BT-Drucksache 15/1326

Grünbuch der EU-Kommission zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse - Kommunale Selbstverwaltung sichern und fortentwickeln

Vom 1. Juli 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1326
15. Wahlperiode 01. 07. 2003

Antrag
der Abgeordneten Peter Götz, Gerda Hasselfeldt, Dietrich Austermann,
Dr. Christoph Bergner, Verena Butalikakis, Hubert Deittert, Marie-Luise Dött,
Klaus-Peter Flosbach, Erich G. Fritz, Eberhard Gienger, Georg Girisch, Ralf Göbel,
Tanja Gönner, Kurt-Dieter Grill, Holger Haibach, Uda Carmen Freia Heller, Klaus
Hofbauer, Martin Hohmann, Bernhard Kaster, Volker Kauder, Julia Klöckner,
Hartmut Koschyk, Werner Kuhn (Zingst), Barbara Lanzinger, Werner Lensing,
Ursula Lietz, Eduard Lintner, Stephan Mayer (Altötting), Dr. Michael Meister,
Maria Michalk, Marlene Mortler, Christa Reichard (Dresden), Klaus Riegert,
Kurt J. Rossmanith, Georg Schirmbeck, Dr. Ole Schröder, Christian Freiherr
von Stetten, Willi Zylajew und der Fraktion der CDU/CSU

Grünbuch der EU-Kommission zu Dienstleistungen von allgemeinem
Interesse – Kommunale Selbstverwaltung sichern und fortentwickeln

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Das deutsche Gesellschafts- und Staatsmodell beinhaltet eine starke kommu-
nale Selbstverwaltung, die im Grundgesetz garantiert wird. Den Gemeinden
wird das Recht gewährleistet, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft
im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Diese Festlegung
basiert auf einer für Deutschland spezifischen Tradition. Sie ist Bestandteil der
nationalen Identität.
Zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft gehören in Deutschland
traditionell Leistungen der Daseinsvorsorge, die mit einer speziellen Gemein-
wohlverpflichtung verknüpft sind. Damit die Gemeinwohlverpflichtungen bei
der Grundversorgung der Bevölkerung erfüllt werden können, werden den
Kommunen besondere Rechte bei der Entscheidung über die Organisation be-
stimmter Leistungen eingeräumt.
In der sozialen Marktwirtschaft soll grundsätzlich das Marktgeschehen nach
dem Prinzip des Vorrangs der privatwirtschaftlichen Aufgabenerledigung über
Art und Umfang der zur Verfügung stehenden Güter und Dienstleistungen ent-
scheiden. Der faire Leistungswettbewerb stellt größtmögliche Qualität und an-
gemessene Preise sicher. Nur sofern bestimmte Güter und Dienstleistungen, die
für die Versorgung der Bevölkerung als wichtig und unverzichtbar angesehen
werden, von privaten Unternehmen nicht in ausreichendem Umfang, mit der
notwendigen Versorgungssicherheit und Zugänglichkeit zur Verfügung gestellt
werden, darf die Kommune durch ein eigenes Unternehmen tätig werden.
Der EG-Vertrag soll gewährleisten, dass die Aufgaben der Daseinsvorsorge im
Einklang mit dem Wettbewerbsprinzip und einem liberalen europäischen Bin-
nenmarkt erbracht werden. Er hebt ebenfalls den Stellenwert dieser Aufgaben
(„Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“) heraus und soll ge-

Drucksache 15/1326 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
währleisten, dass die Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren dieser
Dienste so gestaltet sind, dass sie ihren Aufgaben nachkommen können.
In dem Spannungsverhältnis zwischen diesen Zielen kann für kommunale und
private Anbieter von Leistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse
Rechtsunsicherheit entstehen.
Mit dem „Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ leitet die
Europäische Kommission eine europaweite Debatte ein, nach deren Abschluss
am 15. September 2003 sie über weitere europarechtliche Regelung entschei-
den will. Dieser Prozess eröffnet Chancen zur Schaffung von mehr Rechts-
sicherheit für Kommunen und private Unternehmen und zur Sicherung und
Fortentwicklung der kommunalen Selbstverwaltung, die in vollem Umfang
wahrgenommen werden müssen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
sich an der Debatte über das „Grünbuch zu Leistungen von allgemeinem Inte-
resse“ aktiv zu beteiligen und sich dabei für die Sicherung und Fortentwicklung
der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland gegenüber der Europäischen
Kommission und in anderen befassten europäischen Institutionen einzusetzen;
die kommunalen Spitzenverbände und die Spitzenverbände der Wirtschaft ge-
mäß § 74 Abs. 5 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien in
den Willensbildungsprozess der Bundesregierung und den Abstimmungspro-
zess mit den Ländern frühzeitig und intensiv einzubeziehen;
sich dafür einzusetzen, dass die Kommunen in Deutschland über die Grundver-
sorgung für ihre Bürger weiterhin selbst entscheiden dürfen;
sich insbesondere dafür einzusetzen, dass die Kommunen mit ihren demokrati-
schen Willensbildungsstrukturen über die Form der Sicherstellung von Leistun-
gen, die mit speziellen Gemeinwohlverpflichtungen verbunden sind oder die
von Privatunternehmen nicht erbracht werden können, auch in Zukunft selbst
entscheiden dürfen und dass dabei das kommunale Wahlrecht zwischen Aus-
schreibung, Direktvergabe und kommunaler Eigenproduktion gewährleistet
wird;
sich dafür einzusetzen, dass auch künftig die Sicherung der Aufgaben der Da-
seinsvorsorge im Einklang mit dem Wettbewerbsprinzip steht und keine neuen
Bereichsausnahmen von den Wettbewerbsregeln der EU-Vertrages entstehen.

Berlin, den 1. Juli 2003
Peter Götz
Gerda Hasselfeldt
Dietrich Austermann
Dr. Christoph Bergner
Verena Butalikakis
Hubert Deittert
Marie-Luise Dött
Klaus-Peter Flosbach
Erich G. Fritz
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Ralf Göbel
Tanja Gönner

Kurt-Dieter Grill
Holger Haibach
Uda Carmen Freia Heller
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Julia Klöckner
Hartmut Koschyk
Werner Kuhn (Zingst)
Barbara Lanzinger
Werner Lensing
Ursula Lietz

Eduard Lintner
Stephan Mayer (Altötting)
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Marlene Mortler
Christa Reichard (Dresden)
Klaus Riegert
Kurt J. Rossmanith
Georg Schirmbeck
Dr. Ole Schröder
Christian Freiherr von Stetten
Willi Zylajew
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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