BT-Drucksache 15/1836

Planung der ICE-Neustrecke Rhein/Main - Rhein/Neckar

Vom 21. Oktober 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1836
15. Wahlperiode 21. 10. 2003

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, Dr. Klaus W. Lippold
(Offenbach), Georg Brunnhuber, Dr. Egon Jüttner, Renate Blank, Wolfgang
Börnsen (Bönstrup), Klaus Brähmig, Hubert Deittert, Albrecht Feibel, Enak
Ferlemann, Dr. Michael Fuchs, Peter Götz, Klaus Hofbauer, Volker Kauder, Norbert
Königshofen, Werner Kuhn (Zingst), Eduard Lintner, Patricia Lips, Dr. Michael
Meister, Klaus Minkel, Gero Storjohann, Andreas Storm, Lena Strothmann,
Volkmar Uwe Vogel, Gerhard Wächter, Gerald Weiß (Groß-Gerau) und der
Fraktion der CDU/CSU

Planung der ICE-Neubaustrecke Rhein/Main–Rhein/Neckar

Im Bundesverkehrswegeplan 2003 ist die ICE-Neubaustrecke Rhein/Main–
Rhein/Neckar als neues Vorhaben des Vordringlichen Bedarfs aufgenommen.
Durch dieses Vorhaben soll die Lücke zwischen den Hochgeschwindigkeits-
strecken Köln–Frankfurt und Frankfurt–Stuttgart geschlossen werden. Gleich-
zeitig sollen die schon heute bestehenden und seit der Inbetriebnahme der Neu-
baustrecke Köln–Frankfurt noch verstärkt auftretenden Kapazitätsengpässe
beseitigt werden.
Zurzeit werden in den Raumordnungsverfahren mehrere Varianten der Verbin-
dung von Frankfurt am Main nach Stuttgart untersucht. Für die Trassenführung
in Baden-Württemberg werden zwei Varianten (A und B), in Hessen insgesamt
fünf Varianten (I bis V) im Raumordnungsverfahren erörtert. Variante A enthält
die ausschließliche Anbindung des ICE-Knotens Mannheim auf dieser Strecke,
während Variante B (Umfahrungsvariante) eine Umfahrung Mannheims in
Form eines so genannten Bypasses vorsieht.
Da nur die Variante A eine vollwertige Anbindung Mannheims und der Rhein-
Neckar-Region an das Fernverkehrsnetz der Deutschen Bahn AG (DB AG)
vorsieht, lehnen die gesamte Region Rhein/Neckar, vertreten durch den Raum-
ordnungsverband Rhein-Neckar, die Stadt Mannheim und das Land Baden-
Württemberg, die Variante B aus verkehrs- und umweltfachlicher sowie aus
wirtschaftlicher Sicht ab. Sie befürchten insbesondere eine gravierende Schwä-
chung des Wirtschaftsstandortes Rhein-Neckar als siebtgrößter Verdichtungs-
raum mit 2,3 Millionen Einwohnern und sind der Auffassung, dass bei einer
Realisierung der Variante B der Fernverkehrsknotenpunkt Mannheim-Haupt-
bahnhof erheblich an Bedeutung verlieren wird. Darüber hinaus vertreten Land,
Region Rhein/Neckar und Stadt Mannheim die Meinung, dass unabhängig von
der Frage, welche Variante realisiert werden soll, baldmöglichst die dringend
erforderliche Ertüchtigung des Hauptbahnhofs Mannheim in Angriff genom-
men werden muss.
Die Trasse der Variante I in Hessen (sog. Direttissima) führt ohne Zwischenhalt
von Frankfurt am Main nach Mannheim. Variante II sieht auf gleicher Trasse

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den Halt an einem Fernbahnhof Darmstadt-West vor. Die Trassenvarianten III
und IV integrieren den Hauptbahnhof Darmstadt direkt in die Neubaustrecke,
während die Variante V den Darmstädter Hauptbahnhof über eine zusätzliche
Trasse (sog. Bypass) an die Neubaustrecke anbindet.
Die von der DB AG bevorzugte Variante I wird von der hessischen Landes-
regierung und der Starkenburg Regionale als Zusammenschluss der vier süd-
hessischen Landkreise und der Stadt Darmstadt strikt abgelehnt. Lediglich die
Varianten III und IV vermögen eine vollwertige Anbindung der Stadt Darm-
stadt und der Region an das Hochgeschwindigkeitsnetz der DB AG herzustel-
len. Die Realisierung der Variante I würde zu einer erheblichen struktur- und
regionalpolitischen Schwächung der Region führen. Mit Aufnahme der Planun-
gen zur Neubaustrecke Rhein/Main–Rhein/Neckar wurde das Institut für Inte-
grative Verkehrssysteme (ZIV) mit einem vorbereitenden Gutachten beauftragt.
Die Ergebnisse dieses Gutachtens zeigen, dass unter bautechnischen, kosten-
mäßigen, ökologischen, städtebaulichen und strukturpolitischen Gesichtspunk-
ten die Varianten mit einer direkten Anbindung des Darmstädter Hauptbahn-
hofs zu bevorzugen sind. Zudem hat die hessische Landesregierung im gelten-
den Landesentwicklungsplan die Anbindung Darmstadts an die ICE-Neubau-
strecke als regionalpolitisches Ziel verankert. Ferner haben die Landesregierun-
gen Hessens und Baden-Württembergs auf einer gemeinsamen Kabinettsitzung
bereits im September 2000 auf die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer voll-
wertigen Anbindung des Darmstädter und Mannheimer Hauptbahnhofs an den
Hochgeschwindigkeitsverkehr der Bahn hingewiesen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. In welcher Form ist die Bundesregierung in die Planung des Vorhaben-

