BT-Drucksache 15/1933

Menschenrechtssituation in Guatemala

Vom 4. November 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1933
15. Wahlperiode 04. 11. 2003

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Egon Jüttner, Irmgard Karwatzki, Hermann Gröhe,
Rainer Eppelmann, Holger Haibach, Melanie Oßwald, Daniela Raab, Karl-Theodor
Freiherr von und zu Guttenberg, Hubert Hüppe, Julia Klöckner, Werner Lensing,
Albert Rupprecht (Weiden), Dr. Wolfgang Schäuble, Arnold Vaatz und der
Fraktion der CDU/CSU

Menschenrechtssituation in Guatemala

Nach dem Friedensabkommen vom 29. Dezember 1996 und nach der Vorlage
des Berichts der „Kommission zur Aufklärung der Vergangenheit“ am
25. Februar 1999 hat sich die Lage der Menschenrechte in Guatemala nicht
verbessert. Im Gegenteil: Der Friedensprozess macht keine Fortschritte, die
Achtung und Einhaltung der Menschenrechte ist nicht gewährleistet, das Justiz-
wesen weist eklatante Mängel auf, die öffentliche Sicherheit ist nicht gegeben.
Entführungen und Auftragsmorde auf offener Straße sind an der Tagesordnung,
Lynchjustiz weit verbreitet. Große Probleme stellen Straflosigkeit, v. a. von von
Militärangehörigen begangenen Verbrechen, Korruption bis in Regierungs-
kreise sowie Waffen- und Drogenhandel dar. Anlass zu großer Sorge bietet vor
allem die hohe Zahl gewaltsamer und unaufgeklärter Todesfälle bei Jugend-
lichen und Kindern. Nach Schätzungen der Kinderhilfsorganisation Casa
Alianza wurden in Guatemala allein von Januar bis Ende Juni dieses Jahres
373 Jugendliche und junge Erwachsene unter 23 Jahren ermordet, Tendenz
steigend.
UNICEF berichtet in diesem Zusammenhang von „Säuberungsaktionen“ durch
private Sicherheitsdienste und Polizei, die bestimmte Gegenden systematisch
nach Straßenkindern durchsuchen. Ernsthafte Bemühungen der Regierung zur
Aufklärung und Bestrafung der Täter sind nicht zu erkennen. Seit 1996 liegt
zwar ein Gesetzentwurf zum Schutz von Kindern vor, dessen Inkrafttreten
wurde aber immer wieder verschoben.
Die indigene Bevölkerung, die ungefähr die Hälfte der Bevölkerung Guatema-
las ausmacht, wird trotz des Abkommens über die Identität und die Rechte der
indigenen Bevölkerung (1994) sowie der Bestimmungen im Friedensabkom-
men und den Empfehlungen der Wahrheitskommission diskriminiert, unter-
drückt und ist gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt.
Amnesty International, MINUGUA, Casa Alianza und andere Menschenrechts-
organisationen beklagen, dass Menschenrechtsverteidiger, Justizbeamte, Jour-
nalisten, Angehörige der katholischen Kirche sowie Opfer und Zeugen, die sich
dafür einsetzen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden,
Zielscheibe von Todesdrohungen und Einschüchterungsversuchen sind.

Drucksache 15/1933 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Die zahlreichen Reformversprechen der Regierung Alfonso Portillo wurden
nicht umgesetzt. Die Dialoggruppe (Grupo de Diálogo), zu der auch die Bun-
desrepublik Deutschland gehört, hat im Mai 2003 unter anderem gefordert,
dass die Situation der Menschenrechte verbessert, die Straflosigkeit bekämpft,
eine Antikorruptionskommission geschaffen, die Ausgaben für die Streitkräfte
eingedämmt und der Generalstab des Präsidenten endgültig aufgelöst werden
muss.
Laut dem Demokratieindex Lateinamerika 2003 der Konrad-Adenauer-Stiftung
liegt Guatemala im Bereich „Achtung der politischen Rechte und Bürgerfrei-
heiten“ an letzter Stelle.
Auch die bevorstehenden Neuwahlen geben wenig Anlass zur Hoffnung auf
eine Verbesserung der innenpolitischen Situation: So hatte das Verfassungs-
gericht vor kurzem den früheren Diktator und derzeitigen Kongresspräsidenten
Efraín Ríos Montt zu der Präsidentschaftswahl am 9. November 2003 zugelas-
sen, obwohl dies nach früheren Gerichtsentscheidungen, insbesondere des
Obersten Gerichtshofs und des Obersten Wahlgerichts, und der verbreiteten
Auffassung namhafter Juristen gegen Artikel 186 der guatemaltekischen Ver-
fassung verstößt. Efraín Ríos Montt wird für schlimmste Menschenrechtsver-
letzungen – rund 12 000 Menschen wurden während seiner Militärherrschaft
1982/83 umgebracht – verantwortlich gemacht; gegen ihn wurden in Guate-
mala und in Spanien Strafverfahren wegen Völkermord und Verbrechen gegen
die Menschlichkeit eröffnet, angestrengt von der Rigoberta-Menchú-Stiftung
sowie von Überlebenden der Massaker an der indigenen Bevölkerung. Beob-
achter befürchten Wahlbetrug und massive Einschüchterungen vor und wäh-
rend der Wahlen. Wir begrüßen daher die Entsendung von internationalen
Wahlbeobachtern.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie beurteilt die Bundesregierung die Anstrengungen der guatemalteki-

schen Regierung unter Präsident Alfonso Portillo zur Aufarbeitung der im
Bürgerkrieg begangenen Verbrechen?

2. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Umsetzung des Frie-
densabkommens zu fördern?

3. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Situation der Men-
schenrechte in Guatemala auf bi- und multilateraler Ebene zu thematisieren?

4. Inwieweit ist die deutsche Entwicklungszusammenarbeit auf die Verbesse-
rung der Menschenrechtslage in Guatemala ausgerichtet?

5. Welche Informationen hat die Bundesregierung über Repressalien gegen-
über Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und Hilfsorganisatio-
nen?
Inwieweit teilt sie die Ansicht einiger Nichtregierungsorganisationen, dass
eine staatliche Strategie hinter jenen Maßnahmen steckt?

6. Wie bewertet die Bundesregierung die bisherigen Maßnahmen der guate-
maltekischen Regierung zur Verbesserung der Lage der indigenen Bevölke-
rung gemäß dem Abkommen über die Identität und die Rechte der indigenen
Bevölkerung (1994) sowie dem Friedensabkommen?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die Presse- und Meinungsfreiheit in
Guatemala vor dem Hintergrund der Nachrichten über systematische Ein-
schüchterungskampagnen gegen Journalisten?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1933

8. Wie bewertet die Bundesregierung die noch andauernden Verhandlungen
zwischen der guatemaltekischen Regierung und den Vereinten Nationen be-
züglich der Einrichtung einer Kommission zur Aufklärung von Verbrechen
„paralleler Gruppen“ und „geheimer Sicherheitsapparate“ (CICIACS)?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung den Einfluss der offiziell aufgelösten
paramilitärischen Zivilen Verteidigungsgruppen (PAC) und ihre Versuche,
von der Regierung finanzielle Entschädigung für ihre vor 1996 „geleisteten
Dienste“ zu erhalten?

10. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über das Ausmaß des Waf-
fen- und des Drogenhandels in und nach Guatemala?

11. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die großen Defizite im
Rechtssystem Guatemalas zu beseitigen, und wie könnte ihr Beitrag dazu
aussehen?

12. Wie bewertet die Bundesregierung die Aufklärung der Morde an Myrna
Mack und Weihbischof Juan José Gerardi?

13. In welcher Weise wird sich die Bundesregierung finanziell und personell
an einer Wahlbeobachtermission bei den bevorstehenden Wahlen beteili-
gen?

14. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über die Anzahl unauf-
geklärter Todesfälle bei Jugendlichen und Kindern in Guatemala vor?

15. Wie bewertet die Bundesregierung die Bemühungen der guatemaltekischen
Regierung zur Bekämpfung und Aufklärung der Morde an Straßenkindern?

16. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über die Beteiligung von Angehöri-
gen oder ehemaligen Angehörigen staatlicher Organe an Gewalttaten
gegenüber Straßenkindern, und wenn ja, welche?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorwurf von Nichtregierungsorga-
nisationen, dass die getöteten Jugendlichen Opfer von „Säuberungsaktio-
nen“ durch private Sicherheitsdienste sind?

18. Wie beurteilt die Bundesregierung die Situation der inhaftierten Jugend-
lichen in den guatemaltekischen Gefängnissen?

19. Welche konkreten Projekte – auch im Rahmen der Entwicklungszusam-
menarbeit – werden von der Bundesregierung zur Verbesserung der Lebens-
situation von Straßenkindern in Guatemala unterstützt?

20. Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung über Kinderarbeit in
Guatemala vor?
Hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, dass in deutschen Firmen mit
Sitz in Guatemala und in deren Zulieferungsbetrieben Kinder arbeiten, und
wenn ja, welche?

21. Wie geht nach Erkenntnissen der Bundesregierung die Regierung unter
Präsident Alfonso Portillo mit dem Problem der Kinderprostitution und des
Kinderhandels um und wie bewertet sie dies?

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msterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 340, Telefax (02 21) 97 66 344

22. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über das Ausmaß illegaler
Adoptionen guatemaltekischer Babys, insbesondere in Deutschland?
Sieht die Bundesregierung seit ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der
Fraktion der CDU/CSU „Politische Entwicklung in Guatemala“ (Bundes-
tagsdrucksache 14/5431 vom 28. Februar 2001) in dieser Hinsicht Fort-
schritte in der Aufklärungsarbeit, und wenn ja, welche?

Berlin, den 30. Oktober 2003
Dr. Egon Jüttner
Irmgard Karwatzki
Hermann Gröhe
Rainer Eppelmann
Holger Haibach
Melanie Oßwald
Daniela Raab
Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg
Hubert Hüppe
Julia Klöckner
Werner Lensing
Albert Rupprecht (Weiden)
Dr. Wolfgang Schäuble
Arnold Vaatz
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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