BT-Drucksache 15/1926

zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung -15/1925, 15/1990- Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2003 (Nachtragshaushaltsgesetz 2003)

Vom 12. November 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1926
15. Wahlperiode 12. 11. 2003

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
– Drucksachen 15/1925, 15/1990 –

Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan
für das Haushaltsjahr 2003
(Nachtragshaushaltsgesetz 2003)

A. Problem
Die unvorhersehbaren Zusatzausgaben für den Arbeitsmarkt und Steuerminder-
einnahmen machen Änderungen des Haushaltsgesetzes und des Haushaltsplans
2003 erforderlich.
Die mit dem Nachtragshaushalt 2003 veranschlagte Nettokreditaufnahme in
Höhe von rd. 43,4 Mrd. Euro überschreitet die Summe der im Haushaltsplan
2003 veranschlagten Investitionen in Höhe von rd. 26,7 Mrd. Euro um rd.
16,7 Mrd. Euro.
Nach Artikel 115 des Grundgesetzes (GG) darf die Nettokreditaufnahme die
Summe der im Haushalt veranschlagten Investitionen nur zur Abwehr einer
Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts überschreiten. Diese Aus-
nahmesituation ist im Jahr 2003 gegeben. Das gesamtwirtschaftliche Gleich-
gewicht ist im Jahr 2003 gestört.
Die zur Verfügung stehenden Wirtschaftsdaten lassen erkennen, dass in diesem
Jahr sowohl das Ziel eines stetigen und angemessenen Wirtschaftswachstums
als auch das Ziel eines hohen Beschäftigungsstandes deutlich verfehlt werden.

B. Lösung
Annahme des Gesetzentwurfs in unveränderter Fassung mit den Stimmen
der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU und FDP

C. Alternativen
Keine

Drucksache 15/1926 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

D. Kosten
Auswirkungen auf das Preisniveau, insbesondere die Verbraucherpreise, wer-
den im Zuge des Nachtragshaushalts 2003 nicht erwartet.
Kosten für die Wirtschaft entstehen im Zuge des durch den Nachtragshaushalt
geänderten Haushaltsplans ebenso nicht.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1926

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
den Gesetzentwurf auf Drucksache 15/1925 unverändert anzunehmen.

Berlin, den 12. November 2003

Der Haushaltsausschuss
Manfred Carstens (Emstek)
Vorsitzender

Dietrich Austermann
Berichterstatter

Walter Schöler
Berichterstatter

Antje Hermenau
Berichterstatterin

Dr. Günter Rexrodt
Berichterstatter

Drucksache 15/1926 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Dietrich Austermann, Walter Schöler, Antje Hermenau
und Dr. Günter Rexrodt

