BT-Drucksache 15/1815

Beteiligung des Deutschen Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union

Vom 21. Oktober 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1815
15. Wahlperiode 21. 10. 2003

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Thomas Silberhorn, Volker Kauder, Marco Wanderwitz, Peter
Altmeier, Veronika Bellmann, Kurt-Dieter Grill, Olav Gutting, Peter Hintze, Gunter
Krichbaum, Patricia Lips, Dr. Gerd Müller, Dr. Georg Nüßlein, Albert Rupprecht
(Weiden), Michael Stübgen, Matthias Wissmann und der Fraktion der CDU/CSU

Beteiligung des Deutschen Bundestages und des Bundesrates
in Angelegenheiten der Europäischen Union

Im Zusammenhang mit der Ratifizierung des Maastricht-Vertrages über die
Gründung der Europäischen Union vom 7. Februar 1992 wurde die verfas-
sungsrechtliche Ermächtigung zur deutschen Beteiligung an der europäischen
Integration auf eine neue Grundlage gestellt. Mit Gesetz vom 21. Dezember
1992 wurde Artikel 23 n. F. in das Grundgesetz eingefügt, dessen Absätze 2
bis 7 die direkten und indirekten Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundes-
tages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union regeln.
Nach Artikel 23 Abs. 2 Satz 2 GG hat die Bundesregierung gegenüber dem
Deutschen Bundestag eine umfassende Informationspflicht. Darüber hinaus
muss sie dem Deutschen Bundestag gemäß Artikel 23 Abs. 3 Satz 1 GG Gele-
genheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der
Europäischen Union geben. Nach Artikel 23 Abs. 3 Satz 2 GG berücksichtigt
die Bundesregierung die Stellungnahmen des Deutschen Bundestages bei den
Verhandlungen. Ihr wird damit eine Befassungs-, Begründungs- und Sorgfalts-
pflicht auferlegt. Außerdem ist die Bundesregierung damit verpflichtet, die Ar-
gumente des Deutschen Bundestages zur Kenntnis zu nehmen, sich mit ihnen
auseinanderzusetzen und sie in ihre Entscheidung einzubeziehen. Sie ist jedoch
rechtlich nicht an sie gebunden.
Die Beteiligung des Deutschen Bundestages und des Bundesrates ist ein wichti-
ges Element, um den mit der fortschreitenden europäischen Integration verbun-
denen Kompetenzverlust an die EU abzumildern. Dieser Kompetenzverlust der
Legislative führt innerstaatlich zu einer Kompetenzverschiebung zu Gunsten
der Bundesregierung, die im Ministerrat an der europäischen Rechtsetzung mit-
wirkt. Die damit verbundene Durchbrechung des Grundsatzes der Gewalten-
teilung erfordert ein Mitwirkungsrecht des Deutschen Bundestages und des
Bundesrates bei der innerstaatlichen Willensbildung zu Rechtsetzungsakten der
Europäischen Union.
Darüber hinaus kommt dem Deutschen Bundestag als in Deutschland einziges
unmittelbar vom Volk gewähltes Bundesorgan eine entscheidende Funktion für
die demokratische Legitimation der in der Bundesrepublik Deutschland durch
Organe der Europäischen Union ausgeübten Hoheitsgewalt zu. Die Möglichkeit
der Mitwirkung des Deutschen Bundestages und des Bundesrates in einem
frühen Stadium erlaubt eine stärkere Einbeziehung der Öffentlichkeit in An-
gelegenheiten der Europäischen Union, verbessert die Akzeptanz der gemein-

Drucksache 15/1815 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

schaftsrechtlichen Rechtsakte und erhöht damit die Bereitschaft zu deren Um-
setzung.
Vor diesem Hintergrund ist es angebracht zu untersuchen, wie sich die Mitwir-
kung des Deutschen Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der
Europäischen Union auf die Willensbildung der Bundesregierung ausgewirkt
hat. Auf dieser Grundlage kann eine Evaluierung des Beteiligungsverfahrens
nicht zuletzt im Hinblick darauf erfolgen, dass mit dem europäischen Verfas-
sungsvertrag neue Beteiligungsrechte der nationalen Parlamente eingeführt
werden sollen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele und welche Stellungnahmen des Deutschen Bundestages zu

Unionsvorlagen gemäß Artikel 23 GG haben die Bundesregierung zu einer
Änderung ihrer Verhandlungsposition im Sinne des Deutschen Bundes-
tages veranlasst?

