BT-Drucksache 15/1526

Zukunft gestalten statt Krankheit verwalten

Vom 8. September 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1526
15. Wahlperiode 08. 09. 2003

Antrag
der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Heinrich L. Kolb, Daniel Bahr
(Münster), Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Ulrike Flach,
Otto Fricke, Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan,
ChristophHartmann (Homburg), Klaus Haupt, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Dirk Niebel, Günther
Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Gisela
Piltz, Marita Sehn, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Zukunft gestalten statt Krankheit verwalten

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Angesichts der äußerst schwierigen finanziellen Lage der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) mit einem Defizit im letzten Jahr in Höhe von
3,4 Mrd. Euro und einem neuerlichen Defizit im ersten Halbjahr des Jahres
2003 in Höhe von 1,8 Mrd. Euro, einer hohen Verschuldungsrate, aufgebrauch-
ten Rücklagen und ausstehenden Zahlungsverpflichtungen gegenüber Kranken-
häusern sowie weiteren Herausforderungen durch demografische Entwicklung,
medizinischen Fortschritt und sinkende Lohnquote besteht die dringende Not-
wendigkeit, grundlegende strukturelle Veränderungen anzugehen, um
– Generationengerechtigkeit herzustellen,
– die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu stärken und damit

über die Schaffung neuer Arbeitsplätze auch die Einnahmebasis der GKV zu
verbessern,

– den Versicherten und Patienten angesichts knapper Ressourcen größtmög-
liche Entscheidungsspielräume bei der Wahl ihrer Versicherungsform, der
Wahl ihres Arztes und gemeinsam mit diesem der Wahl der Therapie zu
geben,

– die Freiberuflichkeit als tragende und kostengünstige Säule des Gesund-
heitssystems zu bewahren und

– durch eine Stärkung des Wettbewerbs den Abbau bürokratischer Reglemen-
tierungen und die Erhöhung der Transparenz größere Effizienz zu schaffen.

Das bedeutet, dass an einer sofortigen Stärkung kapitalgedeckter Versiche-
rungsformen kein Weg vorbei führt, wenn man die Chance bewahren will, die
demografische Entwicklung erträglich abzufedern. Das bedeutet zudem eine
massive Entschlackung von bürokratischen Vorschriften. Dazu gehört auch
eine einfache und verständliche Honorierung ärztlicher und zahnärztlicher
Leistungen ohne Budgetierung auf Kostenerstattungsbasis. Die Förderung des