I. Überweisung
Der Deutsche Bundestag hat den Gesetzentwurf zum Nach-
tragshaushalt 2003 in seiner 72. Sitzung am 6. November
2003 nach erster Lesung dem Haushaltsausschuss gemäß
§ 95 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage
Nach Artikel 115 des Grundgesetzes (GG) darf die Netto-
kreditaufnahme die Summe der im Haushalt veranschlagten
Investitionen nur zur Abwehr einer Störung des gesamt-
wirtschaftlichen Gleichgewichts überschreiten.
Die Deutsche Wirtschaft befindet sich seit mittlerweile fast
drei Jahren in einer konjunkturellen Stagnationsphase, die
sich auch im ersten Halbjahr des Jahres 2003 fortgesetzt hat.
Die für 2003 erwartete konjunkturelle Erholung ist bislang
nicht eingetreten. Ursache für das ausgebliebene Wirt-
schaftswachstum war in erster Linie der Irakkrieg, der die
Verunsicherung der Investoren und Konsumenten zunächst
noch verstärkt hatte und somit die konjunkturelle Entwick-
lung – sowohl im Inland als auch weltweit - deutlich abge-
bremst hat. Auf Grund dessen kam auch in Deutschland die
Wirtschaft nicht in Schwung, vielmehr dauerte im ersten
Halbjahr 2003 die Stagnation der Wirtschaftsleistung an.
Für die Entwicklung des realen BIP ergaben sich im ersten
und zweiten Quartal sogar geringfügige Rückgänge (saison-
bereinigt –0,2 v. H. bzw. –0,1 v. H.).
Angesichts dieser ungünstigen Entwicklung rechnet die
Bundesregierung in ihrer Herbstprognose für das laufende
Jahr mit einer Stagnation des BIP. Für 2004 muss davon
ausgegangen werden, dass der reale BIP-Anstieg nicht aus-
reichen wird, um Beschäftigung in nennenswertem Umfang
aufzubauen. Diese Einschätzung wird vom Sachverständi-
genrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Ent-
wicklung und von internationalen Institutionen geteilt.
Daher wird die Zahl der Arbeitslosen nach der Herbst-
projektion der Bundesregierung im Jahresdurchschnitt des
Jahres 2003 bei 4,39 Millionen liegen. Sie wird sich im
Jahr 2004 zwar voraussichtlich auf 4,36 Millionen ver-
ringern, liegt damit aber immer noch um ca. 0,5 Millionen
höher als in der Zeit vor der Stagnation.
Wegen dieser weiterhin verschlechterten Aussichten droht
eine abermalige Verfehlung sowohl des Wachstums- als
auch des Beschäftigungsziels im Jahr 2004. Die bereits für
die Jahre 2002 und 2003 festzustellende Störung des ge-
samtwirtschaftlichen Gleichgewichts kann länger anhalten
als erwartet.
In dieser Situation darf die öffentliche Hand nicht dazu bei-
tragen, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleich-
gewichts noch zu verstärken. Die über die Summe der
Investitionen hinausgehende Nettokreditaufnahme erfolgt
zur Leistung von Mehrausgaben für den Arbeitsmarkt und

zum Ausgleich konjunkturell bedingter Steuerausfälle. Eine
Deckung dieser Mehrausgaben wäre nur im Wege massiver
Eingriffe auf der Ausgabe- und Einnahmenseite möglich.
Derartige Einschnitte wären kontraproduktiv, weil sie die
Inlandsnachfrage und die Investitionstätigkeit weiter schwä-
chen und die konjunkturelle Erholung behindern würden.
Die über die Summe der Investitionen hinausgehende Net-
tokreditaufnahme sichert somit die Konsumnachfrage, ver-
hindert ein Sinken des BIP und gibt einen Impuls für eine
konjunkturelle Erholung. Mittelfristig sind auch positive
Wirkungen auf die Beschäftigung zu erwarten.
Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung
entspricht unter den gegebenen Bedingungen und Möglich-
keiten den Erfordernissen der konjunkturellen Situation und
wirkt nicht prozyklisch. Sie ist darauf ausgerichtet, im Zu-
sammenspiel von kurzfristiger Ausweitung der Kreditauf-
nahme, längerfristiger Ausgabenbegrenzung und strukturel-
len Reformen die Grundlage für einen selbsttragenden Auf-
schwung zu schaffen und so eine Störung des gesamtwirt-
schaftlichen Gleichgewichts abzuwehren. Das entspricht
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: bei der
Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer erhöhten Netto-
kreditaufnahme hat die Finanzpolitik eine mittelfristige
Konsolidierungsstrategie zur Überwindung der Störung zu
verfolgen.

III. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisseim Haushaltsausschuss
Allgemeiner Teil
Der Haushaltsausschuss hat den Gesetzentwurf in seiner
34. Sitzung am 12. November 2003 abschließend beraten
und dem Gesetzentwurf in unveränderter Fassung mit
den Stimmen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP zugestimmt.
Besonderer Teil
Die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
erläuterten im Ausschuss, der Nachtragshaushalt 2003 sei
erforderlich geworden, weil die noch nicht überwundene
Stagnation den Bundeshaushalt schwer belaste. Bei der Be-
ratung des Haushalts 2003 sei noch ein realer Anstieg des
Bruttoinlandsprodukts von 1 Prozent unterstellt worden,
was zum damaligen Zeitpunkt im Prognosespektrum der
Wissenschaft gelegen habe. Die Mehrausgaben für den
Arbeitsmarkt in Höhe von 12 Mrd. Euro und die enormen
Steuermindereinnahmen von 12,5 Mrd. Euro seien im
Wesentlichen die Folge des Wirkens der automatischen
Stabilisatoren. Sie könnten nur mit einer erhöhten Kredit-
aufnahme gedeckt werden.
Steuererhöhungen oder massive Ausgabenkürzungen in die-
sen Größenordnungen seien keine Alternative. Sie würden
prozyklisch wirken und für die konjunkturelle Entwicklung
die Gefahr einer Spiraldrehung nach unten in sich tragen. Es

