BT-Drucksache 15/1174

Für ein freiheitliches, humanes Gesundheitswesen - Gesundheitspolitik neu denken und gestalten

Vom 17. Juni 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1174
15. Wahlperiode 17. 06. 2003

Antrag
der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz, Andreas Storm, Dr. Wolf Bauer,
Monika Brüning, Verena Butalikakis, Dr. Hans Georg Faust, Michael Hennrich,
Hubert Hüppe, Volker Kauder, Barbara Lanzinger, Maria Michalk, Matthias Sehling,
Jens Spahn, Matthäus Strebl, Gerald Weiß (Groß-Gerau), Wolfgang Zöller und
der Fraktion der CDU/CSU

Für ein freiheitliches, humanes Gesundheitswesen –
Gesundheitspolitik neu denken und gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
1. Rot-grüne Politik: Eine Bilanz des Scheiterns
Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in Deutschland steckt in einer tie-
fen Krise. Die Beitragssätze zur gesetzlichen Krankenversicherung sind unter
der rot-grünen Bundesregierung von 13,6 % im Jahre 1998 auf 14,4 % gestie-
gen und haben damit den höchsten Stand seit Bestehen der Bundesrepublik
Deutschland erreicht. Trotz höherer Beiträge hat die Verschuldung der Kassen
gleichzeitig weiter zugenommen. Verantwortlich für diese Entwicklung ist die
katastrophale Politik der amtierenden Bundesregierung, die falsche Akzente in
der Steuer-, Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik gesetzt und damit für eine
Verfestigung der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit gesorgt hat.
Hinzu kommen gravierende Fehler in der Gesundheitspolitik. Die unions-
geführte Bundesregierung hatte 1997 eine Konsolidierung der finanziellen
Grundlagen der GKV durch einen Richtungswechsel in der Gesundheitspolitik
herbeigeführt und damit die Voraussetzungen für eine umfassende Reformdis-
kussion geschaffen. Nicht Bevormundung durch den Staat oder die Kranken-
kassen, sondern ein größeres Maß an Selbstbestimmung bei Erhalt einer qua-
litativ hochwertigen Gesundheitsversorgung war das Ziel einer humanen,
patientenorientierten Gesundheitspolitik. Dieses Ziel ist unmittelbar nach
Übernahme der Regierungsverantwortung durch SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN aufgegeben worden. Stattdessen wurde beginnend mit
– dem „GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz“ und fortgesetzt mit
– der „GKV-Gesundheitsreform 2000“,
– dem „Arzneimittelbudget-Aufhebungsgesetz“,
– dem „Arzneimittel-Ausgabenbegrenzungsgesetz“,
– dem „Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleichs“,

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– dem „Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalen-
systems für Krankenhäuser“ und zuletzt

– mit dem „Beitragssatzsicherungsgesetz“
unser freiheitliches Gesundheitswesen schrittweise in ein staatlich gelenktes
bürokratisches Gesundheitssystem überführt. Vordergründig populäre Maßnah-
men wie die Senkung von Zuzahlungen, die Rücknahme von Eigenverantwor-
tung und die Ausweitung von nicht gegenfinanzierten Leistungen führten un-
weigerlich zu Mehrausgaben und Mindereinnahmen der Krankenkassen in
Milliardenhöhe. Statt die Erosion der Einnahmebasis wahrzunehmen, wurde
einseitig auf der Ausgabenseite über Budgetierung eine Umverteilung der be-
grenzten Mittel betrieben. Die Vorenthaltung medizinischer Leistungen hat zu
einer Verschlechterung der Versorgungsqualität geführt. In der Folgezeit wurde
unter der Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung Ulla Schmidt
das System durch komplizierte Regelungen verbürokratisiert. Beispiele dafür
sind:
– die hastige Einführung von Disease-Management-Programmen und vor

allem ihre Verknüpfung mit dem Finanzausgleich der Krankenkassen,
– die Verkomplizierung und Ausweitung des Risikostrukturausgleichs,
– die überstürzte Einführung eines Fallpauschalen-Systems in Krankenhäu-

sern, das weltweit erstmalig alle Indikationen über Fallpauschalen abzubil-
den sucht und bei den Krankenhäusern einen hohen Sach- und Personalauf-
wand verursacht, und

– zahlreiche Regelungen im Arzneimittelsektor wie die nicht praktikable
„Aut-idem-Regelung“, die Ausweitung der Reimport-Regelung, ungerechte
Zwangsrabatte und die Positivliste.

Insgesamt ist festzustellen, dass die zahlreichen dirigistischen Eingriffe die
Qualität der Versorgung beeinträchtigt, das Arzt-Patienten-Verhältnis belastet
und dennoch keine Einspareffekte erzielt haben. In immer kürzeren Zeitabstän-
den haben selbst ernannte Experten immer abstrusere Vorschläge offeriert, die
von der amtierenden Bundesregierung bereitwillig aufgegriffen wurden. Die
Folge ist eine ziel- und konzeptionslose Politik, die die Existenz der Gesund-
heitsberufe bedroht und damit letztlich eine qualitativ hochwertige flächende-
ckende medizinische Versorgung gefährdet. Durch Bevormundung und Gänge-
lung hat die Bundesregierung Ärzte und Pflegekräfte demotiviert. Die
Budgetierung der ärztlichen Honorare gefährdet wegen einer unzureichenden
Honorierung zudem ärztliche Praxen und zeigt in den neuen Ländern schon
erste Konsequenzen. Immer mehr Ärzte finden keinen Nachfolger für ihre
Arztpraxis. Die flächendeckende ambulante Versorgung ist gefährdet. Auf allen
Seiten macht sich Resignation breit und das Vertrauen in das System der gesetz-
lichen Krankenversicherung nimmt Schaden. Es wird allerhöchste Zeit, umzu-
denken und allen Beteiligten im Gesundheitswesen wieder mehr Handlungs-
und Gestaltungsmöglichkeiten einzuräumen sowie Planungssicherheit und ver-
lässliche Perspektiven aufzuzeigen.
2. Große Herausforderungen zwingen zu nachhaltigen Reformen
Die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen steigt permanent und wird auch in
Zukunft weiter ansteigen. Dies hat seinen Grund in der wachsenden Wertschät-
zung der „Gesundheit“. Vor dem Hintergrund der Erfolge in Medizin und Medi-
zin-Technik eröffnen sich neue Möglichkeiten in Diagnostik und Therapie, die
mit steigenden Erwartungen und Ansprüchen einhergehen. Ursächlich ist aber
auch der demographische Wandel, der einen wachsenden Bedarf an medizini-
schen und pflegerischen Leistungen bei älteren Menschen verursacht.

