BT-Drucksache 15/1399

Steigende Belastungen der Unternehmen durch Sonderumlagen der Berufsgenossenschaften

Vom 1. Juli 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1399
15. Wahlperiode 01. 07. 2003

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrea Voßhoff, Hartmut Schauerte, Marie-Luise Dött,
Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, Veronika Bellmann, Renate Blank, Wolfgang
Börnsen (Bönstrup), Alexander Dobrindt, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof),
Erich G. Fritz, Dr. Michael Fuchs, Dr. Reinhard Göhner, Kurt-Dieter Grill,
Ernst Hinsken, Robert Hochbaum, Volker Kauder, Dr. Martina Krogmann,
Dr. Hermann Kues, Wolfgang Meckelburg, Friedrich Merz, Laurenz Meyer (Hamm),
Hildegard Müller, Dr. Joachim Pfeiffer, Hans-Peter Repnik, Dr. Heinz Riesenhuber,
Franz Romer, Anita Schäfer (Saalstadt), Johannes Singhammer, Max Straubinger,
Elke Wülfing und der Fraktion der CDU/CSU

Steigende Belastungen der Unternehmen durch Sonderumlagen der
Berufsgenossenschaften

Zunehmend und immer massiver schlägt die wirtschaftliche Entwicklung auch
auf die von den Unternehmen zu leistende Insolvenzgeldumlage durch. Die Be-
lastung der Unternehmen wächst seit Jahren. Grund für die massive Steigerung
der Beitragslasten ist die anhaltend schwierige wirtschaftliche Lage in Deutsch-
land und die damit verbundene dramatische Zunahme der Konkurse. Im Jahr
2002 erreichten die Insolvenzmeldungen deutscher Unternehmen abermals eine
traurige Rekordhöhe: nachdem die Zahl der Insolvenzverfahren von Unterneh-
men (inkl. Kleingewerbe) laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2001 schon bei
32 278 lag, stieg sie im Jahr 2002 sogar auf 37 579 an. Das ist ein Zuwachs um
16,42 %. Die Folge dieser Entwicklung war und ist eine stetige Zunahme der
Auslagen für das sog. Insolvenzgeld.
Als Leistung der Bundesanstalt für Arbeit (BA) wird das Insolvenzgeld von
den Arbeitsämtern im Falle der Insolvenz eines Arbeitgebers als Ausgleich für
offene Lohnansprüche an dessen Arbeitnehmer für maximal drei Monate aus-
gezahlt. Die Arbeitgeber finanzieren das Insolvenzgeld als Risikogemeinschaft
in voller Höhe durch eine Sonderumlage der Berufsgenossenschaften. Durch
die anhaltend schwache konjunkturelle Entwicklung und die weitere Zunahme
von Konkursen bei gleichzeitiger Abnahme der Zahl der Beitragszahler in den
Berufsgenossenschaften entstehen bei insgesamt stagnierender bis rückläufiger
Umsatz- und Gewinnentwicklung immer größer werdende Mehrbelastungen
für die verbleibenden Mitgliedsbetriebe. Viele Unternehmen gerade im Mittel-
stand stellen sich die Frage, wie tragbar dieses Umlagemodell heute noch ist.

Drucksache 15/1399 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie beurteilt die Bundesregierung die Entwicklung, dass die Gesamtforde-

rung für Insolvenzgeld der BA um mehr als 40 % gegenüber dem Vorjahr
zunahm, so dass sich nunmehr der Gesamtbetrag für das Insolvenzgeld im
Umlagejahr 2002 auf mehr als 1,9 Mrd. Euro beläuft, während der Betrag
im Jahr 2001 noch bei knapp 1,4 Mrd. Euro gelegen hat?

2. Wie hat sich das Insolvenzgeld, aber auch das Ausfallgeld, in den letzten
10 Jahren entwickelt, und wie hoch sind die jeweiligen jährlichen Gesamt-
beträge in den vorgenannten Zeiträumen?

