BT-Drucksache 15/1297

Künftige Ausrichtung des energierechtlichen Ordnungsrahmens in Deutschland

Vom 24. Juni 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1297
15. Wahlperiode 24. 06. 2003

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Hartmut Schauerte, Dagmar Wöhrl, Karl-Josef Laumann,
Dr. Joachim Pfeiffer, Dr. Rolf Bietmann, Kurt-Dieter Grill, Veronika Bellmann,
Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Alexander Dobrindt, Dr. Hans-Peter Friedrich
(Hof), Dr. Michael Fuchs, Dr. Reinhard Göhner, Ernst Hinsken, Robert
Hochbaum, Volker Kauder, Dr. Martina Krogmann, Dr. Hermann Kues, Wolfgang
Meckelburg, Friedrich Merz, Laurenz Meyer (Hamm), Hans-Peter Repnik,
Dr. Heinz Riesenhuber, Franz Romer, Johannes Singhammer, Max Straubinger
und der Fraktion der CDU/CSU

Künftige Ausrichtung des energierechtlichen Ordnungsrahmens in Deutschland

Anfang Juni 2003 hat das Europäische Parlament die EU-Beschleunigungs-
richtlinien für Strom und Gas (Richtlinien des Europäischen Parlaments und
des Rates über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und
zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG sowie über gemeinsame Vorschriften
für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG) ver-
abschiedet. Danach können alle Unternehmen vom 1. Juli 2004 ihre Strom- und
Gaslieferanten frei wählen. Von Juli 2007 an gilt dieses Recht auch für die
privaten Haushalte in den dann 25 Mitgliedstaaten.
Kern des EU-Beschlusses sind gesetzliche Garantien für einen freien Zugang
der Energieversorger zu den bestehenden Strom- und Gasnetzen. Die Mitglied-
staaten werden verpflichtet, den Zugang Dritter zu den Übertragungs- und Ver-
teilernetzen auf Grundlage veröffentlichter Tarife oder Tarifberechnungsmetho-
den zu gewährleisten. Die Grundlagen für den Zugang zum Netz einschließlich
der Grundlagen für die Genehmigung der Tarifberechnungsmethoden müssen
durch eine nationale Regulierungsbehörde geregelt werden. Die nationalen
Regulierungsbehörden müssen außerdem von Amts wegen Änderungen der
Zugangsbedingungen bestimmter Netzbetreiber verlangen können, wenn dies
zur Durchsetzung eines diskriminierungsfreien Netzzugangs und angemessener
Bedingungen erforderlich ist. Schließlich hat die nationale Regierungsbehörde
auf Beschwerde einer Partei innerhalb einer Frist von 2 Monaten als Streitbeile-
gungsstelle über konkrete Zugangsbegehren zu entscheiden.
Zur Umsetzung der Richtlinien muss Deutschland bis zum 1. Juli 2004 eine
nationale „Regulierungsbehörde“ für Strom und Gas einrichten. Fraglich ist,
inwieweit der deutsche Regulierungsansatz, die so genannten Verbändeverein-
barungen, noch genügen, um die EU-Vorgaben zu erfüllen.
Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Netzzu-
gangsregelung und deren staatlicher Kontrolle unter Beachtung der EU-recht-
lichen Vorgaben angekündigt. In einer Vereinbarung zwischen den Koalitions-
fraktionen vom März 2003 wurde festgelegt, dass eine Regulierungsbehörde
eingerichtet werden soll. Dennoch haben die Mitglieder der Bundesregierung

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öffentlich immer wieder erklärt, an den so genannten Verbändevereinbarungen
festhalten zu wollen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Änderungen des Deutschen Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG)

werden durch die EU-Beschleunigungsrichtlinien für Strom und Gas erfor-
derlich?

2. Wann wird die Bundesregierung hierzu die entsprechenden Gesetzentwürfe
vorlegen?

3. Welches sind nach Auffassung der Bundesregierung die Schwächen der
Verbändevereinbarungen?

4. Geht die Bundesregierung davon aus, dass die Verbändevereinbarung
Strom und Gas weiter entwickelt werden?
Wenn ja, wie werden sie zukünftig bei der Regulierung des Netzzugangs
berücksichtigt?