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Ferner verzeichnet die gesetzliche Krankenversicherung seit Beginn der acht-
ziger Jahre eine Wachstumsschwäche ihrer Finanzierungsbasis. Die Arbeitsent-
gelte der Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung wachsen gemessen
am Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigem nur unterdurchschnittlich, so der
Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen in sei-
nem Gutachten 2003. Neben der unterproportionalen Steigerung der Arbeits-
entgelte macht der Sachverständigenrat aber auch
l eine steigende Arbeitslosenzahl,
l vorgezogene Verrentungen,
l veränderte Erwerbsbiographien,
l den Druck auf die Arbeitsentgelte infolge der Globalisierung,
l die Zunahme von nicht versicherungspflichtigen Teilen des Arbeitsentgeltes,
l eine weitere Flucht in die Schattenwirtschaft,
l eine längere Lebens- und Rentenbezugsdauer sowie
l politische Entscheidungen, die Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung

zugunsten des Bundeshaushalts oder anderer sozialer Sicherungssysteme
verschoben haben,

für die Wachstumsschwäche bei den GKV-Einnahmen verantwortlich.
Trotz noch vorhandener Rationalisierungsreserven wird man nach Meinung des
Sachverständigenrates angesichts der zu erwartenden Entwicklung der beitrags-
pflichtigen Einnahmen der Krankenkassen bei Wahrung der Beitragssatzstabili-
tät nicht um eine grundlegende Reform der gesetzlichen Krankenversicherung
umhin kommen. Die Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven und das Be-
mühen um Verbesserung von Effizienz sind eine ständige Aufgabe, entheben
die Politik aber nicht der Pflicht zur Stabilisierung der Finanzgrundlagen der
GKV.
Vereinzelte Eingriffe in das System, wie in der Vergangenheit, reichen nicht
mehr aus. Insbesondere kann das Gesundheitswesen nicht einfach durch eine
weitere Steigerung der paritätisch finanzierten Beitragssätze gesichert werden.
Es liegt auf der Hand, dass ein solcher Anstieg der Krankenversicherungsbei-
träge zu dramatischen Konsequenzen auf dem Arbeitsmarkt führen würde. Die
Ausgaben der GKV werden heute im Wesentlichen aus lohnbezogenen Beiträ-
gen finanziert. Steigende Beiträge führen daher zwangsläufig zu höheren Ar-
beitskosten und steigender Arbeitslosigkeit; diese wiederum schwächt die Ein-
nahmeseite und erhöht so den Druck auf die Beiträge. Dieser Teufelskreis muss
durchbrochen werden. Denn ohne eine grundlegende Reform der Finanzierung
unserer sozialen Sicherungssysteme wäre für die nächsten Jahrzehnte eine an-
haltend hohe Massenarbeitslosigkeit vorprogrammiert.
3. Prinzipien für die Gestaltung eines freiheitlichen und humanen Gesundheits-wesens
Bei dem Bemühen um eine Reform des Gesundheitswesens muss der Patient
wieder ins Zentrum der Betrachtungen rücken. Alle Versicherten haben unab-
hängig von Alter, Geschlecht, Einkommen und Familienstand Anspruch auf
eine qualitativ hochwertige, wohnortnahe gesundheitliche Versorgung. Denn
Krankheit kann jeden jederzeit treffen. Daher muss die gesetzliche Krankenver-
sicherung die Teilhabe des Einzelnen am gesellschaftlichen Leben sichern und
ihn vor Verarmung und Not durch die finanziellen Folgen einer Erkrankung
schützen. Die Menschen müssen sich auch in Zukunft darauf verlassen dürfen,
dass sie im Falle einer Erkrankung, insbesondere bei schwerer und/oder chroni-
scher Krankheit durch die Solidargemeinschaft abgesichert sind.

