BT-Drucksache 15/1789

Verbraucher aufklären und schützen - Innovation und Vielfalt in der Produktentwicklung und Werbung für Lebensmittel erhalten

Vom 21. Oktober 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1789
15. Wahlperiode 21. 10. 2003

Antrag
der Abgeordneten Ursula Heinen, Julia Klöckner, Uda Carmen Freia Heller,
Peter H. Carstensen (Nordstrand), Albert Deß, Peter Bleser, Gitta Connemann,
Helmut Heiderich, Dr. Peter Jahr, Volker Kauder, Marlene Mortler, Bernhard
Schulte-Drüggelte, Kurt Segner, Jochen Borchert, Cajus Caesar, Hubert Deittert,
ThomasDörflinger, GerdaHasselfeldt, Susanne Jaffke, Heinrich-WilhelmRonsöhr,
Dr. Klaus Rose, Norbert Schindler, Georg Schirmbeck, Max Straubinger, Volkmar
Uwe Vogel und der Fraktion der CDU/CSU

Verbraucher aufklären und schützen – Innovation und Vielfalt in der
Produktentwicklung und Werbung für Lebensmittel erhalten

Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die EU-Kommission hat am 16. Juli 2003 den Vorschlag einer Verordnung
über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (KOM
(2003) 424 endg.) vorgelegt, durch den nach eigenen Angaben der EU-Kom-
mission die Werbung für Lebensmittel mit dem Ziel geregelt werden soll, ein
höheres Verbraucherschutzniveau durch mehr freiwillige Information, Rechts-
sicherheit, den freien Warenverkehr zu verbessern, gleiche Wettbewerbsbedin-
gungen und die Förderung der Innovationsfähigkeit in der EU zu gewährleis-
ten. Sie stellt weiterhin dar, dass es um die Erreichung gesunder Ernährung in
der Bevölkerung gehe.
Über- und Fehlernährung stellen nach allen neueren wissenschaftlichen Unter-
suchungen zunehmend ein Problem für die Bevölkerungen der industrialisier-
ten Länder dar. Gleichzeitig wächst derzeit die Vielfalt der angebotenen Pro-
dukte durch den Binnenmarkt. Daher ist das Ansinnen der EU-Kommission zu
begrüßen, durch eine EU-weit einheitliche Systematik in der Verwendung von
nährwert- und gesundheitsbezogenen Begriffen den Verbrauchern Kaufent-
scheidungen für eine bewusste und gesunde Ernährung zu erleichtern und die
durch irreführende Werbung nur vermeintlich diesem Zweck dienlichen Käufe
zu verhindern.
Der vorgelegte Vorschlag kann jedoch dieses Ziel nicht erreichen. Zudem ver-
fehlt er die von der EU-Kommission selbst aufgestellten Ziele.
Der Vorschlag sieht vor, dass nährwertbezogeneAngabenwie „ballaststoffreich“
nur bei Einhaltung einer Definition, die im Annex der Verordnung aufgestellt
wurde, verwendet werden dürfen. Bei gesundheitsbezogenen Angaben gibt es
drei Kategorien: Wissenschaftlich allgemein anerkannte Aussagen sollen dem-
nächst verwendet werden dürfen, sofern sie in einer von der EU-Kommission
noch zu erstellenden Positivliste enthalten sind, die sich auf die Verringerung
eines Krankheitsrisikos beziehen. Konkrete gesundheitsbezogene Aussagen be-
dürfen einer Einzelgenehmigung. All diesen Regelungen liegt die Voraussetzung