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/1926

wäre unverantwortlich, durch eine prozyklische Politik
massiver gesetzlicher Eingriffe auf der Ausgaben- wie auf
der Einnahmenseite die Störung noch zu verschärfen. Der-
artige Einschnitte – etwa durch den Abbruch von Investi-
tionsprojekten – wären kontraproduktiv, weil sie die In-
landsnachfrage weiter schwächen und die konjunkturelle
Erholung behindern würden.
Die im Nachtragshaushalt geplante Erhöhung der Neuver-
schuldung liege zwar mit 43,4 Mrd. Euro deutlich über dem
Investitionsvolumen, sei gemäß der Ausnahmeregelung von
Artikel 115 Abs. 1 GG aber zulässig, da bei der gegebenen
Stagnation und Arbeitslosigkeit das gesamtwirtschaftliche
Gleichgewicht offensichtlich gestört sei. Entgegen der Auf-
fassung der CDU/CSU sei das Wirken der automatischen
Stabilisatoren ein geeignetes Instrument, um der Störung
des wirtschaftlichen Gleichgewichts entgegenzuwirken und
deshalb mit der Ausnahmeregelung von Artikel 115 Abs. 1
GG kompatibel. Angesichts der Größenordnungen könne es
an der erheblichen konjunkturstützenden Wirkung der auto-
matischen Stabilisatoren keinen Zweifel geben, denn zu-
sammen mit den konjunkturbedingten – und weitgehend
ebenfalls kreditfinanzierten – Haushaltsbelastungen von
Ländern und Gemeinden mache das Volumen der automati-
schen Stabilisatoren über 30 Mrd. Euro aus. Man möge sich
die konjunkturelle Wirkung vorstellen, wenn diese über
30 Mrd. Euro nicht kreditfinanziert, sondern mit kontrakti-
ver Politik aus dem Kreislauf genommen worden wären.
Die Koalitionsfraktionen wiesen den Vorwurf der CDU/
CSU entschieden zurück, der Nachtragsentwurf sei ver-
schleppt und zu spät vorgelegt worden. Bereits im Sommer
sei seitens der Regierung und der Koalition darauf hinge-
wiesen worden, dass angesichts der Verschlechterung der
gesamtwirtschaftlichen Rahmendaten ein Nachtragshaus-
halt notwendig werden würde. Im Finanzplan sei im August
2003 mit 35 Mrd. Euro sogar eine konkrete Zahl für die aus
damaliger Sicht zu erwartende Neuverschuldung genannt
worden. Die Vorlage des Nachtrags habe man jedoch auf
einer hinreichend sicheren Datenbasis aufbauen wollen und
müssen, um nicht unter Umständen den Nachtrag mit einem
weiteren Nachtrag wieder korrigieren zu müssen. Die Diffe-
renz zwischen der August-Zahl und der jetzt notwendigen
Aufstockung der Neuverschuldung zeige die Richtigkeit
dieser Vorgehensweise. Erst mit der Vorlage des Herbst-
gutachtens der Forschungsinstitute, der neuen gesamtwirt-
schaftlichen Eckwerte der Bundesregierung sowie der da-
rauf aufbauenden Steuerschätzung habe es eine hinreichend
sichere Datenbasis gegeben.
Die CDU/CSU-Fraktion vertrat im Ausschuss die Auf-
fassung, dass der Nachtragsentwurf Ausdruck der fort-
gesetzten Realitätsverweigerung und des vorsätzlichen Ver-
schleierns der tatsächlichen Haushaltslage durch die Bun-
desregierung sei. Die dramatische Überschreitung der ur-
sprünglich vorgesehenen Neuverschuldung sei in einer zu
optimistischen Wachstumsannahme begründet sowie in dem
– darauf basierenden – zu hohen Ansatz bei den Steuerein-
nahmen und dem zu niedrigen Ansatz bei den Arbeitsmarkt-
ausgaben. Die Abweichung sei bei den Ausgaben für den
Arbeitsmarkt besonders eklatant. Die Streichung des Zu-
schusses an die Bundesanstalt für Arbeit habe sich als uto-
pisch erwiesen. Angesichts der deutlich über dem Vorjahr
liegenden Arbeitslosenzahl, die die Bundesregierung dem