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Aber Solidarität braucht Verantwortung. Nur durch konsequentes eigenverant-
wortliches Handeln wird die Solidargemeinschaft vor Überforderung geschützt.
Der Solidargedanke ist von allen Beteiligten im Laufe der Zeit überstrapaziert
worden und zwar im jeweils eigenen Interesse ohne Rücksicht auf die eigene
Verantwortlichkeit. Stichworte hierfür sind die überzogene Inanspruchnahme
medizinischer Leistungen, gestiegene Personal- und Verwaltungsausgaben der
Krankenkassen sowie Betrugs- und Korruptionsfälle bei den Leistungserbrin-
gern. Was wir brauchen ist daher ein Bekenntnis zur Verantwortung. Denn Soli-
darität ist nicht ohne Verantwortung zu haben. Dieses Bekenntnis zur Verant-
wortung setzt voraus, dass sich alle Beteiligten ihrer Verantwortlichkeit
bewusst werden.
In einem freiheitlichen Gesundheitssystem müssen Patienten und Versicherte
eine aktivere Rolle übernehmen als in der Vergangenheit. Das bedingt nicht nur
eine Bewusstseins- und Verhaltensänderung respektive Einsicht in den Wert
„Gesundheit“ durch Patienten und Versicherte und eine dementsprechende Le-
bensführung, sondern auch Mitsprache und -wirkung bei der Behandlung sowie
Mitbestimmung in den Selbstverwaltungsgremien der GKV. Beteiligungsge-
rechtigkeit bedeutet aber auch, den Patienten und Versicherten die aktive und
verantwortliche Teilhabe an der Sorge um ihre „Gesundheit“ einzuräumen und
ihnen mehr Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten an die Hand zu geben. Darü-
ber hinaus sind dem Patienten verständliche und aussagekräftige Informationen
über seinen Gesundheitszustand und in Betracht kommende Therapien zugäng-
lich zu machen. Gesundheitsförderung und Prävention kommen unter dem As-
pekt der Eigenverantwortung und der Nachhaltigkeit, insbesondere mit Blick
auf die Vermeidung altersbedingten Erkrankungen, besondere Bedeutung zu.
In einem humanen Gesundheitswesen müssen Kranke weiterhin davon ausge-
hen dürfen, von einem Arzt ihres Vertrauens entsprechend ihren individuellen
Bedürfnissen behandelt zu werden. Die freie Arztwahl ist daher ebenso unver-
zichtbar wie die ärztliche Therapiefreiheit. Mehr Wettbewerb und Verbesserung
der Transparenz in leistungsfähigen durch Freiberuflichkeit und Selbständigkeit
geprägten Strukturen gewährleisten am besten Qualität und Wirtschaftlichkeit
in der medizinischen Versorgung. Ein einfaches und transparentes Gesundheits-
system fördert zudem seine Akzeptanz und beugt Missbräuchen vor.
Angesichts des demographischen Wandels und des medizinisch-technischen
Fortschritts erfordert ein leistungsfähiges Gesundheitswesen nachhaltige und
gerechte Finanzierungsgrundlagen.
4. Rot-grünes Reformprojekt: Irrweg in die Staatsmedizin
Der von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgelegte
Entwurf eines „Gesundheitssystemmodernisierungsgesetzes“ genügt diesen
Maßstäben nicht. Statt Freiheit und Verantwortlichkeit im System der gesetz-
lichen Krankenversicherung zu stärken und mehr Gestaltungsmöglichkeiten für
alle Beteiligten zu schaffen, setzen die Bundesregierung und die sie tragenden
Koalitionsfraktionen ihren Weg der Bevormundung, Bürokratisierung und
Staatsmedizin fort.
l Durch finanziellen Druck in Gestalt verdoppelter Zuzahlungen und Praxis-

gebühren bei Facharztbesuchen werden Patienten, vor allem sozial Schwa-
che und chronisch Kranke zur Teilnahme an Hausarztmodellen und Disease-
Management-Programmen gezwungen und der direkte Zugang zum Fach-
arzt massiv erschwert. Mit der Abkehr vom Prinzip der freien Arztwahl ist
ein vertrauensvolles Miteinander zwischen Arzt und Patient unter diesen
Umständen nicht möglich. Erfahrungen belegen zudem, dass mit dem Haus-
arztmodell weder Kosteneinsparungen zu erzielen sind noch eine Verbesse-
rung der Qualität der Versorgung zu erreichen ist. Im Gegenteil, das in den
Niederlanden praktizierte Primärversorgungsmodell durch Hausärzte in

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Kombination mit der Öffnung der Krankenhäuser für die fachärztliche Ver-
sorgung hat dort zu langen Wartezeiten geführt, die im Einzelfall unzumut-
bar und ethisch nicht mehr vertretbar sind. Viele Patienten ziehen es deshalb
vor, über die Grenze nach Deutschland zu gehen, weil sie hier einen Fach-
arzt in kurzer Zeit aufsuchen können.

l Das vorgesehene „Deutsche Zentrum für Qualität in der Medizin“ atmet den
Geist der Bevormundung und der Bürokratie und ist nicht geeignet, eine am
Individuum ausgerichtete medizinische Versorgung herbeizuführen. Die me-
dizinische Behandlung eines Kranken darf sich nicht nach einem standardi-
sierten Schema vollziehen. Vielmehr muss der Arzt auf der Grundlage der
allgemein anerkannten Regeln der ärztlichen Heilkunst unter Berücksichti-
gung des Standes der Medizinwissenschaften orientiert an den Umständen
des Einzelfalls die Behandlung erbringen. Der kranke Mensch darf nicht
zum Objekt einer industrialisierten Medizin degradiert werden. Diese Ge-
fahr besteht aber, wenn künftig durch ein derartiges Institut Behandlungs-
standards vorgegeben werden. Die bestehenden Organe der Selbstverwal-
tung sind vielmehr zu stärken und nicht durch eine neue Behörde zu
ergänzen oder gar zu ersetzen.

l Die angekündigte Stärkung der Patienten und Versicherten bleibt leere Rhe-
torik. Statt deren Rechte in den Organen der Selbstverwaltung zu erweitern,
werden sie über einen Patientenschutzbeauftragten auf Bittsteller-Niveau
reduziert. Die unterschiedlichen Regelungen bei den Zuzahlungen erhöhen
die Undurchsichtigkeit des gesamten Selbstbeteiligungssystems und sorgen
gerade bei älteren Menschen für Verwirrung.

l Die vorgeschlagenen Einkaufsmodelle zerschlagen bewährte medizinische
Versorgungsstrukturen. Durch die Aufhebung des Mehrbesitzverbotes und
die Zulassung des Versandhandels bei Apotheken sowie die Neuregelung
der fachärztlichen Zulassung in Kombination mit der Öffnung der Kranken-
häuser für die ambulante Versorgung und der Zulassung von Gesundheits-
zentren mit angestellten Ärzten werden mittelständisch geprägte, freiberufli-
che Existenzen gezielt zerstört. Der sich bereits abzeichnende Ärztemangel
in den neuen Ländern wird sich unter diesen Bedingungen ungebremst fort-
setzen. Die Einkaufsmodelle werden die Krankenkassen zudem in der Reali-
tät überfordern. Schon heute ist absehbar, dass die Verwaltungsausgaben der
Krankenkassen wegen Personalmehrbedarfs weiter ansteigen werden.