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Wettbewerbs ist nicht gleichbedeutend damit, dass die Macht der Krankenkas-
sen steigt, sondern die Entscheidungsmacht der Versicherten und Patienten. Sie
sind diejenigen, die entscheiden müssen, wie und wo sie ihren Versicherungs-
schutz absichern und zu welchem Arzt sie gehen. Die Bildung neuer mono-
polartiger Anbieterstrukturen in der Gesundheitsversorgung, die die Freiberuf-
lichkeit und Pluralität gefährden, muss verhindert werden. Gleichzeitig ist eine
Entlastung der Lohnzusatzkosten durch eine Festschreibung des Arbeitgeber-
anteils und die Ausgliederung von Leistungskomplexen notwendig. Wie bei al-
len Reformen, die auf mehr persönliche Verantwortung abzielen, setzt das Steu-
ersenkungen voraus, damit den Menschen mehr Geld zur eigenen Verfügung
bleibt, um privat vorsorgen zu können.
Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz wird der zahllosen Anzahl von Repara-
turgesetzen, die zu einer unglaublichen Regelungsdichte geführt haben, ein
weiteres hinzugefügt. Die wirklich wichtigen Maßnahmen werden nicht ange-
gangen. Damit hat der Versuch einer großen Koalition zur Lösung der elemen-
taren Probleme des umlagefinanzierten Krankenversicherungssystems versagt.
Statt bürokratische Regelungen abzubauen und Wettbewerb im Sinne von mehr
Entscheidungsfreiheit für den Einzelnen zuzulassen, wird der bürokratische
Aufwand deutlich zunehmen. Das resultiert aus dem fehlenden Mut, das Sys-
tem konsequent so umzugestalten, dass der Einfluss des Staates auf Rahmenbe-
dingungen beschränkt und nicht bis ins Kleinste geregelt wird, wie sich die
Marktteilnehmer zu verhalten haben. Ob Korruptionsstellen erforderlich sind,
wissen Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen am besten. Das
muss man ihnen nicht vorschreiben. Ein guter Arzt ist für den Patienten bedeu-
tend mehr Wert als ein Bundespatientenbeauftragter. Ein Versicherter muss vor
Entscheidungen die Möglichkeit haben, sich sachkundig zu machen. Daraus die
Pflicht seiner Krankenkasse abzuleiten, ihm die Konsequenzen seines Tuns
zwangsweise und interessengebunden vor Augen zu führen, wie das bei der
Wahl der Kostenerstattung der Fall ist, ist ein Schlag ins Gesicht autonomer
Individuen.
Der Gesetzentwurf ist durch und durch geprägt von einem tiefen Misstrauen
gegenüber der Arbeit und den Leistungen der deutschen Ärzteschaft sowie der
anderen Gesundheitsberufe. Das kommt in der Ausweitung und Verschärfung
der Wirtschaftlichkeitsprüfungen, umfangreichen Verordnungskontrollen, Re-
gressandrohungen und Fortbildungskontrollen ebenso zum Ausdruck, wie in
den Zwangsfusionen der Kassenärztlichen Vereinigungen und Kassenzahnärzt-
lichen Vereinigungen, der gesetzlichen Vorgabe hauptamtlicher Vorstände so-
wie des Mitbestimmungsrechts der Krankenkassen bei der originären Aufgabe
der ärztlichen Selbstverwaltung, das pauschal erhaltene Geld auf die einzelnen
Ärzte zu verteilen.
Ärzte haben Anspruch darauf, vor Erbringung der Leistung zu wissen, was sie
dafür erhalten. Dieser Anspruch ist auf das Jahr 2007 verschoben. Zudem ist
das nun vorgesehene Vergütungssystem noch undurchschaubarer als das heu-
tige und wird mit einer deutlichen Zunahme von Bürokratie verbunden sein.
Ärzte, die mehr leisten oder die von mehr Patienten aufgesucht werden, sind in
diesem System zudem nicht vorgesehen. Mit Leistungsgerechtigkeit hat das
nicht viel zu tun. Das gilt in besonderem Maße auch für die Kieferorthopäden,
bei denen ab dem Jahr 2004 die Leistungsmenge sinkt, die sie ohne Abschläge
erbringen dürfen, weil ihnen Zahnersatzleistungen hiervon abgezogen werden,
obwohl sie diese gar nicht erbringen. Zudem gilt: was für die Ärzte ab dem Jahr
2007 vielleicht noch vorteilhaft ist, könnte sich für die Zahnärzte, die ein ande-
res Vergütungssystem haben, ins Gegenteil verkehren.
Mit Leistungsgerechtigkeit hat auch das Vorhaben, die niedergelassenen Ärzte
im Westen für die – im Übrigen unzureichende – Anpassung der Vergütungen
im Osten aus dem ohnehin nicht ausreichenden Topf bezahlen zu lassen, nichts

