BT-Drucksache 15/1216

Verantwortung für die Sicherung der Welternährung übernehmen - Chancen der grünen Gentechnik nutzen

Vom 24. Juni 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1216
15. Wahlperiode 24. 06. 2003

Antrag
der Abgeordneten Peter H. Carstensen (Nordstrand), Dr. Christian Ruck, Christa
Reichard (Dresden), Helmut Heiderich, Sibylle Pfeiffer, Albert Deß, Bernhard
Schulte-Drüggelte, Peter Bleser, Gitta Connemann, Ursula Heinen, Uda Carmen
Freia Heller, Dr. Peter Jahr, Volker Kauder, Julia Klöckner, Marlene Mortler,
Kurt Segner, Jochen Borchert, Cajus Caesar, Hubert Deittert, Thomas Dörflinger,
Dr. Maria Flachsbarth, Gerda Hasselfeldt, Susanne Jaffke, Heinrich-Wilhelm
Ronsöhr, Dr. Klaus Rose, Norbert Schindler, Georg Schirmbeck, Max Straubinger,
Volkmar Uwe Vogel, Dr. Ralf Brauksiepe, Hartwig Fischer (Göttingen), Siegfried
Helias, Rudolf Kraus, Conny Mayer (Baiersbronn), Peter Weiß (Emmendingen),
Rainer Eppelmann, Norbert Geis, Dr. Egon Jüttner, Jürgen Klimke und der Fraktion
der CDU/CSU

Verantwortung für die Sicherung der Welternährung übernehmen –
Chancen der grünen Gentechnik nutzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
ImNovember 1996 nahmen 186 Staaten und 450 Nichtregierungsorganisationen
amWelternährungsgipfel in Rom teil. In der Abschlusserklärung bekannten sich
die teilnehmenden Staaten dazu, ihr Engagement im Kampf gegen Hunger und
Unterernährung zu stärken. Als Ziel des verabschiedetenAktionsplanswurde die
Halbierung der absoluten Zahl der von Unterernährung betroffenen Menschen
bis zum Jahr 2015 gesetzt. Im Juni 2002 fand die Folgeveranstaltung des Welt-
ernährungsgipfels (World Food Summit +5) statt, bei der eine Zwischenbilanz
des Aktionsplans vorgestellt wurde. Wichtigste Erkenntnis der Zwischenbilanz
war, dass die bisher erreichten Verbesserungen der Welternährungssituation
nicht ausreichen werden, um das gesteckte Ziel des Welternährungsgipfels zu
erreichen und als Konsequenz daraus größere Anstrengungen von allen Beteilig-
ten vonnöten sind. Nach aktuellen Schätzungen der FAO (Food and Agricultural
Organization of the United Nations) leiden 826 Millionen Menschen weltweit
unter Hunger, weitere 1,5 Milliarden Menschen sind vom sog. versteckten Hun-
ger (Mangelernährung mit Mikronährstoffen) betroffen.
Bei der Analyse der Welternährungssituation darf nicht ignoriert werden, dass
sich die Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln in den letzten Jahr-
zehnten enorm verbessert hat. Bei der Orientierung an absoluten Zielgrößen
werden die Konsequenzen, die sich aus dem Bevölkerungswachstum für die Er-
nährungssituation ergeben, schnell vernachlässigt. Obwohl sich die Welt-
bevölkerung seit 1960 verdoppelt hat, ist die absolute Anzahl der hungernden
Menschen zurückgegangen. Berechnungen der FAO [vgl. The State of Food
Insecurity in the World (2002) und Agriculture Towards 2015/30 Technical
Interim Report (2000)] zeigen, dass der Anteil der unterernährten Menschen an

