BT-Drucksache 15/1207

Zum Stand der Beratungen des EU-Verfassungs-Vertrages

Vom 24. Juni 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1207
15. Wahlperiode 24. 06. 2003

Antrag
der Abgeordneten Peter Hintze, Michael Stübgen, Peter Altmaier, Veronika
Bellmann, Kurt-Dieter Grill, Olav Gutting, Gunther Krichbaum, Patricia Lips,
Dr. Gerd Müller, Dr. Georg Nüßlein, Albert Rupprecht (Weiden), Thomas
Silberhorn, Matthias Wissmann und der Fraktion der CDU/CSU

Zum Stand der Beratungen des EU-Verfassungs-Vertrages

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
I. Der Deutsche Bundestag begrüßt den Abschluss der Arbeiten des Europäi-

schen Verfassungskonvents an den Teilen I und II der geplanten EU-Verfas-
sung. Der vorliegende Entwurf ist ein wichtiger Fortschritt für dieWeiterent-
wicklung der Europäischen Integration und für eine bessere Wahrnehmung
der berechtigten Interessen von Bund, Ländern und Gemeinden. Der Euro-
päische Rat in Thessaloniki hat beschlossen, dass der Entwurf eine gute Aus-
gangsbasis für den Beginn der Regierungskonferenz bildet.

II. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass im Rahmen des Konvents Fort-
schritte bei der Antwort auf die aktuelle Reformkrise der EU erzielt werden
konnten:
– Erstmals ist es gelungen, eine klare Kompetenzordnung über die Zustän-

digkeiten der Europäischen Union mit einer Einteilung und Auflistung
der Kompetenzkategorien festzulegen. Außerdem muss die Europäische
Union dort, wo sie zuständig ist, die Prinzipien der begrenzten Einzel-
ermächtigung, der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit beachten.
Damit sind allgemeine Zielformulierungen nicht mehr kompetenzbe-
gründend.

– Alle diese Festlegungen unterliegen einer Kontrolle durch die nationalen
Parlamente und – über ein Klagerecht beider Kammern der nationalen
Parlamente – durch den Europäischen Gerichtshof.

– Alle Teile des Verfassungsvertrags haben die gleiche Rechtsqualität.
– Durch den Verfassungsvertrag wird die EU stärker als bisher als Werte-

gemeinschaft definiert.
– Die verbindliche Aufnahme der Grundrechte-Charta stärkt die Rechte

der Bürgerinnen und Bürger gegenüber den europäischen Institutionen.
– Die stärkere politische Anbindung der Kommission an das Europäische

Parlament bei der Wahl des Kommissionspräsidenten und die Stärkung
der Mitspracherechte des Europäischen Parlaments machen die EU de-
mokratischer.

Drucksache 15/1207 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

– Die Einrichtung eines öffentlich tagenden Legislativrates und die – durch
die Bestimmung von Kompetenzkategorien – übersichtlichere Auf-
gabenverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten verbessern die Trans-
parenz Europas.

– Mit der Reduzierung der Größe der Kommission, der Schaffung eines
Außenministers und eines Präsidenten des Europäischen Rates und dem
verstärkten Übergang zur Mehrheitsentscheidung wird die EU hand-
lungsfähiger.

– Zur Abgrenzung der Handlungsbefugnisse der EU wird das Subsidiari-
tätsprinzip gestärkt und seine Durchsetzung durch die Schaffung eines
Frühwarnsystems und eines Klagerechts zugunsten der nationalen Parla-
mente verbessert.

– Bei wichtigen nationalen Politikfeldern (z. B. Bildung, Kultur) wird in
der Verfassung ein ausdrückliches Harmonisierungsverbot verankert.

– Die Verfassung achtet erstmals rechtsverbindlich die regionale und kom-
munale Selbstverwaltung sowie den Status der Kirchen und Religionsge-
meinschaften.

– Durch die Einführung der doppelten Mehrheit (Mehrheit der Staaten,
60 % der Bevölkerung) werden die Bevölkerungsverhältnisse in der Eu-
ropäischen Union besser berücksichtigt und die Entscheidungsfähigkeit
des Rates verbessert.

III.Auf der anderen Seite ist es nicht gelungen, die Kompetenzen auf europäi-
scher Ebene zurückzuführen.
– Die allgemeinen und speziellen Koordinierungszuständigkeiten der EU

in der Wirtschafts- und Sozialpolitik sind in Teil I ungenau formuliert.
Artikel I-14 sollte präziser gefasst werden. Es muss verhindert werden,
dass es zu einer zentralen Steuerung der Wirtschaftspolitik kommt. Ent-
scheidend ist jedoch, dass die einschlägigen Einzelermächtigungen in
Teil III maßgeblich sind, die praktisch unverändert dem derzeitigen EG-
Vertrag entsprechen.