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zugrunde, dass das beworbene Produkt einem positiven Nährstoffprofil entspre-
chen muss, das vorher von der EU-Kommission erstellt wurde und das vor allem
die Menge von Salz, Zucker und Fettgehalt bewertet. Allgemeine Wohlbefin-
densangaben sind grundsätzlich verboten, auch wenn sie den Tatsachen entspre-
chen.
Allein diese Grundsätze verdeutlichen: Der Vorschlag verkennt das vom Euro-
päischen Gerichtshof aufgestellte Leitbild des mündigen Verbrauchers. Die
vorgeschlagenen Regelungen stellen zudem erhebliche Eingriffe in die Berufs-
freiheit der Werbewirtschaft dar. Sie bedeuten mittelbar dirigistische Eingriffe
in die Produktvielfalt und -entwicklung der Lebensmittelwirtschaft. Die Ver-
ordnung führt zu einem Primat der politischen Entscheidung gegenüber der
wissenschaftlichen Bewertung, da die Europäische Lebensmittelsicherheitsbe-
hörde zwar beteiligt wird, die letzten Entscheidungen aber von der EU-Kom-
mission gefällt werden. Damit konterkariert die EU-Kommission ihren eigenen
Anspruch an die Verordnung.
In allem verkennt die EU-Kommission, dass die Regulierung von Werbung
nicht das Vehikel ist, anhand dessen man Kenntnisse und Bewusstsein für ge-
sunde Ernährung und Lebensweise wecken und erweitern kann.
Die EU-Kommission betont zwar, dass auch sie die von der WHO aufgestellten
Erkenntnisse zur Grundlage nehme, wonach es keine per se guten oder schlech-
ten Nahrungsmittel gebe und es auf den Ausgleich von Ernährung und Bewe-
gung ankomme. Eine Einteilung in gute oder schlechte Nahrungsmittel ist da-
mit wissenschaftlich nicht haltbar. In der Zusammenschau der vorgelegten Re-
gelungen ist aber nicht auszuschließen, dass die Verordnung zu dieser Art von
Stigmatisierung bestimmter Produktgruppen führt. Denn ein Produkt mit nega-
tivem Nährstoffprofil, das z. B. wegen des hohen Zuckergehaltes nicht dem von
der EU-Kommission erstellten Nährstoffprofil entspricht, darf nicht mit dem
z. B. gleichzeitig hohen Vitamin-C-Gehalt beworben werden. Diese Regelung
zeigt den verfehlten Ansatz der EU-Kommission: Die Lebensmittel- und Wer-
bewirtschaft werden mindestens mittelbar beschränkt, die Grundsätze der
WHO verdreht und die Eigenverantwortung der Verbraucher ignoriert.
Der Vorschlag bringt keine Rechtssicherheit, da wesentliche Inhalte des Ver-
ordnungsvorschlags, wie die Nährwertprofile und die Positivliste, erst im
Nachhinein von der EU-Kommission und dann ohne Beteiligung des EU-Parla-
ments und des Rates erstellt werden sollen. Allein während der vorgesehenen
Übergangsfristen bis zu deren Erstellung ist eine Zunahme an Rechtsstreitigkei-
ten und eine Abnahme an neuen Produkten und Werbekampagnen zu befürch-
ten. Das Erfordernis der Übersetzung in sämtliche EU-Sprachen führt zu unver-
hältnismäßigem bürokratischen Aufwand und z. B. bei der Positivliste zu
erheblichen Unsicherheiten aufgrund der semantischen Unterschiede bei den
Übersetzungen.
Es ist vollkommen unklar, auf welchen Kriterien die Zulassung einer Bezeich-
nung beruhen soll, da nicht geregelt ist, wie viele und welche Arten von Stu-
dien als Beurteilungsgrundlage herangezogen werden sollen und wie konkret
der Zusammenhang von Nährstoff und Gesundheit nachgewiesen werden muss.
Ebenso wenig ist abzusehen, woran die Abgrenzung von zulässigen, nicht be-
troffenen Werbeslogans und anderen, den Regelungen unterworfenen Werbe-
slogans festgemacht werden soll.
Der Vorschlag wird zu einem erheblichen bürokratischen Aufwand und hohen
Kosten führen, sowohl um die Positivliste und die Nährwertprofile zu erstellen,
als auch um die Einzelgenehmigungen erteilen zu können.
Für die Erteilung einer Genehmigung einer Aussage zur Verringerung eines
Krankheitsrisikos ist mit einem Zeitraum von mindestens neun Monaten zu
rechnen. Abgesehen von den erforderlichen Kosten dürfte dies den Sinn und