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zu tun. Auch dass Ärzten und Krankenhäusern drei Jahre lang eine pauschale
Budgetkürzung in Höhe von einem Prozent zugemutet wird, das die Kranken-
kassen nach Gutdünken in die integrierte Versorgung investieren können, ist in
dieser Pauschalierung nicht gerechtfertigt.
Im pharmazeutischen Bereich wird zwar auf die Positivliste verzichtet. Über
den Weg der Richtlinienvorgaben des Bundesausschusses auf der Grundlage
der Nutzenbewertung des neu geschaffenen Instituts wird jedoch de facto die
vierte Hürde der Arzneimittelzulassung wieder zugelassen. Flankiert wird das
durch Festbetragsfestsetzungen für patentgeschützte Arzneimittel, die sich eben
nicht nur, wie in den Eckpunkten gewollt, auf die Arzneimittel beschränken,
die keinen oder einen geringen Zusatznutzen aufzuweisen haben. Das wird
Auswirkungen auf die Arzneimittelforschung haben. Besonders „marktwirt-
schaftlich“ ist die Zwangsabsenkung der Arzneimittelpreise um 16 Prozent,
von der nicht nur festbetragsfähige Arzneimittel erfasst sind, sondern auch sol-
che, für die im Endeffekt – aus welchen Gründen auch immer – keine Festbe-
träge gebildet werden können.
In der Arzneimittelversorgung, die zurzeit geprägt ist von einem hohen Sicher-
heitsstandard und einer jederzeitigen Verfügbarkeit für den Patienten, wird sich
Einiges ändern. Es ist nicht gelungen, den Grundsatz der gleichen Bedingungen
für niedergelassene und Versandapotheken, der in den Eckpunkten verankert
war, konsequent umzusetzen. Ausländische Versandapotheken werden nicht
daran gehindert werden können, ihre Arbeit unter den für sie jeweils gültigen
nationalen Regelungen zu erbringen, die nicht immer deutschen Sicherheits-
standards entsprechen. Von der Einbindung in die Nacht-, Sonntags- und Feier-
tagsversorgung ganz zu schweigen. Beim Mehrbesitz wird sich zeigen, ob die
aus Qualitätsgründen unverzichtbare Begrenzung der Zweigstellen auch vor
Gerichten Bestand haben wird. Zu befürchten ist, dass hier ein Einfallstor für
die Entstehung von kapitalkräftigen Apothekenketten gegeben ist, die die Ge-
fahr beinhalten, dass es den die umfangreiche flächendeckende pharmakothera-
peutische Betreuung der Patienten sicherstellenden freiberuflichen Apotheker
nicht mehr geben wird.
Im Bereich der zahnmedizinischen Versorgung zeigt sich besonders deutlich,
dass ein falscher Weg eingeschlagen wird. Weder wird damit der in den Eck-
punkten geforderte faire Wettbewerb zwischen GKV und PKV beim Zahner-
satz geschaffen, noch bringt dies Verbesserungen für die Versicherten mit sich.
Eine klare Ausgliederung des Zahnersatzes aus dem gesetzlichen Leistungska-
talog, verbunden mit der Möglichkeit einer privaten Absicherung, ist der einzig
vernünftige Weg, zumal die private Krankenversicherung zugesichert hatte,
Angebote auf der Grundlage befundorientierter Festzuschüsse mit Bonusrege-
lungen anzubieten. Untragbar ist auch der Sachverhalt, dass eine Quersubventi-
onierung aus dem GKV-Bereich in den Bereich Zahnersatz vorprogrammiert
ist, da am Ende des Jahres aufgrund von Fehlkalkulationen entstehende Defi-
zite im Zahnersatzbereich durch Gelder aus der GKV ausgeglichen werden
müssen.
Der mangelnde Mut zur Ausgrenzung ganzer Leistungskomplexe macht sich
auch im Bereich des Krankengeldes bemerkbar. Trotz der Vorgabe des Bundes-
kanzlers in seiner Rede am 14. März 2003 erfolgt keine Privatisierung des
Krankengeldes, die gut und ohne Probleme organisierbar wäre. Stattdessen zah-
len Versicherte zukünftig einen Sonderbeitrag, der keiner bestimmten Leistung
zugeordnet wird, weil das verfassungsrechtliche Probleme mit sich bringen
würde. Damit ist ein Einfallstor für allein die Versicherten betreffende Beitrags-
erhöhungen ohne Diskussion der dahinter stehenden Strukturen weit geöffnet.
Richtig verstandener Wettbewerb setzt bei den Versicherten und Patienten an
und gibt ihnen weitgehende Entscheidungsmöglichkeiten. Bei dem neu ge-
schaffenen Bundesausschuss besteht jedoch die Gefahr, dass er zum Nadelöhr