3. Wie hoch lag das Insolvenzgeld bei seiner Einführung 1974 insgesamt und
wie war die durchschnittliche Belastung der Unternehmen?

4. Wie hoch sind die Verwaltungskosten, die bei der Arbeitsverwaltung und
den Berufsgenossenschaften beim Insolvenzgeld und beim Lastenaus-
gleichsverfahren insgesamt, in einzelnen Branchen sowie im einzelnen
Leistungsfall absolut und im Verhältnis zur Leistungs- bzw. Beitrags-
summe entstehen?

5. Bei welchen Berufsgenossenschaften ist derzeit die Abgabe für das Insol-
venzgeld höher als der eigentliche Berufsgenossenschaftsbeitrag und in
welcher Größenordnung?
Wie beurteilt die Bundesregierung diesen Sachverhalt?

6. Was beabsichtigt die Bundesregierung gegen die steigenden Insolvenzgeld-
umlagen und die damit verbundenen Mehrbelastungen für die noch am
Markt tätigen Unternehmen zu tun?

7. Zieht die Bundesregierung auch andere Finanzierungsmöglichkeiten für
die Insolvenzgeldansprüche der Arbeitnehmer in Erwägung?
Wenn ja, welche?

8. Ist die Einführung von Kapitaldeckungselementen in das Finanzierungs-
system der gesetzlichen Unfallversicherung für die Bundesregierung eine
mögliche Alternative zum gegenwärtigen Umlagesystem?

9. Hält es die Bundesregierung angesichts der steigenden Mehrbelastung für
die Unternehmen für gerechtfertigt, dass die Berufsgenossenschaften und
damit die Unternehmen neben dem an die Arbeitnehmer zu zahlenden
Insolvenzgeld auch die Verwaltungskosten und die sonstigen Kosten der
BA, die mit der Erbringung des Insolvenzgeldes zusammenhängen, zu
erstatten haben?

10. Wäre statt einer pauschalierten Abrechnung für die sonstigen Kosten der
BA eine Erstattung der tatsächlich anfallenden sonstigen Kosten für die
Berufsgenossenschaften gegenwärtig vorteilhafter?

11. Wenn ja, warum wird an der Pauschalierung der sonstigen Kosten bei der
Insolvenzumlagepflicht der Berufsgenossenschaften weiter festgehalten?

12. Hält die Bundesregierung die Funktion der Berufsgenossenschaften als
Inkassostelle der BA gegenwärtig noch für das richtige Modell für den
Einzug des Insolvenzgeldes?

13. Hält es die Bundesregierung für vertretbar, in konjunkturell schlechten Zei-
ten mit einer drastisch steigenden Anzahl an Insolvenzen noch zahlungs-
fähige Unternehmen für die Folgen von Insolvenzen anderer Unternehmen
mittels einer Zwangsabgabe alleine aufkommen zu lassen?

14. Wie gedenkt die Bundesregierung diese Unternehmen von den durch die
Insolvenzumlage steigenden Lohnnebenkosten zu entlasten?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1399

15. Welche Vorschläge und Forderungen sind der Bundesregierung bezüglich
alternativer Finanzierungsregelungen für das Insolvenzgeld bekannt und
wie bewertet sie diese?

16. Wie beurteilt die Bundesregierung den Fall der Verwaltungsberufsgenos-
senschaft (VBG), in dem eine kalkulatorische Unterdeckung der Betriebs-
mittel für das Insolvenzgeld zu einer Erhöhung des Insolvenzgeldes um
rund 97 % für das Jahr 2002 geführt hat, die letztlich über den tatsächlichen
anteiligen Ausgaben für das Insolvenzgeld lag?

17. Hält die Bundesregierung gerade angesichts des Beispiels der VBG eine
stärkere Einflussnahme, z. B. durch die Einführung von Aufsichts- und
Kontrollmechanismen, für sachgerecht?

