaftlicher Gruppen müssen für die politische wie auch die
wirtschaftliche Aufbauarbeit genutzt werden.
Um eine friedliche Lösung des Konflikts unumkehrbar zu machen, ist es frei-
lich auch notwendig, dass sich die Parteien über die Überwachung der Umset-
zung einigen. Die Umsetzung der Vereinbarungen muss durch die Vereinten
Nationen kontrolliert werden.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2152

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. den mit dem Sicherheitsabkommen vom 25. September 2003 vorange-

brachten Friedensprozess politisch zu unterstützen und die bisherigen Kon-
fliktparteien zu ermutigen, auf dem jetzt eingeschlagenen Weg weiter zu
gehen;

2. auf alle Parteien und Gruppierungen einzuwirken, damit sie die eingegan-
genen Verpflichtungen einhalten;

3. alles zu unternehmen, damit die noch offenen Fragen bezüglich der Vertei-
lung und Regelung der Staatsfinanzen, der Verteilung der politischen Äm-
ter in einer gemeinsamen Regierung sowie des Grades an Selbstbestim-
mung der drei Regionen Abyei, Nuba-Berge und Funj (Southern Blue Nile)
zügig gelöst werden;

4. gemeinsam mit den in den Friedensprozess besonders engagierten Staaten
USA, Großbritannien, Norwegen und Italien darauf hinzuwirken, dass das
Abkommen nachhaltig umgesetzt wird;

5. sich für eine Überwachung der Einhaltung des Friedensprozesses mit Sank-
tionsmöglichkeiten durch die Vereinten Nationen einzusetzen;

6. eine Strategie zu entwickeln, wie der Friedensprozess im Sudan auch in an-
deren Landesteilen, insbesondere in der Provinz Darfur, eingeleitet werden
kann;

7. ihre Bemühungen zur Beilegung der übrigen Konflikte in der Region zu
verstärken;

8. ungeachtet des jetzigen Abkommens und der andauernden Verhandlungen
sich dafür einzusetzen, dass die Lage im Sudan bei der nächsten Sitzung
der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen im Frühjahr 2004
wieder auf die Tagesordnung gesetzt wird;

9. sich in diesem Zusammenhang auch nachdrücklich dafür zu engagieren,
dass wieder ein Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für den
Sudan eingesetzt wird;

10. die sudanesische Regierung nachdrücklich aufzufordern, alle von ihr unter-
zeichneten internationalen Menschenrechtsabkommen einzuhalten;

11. die sudanesische Regierung aufzufordern, das Übereinkommen zur Besei-
tigung jeder Form von Diskriminierung der Frau zu unterzeichnen und sich
für eine Verbesserung der Rechte der Frauen einzusetzen;

12. sich dafür einzusetzen, dass grundlegende Menschen- und Grundrechte,
wie Glaubens-, Meinungs- und Pressefreiheit gewährt und von den staat-
lichen wie auch regionalen Autoritäten geschützt werden;

13. die sudanesische Regierung aufzufordern sicherzustellen, dass das von ihr
unterzeichnete Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, un-
menschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe eingehalten wird;

14. die sudanesische Regierung zu drängen, das Zweite Fakultativprotokoll
zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Ab-
schaffung der Todesstrafe zu unterzeichnen und darauf hinzuwirken, dass
mit sofortiger Wirkung die Todesstrafe nicht mehr verhängt und Hinrich-
tungen nicht mehr vollzogen werden;

15. darauf zu drängen, dass alle Parteien und Gruppierungen die Regelungen
des humanitären Völkerrechts einhalten, und darauf hinzuwirken, dass
Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgt werden;

Drucksache 15/2152 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
16. das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) bei seinen Bemü-
hungen zu unterstützen, ein Rückführungsprogramm in den Sudan einzu-
leiten;

17. internationale Programme für die Wiedereingliederung von Kombattanten,
insbesondere von Kindersoldaten, zu unterstützen;

18. imRahmender internationalenEntwicklungszusammenarbeit politischeBil-
dungsprogramme mit den Schwerpunkten Staatsbürgerkunde und Rechts-
staatlichkeit – auch über deutsche politische Stiftungen – zu fördern;

19. im Rahmen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit auch ein
Schwergewicht auf die Verbesserung des Gesundheitswesens zu legen;

20. den Sudan wieder als reguläres Partnerland der deutschen Entwicklungszu-
sammenarbeit einzustufen und bereits heute ein Konzept zu entwickeln,
wie die staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit dem Land sofort nach
dem Friedensabkommen aufgenommen werden kann;

21. im Rahmen dieser Entwicklungszusammenarbeit unter sensibler Berück-
sichtigung der innenpolitischen Situation des Landes dem Wiederaufbau
im Süd-Sudan größtes Augenmerk zu schenken und dabei insbesondere die
bereits im Süd-Sudan tätigen Organisationen einzubinden.

Berlin, den 9. Dezember 2003
Hermann Gröhe
Dr. Egon Jüttner
Rainer Eppelmann
Dr. Friedbert Pflüger
Dr. Christian Ruck
Holger Haibach
Irmgard Karwatzki
Melanie Oßwald
Daniela Raab
Hartwig Fischer (Göttingen)
Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg
Hubert Hüppe
Julia Klöckner
Werner Lensing
Albert Rupprecht (Weiden)
Dr. Wolfgang Schäuble
Arnold Vaatz
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion
Rainer Funke
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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