BT-Drucksache 15/1299

Wirkungen der deutschen und internationalen Entschuldungsmaßnahmen für Entwicklungsländer

Vom 24. Juni 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1299
15. Wahlperiode 24. 06. 2003

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen), Dr. Christian Ruck, Dr. Ralf
Brauksiepe, Hartwig Fischer (Göttingen), Siegfried Helias, Rudolf Kraus, Conny
Mayer (Baiersbronn), Sibylle Pfeiffer, Christa Reichard (Dresden), Rainer
Eppelmann, Albrecht Feibel, Norbert Geis, Dr. Egon Jüttner, Bernhard Kaster,
Jürgen Klimke, Arnold Vaatz und der Fraktion der CDU/CSU

Wirkung der deutschen und internationalen Entschuldungsmaßnahmen
für Entwicklungsländer

Die hohe Verschuldung ist für viele Entwicklungsländer ein großes Hindernis,
die wirtschaftliche und soziale Lage zu verbessern und eine entwicklungsorien-
tierte Politik zu verfolgen. Die Bundesrepublik Deutschland hat daher seit vie-
len Jahren in ihrer Entwicklungszusammenarbeit Entschuldungsmaßnahmen
eine große Bedeutung eingeräumt. Auf internationaler Ebene haben der Welt-
wirtschaftsgipfel in Köln im Juni 1999 und die Herbsttagung des Internatio-
nalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank im September 1999 wichtige
Entscheidungen zur Entschuldung der hochverschuldeten armen Länder, der so
genannten Heavily Indebted Poor Countries (HIPC) getroffen (HIPC-II-Initia-
tive). Im Zusammenhang mit dieser Initiative hat Deutschland eine Reihe
weiterer bilateraler Entschuldungsmaßnahmen durchgeführt.
Voraussetzung für Entschuldungsmaßnahmen im Rahmen der HIPC-II-Initia-
tive ist die Vorlage eines mit IWF und Weltbank abgestimmten Strategiepapier
zur Armutsbekämpfung, Poverty Reduction Strategy Paper (PRSP), für das je-
weilige Land. Mit Schlüsselprinzipien wie einer weitestgehenden Teilnahme
von Zivilgesellschaft und Privatsektor auf allen Stufen des Entschuldungspro-
zesses konnten erste Fortschritte erzielt werden. Gerade bei der Verknüpfung
von geforderten marktwirtschaftlichen Mechanismen und den Instrumenten zur
Armutsbekämpfung sind noch deutliche Mängel feststellbar, die im Sinne einer
nachhaltigen Entschuldungsstrategie schnellstmöglich beseitigt werden müs-
sen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Staaten sind bis heute in den Genuss von Entschuldungsmaßnahmen

unter dem Dach der HIPC-Entschuldungsinitiative gekommen?
2. Wie hoch ist bislang die Summe des Schuldenerlasses im Rahmen der

HIPC-Entschuldungsinitiative?
3. Für welche HIPC steht die Entscheidung über die definitive Entschuldung

(completion point) noch aus?

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4. Welche HIPC sind bislang nicht in die Entschuldungsinitiative aufgenom-
men worden, weil sie aus politischen Gründen, z. B. wegen Verstoßes ge-
gen die für die HIPC-Initiative geltenden Kriterien der „guten Regierungs-
führung“ („good governance“), die Bedingungen für eine Teilnahme an
den Entschuldungsmaßnahmen nicht erfüllen?

5. Wie hat sich die Schuldendienstbelastung der Länder entwickelt, die von
der HIPC-Initiative profitierten?

6. Wie hoch ist die Summe der Mittel, die durch die HIPC-Schuldenerlasse
für andere Zwecke freigeworden ist (bitte auf jährlicher Basis für die Jahre
2000 bis 2003 darstellen)?

7. Für welche HIPC hat die Bundesrepublik Deutschland bilateral eine Ent-
schuldung durchgeführt und in welcher Höhe wurden dabei Schulden erlas-
sen (bitte getrennt für Forderungen aus der Entwicklungszusammenarbeit
sowie aus Handelsbürgschaften ausweisen)?

8. In welcher Höhe sind Schuldenerlasse Deutschlands für ärmste Länder (aus
der heutigen HIPC-Gruppe) in den Zeiträumen a) 1991 bis 1994, b) 1995
bis 1998, c) 1999 bis 2002 erfolgt (Höhe der jeweils im genannten Zeit-
raum erlassenen Schulden aus Forderungen der Entwicklungszusammen-
arbeit sowie aus Handelsforderungen, bitte gesamt sowie getrennt auswei-
sen)?

9. Gegenüber welchen HIPC bestehen noch in welcher Höhe Forderungen der
Bundesrepublik Deutschland (bitte getrennt für Forderungen aus der Ent-
wicklungszusammenarbeit sowie aus Handelsbürgschaften ausweisen)?