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der Gesamtbevölkerung der Entwicklungsländer seit 1970 stetig kleiner und da-
bei die Kalorienaufnahme pro Kopf kontinuierlich größer geworden ist.
Der Grund für diese positive Entwicklung ist die enorme Steigerung der land-
wirtschaftlichen Produktivität in den letzten vierzig Jahren. Durch den Einsatz
von Nutzpflanzen mit höheren Ertragsergebnissen, Bewässerungssystemen,
Dünge- und Pflanzenschutzmitteln in Verbindungmit einer besseren Ausbildung
der Landwirte konnten die Hektarerträge der wichtigsten Getreidesorten (Reis,
Mais und Weizen) erheblich gesteigert und dabei die durch das Bevölkerungs-
wachstum gesteigerte Nachfrage nach Nahrungsmitteln ausgeglichen werden.
Der Druck auf die landwirtschaftliche Produktion wird auch in Zukunft beste-
hen bleiben. Nach den Prognosen der FAO wird die Nachfrage nach Lebens-
mitteln bis zum Jahr 2030 um 60 % größer sein als heute. Neben dem weiteren
Anstieg der Weltbevölkerung ist eine gesteigerte Nachfrage nach Fleisch für
diese Entwicklung verantwortlich. Die Verfügbarkeit von Ackerfläche ist bei
der Ausweitung der landwirtschaftlichen Produktion der limitierende Faktor.
Die Experten der FAO gehen deshalb davon aus, dass die Mehrproduktion von
Nahrungsmitteln zu 80 % aus höheren Flächenerträgen resultieren muss.
Deutschland, mit einer hochentwickelten Landwirtschaft, hat in diesem Zusam-
menhang eine besondere internationale Bedeutung und Aufgabe. Neben der Ver-
antwortung, bestehendes Wissen und Technologien im Rahmen wirtschaftlicher
Zusammenarbeit zu transferieren, besteht auch die primäre Verpflichtung ge-
genüber den Entwicklungsländern, Wissen und Technologien zu generieren.
Hierzu brauchen wir eine Agrarpolitik, die allen neuen Technologien in der
Landwirtschaft offen gegenüber steht, die Forschung und Entwicklung ohne
ideologische Vorbehalte unterstützt und Rahmenbedingungen schafft, bei denen
die Ergebnisse der Agrarforschung schnell in die Praxis umgesetzt werden
können.
Dabei wird die grüne Gentechnik in Zukunft ein Schwerpunkt der Agrarfor-
schung und -entwicklung sein und einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung
der Welternährung leisten. Nach der Einschätzung der FAO und von unabhän-
gigen internationalen Forschungsanstalten der Consultative Group of Interna-
tional Agricultural Research (CGIAR) ist ein potentieller Fortschritt in der
Agrarproduktion durch die Anwendung der grünen Gentechnik u. a. in folgen-
den Bereichen zu erzielen:
l Sicherung des vorhandenen Ertragspotentials: Durch gentechnische Metho-

den können Pflanzen mit Resistenzmechanismen gegen biotische Stressfak-
toren (Krankheiten und Schädlinge) ausgestattet werden. Es wird geschätzt,
dass in Entwicklungsländern rund 50 % der möglichen Erträge durch Krank-
heiten und Schädlinge verloren gehen. Die Verbesserung der Resistenz von
Kulturpflanzen gegen tierische Schädlinge, Virus- und Pilzerkrankungen,
wie sie u. a. durch den Einsatz gentechnischer Methoden möglich wird,
könnten den Verlust von Ernten also entscheidend reduzieren. Überdies
könnte Gentechnik helfen, Pflanzen gegen die problematischen Einflüsse
von Dürre oder Salz tolerant zu machen, so dass sie auch auf schlechten
Böden besser wachsen könnten. Von besonderem Interesse könnten auch
Bemühungen sein, die vorhandenen natürlichen Ressourcen – Phosphat,
Eisen, Stickstoff – besser auszunutzen, die bis zum ehrgeizigen Ziel gehen,
den Luftstickstoff nutzbar zu machen.

