BT-Drucksache 15/1980

Stabilisierung der Lage in Bolivien

Vom 11. November 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1980
15. Wahlperiode 11. 11. 2003

Antrag
der Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen), Dr. Christian Ruck, Dr. Friedbert
Pflüger, Dr. Ralf Brauksiepe, Albrecht Feibel, Hartwig Fischer (Göttingen),
Klaus-Jürgen Hedrich, Siegfried Helias, Bernhard Kaster, Rudolf Kraus, Conny
Mayer (Baiersbronn), Claudia Nolte, Sibylle Pfeiffer, Christa Reichard (Dresden),
Rainer Eppelmann, Norbert Geis, Dr. Egon Jüttner, Jürgen Klimke, Arnold Vaatz
und der Fraktion der CDU/CSU

Stabilisierung der Lage in Bolivien

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Bolivien ist der mit Abstand wichtigste entwicklungspolitische Partner der
Bundesrepublik Deutschland in Südamerika. Im Rahmen der internationalen
Entschuldungsinitiative ist Bolivien einer der ersten Staaten gewesen, die den
so genannten completion-point erreicht haben und entschuldet wurden. Im
gleichen Zug hat auch die Bundesrepublik Deutschland Bolivien die bilateralen
Schulden erlassen. Bolivien ist eines von vier Schwerpunktpartnerländern der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit, das im Rahmen des Aktionspro-
gramms 2015 zur Halbierung der weltweiten Armut als Modellland der deut-
schen Entwicklungszusammenarbeit ausgewählt wurde.
Die politische und wirtschaftliche Krise Boliviens tangiert daher auch den Er-
folg der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und der Entschuldungsmaß-
nahmen. Die jüngste politische Krise kulminierte am 17. Oktober 2003, als Prä-
sident Gonzalo Sánchez de Lozada unter dem Druck der Öffentlichkeit seinen
Rücktritt erklärt hat und der bisherige Vizepräsident Carlos Mesa als neuer Prä-
sident Boliviens vereidigt wurde. Der neue Präsident bestellte am 19. Oktober
2003 sein neues Kabinett, das aus unabhängigen und ehemaligen Politikern be-
steht, die ihre Parteimitgliedschaft passiv wahrnehmen. Besonders bemerkens-
wert ist, dass zwei Ministerien mit Vertretern der indigenen Bevölkerung be-
setzt wurden und ein eigenes Ministerium für ethnische Angelegenheiten gebil-
det wurde. Der neue Präsident kündigte an, dass er die mögliche volle Amtszeit
bis zum Jahr 2007 nicht in Anspruch nehmen werde, sondern schon früher den
Weg freimachen wolle, um einen neuen Präsidenten zu wählen. Die besonders
umstrittene Frage des Gasexports Boliviens, an der sich die Krise entzündet
hatte, soll einem Referendum unterworfen werden. Zudem soll eine verfas-
sungsgebende Versammlung zur Neubearbeitung der bolivianischen Verfas-
sung einberufen werden.
Die sozialen und politischen Proteste, die in blutigen Unruhen mit über 80 To-
ten gipfelten und schließlich zum Sturz Gonzalo Sanchéz de Lozadas geführt
hatten, richteten sich insbesondere gegen die Pläne seiner Regierung, bolivia-
nisches Erdgas über einen chilenischen Hafen nach Mexiko und in die USA zu

Drucksache 15/1980 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

exportieren. Weil Bolivien den Zugang zum Meer im Krieg 1879 an Chile ver-
loren hatte, war die Entscheidung, den Transport über Chile abzuwickeln, in
der bolivianischen Bevölkerung besonders unpopulär. Die Anführer der Pro-
testbewegung machten außerdem Befürchtungen geltend, dass die Einnahmen
aus dem Erdgasgeschäft den beteiligten Konzernen, nicht aber der Bevölkerung
zufließen würden, und trafen damit auf große Resonanz in der bolivianischen
Öffentlichkeit.
Über den aktuellen Anlass hinaus offenbarte die Krise in Bolivien jedoch auch
ein nachhaltiges Protestpotenzial, das sich aus einer weitgehenden Unzufrie-
denheit mit den sozialen Bedingungen im Land sowie aus einem tiefen Miss-
trauen gegenüber den etablierten politischen Kräften des Landes speist und das
sich mit der Frage der umstrittenen Gasexporte kraftvoll Bahn brach.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. die neue bolivianische Regierung unter Präsident Carlos Mesa nachdrück-

lich bei ihren Bemühungen zu unterstützen, das Land politisch und wirt-
schaftlich zu stabilisieren, in der Bekämpfung des illegalen Drogenanbaus
fortzufahren und das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutio-
nen sowie die Legitimität politischer Handlungen wiederherzustellen;