18. Ergibt sich die Notwendigkeit einer stärkeren Einflussnahme nicht schon
aus der Feststellung der Bundesregierung, dass bei einzelnen Berufsgenos-
senschaften, z. B. durch Beitragsausfälle oder durch Fehleinschätzung der
konjunkturellen Entwicklung, in einzelnen Jahren ein über der Ausgaben-
quote für das Insolvenzgeld liegender Mehrbedarf entstehen kann?

19. Mit welchen Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung, Unternehmen
künftig vor kalkulatorischen Unterdeckungen (wie im Falle der VBG) zu
schützen?

20. Liegen der Bundesregierung Kenntnisse vor, wie in anderen Mitglied-
staaten der Europäischen Union oder in anderen OECD-Staaten (OECD:
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) der
gesetzliche Unfallschutz organisiert ist?
Hält die Bundesregierung in anderen Staaten praktizierte Formen oder Ele-
mente der Organisation des gesetzlichen Unfallschutzes für effektiver und
effizienter als das gegenwärtig in Deutschland praktizierte System?
Welche dieser Formen und Elemente könnten aus Sicht der Bundesregie-
rung sinnvollerweise Grundlage für eine Reform des deutschen Systems
des gesetzlichen Unfallschutzes sein?

21. Wie beurteilt die Bundesregierung insgesamt die Effizienz, Effektivität und
Zukunftsfähigkeit des deutschen Systems der Berufsgenossenschaften im
Hinblick auf die ihnen zugewiesenen Aufgaben?

22. Welche Überlegungen gibt es von Seiten der Bundesregierung, das System
der Berufsgenossenschaften zu reformieren und in welchem Zeitrahmen
sollen solche Reformen durchgeführt werden?

23. Ist die Prüfung der Bundesregierung über die Vorschläge des Bundesrates
zur Umstrukturierung der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. Gegen-
äußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates zum
Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Ände-
rung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch und des Sozialgerichtsgesetzes“
auf Bundestagsdrucksache 15/1070) inzwischen abgeschlossen?
Wenn ja, zu welchen Ergebnissen ist die Bundesregierung gelangt?
Mit welchen konkreten Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung die
Vorschläge des Bundesrates umzusetzen?

24. Inwiefern sind der Bundesregierung Aufgabenbereiche bekannt, in denen
sich die Tätigkeiten der Berufsgenossenschaften mit denen anderer Institu-
tionen, zum Beispiel der Gewerbeaufsichtsämter, überschneiden?

25. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, dass die Gewerbeaufsichts-
ämter und Berufsgenossenschaften teilweise dieselben Sachverhalte prüfen?
Wenn ja, wäre hier eine einheitliche Zuständigkeitsregelung denkbar?

Drucksache 15/1399 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

26. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die freie Wahl der Unfall-
versicherungsanbieter, bei einem einheitlichen Leistungskatalog, ein pro-
bates Mittel für mehr Effektivität sein kann?

27. Sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf bei der Überprüfung des Leis-
tungskatalogs der Berufsgenossenschaften?

28. Ist die Bundesregierung die Ansicht, dass es im Rentensystem der gesetz-
lichen Unfallversicherung eine Überversorgung durch Kumulation von
Entschädigungsleistungen aus der Unfallversicherung mit Arbeitseinkom-
men und Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung gibt?
Beabsichtigt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund oder aus ande-
ren Gründen konkrete Veränderungen im Leistungskatalog der gesetzlichen
Unfallversicherung?

29. Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung des Bayerischen Hand-
werkstages und der Bauwirtschaft, den Versicherungsschutz bei illegaler
Beschäftigung und Schwarzarbeit auszuschließen?

30. Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung des Präsidenten der Deut-
schen Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, eine Obergrenze bei der Insol-
venzgeldumlage einzuführen, die sich an der Beitragsbemessungsgrenze in
der Arbeitslosenversicherung orientiert (vgl. DIE WELT vom 20. Juni
2003)?