– Bei den Eigenmitteln müssen nicht nur die finanziellen Obergrenzen,
sondern auch das Verhältnis der Eigenmittelquellen zueinander (z. B. der
Anteil der Mehrwertsteuer oder der BSP-Quelle an den Eigenmitteln) der
Einstimmigkeit unterliegen, um die finanziellen Risiken für Deutschland
zu begrenzen.

– Beim Klagerecht der nationalen Parlamente gehen wir davon aus, dass
dieses Recht auch die Rüge von Verletzungen der Kompetenzordnung
umfasst.

– Es muss nötigenfalls im Verhältnis zwischen Bund und Ländern sicher-
gestellt werden, dass sich das Recht der Länder, bei Betroffenheit ihrer
Zuständigkeiten Deutschland im Ministerrat zu vertreten, nicht nur auf
den Legislativrat beschränkt.

– Der Europäische Rat kann in Fällen, in denen der Verfassungsvertrag
Einstimmigkeit vorsieht, durch einstimmigen Beschluss zur Mehrheits-
entscheidung übergehen, wobei die nationalen Parlamente davon ledig-
lich unterrichtet werden. Nachdem spätere gemeinschaftsautonome Än-
derungen des Vertrags für die nationalen Parlamente gemäß der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei ihrer Zustimmung
voraussehbar sein müssen, ist innerstaatlich bei der Ratifizierung sicher-
zustellen, dass die Bundesregierung ihre Zustimmung von der vorherigen
Zustimmung des Parlaments abhängig macht.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1207

IV. Zu den Teilen III und IV des Verfassungsvertrags wird der Konvent seine
Beratungen in den nächsten Wochen abschließen. Der Deutsche Bundestag
fordert die deutschen Vertreter im Konvent dazu auf, folgende gemeinsame
Positionen zu vertreten:
– Die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für das Maß der Einwanderung

und den Zugang zum Arbeitsmarkt für Drittstaatsangehörige soll festge-
schrieben werden. Nötigenfalls sind diese Bereiche in der Einstimmig-
keit zu belassen.

– Die Binnenmarktklausel muss präzisiert und auf Maßnahmen beschränkt
werden, welche primär und unmittelbar die Errichtung oder das Funktio-
nieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben.

– Zur Erweiterung der Spielräume der Mitgliedsstaaten zur Gestaltung
einer eigenständigen Strukturpolitik soll das Wettbewerbsrecht dahin
gehend geändert werden, dass Beihilfen generell mit dem Binnenmarkt
vereinbar sind, soweit sich die Handelsbedingungen nicht in einer Weise
verändern, die dem gemeinsamen Interesse „spürbar“ zuwider läuft.

– In den sozialpolitischen Bestimmungen muss klargestellt werden, dass
die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten für die Organisation, Finanzie-
rung und Leistungen der sozialen Sicherungssysteme sowie ihre umfas-
sende Zuständigkeit für die Sozialhilfe zu wahren ist.

– In der Energiepolitik sollte es bei der bisherigen Binnenmarkt bezogenen
Zuständigkeit bleiben.

– Eine neue Zuständigkeit der EU für die Bestimmung der Ausgestaltung
von Leistungen der Daseinsvorsorge sollte nicht in den Vertrag aufge-
nommen werden.

– Die Querschnittsbestimmung in Artikel III-0 soll so präzisiert werden,
dass eine Umgehung der Regelung in Artikel I-3 Abs. 5 des Vertrages
ausgeschlossen ist. Allgemein ist darauf zu achten, dass nicht auch über
die Bestimmung in Artikel III-0 die offene Methode der Koordinierung
verankert wird.

– Bei Änderungen der Verfassung ist bei Kompetenzbegründungen und
-änderungen am Prinzip der Einstimmigkeit und der Ratifizierung durch
die Mitgliedstaaten festzuhalten.

V. Nach Vorlage des Gesamtentwurfs sollte der Deutsche Bundestag eine end-
gültige Bewertung vornehmen und das weitere Vorgehen in Bezug auf die
Regierungskonferenz festlegen.

Berlin, den 24. Juni 2003
Peter Hintze
Michael Stübgen
Peter Altmaier
Veronika Bellmann
Kurt-Dieter Grill
Olav Gutting
Gunther Krichbaum
Patricia Lips
Dr. Gerd Müller
Dr. Georg Nüßlein
Albert Rupprecht (Weiden)
Thomas Silberhorn
Matthias Wissmann
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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