l Entgegen den Wahlaussagen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
werden die Zuzahlungen bei Arzneimitteln und stationären Behandlungen
sogar über den Stand von 1998 erhöht. Bei Sehhilfen, Fahrkosten und nicht
verschreibungspflichtigen Medikamenten können die Patienten sich nicht
mehr auf die Unterstützung der Solidargemeinschaft verlassen, sondern
müssen die kompletten Kosten selbst tragen. Bei bestimmten Indikationen
hat dies inakzeptable Konsequenzen für die Versorgung mit notwendigen
Arzneimitteln. Zu den nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gehö-
ren z. B. auch Infusionslösungen zur ambulanten Krebsbehandlung. Gleich-
zeitig ist bei einem nur 50 %igen Substitutionseffekt nicht mit Einsparungen
trotz hundertprozentiger Selbstbeteiligung der Patienten zu rechnen.

l Die vom Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 14. März 2003
anvisierte Senkung des allgemeinen durchschnittlichen Beitragssatzes auf
unter 13 % ist mit dem vorgelegten Gesetzentwurf nicht zu erreichen. Es ist
schon fraglich, ob es gelingen wird, auf dieser Grundlage eine weitere Ver-
schuldung der Kassen und damit einen weiteren Anstieg der Beitragssätze
zu vermeiden. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf ist keine grundsätzliche
und dauerhaft wirksame Lösung der Finanzierungsproblematik zu erreichen.
Die gemachten Finanzierungsvorschläge belasten einseitig die Patienten und
sind sozial unausgewogen. Das Krankengeld verbleibt in der gesetzlichen

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Krankenversicherung, obwohl der Bundeskanzler eine private Absicherung
angekündigt hatte. Anders als der Öffentlichkeit vorgegaukelt wird, senkt
diese Maßnahme die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung nicht,
steigert jedoch durch die Verschiebung der Parität die Beitragsbelastung der
Arbeitnehmer. Auch die angekündigte Umfinanzierung versicherungsfrem-
der Leistungen mit einem Umfang von 4,5 Mrd. Euro wird mit dem vorlie-
genden Gesetzentwurf nicht erreicht, da die Finanzierung über die Erhöhung
der Tabaksteuer nicht gesichert ist.

5. Das Zukunftskonzept der Union: Für ein freiheitliches und humanes Ge-sundheitswesen
Die gesetzliche Krankenversicherung neu denken und gestalten bedeutet:
l Freiheit, Verantwortlichkeit und Humanität in der gesetzlichen Krankenver-

sicherung zu stärken,
l das System zu vereinfachen,
l Bürokratie abzubauen,
l die Transparenz bei Qualität und Kosten zu erhöhen,
l Einfluss- und Mitwirkungsmöglichkeiten der Patienten und Versicherten zu

verbessern sowie
l Ärzte und Pflegekräfte wieder in die Lage zu versetzen, eine am Patienten

ausgerichtete medizinische Versorgung vorzunehmen.
Das Eigeninteresse der unmittelbar Beteiligten an Effizienz und Qualität der
gesundheitlichen Versorgung muss gestärkt und ihre Handlungs- und Gestal-
tungsmöglichkeiten müssen erweitert werden. Zugleich ist zu bekräftigen, dass
der medizinische Fortschritt für die gesamte Bevölkerung zugänglich bleiben
und der soziale Ausgleich zwischen jungen und alten, gesunden und kranken
Menschen, zwischen Beziehern höherer und niedrigerer Einkommen sowie
zwischen Alleinstehenden und Familien aufrechterhalten werden muss.
5.1 Prävention stärken – Krankheit verhindern
Im Mittelpunkt einer Reform der gesetzlichen Krankenversicherung muss der
mündige und eigenverantwortliche Patient stehen. Die Menschen messen der
Erhaltung und Verbesserung ihrer Gesundheit einen sehr hohen Stellenwert bei
und sind bereit, viel für das Erreichen dieses Ziels zu tun. Sie sind auch bereit,
Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen. Insgesamt ist unser Ge-
sundheitswesen zu sehr auf die Behandlung von Krankheiten und zu wenig auf
die Vermeidung von Krankheit ausgerichtet. Die Verbesserung und der Ausbau
der Prävention und Gesundheitsförderung sind eine unerlässliche Vorausset-
zung, um die Zunahme der großen Volkskrankheiten zu reduzieren, die Lebens-
qualität und Gesundheit der Bevölkerung zu steigern und somit letztlich die
Ausgaben im Gesundheitsbereich sinnvoller zu gestalten. Notwendig ist die
Entwicklung und Umsetzung einer vernetzten Konzeption zur Prävention und
Gesundheitsförderung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Aus diesem Grund
muss u. a. den gesetzlichen Krankenkassen die Möglichkeit eingeräumt wer-
den, die Bemühungen der Versicherten zur Erhaltung ihrer Gesundheit auch
finanziell zu honorieren. Es sind daher Bonusregelungen für gesundheitsbe-
wusstes und rationales Inanspruchnahmeverhalten der Patienten vorzusehen.
Das Verhältnis der von der Krankenkasse erzielten Einsparung zu Gewährung
der Boni muss in einem angemessenen Zeitraum überprüft werden, um eine
Auszehrung der Finanzgrundlagen der Kassen zu verhindern.