10. Gegenüber welchen nicht durch Frage 7 erfassten Staaten hat die Bundes-
republik Deutschland Entschuldungsmaßnahmen seit 1999 durchgeführt
und in welcher Höhe wurden dabei Schulden erlassen (bitte getrennt für
Forderungen aus der Entwicklungszusammenarbeit sowie aus Handels-
bürgschaften ausweisen)?

11. Mit welchen Staaten hat die Bundesrepublik Deutschland seit 1999 Schul-
denumwandlungsmaßnahmen durchgeführt?
In welcher Höhe wurden dabei jeweils den Staaten Schulden erlassen und
welche Summe wurde dafür in jeweiliger nationaler Währung als Um-
wandlungssumme eingestellt?

12. Welche Konditionen bzw. Zweckbestimmungen wurden mit jeweils wel-
chem Land seitens der Bundesrepublik Deutschland zur Verwendung der
freiwerdenden Mittel aus dem bilateralen Schuldenerlass vereinbart?

13. Gibt es Länder, mit denen im Rahmen des bilateralen Schuldenerlasses
durch die Bundesrepublik Deutschland keine Vereinbarungen getroffen
wurden, für welche Zweckbestimmung die durch den Schuldenerlass frei
werdenden Mittel einzusetzen sind?

14. Mit welchen Ländern hat die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen von
Schuldenumwandlungen die Einrichtung eines so genannten Gegenwert-
fonds vereinbart?
Für welche Zweckbestimmungen können Mittel aus diesen Gegenwert-
fonds eingesetzt werden?
Wie beurteilt die Bundesregierung solche Gegenwertfonds?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1299

15. Welchen prozentualen Anteil an den jeweiligen deutschen ODA-Mitteln
(ODA: Official Development Aid) hatten die Entschuldungsmaßnahmen in
den Jahren 1999, 2000, 2001 und 2002?
Welcher Prozentsatz wird voraussichtlich im Jahr 2003 angesetzt?
Welche deutschen Schuldenerlassmaßnahmen werden auf die ODA ange-
rechnet und auf welcher Grundlage erfolgt diese Anrechnung?

16. In welchem Umfang hat die Bundesrepublik Deutschland bislang finan-
zielle Mittel in den Treuhandfonds bei der Weltbank zur Umsetzung der
HIPC-Entschuldungsinitiative eingebracht?

17. Aus welchen Haushaltstiteln wurden diese Einlagen finanziert?
18. Welche Länder, die im Rahmen der HIPC-Initiative entschuldet wurden,

haben heute wieder ein Verschuldungsniveau erreicht, bei dem die für die
HIPC-Initiative maßgeblichen Kriterien für die Schuldendiensttragfähig-
keit erneut überschritten werden?

19. Hält die Bundesregierung die der HIPC-II-Initiative zugrunde liegenden
Kriterien für die Schuldentragfähigkeit eines Landes für angemessen?
Sieht die Bundesregierung eventuell Korrekturbedarf, und wenn ja, wel-
chen?

20. Wie bewertet die Bundesregierung Aussagen vonseiten von Nichtregie-
rungsorganisationen, die HIPC-Initiative reiche nicht aus, die Verschul-
dungsproblematik der ärmsten Länder zu lösen?
Hält sie ggf. weitergehende Beschlüsse für notwendig?

21. Wie haben sich die multilateralen und bilateralen Schuldenerlasse auf die
Staatshaushalte der HIPC ausgewirkt?
Wie wurden die durch den Schuldenerlass freigewordenen Mittel in den
jeweiligen Staatshaushalten ausgewiesen?
Gibt es Staaten, die die frei gewordenen Mittel in eigenen Fonds ausgewie-
sen bzw. eingebucht haben?

22. Wie haben sich nach Erreichen des completion point in den einzelnen
HIPC die Ausgaben des Staates für die Bereiche Armutsbekämpfung,
Bildung, Gesundheit und Umwelt/Ressourcenschutz entwickelt, sowohl in
absoluten Zahlen als auch in Anteilen am gesamten Staatshaushalt?

23. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die armutsmindern-
den Wirkungen der PRSP vor?

24. Wie haben sich nach Erreichen des completion point in den einzelnen
HIPC die Ausgaben für Militär und Verteidigung entwickelt, sowohl in ab-
soluten Zahlen als auch in Anteilen am gesamten Staatshaushalt?

25. Welche Sanktionsmöglichkeiten gibt es, wenn nach dem Schuldenerlass
ein HIPC die in seinem PRSP festgelegte Politik verlässt oder erheblich ge-
gen die Grundprinzipien der „good governance“ verstößt?

26. Welche Überwachungs- und Kontrollmechanismen haben die HIPC ge-
schaffen, um in ihren Ländern Transparenz hinsichtlich der Verwendung
der aus den Schuldenerlassen frei gewordenen Mittel zu schaffen?
Welche Beteiligungsmöglichkeiten für die Vertreter der Zivilgesellschaft
gibt es dabei?