Haushalt 2003 unterstellt hatte, müsse dies als vorsätzliche
Missachtung der Kreditaufnahmegrenze des Artikels 115
GG sowie der Haushaltsgrundsätze Vorherigkeit, Vollstän-
digkeit und Wahrheit gewertet werden.
Die Nettokreditaufnahme übersteige nun die im ursprüng-
lichen Haushaltsplan 2003 veranschlagten und mit dem
Nachtrag nicht veränderten Investitionen um 16,7 Mrd.
Euro. Damit sei der Bundeshaushalt 2003, gemessen an
Artikel 115 GG, erneut verfassungswidrig (wie bereits
2002). Die Bundesregierung habe außerdem die höchste
planmäßige Neuverschuldung in der Geschichte der Bun-
desrepublik Deutschland zu verantworten. Mit dieser
Rekordverschuldung trage die Bundesregierung den größten
Teil zu der erneuten Überschreitung der Maastrichter Defi-
zitgrenze bei (EU-Schätzung: 4,2 Prozent des BIP).
Nur zwei Monate nach Verabschiedung des Bundeshaus-
haltes 2003 im April habe die Regierung den haushalts- und
finanzpolitischen Offenbarungseid leisten und eingestehen
müssen, dass die Neuverschuldung in diesem Jahr mit rund
40 Mrd. Euro mehr als doppelt so hoch ausfallen werde, wie
erst wenige Wochen zuvor geplant. Ursache dieser desola-
ten Haushalts- und Finanzlage des Bundes sei die völlig ver-
fehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung.
Die Union habe deshalb bereits im Frühsommer einen
Nachtragshaushalt gefordert (Bundestagsdrucksache 15/
1218 vom 24. Juni 2003) und die Bundesregierung ge-
mahnt, die aus damaliger Sicht wahrscheinliche Entwick-
lung der Einnahmen und Ausgaben zu erfassen und die zu
erwartende Neuverschuldung realistisch abzubilden.
Das jetzt zu verzeichnende Rekorddefizit werde – wie er-
wartet – im Wesentlichen durch massive Steuerminderein-
nahmen und explodierende Ausgaben zur Finanzierung der
gestiegenen Arbeitslosigkeit verursacht: Bei den Steuerein-
nahmen des Bundes habe bereits die Mai-Steuerschätzung
auf ein Minus von rund 7 Mrd. Euro hingewiesen. Den Zu-
schuss an die Bundesanstalt für Arbeit und die Mehraus-
gaben bei der Arbeitslosenhilfe schlage im Nachtragsent-
wurf der Bundesregierung zusammen mit 12 Mrd. Euro zu
Buche und entspreche damit exakt der im o. g. Antrag der
CDU/CSU geäußerte Erwartung.
Nach Ansicht der CDU/CSU-Fraktion wäre es also spätes-
tens im Juni 2003, also vor fünf Monaten, möglich gewesen,
in einem Nachtrag etwa 80 Prozent (19 Mrd. Euro von 24,5
Mrd. Euro) der jetzt notwendigen Veränderungen der Haus-
haltsplanung zu berücksichtigen und vor diesem Hinter-
grund steuernd in den weiteren Haushaltsablauf einzugrei-
fen. Der Aufforderung der CDU/CSU-Fraktion sei die Bun-
desregierung dennoch nicht nachgekommen.
Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister der
Finanzen, habe daher in gravierender Weise die Haushalts-
grundsätze von Vorherigkeit, Wahrheit, Klarheit und Voll-
ständigkeit (Artikel 110 Abs. 1 und 2 GG) verletzt. Vor
allem der Grundsatz der Vorherigkeit sichere die Funktion
des Haushaltes als Planungsinstrument. Öffentliche Äuße-
rungen des Bundeskanzlers und des Bundesministers der
Finanzen hätten erkennen lassen, dass der Bundeshaushalt
schon während der ersten Wochen des Vollzugs in Einnah-
men und Ausgaben in zweistelliger Milliardenhöhe von der
Planung abweichen werde. Wenn in dieser Situation kein
Nachtragshaushalt vorgelegt werde, sei dies ein gravieren-