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5.2 Beteiligungs- und Gestaltungsrechte für Patienten und Versicherte aus-bauen
In unserem Gesundheitswesen sind die Möglichkeiten der Mitwirkung und Ein-
flussnahme von Patienten und Versicherten immer noch unterentwickelt. Die
Fraktion der CDU/CSU fordert zur Stärkung der Patientensouveränität ver-
mehrte Gestaltungsmöglichkeiten der Versicherten bei den Versichertenkonditi-
onen und bessere Informationsrechte bei der Behandlung und Mitwirkungsbe-
fugnisse in den Gremien der Selbstverwaltung.
Die Versicherten erhalten bei der Gestaltung ihres Versicherungsumfangs mehr
Wahlmöglichkeiten. Den Kassen wird die Befugnis eingeräumt, den für alle
Kassen und Versicherten verbindlichen Leistungskatalog durch eigene Wahl-
leistungen aufzustocken. Voraussetzungen, Umfang und Finanzierung dieser
Leistungen werden in der Satzung der betreffenden Krankenkasse festgelegt.
So kann es beispielsweise unterschiedliche Tarife für integrierte Versorgungs-
angebote geben.
Die Möglichkeit, Kostenerstattung zu wählen, wird wieder für alle Versicherten
– nicht nur für freiwillig Versicherte – eingeführt. Für die Entscheidung zwi-
schen Kostenerstattung und Sachleistung sind gleiche Zugangsbedingungen zu
schaffen. Alle Versicherten erhalten die Möglichkeit, auf Kostenerstattungsba-
sis ambulante Leistungen im europäischen Ausland in Anspruch zu nehmen.
Die Kostenübernahme durch die Krankenkassen ist auf die im Inland geltenden
Kostensätze begrenzt, abzüglich der Selbstbeteiligung und einer wegen auf-
wändigerer Prüfpflichten erhöhten Verwaltungsgebühr.
Versicherte haben künftig einen Anspruch darauf, von der Krankenkasse, bei
der sie versichert sind, über die Verwendung ihrer Beitragsmittel in verständli-
cher Form einmal im Jahr informiert zu werden. Dabei hat die Krankenkasse
Auskunft darüber zu geben, wie hoch das Beitragsaufkommen der Versicher-
tengemeinschaft war und wie sich dieses auf die einzelnen Leistungsarten so-
wie die Verwaltungs- und Personalausgaben im Jahr verteilt hat.
Die bisher praktizierte Sozialwahl ist durch eine Versichertenwahl abzulösen.
Dazu sind neben Gewerkschaften in Zukunft auch Patienten-, Selbsthilfe- und
Versichertenorganisationen zuzulassen. Der Vorstand der Krankenkasse wird
durch die Versichertenversammlung entlastet.
Für alle Sozialhilfeempfänger sind künftig Beiträge in die GKV zu entrichten.
Damit werden Sozialhilfeempfänger und GKV-Versicherte gleich behandelt.
Patienten haben gegenüber Leistungserbringern, insbesondere gegenüber Ärz-
ten und Krankenhäusern, Anspruch darauf, vor Eintritt in die Therapie über die
Diagnose, Therapie und damit verbundene Kosten eingehend und verständlich
informiert zu werden. Nach Beendigung der Behandlung haben Patienten An-
spruch auf einen Abrechnungsbeleg, aus dem in Anspruch genommene Leis-
tungen und damit verbundene Kosten ersichtlich werden.
Vertretern der Patienten- und Selbsthilfeorganisationen ist ein Initiativrecht
beim Koordinierungsausschuss einzuräumen, damit dieses Gremium und die
Bundesausschüsse sich u. a. schneller mit neuen Untersuchungs- und Behand-
lungsmethoden befassen, die bereits in anderen Staaten zum Stand der medizi-
nischen Erkenntnis gehören. Außerdem sind Vertretern von Patienten und
Selbsthilfeorganisationen qualifizierte Anhörungsbefugnisse bei den genannten
Organen der Selbstverwaltung zu geben, d. h. aus der Entscheidung der Aus-
schüsse muss die Befassung mit den Argumenten der Patienten und deren Wür-
digung erkennbar werden.

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5.3 Selbstständigkeit und Freiberuflichkeit als Garanten einer qualitativ hoch-wertigen Versorgung
Die Ärzte haben primär den Auftrag, eine am Bedarf des einzelnen Patienten
ausgerichtete dem anerkannten Stand der Medizin entsprechende gesundheitli-
che Versorgung zu erbringen. Statt Ärzte, Pflegekräfte und Apotheker ständig
zu diffamieren, gilt es, die Menschen, die diese Gesundheitsberufe ergriffen ha-
ben oder ergreifen werden, von überflüssigen Verwaltungsaufgaben und Gän-
gelung zu befreien, damit sie sich wieder ihrer eigentlichen Aufgabe, der medi-
zinischen und pflegerischen Betreuung der Patienten, zuwenden können. Bei
ihrer Entscheidung, in die Selbständigkeit zu gehen, brauchen sie zuverlässige
Rahmenbedingungen und langfristige Planungssicherheit. Dazu gehört auch
eine leistungsgerechte und kalkulierbare Honorierung. Nur so bleibt die Quali-
tät der medizinischen Versorgung auf Dauer gesichert.
In den neuen Ländern sind die Honorare der Ärzte an das Westniveau bis zum
Jahr 2006 anzupassen, um dem sich schon jetzt abzeichnenden Ärztemangel
entgegenzuwirken.
5.4 Stärkung der Selbstverwaltung an Stelle von staatlichem Dirigismus
Das kollektive Vertragssystem zwischen den Krankenkassen und Leistungser-
bringern hat sich grundsätzlich bewährt. Die vertragliche Steuerung verdient
den Vorzug gegenüber staatlichem Dirigismus. Deshalb sind die individuellen
Wahlmöglichkeiten der Versicherten und die solidarischen Wettbewerbsele-
mente auszubauen.
Um ein gleichmäßiges Versorgungsniveau für alle Versicherten zu gewährleis-
ten und kostentreibenden Wettbewerb zu verhindern, ist innerhalb der solida-
risch finanzierten GKV ein einheitlicher Leistungsrahmen unabdingbar. Auch
in Zukunft muss daher eine klare rechtliche Vorgabe die einheitliche Definition
dieses Leistungsrahmens über alle Träger der GKV hinweg sichern. Die indika-
tionsgerechte Präzisierung des Leistungskataloges sollte weiterhin durch damit
beauftragte Institutionen der gemeinsamen Selbstverwaltung erfolgen. Dabei
sind den Patienten und Versicherten Anhörungs- und Mitwirkungsbefugnisse
einzuräumen.
Der Gesetzgeber hat dafür zu sorgen, dass die Selbstverwaltung diese Aufgabe
auf einer rechtlich sicheren Grundlage erfüllen kann. Die Gründung eines Zen-
trums für Qualität in der Medizin an Stelle der bisher bestehenden Institutionen
der Selbstverwaltung ist abzulehnen. Die bestehenden Organe der Selbstver-
waltung sind vielmehr zu stärken. Der Koordinierungsausschuss, der Bundes-
ausschuss Ärzte und Krankenkassen, der Bundesausschuss Zahnärzte und
Krankenkassen und der Ausschuss Krankenhaus müssen die Möglichkeit erhal-
ten, sich bei ihren Entscheidungen wissenschaftlichen Sachverstandes zu bedie-
nen.
5.5 Qualitätswettbewerb statt Einkaufsmodell
Der Wettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung dient der Verbesse-
rung der Versorgung für die Patienten in qualitativer, humaner und wirtschaftli-
cher Hinsicht. In diesem Sinne ist ein Qualitätswettbewerb anzustreben. Statt
eines Wettbewerbs um Ärzte muss ein Wettbewerb um das beste Versorgungs-
konzept in Gang gesetzt werden. Dieser Qualitätswettbewerb ruht auf drei
Säulen:
1. In der ersten Säule (Basis) vereinbaren die Landesverbände der Krankenkas-