l Steigerung des Ertragspotentials: Durch biotechnologische Zuchtmethoden
ist es möglich, die Erträge von Pflanzen selbst unter widrigen Anbaubedin-
gungen zu erhöhen. Eine Rekombination der pflanzlichen Gene kann zu
Ernte- bzw. Ertragssteigerungen von bis zu 60 % führen.

l Positiver Einfluss auf die Umwelt: Einen positiven Nebeneffekt haben die
weiter oben genannten Züchtungsziele auch auf die Umwelt. Die Zucht von

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krankheits- und schädlingsresistenten sowie nährstoffeffizienteren Pflanzen
kann zu einem deutlich reduzierten Einsatz von chemischen Pflanzenschutz-
mitteln und mineralischen Düngemitteln führen. So ist beispielsweise der
Einsatz von Insektiziden in den Regionen Indiens oder Südafrikas, in denen
gentechnisch behandelte, insektenresistente Baumwolle angebaut wurde, um
bis zu 80 % gesunken. Ein besonders positiver Effekt ist die Tatsache, dass
durch den Einsatz gentechnisch modifizierter Pflanzen die Flächenproduk-
tivität der Landwirtschaft enorm gesteigert werden kann. So wird die Nach-
frage nach neuem Ackerland verringert, Waldrodungen verhindert und die
dort lebende Artenvielfalt geschützt. Die grüne Gentechnik bietet somit
große Chancen für den Naturschutz, denn ertragreiche Sorten helfen Regen-
wälder und Savannen zu retten. Der Anbau transgener Pflanzen und der
damit verbundene natürliche Pollenflug hat sich bisher nicht nachteilig auf
die biologische Vielfalt in den jeweiligen Ökosystemen ausgewirkt.

l Verbesserung der Nahrungsmittelqualität: Die Qualität der Nahrungsmittel
kann durch die gentechnische Veränderung und/oder die Ergänzung von
Inhaltsstoffen gesteigert werden. Dieses so genannte Functional Food zeich-
net sich durch veränderte Inhaltsstoffe aus, die einen spezifischen gesund-
heitlichen Nutzen bzw. Vorteil bringen. Die funktionellen Nahrungsmittel
gehen über den normalen Nährstoffinhalt eines Lebensmittels hinaus. Sie
weisen einen zusätzlichen Nutzen zur Gesundheitsprävention, zur Verbesse-
rung des Gesundheitszustandes oder zur Förderung des Wohlbefindens aus.

l Weitere Potentiale der grünen Gentechnik: Gearbeitet wird auch an der
pflanzlichen Produktion von Impfstoffen und anderen arzneilich wirksamen
Bestandteilen, die durch Nahrungs- und Futtermittel aufgenommen werden
können. Dies wäre vor allem für die Entwicklungsländer ein erheblicher
Vorteil, da die Kühlung und sterile Handhabung konventioneller medizini-
scher Stoffe entfallen würden und über optimierte Tierernährung bessere
Qualitäten tierischer Produkte erzielt werden könnten. Darüber hinaus kön-
nen gentechnologisch behandelte Nahrungsmittel länger gelagert werden,
was Nachernteverluste zu reduzieren hilft.

Angesichts der Potentiale der grünen Gentechnik für die Welternährung ist eine
Politik, die Forschung, Entwicklung und Anwendung der grünen Gentechnik
hemmt, verantwortungslos.
Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Bundesregierung auf,
l die Erforschung der Potentiale der grünen Gentechnik für die groß- und

kleinbäuerliche Agrarentwicklung und Steigerung der Nahrungsmittel-
produktion in Entwicklungsländern durch deutsche und internationale For-
schungseinrichtungen zu forcieren und verstärkt zu unterstützen. Dabei
sollte u. a. innerhalb der wirtschaftlichen Zusammenarbeit public-privaten
Partnership-Initiativen eine größere Bedeutung zukommen und die For-
schungs- und Entwicklungsarbeit, die von privaten Pflanzenzuchtunter-
nehmen bei für Entwicklungsländer ernährungsrelevanten Pflanzenarten ge-
leistet wird, anerkannt und unterstützt werden;

