BT-Drucksache 15/2015

Rechts- und Planungssicherheit für die Energiewirtschaft

Vom 11. November 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2015
15. Wahlperiode 11. 11. 2003

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dagmar Wöhrl, Karl-Josef Laumann, Dr. Joachim Pfeiffer, Kurt-
Dieter Grill, Dr. Rolf Bietmann, Veronika Bellmann, Wolfgang Börnsen (Bönstrup),
Alexander Dobrindt, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Erich G. Fritz, Dr. Michael
Fuchs, Dr. Reinhard Göhner, Ernst Hinsken, Robert Hochbaum, Volker Kauder,
Dr. Martina Krogmann, Dr. Hermann Kues, Wolfgang Meckelburg, Friedrich Merz,
Laurenz Meyer (Hamm), Hans-Peter Repnik, Dr. Heinz Riesenhuber, Franz Romer,
Hartmut Schauerte, Johannes Singhammer, Max Straubinger und der Fraktion
der CDU/CSU

Rechts- und Planungssicherheit für die Energiewirtschaft

In Deutschland gilt derzeit für die Energiewirtschaft das System des verhandel-
ten Netzzugangs. Aufgrund der EU-Beschleunigungsrichtlinien für Strom und
Gas vom 26. Juni 2003 ist jetzt ein regulierter Netzzugang einzuführen. Die
Vorgaben aus den Richtlinien sind bis zum 1. Juli 2004 umzusetzen. Es wird
also für die Strom- und Gaswirtschaft zu einem Paradigmenwechsel kommen,
dessen Implementierung eine umfangreiche Tätigkeit des Gesetzgebers voraus-
setzt. Hinzu kommt, dass die Vorgaben aus den Richtlinien schon bis zum
1. Juli 2004 umzusetzen sind. Gleichwohl liegt dem Deutschen Bundestag bis
heute noch kein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung vor.
Durch die Novelle des Energiewirtschaftsrechts vom Mai 2003 wurde die Ver-
bändevereinbarung Strom II plus (§ 6 Abs. 1 Satz 5 Energiewirtschaftsgesetz/
EnWG) und die Verbändevereinbarung Gas II (§ 6a Abs. 2 Satz 5 EnWG) mit
einer Rechtswirkung ausgestattet („Verrechtlichung“). Danach sind die Be-
treiber von Elektrizitätsversorgungsnetzen und von Gasversorgungsnetzen ver-
pflichtet, anderen Unternehmen das Versorgungsnetz für Durchleitungen zu
Bedingungen zur Verfügung zu stellen, die „guter fachlicher Praxis“ entspre-
chen. Die Erfüllung „guter fachlicher Praxis“ wird bei Einhaltung der jewei-
ligen Verbändevereinbarung durch den Netzbetreiber vermutet, „es sei denn,
dass die Anwendung der Vereinbarung insgesamt oder die Anwendung einzel-
ner Regelungen der Vereinbarung nicht geeignet ist, wirksamen Wettbewerb zu
gewährleisten“.
Aufgrund der bis zum 31. Dezember 2003 befristeten Begrenzung dieser
Rechtswirkungen wird ab dem 1. Januar 2004 bis zum Inkrafttreten der not-
wendigen Novelle des EnWG weitgehende Rechtsunsicherheit hinsichtlich der
Bedingungen für die Nutzung der Strom- und Gasnetze herrschen. Es stellt sich
dann nämlich u. a. die Frage, inwieweit die Verbändevereinbarungen ab diesem
Zeitpunkt „guter fachlicher Praxis“ entsprechen. Diese Rechtsunsicherheit ist
dadurch begründet, dass es die Bundesregierung versäumt hat, dem Deutschen
Bundestag rechtzeitig einen Gesetzentwurf vorzulegen, der diese Frage klärt.

Drucksache 15/2015 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Warum wurden die Verbändevereinbarungen über Strom (VV II plus) und

Erdgas (VV Gas II) im Energiewirtschaftsgesetz mit der Vermutung guter
fachlicher Praxis versehen („verrechtlicht“)?

2. Hat sich die „Verrechtlichung“ aus Sicht der Bundesregierung bewährt?
3. Wie erklärt die Bundesregierung, dass die Vermutungswirkung in § 6a

Abs. 2 EnWG zu Gunsten der VV Gas II bis zum 31. Dezember 2003 läuft,
wenn doch die VV Gas II selbst nach demWillen der Unterzeichner nur bis
zum 30. September 2003 lief (vgl. Ziff. 8 VV Gas II)?

4. Warum hat die Bundesregierung noch keinen Gesetzentwurf zur Umset-
zung der EU-Beschleunigungsrichtlinien vorgelegt, obwohl die „Verrecht-
lichung“ der Verbändevereinbarungen bis zum 31. Dezember 2003 befris-
tet ist?
Wann beabsichtigt die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Umset-
zung der EU-Beschleunigungsrichtlinien vorzulegen?