sen und die Kassenärztlichen Vereinigungen künftig einen Versorgungsauf-
trag für die Versicherten. Der Versorgungsauftrag definiert die Qualitätsan-
forderungen, die erfüllt sein müssen, um an der Versorgung teilnehmen zu
können. Er legt ferner die zu erwartende Menge der vertragsärztlichen Leis-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 9 – Drucksache 15/1174

tungen zur Versorgung fest. Dabei ist die Morbiditätsstruktur der Versicher-
ten zu berücksichtigen. An der Versorgung kann teilnehmen, wer über eine
Zulassung und die Qualifikation in der ärztlichen Weiterbildung verfügt so-
wie den im Versorgungsauftrag festgelegten Qualitätsanforderungen genügt.

2. In der zweiten Säule (Leistungsstufe) können die Vertragspartner zur Förde-
rung des Qualitäts-Wettbewerbs Versorgungsaufträge mit besonderen Quali-
tätsanforderungen vereinbaren, die z. B. für die Teilnahme an integrierten
Versorgungsangeboten oder Disease-Management-Programmen erforderlich
sind. Die Teilnahme an diesen Versorgungsaufträgen erfolgt über Ausschrei-
bungen und ist für Vertragsärzte und Versicherte freiwillig.

3. Alternativ zu den kollektivvertraglichen Vereinbarungen über Versorgungs-
aufträge in der zweiten Säule können Krankenkassen und deren Verbände
Direktverträge (dritte Säule) zur Förderung kooperativer Versorgungsformen
abschließen. Dazu gehören z. B. Verbundsysteme von vertragsärztlichen
Praxen und Krankenhäusern oder strukturierte Behandlungsprogramme, die
mindestens den hausärztlichen, fachärztlichen und stationären Versorgungs-
bereich umfassen.

Der Versicherte ist von seiner Krankenkasse über Inhalte und Unterschiede der
einzelnen Versorgungsangebote zu informieren.
5.6 Leistungsgerechte Honorierung
Für die Wahrnehmung des Versorgungsauftrages (Säule eins) wird eine arzt-
gruppenbezogene Gebührenordnung eingeführt. Besondere Versorgungsauf-
träge (Säule zwei) werden durch Vergütungszuschläge gefördert. Die Vergü-
tung im Rahmen der Direktverträge (dritte Säule) ist Verhandlungssache.
Entscheidet sich ein Versicherter unterjährig für die Teilnahme an einem Ver-
sorgungsangebot in Säule drei, sind die Vereinbarungen über Leistungsmengen
um den Versorgungsaufwand für den Versicherten zu reduzieren.
Bei der zahnärztlichen Versorgung ist, dort wo es Behandlungsalternativen gibt,
auf ein befundorientiertes Festzuschusskonzept umzustellen.
5.7 Stationäre Versorgung sichern, ambulanten und stationären Versorgungsbe-reich optimierend verzahnen
Eine weitgehende Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante fachärztliche
Versorgung – wie sie im Gesetzentwurf für ein Gesundheitssystemmodernisie-
rungsgesetz vorgesehen ist –, lehnt die Fraktion der CDU/CSU ab. Wie die Er-
fahrungen in den europäischen Nachbarländern zeigen, bewirkt dies keine Effi-
zienzsteigerung und Qualitätsverbesserung. Im Gegenteil, Wartelisten und eine
Zwei-Klassen-Medizin sind die Folge. Jedoch ist eine institutionelle Ermächti-
gung der Krankenhäuser zur Teilnahme an der ambulanten fachärztlichen Ver-
sorgung bei hochspezialisierten Leistungen nach der für die fachärztliche Ver-
sorgung geltenden Gebührenordnung zu erteilen.
Die integrierte Versorgung ist durch Schaffung von Handlungsmöglichkeiten
für die Selbstverwaltung zu fördern. Zur finanziellen Förderung integrierter
Versorgungsstrukturen kommt ein prozentualer Zuschlag pro Fallpauschale für
Krankenhäuser, die sich an der integrierten Versorgung beteiligen, in Frage.
Die Einführung des neuen Vergütungssystems hat erhebliche Auswirkungen
auf die Krankenhauslandschaft. Einzelnen bisher zugelassenen Krankenhäusern
wird aufgrund der Kostenstrukturen keine Gewähr mehr für eine leistungsfä-
hige und wirtschaftliche Krankenhausbehandlung geboten. Um Krankenhaus-
planung und individuelle Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser in Überein-
stimmung zu bringen, muss diesen veränderten Bedingungen Rechnung
getragen werden. Diese soll durch eine Krankenhausrahmenplanung der Länder