l im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit Demonstrationsfreilandsversuche zu
genehmigen, zu unterstützen und durchzuführen und die Öffentlichkeit
objektiv und offensiv darüber zu informieren, dass der Verzicht auf die
grüne Gentechnik im globalen Kontext potentiell große Schäden anrichten
kann;

l in den Verhandlungen über die Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von
gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermittel sich auf europäischer
Ebene für eine gerechte und praktikable Lösung einzusetzen. Dies betrifft
primär die Einigung auf Kennzeichnungsschwellen, die den Anliegen der
europäischen Verbraucher gerecht werden und die Interessen der außereuro-

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päischen Handelspartner berücksichtigen. Für beide Seiten ist ein Kenn-
zeichnungsschwellenwert unterhalb der technischen Machbarkeitsgrenze
nicht akzeptabel;

l den internationalen Verpflichtungen, die sich durch das Inkrafttreten des
Cartagena Protokolls ergeben werden, nachzukommen und im Rahmen der
Entwicklungszusammenarbeit den Aufbau von Kompetenzen in Entwick-
lungsländern auf Seiten der Verwaltung und Wissenschaft zu fördern, um die
Anwendung von transgenen Pflanzen und deren Sicherheitsbewertung in
Entwicklungsländern zu verbessern. Dies ist bis 2002 auch durch entspre-
chende BMZ-geförderte Programme erfolgt. Leider wurden diese Pro-
gramme, wohl in Zusammenhang der Fusion von DSE mit CDG zu InWent,
trotz zunehmender Nachfrage nicht weiter fortgesetzt;

l sich auf internationaler Ebene dafür einzusetzen, dass auch kleinbäuerlichen
Betrieben der Zugang zu gentechnisch verbesserten Pflanzensorten nicht
verwehrt bleibt. Als Beispiel sei der „Goldene Reis“ genannt. Dabei handelt
es sich um eine gentechnisch modifizierte Reissorte mit einem erhöhten
Vitamin-A-Gehalt. In diesem Reis liegt die Hoffnung einen wirkungsvollen
Ansatz zur Verfügung zu haben, um den Vitamin-A-Mangel in Entwick-
lungsländern mildern zu helfen;

l sich auf internationaler Ebene dafür einzusetzen, bei gentechnisch modi-
fizierten Nahrungsmittelhilfslieferungen an Entwicklungsländer sicherzu-
stellen, dass den Empfängerländern alle notwendigen Informationen zur
Verfügung gestellt werden, um objektive Entscheidungen zu ermöglichen;

l sich bei den laufenden Diskussionen über die Neugestaltung der Gemeinsa-
men Agrarpolitik dafür einzusetzen, dass Rahmenbedingungen geschaffen
werden, die es den europäischen Landwirten ermöglichen, Investitionen zur
Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität langfristig zu planen und
durchzuführen, damit sie ihrer Verantwortung für die Welternährungssitua-
tion langfristig gerecht werden können.

Berlin, den 24. Juni 2003
Peter H. Carstensen (Nordstrand)
Dr. Christian Ruck
Christa Reichard (Dresden)
Helmut Heiderich
Sibylle Pfeiffer
Albert Deß
Bernhard Schulte-Drüggelte
Peter Bleser
Gitta Connemann
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Dr. Peter Jahr
Volker Kauder
Julia Klöckner
Marlene Mortler
Kurt Segner
Jochen Borchert
Cajus Caesar
Hubert Deittert
Thomas Dörflinger

Dr. Maria Flachsbarth
Gerda Hasselfeldt
Susanne Jaffke
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Max Straubinger
Volkmar Uwe Vogel
Dr. Ralf Brauksiepe
Hartwig Fischer (Göttingen)
Siegfried Helias
Rudolf Kraus
Conny Mayer (Baiersbronn)
Peter Weiß (Emmendingen)
Rainer Eppelmann
Norbert Geis
Dr. Egon Jüttner
Jürgen Klimke
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