5. Welche Vor- und Nachteile sieht die Bundesregierung bei der „kostenorien-
tierten Preisbildung“ und bei der „Vergleichsmarkt-Preisbildung“?

6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass es Artikel 23 Abs. 2 der
Änderungs-Richtlinie zur EG-Binnenmarkt-Richtlinie für StromundGas er-
forderlich macht, dass EnWG zu ändern und/oder eine Rechtsverordnung zu
erlassen, die die maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen und Bewertungs-
maßstäbe bereitstellt, oder kann die Festlegung derMethode zur Berechnung
der Netznutzungsentgelt Gegenstand einer behördlichen „Genehmigung“
sein?

7. Wie lauten nach gegenwärtigem Stand der Entwurf eines Gesetzes-Textes
zu einer Regulierungsinstanz und die dazugehörige vollständige Begrün-
dung (insbesondere mit Problem und Ziel, Lösung und Alternativen) bzw.
wie lauten, falls ein Entwurf noch nicht vorliegt, die derzeitigen Überle-
gungen dazu?
Welcher Sachverhalt liegt dem Gesetzestext-Entwurf zugrunde und auf
welchen Erkenntnisquellen beruht er?

8. Mit welchen Gesetzesfolgen auf Strom- bzw. Gas-Preisniveau, auf
Netzentgelt-Niveau und auf den Netzzugang rechnet die Bundesregierung?
Wie werden sich nach Einschätzung des Bundesministeriums für Wirt-
schaft und Arbeit (BMWA) mit einer Regulierungsinstanz die Strompreise
für Privathaushalte und Industriekunden entwickeln?

9. Plant das BMWA die Regulierungsinstanz als eigenständige Behörde oder
soll sie an eine bestehende Behörde angegliedert werden?
Wenn ja, an welche und aus welchem Grund?

10. Wie soll eine Regulierungsbehörde – nach jetzigem Stand und nach Auf-
fassung des BMWA – aufgebaut werden?
Welches sind ihre Kompetenzen, welches ihre Sanktionsgewalten?
Wie ist ihre Unabhängigkeit von Politik und Energiewirtschaft sicherge-
stellt?

11. Sollte die Regulierungsbehörde eine allzuständige Bundesbehörde sein
oder eine Bundesbehörde, die durch Kompetenzen der Landesbehörden
flankiert werden könnte?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1297

12. Über welche Ex-ante-Kompetenzen soll nach Auffassung des BMWA ein
Regulierer verfügen, insbesondere bei der Frage der zu regulierenden
Netzentgelte?
Tendiert das BMWA zu einer Festlegung der absoluten Höhe von Netznut-
zungsentgelten oder eher zu einem Kriterien-Katalog zur Festlegung der
Netzentgelte?
Welche Standards sollen bei den Themen Wechselmanagement und Daten-
transfer zugrunde gelegt werden?
Orientiert sich das BMWA beispielsweise an den Best-Practice-Vereinba-
rungen, die in der Task Force zwischen allen Marktteilnehmern festgelegt
wurden?

13. Auf welche Weise will die Bundesregierung sicherstellen, dass die durch
das Energiewirtschaftsrecht vorgegebene Gewährleistung von Versor-
gungssicherheit und Umweltverträglichkeit bei den Methoden zur Berech-
nung von Netznutzungsentgelten berücksichtigt werden?

14. Auf welche Weise will die Bundesregierung sicherstellen, dass ausrei-
chende Investitionen in die Netzstruktur und den Netzausbau sichergestellt
werden?

15. Auf welche Weise will die Bundesregierung staatlich veranlasste Kosten-
komponenten wie z. B. Steuern, EEG- oder KWK-G-Aufwendungen
(EEG: Erneuerbare-Energien-Gesetz, KWK-G: Kraft-Wärme-Kopplungs-
gesetz) bei der Festlegung der Tarife berücksichtigen?