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geschehen. Dabei werden nur noch Standorte und an den Indikationen ausge-
richtete Versorgungsbedarfe festgelegt.
Eine Novellierung des Arbeitszeitgesetzes ist anzustreben, die das Urteil des
Europäischen Gerichtshofes zur Anerkennung des Bereitschaftsdienstes als Ar-
beitszeit berücksichtigt.
5.8 Öffentliche Apotheken als Garant für Arzneimittelsicherheit und flächen-deckende Versorgung
Die Qualität der Arzneimittelversorgung zu verbessern und Versorgungsstruk-
turen weiterzuentwickeln muss permanentes Ziel der Gesundheitspolitik sein.
Dabei sind die Apotheker in die wirtschaftliche Verantwortung einer optimalen
und preiswerten Versorgung mit Arzneimitteln stärker als bisher einzubeziehen.
Öffentliche Apotheken sind an Strukturen der „integrierten Versorgung“ zu be-
teiligen, wenn sie den Strukturanforderungen genügen.
Die Arzneimittelpreisverordnung ist dergestalt zu modifizieren, dass es im Be-
reich der höherpreisigen Arzneimittel langfristig zu einer Abflachung sowohl
des Großhandels als auch des Apothekenzuschlags kommt.
Telematik gestaltet das Arzneimittelmanagement effizienter und effektiver.
Hierzu müssen sowohl Notfall- und Medikamentendaten als auch Unverträg-
lichkeiten und Interaktionen auf einer intelligenten Patientenkarte gespeichert
werden. Die Voraussetzungen für ihren Einsatz sind zu schaffen.
Die Aufhebung des Mehrbesitzverbotes führt zwangsläufig zur Aufhebung des
Fremdbesitzverbotes. In Verbindung mit der Einführung des Versandhandels
gefährdet dies eine flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln und wird
deshalb von der Fraktion der CDU/CSU abgelehnt.
Bei den Arzneimitteln ist eine Umorientierung von einer an der Packungsgröße
orientierten Zuzahlung auf eine am Preis orientierte prozentuale Zuzahlung
geboten. Eine am Einkommen orientierte Überforderungsklausel stellt den so-
zialen Schutz sicher.
5.9 Arznei- und Hilfsmittelversorgung wirtschaftlich gestalten
Im Arzneimittel- und Hilfsmittelsektor hat sich das Festbetragskonzept als
wettbewerbsförderndes Modell der begrenzten Leistungszusage für die Versi-
cherten erwiesen und bewährt. Es definiert die Kernleistungszusage der GKV
gegenüber ihren Versicherten und lässt die preislich teurere Wahlleistung offen.
Freie Preisverhandlungen, Festbeträge und dirigistische Maßnahmen wie die
Positivliste und die Aut-idem-Regelung stehen unkoordiniert nebeneinander
und führen zu einem Wirrwarr. Die vielen nicht aufeinander abgestimmten In-
strumente bergen die Gefahr einer Verschlechterung bei gleichzeitig möglicher
Verteuerung der Arzneimittelversorgung insgesamt.
5.10 Entsolidarisierung vermeiden und Risikostrukturausgleich vereinfachenund begrenzen
Im Wettbewerb der Kassen um Mitglieder ist es Aufgabe der Politik, eine Ent-
wicklung zu verhindern, die Entsolidarisierung und Risikoselektion ermöglicht.
Deshalb kann auf einen Risikostrukturausgleich vorerst noch nicht verzichtet
werden. Er ist so zu modifizieren, dass von ihm keine fehlsteuernden Anreize
ausgehen, die Morbidität der Versicherten differenzierter als im geltenden
Recht berücksichtigt und sein Volumen nicht weiter ausgedehnt wird.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 11 – Drucksache 15/1174

6 Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung nachhaltigsichern
6.1 Lohnnebenkosten senken und Lasten gerecht verteilen
Eine Stabilisierung der Finanzgrundlagen der GKV ist maßgeblich vomWachs-
tum unserer Volkswirtschaft abhängig. Daher müssen wir alle unsere Bemühun-
gen auf die Schaffung von Rahmenbedingungen konzentrieren, die ein dauer-
haftes Wirtschaftswachstum ermöglichen. Nur so wird es uns möglich sein, die
viel zu hohe Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Dazu ist eine Senkung der Gesamt-
Sozialbeiträge unter die 40-Prozent-Marke erforderlich. Das ist eine gewaltige
Aufgabe, die zwar nicht allein auf die GKV beschränkt bleibt, aber gerade auch
von ihr besondere Anstrengungen erfordert. Der GKV-Beitrag muss daher in-
nerhalb kurzer Zeit von heute 14,4 % auf durchschnittlich 13 % abgesenkt und
auf diesem Niveau nachhaltig stabilisiert werden. Es liegt auf der Hand, dass
eine solche Anstrengung weder alleine von den Patienten noch von den Versi-
cherten und Leistungserbringern oder von den Steuerzahlern erbracht werden
kann. Vielmehr muss diese Last gerecht auf alle Schultern verteilt werden. Des-
halb ist es geboten, die Finanzierung „versicherungsfremder Leistungen“ aus
der gesetzlichen Krankenversicherung herauszunehmen und die Finanzierung
des Zahnersatzes durch private Pflichtversicherung zu gewährleisten. Um
Wachstumspotentiale auf dem Markt für Gesundheit nicht zu behindern, gleich-
zeitig aber bei begrenzten Finanzmitteln der Solidargemeinschaft einem über-
zogenen Inanspruchnahmeverhalten der Patienten zu begegnen, ist eine Fest-
schreibung des Arbeitgeberbeitrags und die Verknüpfung der Selbstbeteiligung
der Patienten mit der Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen sinnvoll.
Auf der anderen Seite muss die gesetzliche Krankenversicherung von überbor-
denden bürokratischen Strukturen befreit werden. Deshalb sind die Verwal-
tungsaufwendungen bei Kassen und Leistungserbringern innerhalb der nächs-
ten drei Jahre erheblich zu reduzieren.
6.2 Verantwortungsbewusste Leistungsinanspruchnahme durch Selbstbeteili-gung der Patienten
Um ein rationales Inanspruchnahmeverhalten der Patienten zu fördern und ih-
nen damit auch die unmittelbare Verantwortung für die Folgen ihres Handelns
zu verdeutlichen, wird über alle Leistungsbereiche hinweg eine 10 %ige Selbst-
beteiligung eingeführt, mindestens jedoch 5 Euro, bei einer Begrenzung auf
maximal 2 % des jährlichen Bruttoeinkommens. Ausgenommen von der Selbst-
beteiligung sind beitragsfrei mitversicherte Kinder sowie alle Maßnahmen der
Vorsorge und Früherkennung.
6.3 Mehrwertsteuer auf Arzneimittel absenken und „versicherungsfremde Leis-tungen“ umfinanzieren
Auf Arzneimittel wird – wie auch bei anderen Gütern des Grundbedarfs – der
ermäßigte Mehrwertsteuersatz erhoben. Dadurch werden die Beitragszahler um
1,5 Mrd. Euro jährlich entlastet.
Unter dem Aspekt einer gerechten Lastenverteilung ist es geboten, die Finan-
zierung „versicherungsfremder Leistungen“ aus der gesetzlichen Krankenversi-
cherung herauszunehmen und einer sachgerechten Finanzierung zuzuführen.
Insgesamt beläuft sich das Entlastungsvolumen auf 6,0 Mrd. Euro.
6.4 Neuordnung der Lasten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern
Im Bereich des Zahnersatzes besitzt die Eigenverantwortung der Versicherten
für ihre Gesundheit einen hohen Stellenwert. Durch regelmäßige Zahnpflege
und Prophylaxemaßnahmen können Erkrankungen und nachfolgende aufwän-
dige Behandlungen in aller Regel vollständig vermieden werden. Von wenigen