2. darauf zu drängen, dass die durch die internationalen und bilateralen Ent-
schuldungsmaßnahmen frei gewordenen Mittel seitens der bolivianischen
Regierung für die zugesagten Maßnahmen im Bereich der Armutsbe-
kämpfung und zur Umsetzung des bolivianischen Poverty Reduction Strat-
egy Papers (PRSP) eingesetzt werden;

3. darauf zu achten, dass die im Rahmen der Regierungsverhandlungen im Juni
2003 seitens Boliviens gegebenen Zusagen, künftig auch die durch die bila-
teralen Entschuldungsmaßnahmen Deutschlands frei gewordenen Mittel
wieder für Maßnahmen der Armutsbekämpfung in den Munizipien einzuset-
zen, auch von der neuen bolivianischen Regierung eingehalten werden;

4. gegenüber der neuen bolivianischen Regierung darauf zu drängen, dass sie
aktiv mit den im Rahmen der Umsetzung der Entschuldungsinitiative ge-
schaffenen sozialen Kontrollmechanismen eng kooperiert und das Vorhaben
einer zweiten Runde des nationalen Dialogs vorantreibt, da dies ein Beitrag
zur innerbolivianischen Versöhnung und zur politischen Beteiligung der
Zivilgesellschaft ist;

5. zusammen mit den europäischen und internationalen Partnern die boliviani-
sche Regierung in ihrem Bemühen, das Projekt der Gasexporte weiterzufüh-
ren, zu unterstützen. Der Gasexport wird dem bolivianischen Staat zu einer
festen und verlässlichen Einkommensquelle verhelfen. Dabei sind ausrei-
chend Vorkehrungen zu treffen, dass die Erlöse aus den Gasexporten tat-
sächlich dem bolivianischen Staatshaushalt und Projekten zum wirtschaft-
lichen und sozialen Aufbau des Landes zufließen;

6. die Bemühungen der Zivilgesellschaft, insbesondere der Kirchen, in Boli-
vien zu unterstützen, die auf eine Mäßigung der politischen Konflikte und
eine verstärke Zusammenarbeit der verschiedenen politischen Kräfte in
Bolivien hinwirken;

7. die Programme der staatlichen deutschen Entwicklungszusammenarbeit im
Bereich der Modernisierung des Staatswesens und der institutionellen
Reformen hinsichtlich ihrer Effizienz und ihres Erfolges zu prüfen und gege-
benenfalls neu auszurichten;

8. zu prüfen, wie ein möglicher verfassungsgebender Prozess mit Rat und Tat
unterstützt werden kann;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1980

9. die Projekte zur Bekämpfung des Drogenkonsums und zur alternativen
Landentwicklung zu verstärken. Dabei ist nicht nur gegenüber der boliviani-
schen Regierung, sondern auch gegenüber den Oppositionsgruppen und
ihren politischen Führern deutlich zu machen, dass eine Fortführung der
deutschen, europäischen und internationalen Hilfe für Bolivien eine ver-
stärkte und strikte Bekämpfung des Drogenanbaus und Drogenhandels
bedingt.

Berlin, den 11. November 2003
Peter Weiß (Emmendingen)
Dr. Christian Ruck
Dr. Friedbert Pflüger
Dr. Ralf Brauksiepe
Albrecht Feibel
Hartwig Fischer (Göttingen)
Klaus-Jürgen Hedrich
Siegfried Helias
Bernhard Kaster
Rudolf Kraus
Conny Mayer (Baiersbronn)
Claudia Nolte
Sibylle Pfeiffer
Christa Reichard (Dresden)
Rainer Eppelmann
Norbert Geis
Dr. Egon Jüttner
Jürgen Klimke
Arnold Vaatz
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion
msterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 340, Telefax (02 21) 97 66 344

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