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für Innovationen, Vielfalt und Wettbewerb wird und sich zu einer Art großer
Gesundheitsbehörde entwickelt, zumal nahezu alles, was der Ausschuss ent-
scheidet, unter staatlichem Genehmigungsvorbehalt steht. Wettbewerb bedeutet
nicht, dass nicht dem Kartellrecht unterliegende Körperschaften ihre markt-
beherrschende Stellung gegenüber einzelnen Anbietern von Gesundheitsleis-
tungen ausspielen können. Einzelverträge mit Ärzten, Zahnärzten, Apothekern
oder Heilmittelerbringern sind deshalb kein Ausdruck von Wettbewerb, son-
dern der Versuch, die Macht der Krankenkassen und nicht etwa die Macht der
Versicherten und Patienten zu stärken.
Nicht einmal das eigen gesetzte Ziel, den Beitragssatz auf unter 13 Prozent zu
drücken und gleichzeitig die Qualität der medizinischen Versorgung zu verbes-
sern, ist mit dem vorgelegten Maßnahmenpaket erreichbar. Bei der Prognose
der finanziellen Entlastung der GKV wird Schönrechnerei betrieben. So wird es
durch die Ausgliederung der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel aus
dem Leistungskatalog der GKV nicht nur zu einer kontraproduktiven Ver-
engung des Therapiespektrums, gerade auch im naturheilkundlichen Bereich
kommen. Aufgrund einer Substitution nicht verschreibungspflichtiger Arznei-
mittel, die im Regelfall teurer sind, wird der erwartete Einspareffekt in Höhe
von einer Mrd. Euro nicht ansatzweise zu realisieren sein und sich eventuell ins
Gegenteil verkehren. Die Entlastung der GKV für die Erbringung versiche-
rungsfremder Leistungen ist zudem nur zu einem Teil gesichert. Die zur Gegen-
finanzierung durch den Bundeshaushalt geplante Erhöhung der Tabaksteuer
deckt mittelfristig nicht einmal die Hälfte der notwendigen 4,5 Mrd. Euro ab.
Zusätzliche finanzielle Lasten für die GKV z. B. durch die Einführung der elek-
tronischen Krankenversichertenkarte sowie die Übernahme der Behandlungs-
kosten in Pflegeheimen sind nicht einkalkuliert worden. Die Annahmen über
die Entlastung der Beiträge aufgrund erhöhter Zuzahlungen stimmen nicht
mehr, weil – wenn auch aus guten und nachvollziehbaren Gründen – unter an-
derem bei der häuslichen Krankenpflege und den Heilmitteln nachgebessert
worden ist. Ob die angenommenen Struktureffekte zu Einsparungen führen
werden, ist alles andere als gesichert.
Insofern ist es nicht verwunderlich, dass noch vor Verabschiedung des GKV-
Modernisierungsgesetzes die Diskussion über eine Bürgerversicherung ent-
brannt ist, die jedoch ebenfalls nicht geeignet ist, die Probleme zu lösen, indem
sie auch die 10 Prozent der Bevölkerung noch in die GKV presst, die heute
schon über Altersrückstellungen Vorsorge für steigende Beiträge im Alter tref-
fen. Umverteilung gehört zudem nicht in die beitragsfinanzierten Sozialversi-
cherungssysteme, sondern in das am Leistungsfähigkeitsprinzip ausgerichtete
Steuer- und Transfersystem, wo die einzelnen Maßnahmen untereinander abge-
stimmt werden können. Zudem muss berücksichtigt werden, dass diejenigen,
die zusätzlich in die GKV gezwungen werden sollen, nicht nur Beiträge zahlen,
sondern auch Ansprüche hieraus entwickeln. Ein solcher Versuch, den Bürgern
jegliche Freiheiten für die Gestaltung ihres Versicherungsschutzes zu nehmen,
ist zudem verfassungsrechtlich nicht unproblematisch.
Im Hinblick auf die Qualität setzt man unverantwortlicherweise darauf, dass
staatliche Vorgaben die Grundweisheit außer Kraft setzen könnten, dass Leis-
tungsversprechen und Finanzierungsvolumen einander entsprechen müssen.
Die zu begrüßenden Maßnahmen des Gesetzentwurfs, die im Sinne einer grö-
ßeren Entscheidungsfreiheit und Mitbestimmungsmöglichkeit der Versicherten
und Patienten getroffen worden sind, wie z. B. die Möglichkeit für alle Versi-
cherten die Kostenerstattung zu wählen, die in Richtung Eigenverantwortung
und Anreize für gesundheitsbewusstes Verhalten zielen, wie z. B. die Boni und
die vom Grundsatz her prozentuale Ausgestaltung der Zuzahlungen reichen
nicht aus, die anstehenden Probleme zu bewältigen. Es bedarf vielmehr eines
gewaltigen Kraftaktes, um die Zukunftsfähigkeit unseres Gesundheitswesens

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wiederherzustellen. Wir brauchen eine Rückbesinnung darauf, was soziale
Sicherungssysteme leisten können und sollen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf,
eine Steuerreform auf den Weg zu bringen mit deutlich abgesenkten Steuersät-
zen von 15 Prozent, 25 Prozent und 35 Prozent, um finanzielle Spielräume für
die Bürger zu schaffen sowie eine Gesundheitsreform auf den Weg zu bringen,
die trotz der steigenden Zahl älterer Menschen und steigender Kosten durch
den medizinischen Fortschritt auch in den nächsten Jahren insbesondere in der
Zeit ab dem Jahre 2020 für alle Teile der Bevölkerung einen bezahlbaren Ver-
sicherungsschutz für die notwendige medizinische Versorgung im Krankheits-
fall sichert und damit dem Grundsatz der Nachhaltigkeit im Sinne von Genera-
tionengerechtigkeit beherzigt. Das setzt im Einzelnen folgende Schritte voraus:
1. dafür zu sorgen, dass der gesetzlichen Krankenversicherung durch gesetz-

geberische Maßnahmen zu Gunsten anderer sozialer Sicherungssysteme
oder des Bundeshaushaltes kein Geld mehr entzogen wird;

