BT-Drucksache 15/1325

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung -15/405- Ernährungs- und agrarpolitischer Bericht 2003 der Bundesregierung

Vom 1. Juli 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1325
15. Wahlperiode 01. 07. 2003

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Peter H. Carstensen (Nordstrand), Albert Deß, Gerda
Hasselfeldt, Peter Bleser, Klaus Brähmig, Gitta Connemann, Helmut Heiderich,
Ursula Heinen, Uda Carmen Freia Heller, Dr. Peter Jahr, Julia Klöckner, Marlene
Mortler, Bernhard Schulte-Drüggelte, Kurt Segner, Jochen Borchert, Cajus Caesar,
Hubert Deittert, Thomas Dörflinger, Susanne Jaffke, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr,
Dr. Klaus Rose, Anita Schäfer (Saalstadt), Norbert Schindler, Georg Schirmbeck,
Max Straubinger, Volkmar Uwe Vogel und der Fraktion der CDU/CSU

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
– Drucksache 15/405 –

Ernährungs- und agrarpolitischer Bericht 2003 der Bundesregierung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
– Die Bundesregierung hat die im Rahmen der Diskussion zur sog. Agrar-

wende geweckten Erwartungen auch im Wirtschaftsjahr 2001/2002 bei
weitem nicht erfüllt. Die strukturelle und wirtschaftliche Situation der Land-
wirtschaft hat sich seitdem gravierend verschlechtert.

– Die Einkommen der deutschen Landwirte befinden sich auf dramatischer
Talfahrt. Im Wirtschaftsjahr 2001/2002 ist der durchschnittliche Gewinn
je Unternehmen in den Haupterwerbsbetrieben gegenüber dem Vorjahr um
6,6 Prozent auf 33 593 Euro gesunken. Während Ackerbaubetriebe
(21,7 Prozent der Betriebe) ihren Gewinn um 9,6 Prozent steigern konnten,
verringerte sich der Gewinn der Milch-, Futterbau-, Veredlungs- und Ge-
mischtbetriebe um 9,1 Prozent. Damit sind 67 Prozent der Betriebe von
erheblichen Einkommenseinbußen betroffen. Das Unternehmensergebnis
der Nebenerwerbsbetriebe lag im Wirtschaftsjahr 2001/02 bei durchschnitt-
lich 5 750 Euro und damit etwa 8,8 Prozent unter dem Stand des Vorjahres.

– Nach den bisher vorliegenden Daten zeichnet sich für das laufende Wirt-
schaftsjahr 2002/2003 im Durchschnitt der Haupterwerbsbetriebe eine noch-
malige Verschlechterung der Ertragslage um weitere 15 bis 20 Prozent ab.
Die anhaltend mangelnde Investitionstätigkeit und die zunehmende Zahl der
Betriebsaufgaben muss als Besorgnis erregendes Warnsignal angesehen
werden. Zusammen mit den zu erwartenden Einkommenseinbußen durch die
EU-Agrarreform ist eine ernsthafte Gefährdung der Landwirtschaft mit ne-
gativen Folgen für eine flächendeckende, ökologisch sinnvolle Landbewirt-
schaftung sowie die soziale und wirtschaftliche Stabilität im ländlichen

Drucksache 15/1325 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Raum zu befürchten. Eine intakte bäuerliche Landwirtschaft ist auch Grund-
lage für die Ferienangebote „Urlaub auf dem Bauernhof“ sowie für die
Pflege attraktiver Erholungslandschaften, die wichtige Elemente in der
Angebotsvielfalt des Tourismusstandortes Deutschland darstellen.

– Der gewerbliche Vergleichslohn und damit die Zielstellung des Landwirt-
schaftsgesetzes wurden von 77 Prozent der Haupterwerbsbetriebe – gegen-
über 72 Prozent im Vorjahr – nicht erreicht. Die Schere zwischen landwirt-
schaftlichem Einkommen und gewerblichem Vergleichslohn öffnet sich
weiter. Die grundsätzlichen Einkommensprobleme verschärfen sich zuneh-
mend. Das im Landwirtschaftsgesetz festgeschriebene Ziel der Teilnahme
der Landwirtschaft an der allgemeinen Einkommensentwicklung ist deutlich
verfehlt worden.