5. Beabsichtigt die Bundesregierung einen gesonderten Gesetzentwurf zur
Verlängerung der „Verrechtlichung“ der VV Strom II plus und VV Erdgas
II vorzulegen?
Wenn ja, wie will sie diese in Anbetracht der in den Verbändevereinbarun-
gen selbst enthaltenen Laufzeitbegrenzungen rechtlich ausgestalten, und
geht sie davon aus, dass diese Gesetzesänderung bis zum 1. Januar 2004
beschlossen sein wird?
Plant die Bundesregierung dies im Rahmen eines Artikelgesetzes, und
wenn ja, in welchem Gesetzeskontext?

6. Unterstellt, die Bundesregierung will die Vermutungswirkung nicht verlän-
gern, hat sie andere Pläne, um der Energiewirtschaft mit Blick auf die Aus-
gestaltung des verhandelten Netzzugangs für den verbleibenden Zeitraum,
in dem dieses System noch zulässig ist, Rechtssicherheit zu gewährleisten?

7. Warum hat die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag bisher keinen
Gesetzentwurf zur Neuregelung der §§ 6 und 6a EnWG vorgelegt?

8. Welche Rechtswirkungen gehen von den Verbändevereinbarungen (VV
Strom II plus und VV Gas II) ab dem 1. Januar 2004 aus, wenn es bis dahin
zu keiner Verlängerung der Vermutungswirkung oder einer anderen gesetz-
lichen Regelung kommt?

9. Wird das Auslaufen der befristeten Vermutungsregelung zum 31. Dezem-
ber 2003 ohne jegliche gesetzgeberische Aktivität zu Rechtsunsicherheiten
führen, und wenn ja, zu welchen?

10. Ist es richtig, dass der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft
und Arbeit, Georg Wilhelm Adamowitsch, anlässlich des 3. Düsseldorfer
Energierechtstages der Rechtsanwaltskanzlei Clifford Chance am 6. Okto-
ber 2003 geäußert hat, dass die Befristung der „Verrechtlichung“ der VV
Strom II plus bis zum 31. Dezember 2003 auf ein „rechtstechnisches Verse-
hen“ zurückzuführen sei?
Wenn nein, wie hat er sich geäußert?
Wenn ja, was ist mit der Aussage genau gemeint, und teilt die Bundesregie-
rung diese Auffassung?

11. Welche Regelungen der EU-Beschleunigungsrichtlinien haben nach Auf-
fassung der Bundesregierung, sofern sie bis zum 1. Juli 2004 nicht umge-
setzt sind, unmittelbare Wirkung im nationalen Recht?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2015

12. Soll die Umsetzung nach Auffassung der Bundesregierung ausschließlich
durch eine Novellierung des EnWG erfolgen oder soll es auch eine oder
mehrere Rechtsverordnungen geben?

13. Wenn es Rechtsverordnungen geben wird, werden diese zeitgleich mit der
Novellierung des EnWG in Kraft treten?

14. Will sich die Bundesregierung im Ex-ante-Bereich auf eine Methodenre-
gulierung beschränken oder will sie ein an die Bundestarifordnung Elektri-
zität angelehntes Genehmigungsmodell für Tarife und Bedingungen des
Netzzugangs einführen?

15. Wenn sich die Bundesregierung im Ex-ante-Bereich auf eine Methoden-
regulierung beschränken sollte, beabsichtigt sie dann der Regulierungs-
behörde im Ex-ante-Bereich Kompetenzen zukommen zu lassen oder soll
die Regulierung ausschließlich normativ erfolgen?
Sind hier unterschiedliche Lösungen für Strom und Gas aus Sicht der Bun-
desregierung realistisch?

16. Beabsichtigt die Bundesregierung auch den Ländern Kompetenzen als Re-
gulierungsbehörde (z. B. bei der Ex-post-Aufsicht) zukommen zu lassen
und welche Überlegungen gibt es hierzu?

17. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass für Rechtsmittel gegen Maß-
nahmen der Regulierungsbehörde der Zivilrechtsweg vorgesehen werden
sollte?

18. Wie stellt sich die Bundesregierung die Ausgestaltung des Verhältnisses
zwischen Kartellrecht und sektorspezifischer energierechtlicher Regulie-
rung vor?

19. Wird sich die Bundesregierung dem u. a. in dem Monitoring-Bericht ent-
haltenen Votum des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit, die Regu-
lierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) als Regulie-
rungsbehörde für den Strom und Gasbereich vorzuschlagen, anschließen?
Wenn ja, welche finanzielle und personelle Ausstattung wäre dafür in etwa
notwendig?

20. Wäre es mit den EU-Beschleunigungsrichtlinien vereinbar, wenn die Auf-
gabe der Regulierungsstelle durch ein Bundesministerium übernommen
werden würde?
Wenn ja, sieht die Bundesregierung dabei dennoch Probleme, und wenn ja,
welche?

21. Wann wird mit der Schaffung der personellen und organisatorischen Vor-
aussetzungen für die Errichtung einer Regulierungsbehörde begonnen?
Was ist schon geschehen?

22. Würde eine Regulierungsbehörde für den Strom- und Gasbereich unter
dem Dach der RegTP zu Kompetenzeinbußen beim Bundeskartellamt bzw.
bei den Bundesländern führen?
Wenn ja, zu welchen (im Einzelnen unterschieden nach Ex-ante- und Ex-
post- bzw. nach Aufgabenfeldern)?
Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 11. November 2003
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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