2. In wie vielen und welchen Fällen hat sich die Bundesregierung mit ihrer
gemäß Frage 1 veränderten Verhandlungsposition im Ministerrat der Euro-
päischen Union durchsetzen können?

3. Wie viele und welche Stellungnahmen des Bundesrates zu Unionsvorlagen
gemäß Artikel 23 GG haben die Bundesregierung zu einer Änderung ihrer
Verhandlungsposition im Sinne des Bundesrates veranlasst?

4. In wie vielen und welchen Fällen hat sich die Bundesregierung mit ihrer
gemäß Frage 3 veränderten Verhandlungsposition im Ministerrat der Euro-
päischen Union durchsetzen können?

5. In wie vielen und welchen Fällen hat die Bundesregierung eine Stellung-
nahme des Bundesrates zu Angelegenheiten der Europäischen Union im
Sinne des Artikel 23 GG maßgeblich berücksichtigt?

6. In wie vielen und welchen Fällen ist die Bundesregierung von einer maß-
geblich zu berücksichtigenden Stellungnahme des Bundesrates abgewi-
chen, und welche Begründung hatte sie jeweils hierfür?

7. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass die Beteiligung des Bundesrates
die Entscheidungsfindung im Ministerrat der Europäischen Union im All-
gemeinen verzögert oder blockiert?

8. In wie vielen und welchen Fällen wurden nach Ansicht der Bundesregie-
rung Entscheidungen des Ministerrates aufgrund der Beteiligung des
Bundesrates verzögert oder blockiert, und lag diese Verzögerung bzw.
Blockade nach Ansicht der Bundesregierung jeweils im deutschen Inte-
resse?

9. In wie vielen und welchen Fällen hat die Beteiligung des Deutschen Bun-
destages und des Bundesrates nach Ansicht der Bundesregierung dazu
geführt, dass sie über zu wenig Flexibilität in ihrer Verhandlungsführung
verfügte, und welche Positionen hätte die Bundesregierung vertreten, wenn
sie flexibler hätte verhandeln können?

10. In wie vielen und welchen Fällen wurde die Bundesrepublik Deutschland
im Ministerrat der Europäischen Union durch einen Vertreter der Bundes-
länder vertreten?

11. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass die Vertretung der Bundesrepu-
blik Deutschland durch einen Vertreter der Bundesländer die Entschei-
dungsfindung im Ministerrat im Allgemeinen verzögert oder blockiert?

12. In wie vielen und welchen Fällen wurden nach Ansicht der Bundesregie-
rung Entscheidungen des Ministerrates aufgrund der Vertretung durch

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1815

einen Vertreter der Bundesländer verzögert oder blockiert, und lag diese
Verzögerung bzw. Blockade nach Ansicht der Bundesregierung jeweils im
deutschen Interesse?

13. In wie vielen und welchen Fällen hat die Vertretung der Bundesrepublik
Deutschland durch einen Vertreter der Bundesländer im Ministerrat nach
Ansicht der Bundesregierung dazu geführt, dass sie über zu wenig Flexi-
bilität in ihrer Verhandlungsführung verfügte, und welche Positionen hätte
die Bundesregierung vertreten, wenn sie flexibler hätte verhandeln kön-
nen?

14. In wie vielen und welchen Fällen war es der Bundesregierung nicht mög-
lich, mit dem Vertreter der Bundesländer bei der Festlegung der deutschen
Verhandlungsposition im Ministerrat zu einer Übereinstimmung zu kom-
men?

Berlin, den 21. Oktober 2003
Thomas Silberhorn
Volker Kauder
Marco Wanderwitz
Peter Altmeier
Veronika Bellmann
Kurt-Dieter Grill
Olav Gutting
Peter Hintze
Gunter Krichbaum
Patricia Lips
Dr. Gerd Müller
Dr. Georg Nüßlein
Albert Rupprecht (Weiden)
Michael Stübgen
Matthias Wissmann
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion
msterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 340, Telefax (02 21) 97 66 344

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