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Zweck einer Werbekampagne nicht selten obsolet machen. Die Gefahr, eine an-
gestrebte, konkrete gesundheitsbezogene Aussage für ein Produkt, z. B. einen
Joghurt, gar nicht genehmigt zu bekommen, könnte auch manche Vorhaben in
Forschung und Entwicklung zum Erliegen bringen. Dies kann nicht im Sinne
der Kommission sein. Denn zum einen ist die Entwicklung von gesundheitsför-
derlichen, innovativen Produkten angesichts der benannten Ernährungspro-
bleme wünschenswert. Zum anderen könnten damit Arbeitsplätze in Forschung
und Entwicklung sowie in der Werbebranche gefährdet werden.
Die zu erstellende Positivliste ist zum Verbraucherschutz und zur Verbraucher-
aufklärung nicht geeignet, da sie eine geschlossene Liste darstellt, die dem
ständigen Fortschritt in wissenschaftlichen Erkenntnissen immer hinterherhän-
gen würde.
Der Annex erlaubter Bezeichnungen ist zudem zu eng formuliert, da er positive
Bewerbungen nicht ermöglicht, z. B. „energiereich“ für so genannte Sportrie-
gel.
Das Verbot allgemeiner Wohlbefindensangaben ist unangemessen. Es bedeutet,
dass dem Verbraucher das Mindestmaß an Eigenverantwortung und Ein-
schätzungsvermögen, welche Werthaltigkeit eine solche Aussage hat, nicht zu-
gestanden wird. Eine wissenschaftliche Grundlage für das Verbot ist nicht er-
sichtlich.
Werbung ist ein legitimes und allgemein anerkanntes Mittel, um Produkte bes-
ser verkaufen zu können. Der Vorschlag wird diesem Grundsatz in zweierlei
Hinsicht nicht gerecht:
Damit der Wettbewerb in der Werbung fair bleibt, gibt es bereits das allgemein-
gültige Irreführungsverbot in Deutschland und verschiedene Instrumentarien zu
dessen Durchsetzung im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Für die
Lebensmittelbranche gelten zudem die §§ 17 und 18 des Lebensmittel- und
Bedarfsgegenständegesetzes und die Nährwertkennzeichnungsverordnung.
EU-weit gilt die Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung (ABl. EG
Nr. L 250 vom 19. September 1984). Weiterhin hat die EU-Kommission gerade
einen Vorschlag einer Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken herausge-
geben (KOM (2003) 356 endg. vom 18. Juni 2003). Es ist daher fraglich, ob die
aufgestellten Regelungen in der Rigidität tatsächlich erforderlich sind, um den
fairen Wettbewerb in der Lebensmittelbranche zu gewährleisten.
Der Vorschlag scheint außerdem davon auszugehen, dass Werbung für Lebens-
mittel fast immer irreführend sei. Er schränkt die Werbefreiheit daher in erheb-
lichem Maße ein. Wegen der Beschränkungen für die Werbung kann es aber
darüber hinaus auch zu Veränderungen bei den beworbenen Produkten selbst
kommen, z. B. so kann dies dazuführen, dass bestimmte Produkte wie Vitamin-
bonbons nicht mehr abgesetzt werden.
Überdies drängt sich die Vermutung auf, dass die EU-Kommission mittels
Regelungen zur Werbung gesundheitspolitische Maßnahmen betreiben möchte.
Diese Vermutung liegt wegen der Aufgaben nahe, die die EU-Kommission für
sich und die Europäische Lebensmittelbehörde vorsieht, nämlich Profil- und
Listenerstellung und Erteilung von Genehmigungen. Diese Aufgaben, verbun-
den mit den Regelungen, gehen weit über eigentliche Werberegelungen hinaus.
Überdies berühren sie nicht einmal Aspekte der Lebensmittelsicherheit, die tat-
sächlich auch Aufgabe der EU ist. Der Erlass von gesundheitspolitischen Rege-
lungen widerspricht aber dem Subsidiaritätsprinzip des EG-Vertrages und liegt
auch nicht in der Zuständigkeit der EU.
II. Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf,
zu überprüfen, ob die EU-Kommission zum Erlass der Verordnung in der vor-
gelegten Fassung nach dem EG-Vertrag hinsichtlich ihrer Kompetenzen und

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der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips berechtigt ist und sich des Weiteren
dafür einzusetzen, dass der Verordnungsentwurf in den Verhandlungen im EU-
Parlament und im Rat unter Berücksichtigung des festgestellten Sachverhaltes
grundlegend überarbeitet wird, insbesondere:
l Die Verordnung muss so ausgestaltet werden, dass die Innovationsfähigkeit

und Produktvielfalt in der Lebensmittelwirtschaft und der zugehörigen Wer-
bung erhalten wird.

l Die Verordnung muss in ihren Regelungen und Ausgestaltungen dem Leit-
bild des mündigen Verbrauchers entsprechen.

l Die EU-Kommission muss bei ihren Entscheidungen an Empfehlungen ge-
bunden sein, die die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde aufgrund
eigener wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie den eingereichten Unterlagen
zur wissenschaftlichen Absicherung abgibt.

l Die Einhaltung eines strikt festgelegten, absolut geltenden Nährwertprofils
als Voraussetzung für gesundheits- und nährwertbezogene Werbeaussagen
gemäß Artikel 4 der Verordnung ist zu streichen.

l Der Annex für nährwertbezogene Angaben (Artikel 8 und 9 der Verord-
nung) sollte dahingehend geöffnet werden, dass weitere, insbesondere auch
positive Angaben aufgenommen werden.

l Die für alle gesundheitsbezogenen Angaben geltenden Informationsver-
pflichtungen gemäß Artikel 10 Abs. 2 der Verordnung sollen nicht für alle
Produktgruppen gelten, da sie unpraktikabel sind und zur Überinformation
führen können.

l Das grundsätzliche Verbot allgemeiner Wohlbefindensangaben, sog. impli-
ziter Angaben, in Artikel 11 der Verordnung ist als unverhältnismäßige
Maßnahme zu streichen.

l Die gemäß Artikel 12 der Verordnung beabsichtigte Positivliste ist in Inhalt
und Verfahren grundlegend zu überarbeiten.

l Die Anforderungen an eine wissenschaftliche Absicherung gesundheitsbe-
zogener Angaben müssen in der Verordnung konkretisiert werden, soweit
ein Unternehmer Angaben zur Verringerung eines Krankheitsrisikos gemäß
Artikel 13 der Verordnung im Rahmen seiner Werbung für ein Produkt be-
nutzen möchte.

l Statt des Genehmigungsverfahrens nach den Artikeln 13 ff. der Verordnung
sollte ein Anzeigeverfahren, wenn nicht sogar eine Dossier-Lösung, nach
der die wissenschaftlichen Studien nur vorgehalten werden müssen, bevor-
zugt werden, da sie den Anforderungen einer wissenschaftlichen Untermau-
erung ohne bürokratischen Aufwand gerecht würden.

Berlin, den 21. Oktober 2003

Michael Glos und Fraktion
msterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 340, Telefax (02 21) 97 66 344

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