BT-Drucksache 15/1290

Bilanz nach einem Jahr "Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto"

Vom 24. Juni 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1290
15. Wahlperiode 24. 06. 2003

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andreas Storm, Annette Widmann-Mauz, Hildegard Müller,
Dr. Wolf Bauer, Monika Brüning, Verena Butalikakis, Dr. Hans Georg Faust,
Michael Hennrich, Hubert Hüppe, Barbara Lanzinger, Maria Michalk,
Matthias Sehling, Jens Spahn, Matthäus Strebl, Gerald Weiß (Groß-Gerau),
Wolfgang Zöller und der Fraktion der CDU/CSU

Bilanz nach einem Jahr „Gesetz zur Zahlbarmachung
von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto“

Im Sommer letzten Jahres ist fraktionsübergreifend das Gesetz zur Zahlbar-
machung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung
des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (ZRBG) vom 20. Juni 2002 (BGBl. I
S. 2074) vom Deutschen Bundestag beschlossen worden. Mit dem Gesetz soll-
ten u. a. zwei Entscheidungen des Bundessozialgerichts umgesetzt werden,
nach denen eine während des Zweiten Weltkrieges im Ghetto aufgenommene
Tätigkeit, z. B. im Ghetto Lodz, die Voraussetzung einer Beschäftigung erfüllen
kann und daher als Beitragszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung anzu-
erkennen ist. Darüber hinaus sollte abweichend von den Auslandszahlungs-
vorschriften die Zahlung der auf Ghetto-Beitragszeiten beruhenden Rentenan-
sprüche auch ohne Bundesgebiets-Beitragszeiten in das Ausland ermöglicht
werden. Die maßgebenden Bestimmungen sind rückwirkend zum 1. Juli 1997
in Kraft getreten.
Im Zusammenhang mit der Anwendung des Gesetzes sind von betroffenen Ver-
folgten Einwände erhoben worden. Offenbar gibt es eine Diskrepanz zwischen
dem Anliegen des Gesetzes und seiner Anwendung in der Praxis. Deshalb be-
steht vor allem angesichts des Alters und des schweren Schicksals der Betroffe-
nen Klärungsbedarf.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Anträge auf Leistungen nach dem ZRBG wurden bisher gestellt?

Wie viele Anträge wurden bewilligt, wie viele abgelehnt?
Wie viele Widerspruchsverfahren bzw. Verfahren vor den Sozialgerichten
sind eingeleitet worden?

2. Von wie vielen Berechtigten ist die Bundesregierung bei Verabschiedung des
ZRBG ausgegangen?
Wie hoch waren die prognostizierten Mehrausgaben für die gesetzliche Ren-
tenversicherung?
Wie hoch sind die tatsächlichen Ausgaben der gesetzlichen Rentenversiche-
rung durch die nach dem ZRBG bewilligten Renten?

Drucksache 15/1290 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

3. Wurden die möglichen Anspruchsberechtigten, die sich vorwiegend im Aus-
land aufhalten, ausreichend auf das Gesetz hingewiesen?
Auf welche Weise hat die Bundesregierung die Betroffenen informiert, auf
welche Weise hat die gesetzliche Rentenversicherung die Betroffenen infor-
miert?

4. Trifft es zu, dass sich das ZRBG auf Bestandsrenten in aller Regel nicht aus-
wirkt, weil die Zeiten des Ghettoaufenthaltes in der Rente bereits als sog. Er-
satzzeit berücksichtigt worden sind und deren Bewertung in der ganz über-
wiegenden Mehrzahl der Fälle zu einer höheren Rente führt als bei einer
Berücksichtigung der Ghetto-Beitragszeit nach dem ZRBG?
Ist dies aus Sicht der Bundesregierung in der Begründung zum Gesetzent-
wurf ausreichend deutlich geworden?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung die Haltung der israelischen Sozialversi-
cherung, wonach es eine große Anzahl von Bestandsrentnern gibt, die, wenn
das ZRBG auf sie anwendbar wäre, eine höhere Rente erhalten würden
(z. B. Frauen, die nur eine Kleinstrente aus Kindererziehungszeiten erhalten,
oder Versicherte mit sog. Minirenten aus freiwilligen Beiträgen)?
Wird dem Charakter des ZRBG nach Einschätzung der Bundesregierung im
Rahmen der Wiedergutmachungsgesetze, wie auch aus § 1 Abs. 2 ZRBG
deutlich wird, ausreichend Genüge getan?
Sieht die Bundesregierung in diesem Zusammenhang gesetzlichen Hand-
lungsbedarf (z. B. durch eine Ausnahmeregelung zu § 306 SGB VI)?

6. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der israelischen Sozialversiche-
rung, es sei erforderlich, die Antragsfrist in § 3 Abs. 1 ZRBG um ein Jahr
auf den 30. Juni 2004 zu verlängern?
Wenn nein, welche Gründe sprechen gegen eine solche einjährige Verlänge-
rung der Antragsfrist?
Wenn nach Ansicht der Bundesregierung die Antragsfrist nicht verlängert
werden sollte, besteht dann die Möglichkeit, eine Lösung in dem Sinn zu
finden, dass der materielle Rechtsgedanke des § 44 SGB X auf die nach dem
Ablauf der Frist eingehenden Anträge angewendet werden kann?

7. Wäre es aus Sicht der Bundesregierung angesichts der Anfang Juli 2003
stattfindenden Besprechung der Verbindungsstellen und der zuständigen
Träger zum deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen nicht sinn-
voll, alle wesentlichen Fragen zwischen den Beteiligten vor Ablauf der An-
tragsfrist zu klären?
Wie schätzt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die Besorgnis der
israelischen Sozialversicherung ein, dass allein zur Fristwahrung eine Viel-
zahl unbegründeter Anträge gestellt werden und bei späteren ablehnenden
Entscheidungen der Rentenversicherungsträger die Enttäuschung der Be-
troffenen angesichts des Regelungsinhalts des Gesetzes möglicherweise zu
für die deutsche Seite unerwünschten Reaktionen führen wird?

8. Ist der Bundesregierung bewusst, dass bis zum späten Frühjahr 2003 aus
technischen Gründen keine Rentenbescheide mit ZRBG-Zeiten ergangen
sind, weil bei den Rentenversicherungsträgern erst ein entsprechendes Com-
puterprogramm geschaffen werden musste?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einwände der israelischen Sozialver-
sicherung gegen die aus deren Sicht restriktive Auslegung der Begriffe „aus
freiem Willensentschluss“ bzw. „Entgelt“ in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG?
Ist sichergestellt, dass die Rentenversicherungsträger das ZRBG einheitlich
anwenden?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1290

Wenn ja, wie beurteilt die Bundesregierung die Einwände von Seiten Be-
troffener, wonach insbesondere die beteiligten Landesversicherungsanstal-
ten als Träger der Arbeiterrentenversicherung die Vorschriften des ZRBG
unterschiedlich auslegen?

10. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung eine Tendenz der Rentenver-
sicherungsträger entgegen einem Urteil des Bundessozialgerichts zur Kin-
derarbeit, Anträge wegen des seinerzeit jugendlichen Alters der Betroffe-
nen allgemein und insbesondere im Ghetto Lodz mit der Begründung
abzulehnen, dass sie zu jung zum Arbeiten waren bzw. nicht bezahlt wur-
den, und wenn ja, wie beurteilt die Bundesregierung diese?
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass mit einer solchen Haltung
ihr Verständnis zur Wiedergutmachung in Frage gestellt wird, weil nach
historischen Erkenntnissen Kinder in Ghettos massenhaft als Beschäftigte
eingestellt waren?
Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Unterlagen zum Ghetto Lodz im
polnischen Staatsarchiv nicht vollständig erhalten sind und dass womög-
lich anstelle der Kinder die Erziehungsberechtigten Entgelt für deren Be-
schäftigung erhielten?

Berlin, den 18. Juni 2003
Andreas Storm
Annette Widmann-Mauz
Hildegard Müller
Dr. Wolf Bauer
Monika Brüning
Verena Butalikakis
Dr. Hans Georg Faust
Michael Hennrich
Hubert Hüppe
Barbara Lanzinger
Maria Michalk
Matthias Sehling
Jens Spahn
Matthäus Strebl
Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Wolfgang Zöller
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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