Drucksache 15/1926 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

der Missbrauch des Budgetinitiativmonopols der Bundes-
regierung. Dieses Initiativmonopol korreliere mit der Ver-
pflichtung, das Haushaltsverfahren so rechtzeitig einzulei-
ten, dass es noch dem Grundsatz der Vorherigkeit ent-
spricht. Verstöße gegen die Grundsätze von Wahrheit,
Klarheit und Vollständigkeit würden insbesondere bei der
entgegen den Annahmen der meisten Sachverständigen von
Beginn an wesentlich zu hoch geschätzten Steuereinnah-
men, bei der Veranschlagung von 2 125 000 T Euro zusätz-
licher Einnahmen aufgrund des Gesetzes zur Förderung der
Steuerehrlichkeit sowie bei der Nichtveranschlagung von
Zuschussmitteln an die Bundesanstalt für Arbeit vorliegen.
Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister der
Finanzen, verstoße gegen die Begrenzung der Neuverschul-
dung auf die Höhe der Investitionen (Artikel 115 GG). Die
Bundesregierung berufe sich auf die für den Fall einer Stö-
rung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts bestehende
Ausnahmeregelung. Die Inanspruchnahme des Artikels 115
Abs. 1 Satz 2 zweiter Halbsatz GG sei aber nicht erst zu-
lässig, wenn das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht be-
reits ernsthaft und nachhaltig gestört sei, sondern schon
dann angezeigt, wenn eine solche Störung unmittelbar
drohe, also belegbar prognostiziert werden könne. Dass
auch 2003 eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleich-
gewichts vorliegen würde, sei bei der Verabschiedung des
Haushaltes 2003 im März offenkundig gewesen. Die Beru-
fung auf die Ausnahmeregelung dürfe nicht dazu miss-
braucht werden, lediglich zum Jahresende formalrechtlich
den Haushaltsausgleich zu gewährleisten und das Rech-
nungsergebnis glatt zu stellen.
Die Erhöhung der Neuverschuldung müsse außerdem zur
Abwehr der Störung geeignet und bestimmt sein. Die Bun-
desregierung habe mit Blick auf die Störungen des gesamt-
wirtschaftlichen Gleichgewichts darzulegen, in welcher
Weise, d. h. nach Umfang und Verwendung, die erhöhte
Neuverschuldung dieser Störung entgegen wirke. Werde
eine Erhöhung der Neuverschuldung erst zum Jahresende
„geplant“, könne die Bundesregierung dieser verfassungs-
rechtlichen Voraussetzung nicht mehr Rechnung tragen,
weil eine im Jahresverlauf so späte Veränderung der Haus-
haltsplanung weder die Wirtschafts- und Arbeitsmarktent-
wicklung noch die tatsächliche Haushaltsausführung in die-
sem Jahr signifikant beeinflussen könne. Damit würde der
Haushalt insgesamt seine Funktion als Planungs- und Kon-
trollinstrument verlieren; die Bundesregierung nehme nach
Ansicht der CDU/CSU-Fraktion dem Haushaltsgesetzgeber
die nach dem Grundgesetz nur dem Deutschen Bundestag
zustehende haushaltspolitische Gestaltungsmacht und de-
gradiere den Haushalt zu einem bloßen Vollzugsinstrument
in den Händen einer unfähigen Regierung.
Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen hät-
ten die haushaltspolitischen Folgen ihrer verfehlten Wirt-
schafts-, Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik allein zu verant-
worten. Auch weil die Bundesregierung mit diesem Haus-
haltsverfahren – wiederholt – eine Aushöhlung des Budget-
rechtes des Deutschen Bundestages, also des klassischen
Parlamentsrechtes zur Kontrolle der Regierung, betreibe,
lehne die CDU/CSU – Fraktion des Deutschen Bundestages
den Gesetzentwurf der Bundesregierung ab.
Die FDP-Fraktion hat im Ausschuss deutlich gemacht,
dass sie den Entwurf zum Nachtragshaushalt 2003 ablehne.