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27. In welchen HIPC ist im Zusammenhang mit der fortschreitenden HIPC II-
Entschuldungsinitiative die Finanzausstattung und die Kompetenz der
kommunalen Ebenen verstärkt worden?
Welche Auswirkungen und Erfolge haben diese Maßnahmen zur Dezentra-
lisierung?

28. Für welche HIPC, die noch nicht den completion point erreicht haben, sind
schon PRSP erarbeitet worden?
Für welche HIPC fehlen diese noch?

29. Welche Entwicklungsländer, die nicht zu den HIPC zählen, haben mittler-
weile für ihr Land ein PRSP erarbeitet?

30. In welcher Form sind PRSP Grundlage für bilaterale Entschuldungsmaß-
nahmen seitens der Bundesrepublik Deutschland?
Inwieweit wird in bilateralen Entschuldungsverträgen auf die PRSP Bezug
genommen?

31. In welcher Weise sind die PRSP Bestandteile der Länderkonzepte des Bun-
desministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(BMZ)?
Wie hat die Bundesregierung sichergestellt, dass die PRSP eine Leitfunk-
tion in der Entwicklungszusammenarbeit wahrnehmen?

32. Hat die Bundesrepublik Deutschland ihre Entwicklungszusammenarbeit
mit HIPC-Ländern nach Vorlage der PRSP geändert?

33. Welche neuen Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit wendet die
Bundesregierung an, um die HIPC-Länder in ihrer Verantwortung (owner-
ship) für die von PRSP veranlasste Politik der Armutsminderung zu stär-
ken?

34. Wie beurteilt die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Vorlage der
PRSP durch einzelne Länder geforderte Budgethilfen?

35. Sind in allen Ländern, die ein PRSP erarbeitet haben bzw. derzeit erarbei-
ten, die Vertreter der Zivilgesellschaft beteiligt worden?
Wie bewertet die Bundesregierung diese Beteiligung der Zivilgesellschaft?
Für welche Länder kann die Bundesregierung eine besonders gelungene
Beteiligung der Zivilgesellschaft konstatieren?
In welchen Ländern war der Beteiligungsprozess eher unterentwickelt?

36. Welche Hinweise zur Stimulierung eines armenorientierten Wachstums
(pro-poor-growth) kann die Bundesregierung im Rahmen des Politikdia-
logs den HIPC-Ländern geben?

37. In welchen Ländern ist bei der Erarbeitung und Beschlussfassung des
PRSP das jeweilige Parlament beteiligt worden?
In welchen Ländern war ein Parlamentsbeschluss für die Geltung des PRSP
notwendig?

38. Welche Mindestanforderungen für die Beteiligung der Zivilgesellschaft
und der Parlamente gelten, um ein gültiges und von IWF und Weltbank ak-
zeptiertes PRSP aufzustellen?

39. Wird sich die Bundesregierung in den Gremien von IWF und Weltbank da-
für einsetzen, dass ein Katalog von Mindestanforderungen für die Aufstel-
lung eines gültigen PRSP festgelegt wird?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/1299

40. Teilt die Bundesregierung die Kritik an der fehlenden Wachstumsorientie-
rung von PRSP?

41. Welche Notwendigkeiten sieht die Bundesregierung, die Geldvergabepoli-
tik von Weltbank und IWF entsprechend den PRSP-Prozessen zu ändern?

42. Welche Maßnahmen sind bisher vonseiten der Bundesregierung und ande-
rer Geber zur Geberkoordinierung bei der Umsetzung von PRSP ergriffen
worden?

43. Wie beurteilt die Bundesregierung die seit 1999 geltende Verknüpfung
zwischen Entschuldungsmaßnahmen für HIPC und der Erarbeitung eines
PRSP?
Gibt es aus der Sicht der Bundesregierung Alternativen zu diesem Verfah-
ren?

44. In welcher Höhe und in welchem Umfang plant die Bundesregierung, im
Jahr 2003 und in den Jahren 2004, 2005 und 2006 Entschuldungsmaßnah-
men für HIPC und andere Entwicklungsländer durchzuführen?
Welche Staaten werden voraussichtlich daraus profitieren?

45. Befürwortet die Bundesregierung ein Schuldenmoratorium für die ärmsten
Länder?

46. Welche weiteren Schritte zur Durchsetzung eines internationalen Insol-
venzrechts für souveräne Staaten prüft die Bundesregierung gegenwärtig?

Berlin, den 24. Juni 2003
Peter Weiß (Emmendingen)
Dr. Christian Ruck
Dr. Ralf Brauksiepe
Hartwig Fischer (Göttingen)
Siegfried Helias
Rudolf Kraus
Conny Mayer (Baiersbronn)
Sibylle Pfeiffer
Christa Reichard (Dresden)
Rainer Eppelmann
Albrecht Feibel
Norbert Geis
Dr. Egon Jüttner
Bernhard Kaster
Jürgen Klimke
Arnold Vaatz
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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