– Der Strukturwandel in der Landwirtschaft hat sich weiter beschleunigt.
Während die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in den beiden Vorjahren
um 2,9 bzw. 2,5 Prozent abnahm, gaben im Jahr 2002 bereits 4,2 Prozent der
Landwirte ihren Betrieb auf.

– Das Gewinnniveau ist in den von der Natur benachteiligten Gebieten deut-
lich niedriger und die Gewinne sind stärker zurückgegangen als in anderen
Gebieten. Der Einkommensrückgang in den benachteiligten Gebieten war
mit mehr als 10 Prozent überdurchschnittlich hoch. Der Gewinnunterschied
zu nicht benachteiligten Gebieten wuchs auf knapp 10 000 Euro pro Unter-
nehmen an.

– Im Wirtschaftsjahr 2001/2002 haben die spezialisierten Milchbetriebe und
die sonstigen Futterbaubetriebe unbefriedigende Gewinne erzielt, obwohl
die Milchpreise im Wirtschaftsjahr 2001/2002 noch günstig waren. Die Fut-
terbaubetriebe haben für die Aufrechterhaltung einer flächendeckenden
Landbewirtschaftung und der Pflege der Kulturlandschaft jedoch eine her-
ausragende Bedeutung. Diese Leistung wird nicht genügend honoriert. Die
derzeitig sinkenden Milchpreise werden zu weiteren Gewinneinbrüchen bei
den Milchviehbetrieben führen. Es ist deshalb zu befürchten, dass insbeson-
dere in den von der Natur benachteiligten Gebieten viele Betriebe aufgeben
werden.

– Der dem bundeseinheitlichen Bio-Siegel zugrunde liegende EG-Öko-Stan-
dard führt dazu, dass Bioprodukte mit geringeren Anforderungen im Hin-
blick auf die Erzeugung auf den Markt kommen und so die Wettbewerbs-
fähigkeit der deutschen Biobauern beeinträchtigen sowie zu erheblichen
Einkommenseinbußen führen.

– Die bereinigte Eigenkapitalbildung ist im Wirtschaftsjahr 2001/2002 um
rund 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Die ausgewiesene
Eigenkapitalbildung reicht nicht für die notwendige Finanzierung von
Erweiterungsinvestitionen aus Eigenmitteln aus. Da gleichzeitig die Ver-
bindlichkeiten der Betriebe bei rückläufigem Bilanzvermögen zugenommen
haben, hat sich die Finanzierung der Betriebe verschlechtert.

– Die Nettoinvestitionen sind nach dem Rückgang im Vorjahr im Wirtschafts-
jahr 2001/2002 auf nahezu gleich niedrigem Niveau geblieben. Dies ist ein
eindeutiger Hinweis auf die pessimistische Stimmung und negative Ein-
schätzung der Landwirte hinsichtlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten und
Zukunftsperspektiven. Als eine Ursache ist die Verunsicherung der Land-
wirte durch die zunehmenden Wettbewerbsnachteile der deutschen Land-
wirtschaft durch nationale Alleingänge und die auf die Wendediskussion der
Bundesregierung zurückgehende mangelnde Planungssicherheit und Trans-
parenz hinsichtlich ihrer Zukunftsperspektiven zu sehen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1325

– Die immer niedrigeren Agrarpreise führen zu einer erheblichen Verbrau-
cherentlastung. Die deutschen Verbraucher geben derzeit 12 Prozent ihres
ausgabefähigen Einkommens für Nahrungsmittel aus, wovon wiederum nur
27 Prozent in die Landwirtschaft fließen. Gleichzeitig liegen die landwirt-
schaftlichen Einkommen erheblich unter dem gewerblichen Vergleichslohn.

– Die Bundesregierung hat durch ihre Haushalts-, Finanz- und Agrarsozial-
politik, die weit überzogenen Umsetzungen der EU-Richtlinien, ihre Un-
flexibilität bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln und praxisfremde
Auflagen bei deren Ausbringung, die Naturschutzgesetzgebung, die Auf-
blähung der Bürokratie und die einseitige Ausrichtung der Agrarpolitik auf
den ökologischen Landbau die deutsche Landwirtschaft im europäischen
Wettbewerb erheblich benachteiligt.