Sie vertrat die Auffassung, die Bundesregierung habe die
Vorlage des Nachtragshaushaltes über Monate bewusst ver-
schleppt. Sie verwies in dem Zusammenhang auf die stetige
monatliche negative Entwicklung der Steuereinnahmen. Für
die Bundesregierung sei daher die desaströse Entwicklung
des Bundeshaushaltes abzusehen gewesen. Anstatt zu han-
deln, sei seitens der Bundesregierung respektive durch den
Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel, bewusste Kon-
kursverschleppung betrieben worden.
Die Fraktion der FDP machte zudem deutlich, dass mit dem
bewussten Ignorieren wesentlicher Finanzdaten und einer
daraus resultierenden Verschleppung des Nachtragshaushal-
tes bis zum Jahresende die Bundesregierung die Verantwor-
tung dafür zu tragen habe, nicht rechtzeitig eine Trend-
wende auf dem Arbeitsmarkt eingeleitet zu haben. Sie erin-
nerte daran, schon bei Verabschiedung des Haushaltes 2003
habe sie darauf hingewiesen, der Bundesminister der Finan-
zen, Hans Eichel, ginge von zu positiv unterstellten finanz-
wirtschaftlichen Eckdaten im Bundeshaushalt 2003 aus.
Dies betreffe sowohl das Wirtschaftswachstum als auch die
Arbeitslosenzahlen. Die Verschlechterung der wirtschaftli-
chen Situation und vor allem die zunehmend pessimisti-
schere Einschätzung der ökonomischen Perspektiven durch
die Wirtschaft und die Bürger sei seit Monaten markant
sichtbar gewesen. Dies habe sie auch durch verschiedene
Anträge im Deutschen Bundestag dokumentiert und den
Bundesminister der Finanzen zur Überarbeitung seines
Haushaltes aufgefordert.
Gleichwohl habe die Bundesregierung diesbezüglich für
ihre Haushalts- und Finanzplanung keine Konsequenzen ge-
zogen. Die Überschreitung der Kreditfinanzierungsgrenze
nach Artikel 115 GG sei auch eine Folge davon, dass die
Bundesregierung ihre bisherige Haushalts- und Finanz-
planung nicht vorausschauend und zukunftsorientiert gestal-
tet habe. Ihre Annahmen seien rundweg zu positiv gewesen.
Die Fraktion der FDP bekräftigte ihre Auffassung, der
Nachtragshaushalt 2003 mit einer zusätzlichen Kreditauf-
nahme von 24,5 Mrd. Euro dokumentiere endgültig das
Scheitern der Regierung in der Finanzpolitik. Mit der jetzt
geplanten Nettokreditaufnahme von 43,4 Mrd. Euro würden
die Investitionsausgaben mit 16,7 Mrd. Euro deutlich über-
schritten. Aus Sicht der Fraktion der FDP wurde bezweifelt,
dass die zur Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleich-
gewichts geführten Ursachen – die negative konjunkturelle
Entwicklung und die hohe Arbeitslosigkeit – mit der erhöh-
ten Nettokreditaufnahme gemäß § 18 BHO bestimmt und
geeignet sei, eben diese zu beheben.

IV. Finanzielle Ergebnisse
Auf der Einnahmenseite führt die konjunkturelle Abschwä-
chung zu Steuermindereinnahmen in Höhe von rund 12,5
Mrd. Euro gegenüber dem ursprünglichen Haushalts-Soll.
Der Anstieg der Ausgaben beruht auf Mehrbelastungen bei
Arbeitslosenhilfe und Zuschuss zur Bundesanstalt für
Arbeit von insgesamt rund 12 Mrd. Euro.
In der Folge sieht der Gesetzentwurf eine Erhöhung der
Nettokreditaufnahme in Höhe von rund 24,5 Mrd. Euro vor.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/1926

Aufgrund der Beratungen im Haushaltsausschuss ergeben
sich keine finanziellen Veränderungen gegenüber dem Ge-
setzentwurf der Bundesregierung und dem darin enthaltenen
Entwurf eines Gesamtplans zum Nachtrag des Bundeshaus-
haltsplans 2003.

Berlin, den 12. November 2003
Dietrich Austermann
Berichterstatter

Walter Schöler
Berichterstatter

Antje Hermenau
Berichterstatterin

Dr. Günter Rexrodt
Berichterstatter

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