2. den Pflichtleistungskatalog der GKV auf einen Kernbereich zu konzentrie-
ren. Die zahnmedizinische Behandlung, private Unfälle und das Kranken-
geld müssen zukünftig privat abgesichert werden. Bei weiteren vom
Gesetzgeber vorzugebenden Leistungskomplexen, wie z. B. Kuren und
Fahrkosten, ist es den gesetzlichen Krankenkassen freizustellen, ob sie
diese anbieten oder ausgliedern wollen und eventuell in Kooperation mit
der PKV anbieten;

3. den Arbeitgeberanteil auf maximal 6,5 Prozent zu begrenzen und vorzuse-
hen, dass er steuerneutral als Lohnbestandteil ausgezahlt wird, damit die
Unternehmen die für die Schaffung neuer Arbeitsplätze so wichtige Pla-
nungssicherheit erhalten;

4. neue Leistungsansprüche im Pflichtversicherungsteil nur noch dann zuzu-
lassen, wenn im Zuge der Gegenfinanzierung andere Leistungsansprüche
zurückgefahren werden;

5. die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel auf den ermäßigten Satz abzusenken;
6. versicherungsfremde Leistungen nicht durch unspezifizierte Zuschüsse,

sondern im Rahmen eines Leistungsgesetzes aus dem Bundeshaushalt zu
finanzieren;

7. das Sozialgesetzbuch V im Hinblick auf den Abbau bürokratischer Überre-
gulierung auf den Prüfstand zu stellen und insbesondere durch einen Abbau
von Kontrollen und durch den Übergang zu einem transparenten Kosten-
erstattungssystem zu entschlacken;

8. die Strukturen so zu straffen, dass Gesundheitsleistungen möglichst effizi-
ent erbracht werden. Einheitliche und gemeinsame Verhandlungen der
Krankenkassen müssen der Vergangenheit angehören;

9. mehr Transparenz für Versicherte zu schaffen und das Sachleistungsprinzip
durch das Kostenerstattungsprinzip zu ersetzen und damit gleichzeitig auch
einen Wettbewerb zwischen den Leistungserbringern einzuleiten;

10. die Budgets umgehend abzuschaffen und durch einfache, leistungsgerechte
Vergütungssysteme mit festen Preisen zu ersetzen;

11. den Grundsatz der Nachhaltigkeit ernst zu nehmen und Vorsorge für die
Folgen der Überalterung der Bevölkerung zu treffen. Das heißt: eine umge-
hende Umschichtung zu kapitalgedeckten Finanzierungselementen vorzu-
nehmen durch die Herausnahme von Leistungskomplexen aus der Umlage-
finanzierung und die Herabsetzung der Versicherungspflichtgrenze;

Drucksache 15/1526 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

12. ein eindeutiges Votum gegen eine Einbeziehung aller Bürger in die GKV
abzugeben, weil das ein gefährlicher Irrweg ist, der die bestehenden Pro-
bleme nicht behebt, sondern sie verschärft. Ein schlechtes System wird
nicht dadurch besser, dass alle hineingezwungen werden;

13. die Verfeinerung des Risikostrukturausgleichs in Richtung Morbiditäts-
orientierung aufzugeben und stattdessen das Volumen des heutigen RSA
kontinuierlich zurückzufahren;

14. die Freiberuflichkeit als ein wesentliches Element unseres Gesundheitswe-
sens anzuerkennen und Versuche zu unterlassen, diese Form der kosten-
günstigen patientenfreundlichen Versorgung durch die Bevorzugung insti-
tutioneller Lösungen zu untergraben.

Berlin, den 8. September 2003
Dr. Dieter Thomae
Detlef Parr
Dr. Heinrich L. Kolb
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Ulrike Flach
Otto Fricke
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Dr. Christel Happach-Kasan
Christoph Hartmann (Homburg)
Klaus Haupt
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Gisela Piltz
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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