– Die unterschiedliche Energiebesteuerung innerhalb der EU führt insbeson-
dere für deutsche Betriebe zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen. Das im
Jahr 2001 beschlossene Besteuerungsgesetz für Agrardiesel legt mit rund
25,6 Cent einen extrem hohen Steuersatz fest. So liegt der entsprechende
Streuersatz in Dänemark bei 0,0, in Großbritannien bei 5,2 Cent und in
Frankreich bei 8,1 Cent.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– die Agrarpolitik ideologiefrei zu gestalten und für die deutsche Landwirt-

schaft Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sie sich auch unter den
Bedingungen der EU-Erweiterung und des zunehmenden globalen Liberali-
sierungsdruckes gut entwickeln und die berechtigten Anliegen der Gesell-
schaft an die Umweltleistungen der Landwirtschaft sowie die Gesundheits-,
Verbraucher- und Tierschutzstandards erfüllen kann. Dazu gehören vor
allem,
– generell bei der Ausgestaltung der Agrarpolitik Gesichtspunkte der Wett-

bewerbsverbesserung der landwirtschaftlichen Betriebe wieder zu berück-
sichtigen, damit die Einkommen in der Landwirtschaft sich im Vergleich
zu anderen Wirtschaftsbereichen nicht noch weiter negativ entwickeln;

– eine Absenkung der Steuerlast auch für bäuerliche Betriebe; Umsetzung
von EU-Richtlinien nicht über den 1:1-Maßstab hinaus, deshalb Rück-
führung der Regelungen für die Umweltverträglichkeitsprüfung; Abbau
der Bürokratie; zukunftsorientierte Weiterentwicklung des agrarsozialen
Sicherungssystems; Unabhängigkeit der Fördermaßnahmen von der Be-
wirtschaftungsform;

– grundsätzliche Überprüfung aller Maßnahmen bezüglich ihrer Auswir-
kungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe;

– den ökologischen Landbau entsprechend den Realitäten des Marktes weiter-
zuentwickeln. Überzogenes, am Markt vorbeigehendes Anheizen der Pro-
duktion beschädigt insbesondere die bestehenden Öko-Betriebe;

– mit der Novellierung des Baugesetzbuchs Stallbauten und damit die
Investitionsbereitschaft der Landwirte nicht zu behindern;

– die nationale Modulation unverzüglich auszusetzen;
– für die Honorierung der Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft Sorge zu

tragen;
– den Agrarhaushalt nicht einseitig zu kürzen, und die Wettbewerbsfähig-

keit der landwirtschaftlichen Betriebe weiter zu verschlechtern;
– notwendige Maßnahmen zur Verwaltungsvereinfachung in der Landwirt-

schaft und den Agrarverwaltungen einzuleiten;

Drucksache 15/1325 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
– wirksam gegen den Missbrauch von Nahrungsmitteln zur Kundenwer-
bung durch Tiefstpreise vorzugehen;

– auf EU-Ebene die Zulassung von Marker-Impfstoffen gegen Maul- und
Klauenseuche und Schweinepest sowie den Wegfall der Handelsrestrik-
tionen, die bisher für den Fall des Impfens gelten, zu erreichen;

– den Verbraucherschutz im Nahrungsmittelbereich auf EU-Ebene konse-
quent auszubauen und Defizite unverzüglich zu beseitigen;

– bei den laufenden WTO-Verhandlungen das europäische Landwirt-
schaftsmodell zu sichern;

– die Einfuhr von Lebensmitteln aus Drittstaaten, die keine glaubhaften
Seuchen-, Antibiotika- und Hormonfreiheitszertifikate nachweisen kön-
nen, zu verbieten.

Berlin, den 1. Juli 2003
Peter H. Carstensen (Nordstrand)
Albert Deß
Gerda Hasselfeldt
Peter Bleser
Klaus Brähmig
Gitta Connemann
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Dr. Peter Jahr
Julia Klöckner
Marlene Mortler
Bernhard Schulte-Drüggelte,
Kurt Segner
Jochen Borchert
Cajus Caesar
Hubert Deittert
Thomas Dörflinger
Susanne Jaffke
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Anita Schäfer (Saalstadt)
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Max Straubinger
Volkmar Uwe Vogel
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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