31. Wie beurteilt die Bundesregierung grundsätzlich die Forderung nach mehr
Wettbewerb und Privatisierung im Bereich der Unfallversicherung und
Unfallverhütung für Unternehmen?
Hält die Bundesregierung eine private Unfall- und Insolvenzpflichtversi-
cherung für eine sinnvolle Alternative zum bestehenden System, und wie
beurteilt die Bundesregierung Effektivität, Effizienz, Kostengünstigkeit
und Branchenanfälligkeit einer solchen rein privaten Form der Pflichtversi-
cherung im Vergleich zum bestehenden System?

32. Wie wird die Bundesregierung dem Problem der demographischen Ent-
wicklung in den Berufsgenossenschaften begegnen?
Wie beurteilt sie den möglichen Aufbau eines Kapitalstocks?

33. Wie beurteilt die Bundesregierung, dass die Berufsgenossenschaften in den
letzten Jahrzehnten immer mehr Zusatztätigkeiten (z. B. Bildungseinrich-
tungen, Unfallkliniken, Forschungseinrichtungen) über ihren eigentlichen
Zweck hinaus übernommen haben?

34. Wie viele und welche Bildungseinrichtungen, Unfallkliniken und For-
schungseinrichtungen werden von den Berufsgenossenschaften unterhal-
ten?

35. Inwieweit sollten die Berufsgenossenschaften nach Ansicht der Bundes-
regierung wieder auf ihre klassischen Aufgaben beschränkt werden?

36. Gehört nach Ansicht der Bundesregierung beispielsweise die Auslosung
eines Gewinnspiels auch zu den von den Mitgliedern zu finanzierenden
Aufgaben einer Berufsgenossenschaft (z. B. 14-tägige Urlaubsreise für den
Gewinner des Gewinnspiels der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik
und Elektronik BGFE oder Verlosung von Wellness-Reisen durch die BG
Fleischerei)?

37. Wie beurteilt die Bundesregierung das System der Selbstverwaltung der
Berufsgenossenschaften?

38. Beabsichtigt die Bundesregierung, eine regelmäßige Überprüfung der
Berufsgenossenschaften durch die Rechnungshöfe zu ermöglichen?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/1399

39. Ist der Bundesregierung bekannt, ob sich die Berufsgenossenschaften ver-
stärkt um eine Reform interner Verwaltungsabläufe bemühen, um so zu
Effizienzsteigerungen und Kosteneinsparungen zu gelangen?
Wenn ja, welche Bemühungen sind das?

40. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den jährlichen Zeit-
und Kostenaufwand der Betriebe, um den bürokratischen Anforderungen
der Berufsgenossenschaften (Meldungen, Unfallmeldungen, Kontrollen)
nachzukommen?

41. Wie beurteilt die Bundesregierung den bürokratischen Aufwand der Be-
triebe gegenüber den Berufsgenossenschaften?

42. Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage der gewerblichen Berufs-
genossenschaften, dass insgesamt etwa 10 Basisvorschriften ausreichend
seien, um den Betrieben Leitlinien für ihre Präventionsarbeit und -verant-
wortung zu geben?

43. Was beabsichtigt die Bundesregierung ihrerseits für mehr Abbau von Büro-
kratie im Bereich der Berufsgenossenschaften zu tun?

Berlin, den 1. Juli 2003
Andrea Voßhoff
Hartmut Schauerte
Marie-Luise Dött
Karl-Josef Laumann
Dagmar Wöhrl
Veronika Bellmann
Renate Blank
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
Alexander Dobrindt
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Dr. Reinhard Göhner
Kurt-Dieter Grill
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Volker Kauder
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Wolfgang Meckelburg
Friedrich Merz
Laurenz Meyer )Hamm)
Hildegard Müller
Dr. Joachim Pfeiffer
Hans-Peter Repnik
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Anita Schäfer (Saalstadt)
Johannes Singhammer
Max Straubinger
Elke Wülfing
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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