16. Welche Regulierungen der Strom- und Gasmärkte der anderen Mitglied-
staaten der EU hält die Bundesregierung für besonderes erfolgreich?
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, Regulierungsansätze anderer
Mitgliedstaaten auf Deutschland zu übertragen (insbesondere den öster-
reichischen Regulierungsansatz)?

17. Mit wie vielen Mitarbeitern sollte nach den Plänen des BMWA eine Regu-
lierungsbehörde beim Start ausgestattet sein?
Wie viele Mitarbeiter werden auf Dauer für ein effektives Funktionieren
unverzichtbar sein?
Welche Haushaltsmittel wurden für die Regulierungsbehörde im Entwurf
für den Bundeshaushalt 2004 eingeplant?
Mit wie viel Planstellen, mit welchem Budget wird langfristig gerechnet?

18. Welche anderen Bundesministerien hat das BMWA in den Vorarbeiten oder
in der Ausarbeitung des bisherigen Entwurfs mit einbezogen?
Gibt es dazu abweichende Meinungen und Vorstellungen aus anderen Bun-
desministerien als dem federführenden BMWA?

19. Zu welchem Zeitpunkt hat die Bundesregierung die kommunalen Spitzen-
verbände an der Ausarbeitung des bisherigen Entwurfs einbezogen und auf
welche Weise wird das Fachwissen der Kommunen und werden ihre Inte-
ressen bei der Erarbeitung berücksichtigt?

20. Welche Interessen möchten die Kommunen und ihre Verbände bei der
energierechtlichen Neuordnung berücksichtigt sehen und wie bewertet die
Bundesregierung diese Anliegen?

21. Welche Auswirkungen können sich durch die neue Ausrichtung des ener-
gierechtlichen Rahmens für Energieversorgungsunternehmen in unmittel-
barer oder mittelbarer kommunaler Trägerschaft ergeben?

Drucksache 15/1297 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

22. Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um den Übergang
zu einer neuen Rechtslage für diese Unternehmen und damit für die Bürger
in ihren jeweiligen Trägergemeinden ohne Schaden zu gestalten?

23. Gibt es andere internationale Modelle für eine Regulierungsbehörde, die
das BMWA sich als Vorbild für eine deutsche Regulierungsbehörde vor-
stellen kann?
Wenn ja, aus welchen Gründen?

24. Hat die Bundesregierung Gutachten vergeben, die die Übertragbarkeit an-
derer Regulierungssysteme aus Deutschland untersuchen?
Wenn ja, welche und mit welchem Ergebnis?

25. Wie ist die Auffassung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (BMU) zur Ausgestaltung einer Regulierungsbe-
hörde?
Ist es richtig, dass das BMU eine Price-Cap-Regelung der Netzentgelte
favorisiert?
Wie ist die Auffassung des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Er-
nährung und Landwirtschaft (BMVEL) zur Ausgestaltung einer Regulie-
rungsbehörde?

26. Hat das BMWA alle betroffenen Marktteilnehmer inklusive der Verbrau-
cherverbände zu einem notwendigen Zuschnitt und Aufgabenbereich einer
Regulierungsbehörde angehört bzw. konsultiert und welche Erkenntnisse
hat das BMWA daraus gewonnen?

27. Zu welchem Zeitpunkt soll aus der Sicht des BMWA eine Regulierungs-
behörde in Deutschland seine Arbeit aufnehmen können?
Betrachtet das BMWA den zugehörigen Gesetzentwurf als eilbedürftig
oder sogar als besonders eilbedürftig?

28. Erachtet das BMWA den zugehörigen Gesetzentwurf für zustimmungs-
pflichtig?

29. Wie ist die Auffassung des Bundeskartellamtes, der Regulierungsbehörde
für Telekommunikation und Post (Reg TP), der Landeskartellämter sowie
der Europäischen Kommission zu einer Regulierungsbehörde?

30. Gibt es in den Vorbereitungstreffen zum Monitoring-Bericht viele Be-
schwerden gegen die Praxis des Verhandelten Netzzugangs?
Welches sind die häufigsten und typische Beschwerden?