trägers DB AG eingebunden und ab welchem Zeitpunkt und ab welchem
Verfahrensstadium wirkt sie an der Konzipierung und Bewertung der ge-
nannten Planungsvarianten mit?

2. Mit welchen konkreten Entwicklungen im Personenfernverkehrs- und
Güterverkehrsaufkommens rechnet die Bundesregierung auf der Strecke
Frankfurt–Mannheim und Mannheim–Stuttgart bis zum Jahre 2025 (bitte
Prognosezahlen auflisten)?

3. Mit welchen Immissionen (Lärm, Feinstäube, Erschütterungen) müssen
nach Ansicht der Bundesregierung die Einwohner der Gemeinden und der
Stadtteile Mannheims entlang einer Bypass-Strecke gemäß Variante B rech-
nen und welche Vorkehrungen müssten nach Ansicht der Bundesregierung
bei einer Realisierung der Variante B getroffen werden?

4. In welcher Höhe rechnet die Bundesregierung mit Ausgleichszahlungen für
Enteignungen und enteignungsgleiche Eingriffe (z. B. Wertverluste von
Grundstückseigentümern) bei einer Realisierung der genannten Planungs-
varianten?

5. In welcher Form ist nach Ansicht der Bundesregierung bei einer Realisie-
rung der Variante B die vollständige Anbindung aller von Frankfurt und
Stuttgart kommenden ICE-Verbindungen an das TGV-Netz nach Paris über
Kaiserslautern/Saarbrücken gewährleistet?

6. Wie stellt sich die Bundesregierung bei einer Realisierung der Variante B
(Baden-Württemberg) und der Varianten I, II und V (Hessen) die Verzah-
nung mit den übrigen Verkehren (Güter-, Regional- und Nahverkehr) im
Rhein-Neckar-Raum und im Rhein-Main-Gebiet vor?

7. Wie stellt sich die Bundesregierung bei einer Realisierung der Variante B die
Anbindung der Neubaustrecke an den Mannheimer Rangierbahnhof vor?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1836

8. In welcher Höhe wird der erhöhte bautechnische Aufwand, der bei der
Realisierung der Variante B entsteht, insbesondere durch die erforderliche
Unterquerung der Autobahn und der OEG-Strecke sowie die Querung des
Neckars und die Verlegung der Überlandleitungen vom Großkraftwerk
Mannheim, beziffert, und hat er bereits Eingang in die Kostenschätzungen
gefunden?

9. Ist der Bundesregierung bekannt, dass bei Realisierung der Variante B
Grundwasserprobleme im Rhein-Neckar-Raum entstehen, und sind diese
Kosten bereits in den Projektkalkulationen beinhaltet?

10. Wie beurteilt die Bundesregierung die im Raumordnungsplan Rhein-
Neckar 2000 genannte Zielsetzung, wonach der Hauptbahnhof Mannheim
als Knotenpunkt im Intercity- bzw. Hochgeschwindigkeitsnetz auszubauen
ist, und steht aus Sicht der Bundesregierung die von der DB AG präferierte
Variante B hierzu im Widerspruch?

11. Welche konkreten Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu den klimatolo-
gischen Folgen einer ICE-Trasse in Hochlage gemäß Variante B zwischen
den Bebauungsgebieten Mannheim–Feudenheim und Ilvesheim?

12. Liegen der Bundesregierung detaillierte Informationen über die derzeitige
und die technisch mögliche Leistungsfähigkeit der Hauptbahnhöfe Mann-
heim und Darmstadt vor?

13. Liegen der Bundesregierung Informationen vor, ob und gegebenenfalls in
welchem Umfang die DB AG Ertüchtigungsmaßnahmen für den Haupt-
bahnhof Mannheim plant?

14. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Ertüchtigung des
Hauptbahnhofs Mannheim als infrastrukturelle Maßnahme für die zu-
kunftsorientierte Abwicklung des Schienenpersonenfern- und -nahverkehrs
der Rhein-Neckar-Region unabdingbar ist, und falls nein, warum nicht?

15. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung, dass im Hauptbahn-
hof Mannheim schon heute erhebliche Trassenkonflikte bestehen, die sich
mit der Einführung der S-Bahn zum Fahrplanwechsel im Dezember 2003
weiter verschärfen werden?

16. Wie beurteilt die Bundesregierung die mit den Planungsvarianten B, I, II
und V einhergehenden Nachteile für die Wirtschaftsstandorte Mannheim
und Südhessen?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass bei einer Realisierung
der Variante B der Eingriff in den Wasserhaushalt und damit die Wasser-
versorgung der Mannheimer Bevölkerung größer ist als bei der Variante A?

18. In welchem Umfang gehen bei einer Realisierung der Variante B landwirt-
schaftlich genutzte Flächen verloren, und teilt die Bundesregierung die
Einschätzung, dass der bei einer Realisierung der Variante B erforderliche
Verbrauch landwirtschaftlich genutzter Flächen zu einer Verschärfung der
Situation der lokalen Landwirtschaft im Verdichtungsraum Mannheim
führt?

19. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass die DB AG die Vari-
ante C nicht als vollwertige Alternative zu den Varianten A und B in das
Raumordnungsverfahren eingebracht hat?

20. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der äußerst geringe verkehr-
liche Nutzen von 5 % bis 6 % Verkehrszuwachs bei einer bundesweiten
Betrachtung die Mehrkosten der Variante B von 435 Mio. Euro, was etwa
37 % der Gesamtkosten entspricht, angesichts knapper öffentlicher Kassen
wirtschaftlich gerechtfertigt wäre?

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msterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 340, Telefax (02 21) 97 66 344

21. Wie beurteilt die Bundesregierung die Auffassung des Ministeriums für
Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg, dass die Realisierung der Vari-
ante B für die Rhein-Neckar-Region verkehrliche Nachteile und erhebliche
Belastungen für Mensch, Natur und Landwirtschaft mit sich bringen
würde?

22. Wie beurteilt die Bundesregierung aus verkehrspolitischer Sicht die Auf-
fassung, dass in Mannheim auch künftig die Premiumzüge der DB AG mit
Direktverbindungen in die nationalen und internationalen Zentren halten
müssen, damit die Hochwertigkeit des Knotens Mannheim erhalten bleibt?

23. Wie beurteilt die Bundesregierung die im Landesentwicklungsplan 2002
genannten verkehrspolitischen Ziele, wonach die Hochgeschwindigkeits-
strecke von Mannheim nach Frankfurt als „vollwertige Einbindung des
Hauptbahnhofs Mannheim“ zu realisieren ist und die Flächeninanspruch-
nahme gering zu halten ist sowie wertvolle Böden zu schonen sind?

24. Wie beurteilt die Bundesregierung die Auffassung des Ministeriums für
Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg, wonach eine vollwertige Ein-
bindung des Hauptbahnhofs Mannheim in den Hochgeschwindigkeitsver-
kehr nur bei Realisierung der Variante A möglich ist?

25. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass die DB AG zwischen
Mannheim-Wallstadt und Mannheim-Vogelstang auf den Varianten A und
B bereits im Sommer 2003 Probebohrungen durchgeführt hat, obwohl we-
der das Raumordnungsverfahren abgeschlossen ist noch das Planfeststel-
lungsverfahren begonnen und somit eine Entscheidung für eine bestimmte
Variante noch gar nicht stattgefunden hat?

26. Wie beurteilt die Bundesregierung die Anbindung des Darmstädter Haupt-
bahnhofs an das Hochgeschwindigkeitsnetz der DB AG in strukturpoliti-
scher, bautechnischer, kostenmäßiger und ökologischer Sicht?

27. Wie steht die Bundesregierung zu der Auffassung, wonach eine vollwertige
Anbindung der Region Starkenburg/Südhessen an das Hochgeschwindig-
keitsnetz der DB AG nur durch die Realisierung der Varianten III und IV
gewährleistet ist?

28. Wie hoch beurteilt die Bundesregierung das Fahrgastpotential, das bei
einer direkten Anbindung des Darmstädter Hauptbahnhofs an die ICE-
Neubaustrecke gewonnen werden könnte?

29. Wie beurteilt die Bundesregierung die Strategie, mittels ICE-Hochge-
schwindigkeitsstrecken nur noch große Verkehrsknoten und Ballungs-
räume zu bedienen, vor dem Hintergrund neuerer Umfragen der südhessi-
schen Wirtschaft, die dem damit verbundenen Ziel des größtmöglichen
Fahrtzeitgewinns eine zweitrangige Bedeutung beimessen?

30. Wie beurteilt die Bundesregierung das im Landesentwicklungsplan 2000
des Landes Hessen festgehaltene regionalpolitische Ziel, zur Trennung des
Nah- und Fernverkehrs sowie zur Kapazitätserhöhung die Anbindung der
Hauptbahnhöfe Darmstadts und Mannheims zu planen und zu realisieren?

Berlin, den 21. Oktober 2003
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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