31. Gibt es hinsichtlich möglicher Pläne zum Erlass einer Netzzugangsverord-
nung schon Vorarbeiten im BMWA und wie lauten sie?
Wird das BMWA hier ggf. zwischen dem Netzzugang für Strom und Gas
unterscheiden?

32. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung zur Umsetzung der Un-
bundlingvorschriften?

33. Wird die Bundesregierung die Vorschriften für das gesellschaftsrechtliche
Unbundling auf Unternehmen mit mindestens 100 000 Netzkunden be-
schränken?

34. Wenn der bereits diskutierte Weg einer Selbstverpflichtung der Industrie
(Code of Conduct) verfolgt wird: Wie will die Bundesregierung sicherstel-
len, dass diese Selbstverpflichtung auch flächendeckende Anwendung fin-
det?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/1297

35. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass für die Beurteilung, ob das
alternative System vergleichbare Ergebnisse zeigt, wie ein gesellschafts-
rechtliches Unbundling, der Bericht der Kommission im Januar 2006 maß-
geblich ist?
Gibt es Vorgaben der Bundesregierung an die Verbände, bis zu welchem
Zeitpunkt ein alternatives Konzept, für dessen Beurteilung Erfahrungs-
werte vorliegen müssen, entwickelt werden muss?
Wenn ja, welche Verbände sind in die Gespräche involviert?

36. Wie beurteilt die Bundesregierung die aktuelle Umsetzung der Unbund-
lingvorschriften, die keine kostenrechnerische Trennung der Aktivitäten
Verteilungsnetz und Vertrieb vorsehen?

37. Trifft es zu, dass der Staatsekretär im BMWA, Georg-Wilhelm Adamo-
witsch, die Verbände aufgefordert hat, die Verbändevereinbarung VV II
plus weiterzuentwickeln, um die Ergebnisse u. U. zur Grundlage einer
Regulierung zu machen?
Welche Rolle soll eine weiterentwickelte VV II plus /III (Strom) im Rah-
men eines möglichen Gesetzgebungsverfahrens für eine Regulierer spie-
len?

38. Trifft es zu, das im Zuge der Novellierung des EnWG die Bundesregierung
die beteiligten Verbände der VV II Gas aufgefordert hat, diese zu ergän-
zen?
Welchen Einfluss hat das vorläufige Scheitern der Verbändegespräche auf
die zu schaffende Regulierungsbehörde für Gas?
In wieweit ist hier eine Netzzugangsverordnung in Vorbereitung?

39. Kann aus Sicht des BMWA nach dem voraussichtlichen Scheitern der
VV II Gas-Ergänzungsgespräche noch eine einheitliche Regulierungsbe-
hörde Strom/Gas mit denselben Regulierungsansätzen eingerichtet werden
oder verfolgt das BMWA doch einen unterschiedlichen Regulierungsansatz
für Gas und Strom?

40. Besteht ein Zusammenhang zwischen der Novellierung des EEG und der
Einrichtung bzw. Ausgestaltung einer Regulierungsinstanz für den deut-
schen Energiemarkt?

41. Soll die Regulierungsbehörde auch in diesem Bereich Kompetenzen und
Aufgaben erhalten?
Mit welchen anderen energiewirtschaftlichen Themen (EEG, KWK-G,
Statistik, Regelenergiemarkt, Verbraucherschutz, Kennzeichnung, u. a.)
soll die Regulierungsbehörde beauftragt werden?

Berlin, den 23. Juni 2003
Hartmut Schauerte
Dagmar Wöhrl
Karl-Josef Laumann
Dr. Joachim Pfeiffer
Dr. Rolf Bietmann
Kurt-Dieter Grill
Veronika Bellmann
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
Alexander Dobrindt

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Dr. Michael Fuchs
Dr. Reinhard Göhner
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Volker Kauder
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Wolfgang Meckelburg

Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)
Hans-Peter Repnik
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Singhammer
Max Straubinger

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