Drucksache 15/1174 – 12 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

medizinisch begründeten Ausnahmen (z. B. Missbildungen und Krebserkran-
kungen) sowie von Unfallfolgen abgesehen haben es die Versicherten also
selbst in der Hand, welche Aufwendungen die Erhaltung oder Verbesserung ih-
rer Mundgesundheit erfordert. Diese Überlegungen liegen auch dem in der
GKV bereits seit Jahren erfolgreich praktizierten präventionsorientierten An-
satz zugrunde, nach dem die Versicherten grundsätzlich eine Eigenbeteiligung
zur Versorgung mit Zahnersatz zu leisten haben, deren Höhe von den eigenen
Anstrengungen zur Gesunderhaltung der Zähne abhängt. Die Versicherten sind
hier also bereits seit Jahren mit dem Gedanken einer auch finanziell verstande-
nen Eigenverantwortung für ihren Gesundheitszustand vertraut.
Diesen richtigen Ansatz gilt es nun konsequent fortzuführen, indem der Bereich
des Zahnersatzes in die vollständige Eigenverantwortung der Versicherten
überführt wird. Gleichzeitig könnte der Beitragssatz zur GKV insgesamt um bis
zu 0,36 Prozentpunkte abgesenkt werden. Alle GKV-Versicherten werden im
Gegenzug verpflichtet, eine ergänzende private Versicherung für den Zahn-
ersatz abzuschließen. Die monatlichen Prämien für eine solche Versicherung
lägen bei ca. 7,50 Euro im Monat. Die private Absicherung des Zahnersatzes
erfolgt ohne Risikoprüfung und Risikozuschläge. Es besteht Kontrahierungs-
zwang. In der Kalkulation ist das heutige Leistungsspektrum der GKV zu
Grunde gelegt. Die bereits erworbenen Bonusansprüche werden in die Erstat-
tungssätze der privaten Krankenversicherung übernommen. Kinder sind weiter-
hin beitragsfrei mitversichert. Durch die Einführung einer Versicherungspflicht
für den Zahnersatz ist zugleich sichergestellt, dass kein bisher in der GKV Ver-
sicherter in Zukunft ohne einen ausreichenden Versicherungsschutz auskom-
men muss.
6.5 Abbau von Bürokratie zur Entlastung der Beitragszahler
Zum Abbau bürokratischer Strukturen in der GKV werden die Aufwendungen
für Verwaltung in einem Umfang von 3 Mrd. Euro innerhalb der nächsten drei
Jahre reduziert, z. B. durch eine Verbesserung der Organisationsstruktur der
Krankenkassen (Zulassung von Fusionen, jedoch nicht kassenartenübergrei-
fend), eine drastische Vereinfachung der Regelungen zu den Disease-Manage-
ment-Programmen, der integrierten Versorgung und den DRGs (Diagnostic Re-
lated Groups) sowie einer deutlichen Reduktion der staatlichen Interventionen
über Institute und Listenmedizin.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
einen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag einzubringen, der die wech-
selseitige Wirkung zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und wirtschaft-
lichen sowie gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beachtet und die vorste-
hend genannten Inhalte berücksichtigt, insbesondere:
l Optimierung von Qualität, Effizienz und Wirtschaftlichkeit anstelle von Ra-

tionierung, Gängelung und staatlichem Dirigismus im Gesundheitswesen;
l Verbesserung von Prävention und Gesundheitsförderung (Bonussystem);
l mehr Entscheidungsfreiheiten der Versicherten bei den Versicherungskondi-

tionen;
l Stärkung der Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte von Patienten und Versi-

cherten, vor allem in den Selbstverwaltungsgremien der Krankenkassen;
l Verbesserung der Transparenz von Qualität und Kosten der Gesundheitsleis-

tungen durch einen Abrechnungsbeleg und die Wahlmöglichkeit zur Kosten-
erstattung;

l Erhalt der freien Arzt- und Krankenhauswahl;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13 – Drucksache 15/1174

l fairen Vertragswettbewerb, der kein ruinöser Wettbewerb mit gravierenden
Nachteilen für die Versorgung der Patienten ist, sondern das Ziel einer quali-
tativ hochwertigen medizinischen Versorgung hat;

l stärkere Orientierung der Leistungsvergütung an Qualitätsmerkmalen;
l Abbau des Ärzte- und Pflegekräftemangels in Krankenhäusern und Heimen;
l Verbesserung der Arbeitsbedingungen für motivierte und qualifizierte Leis-

tungserbringer;
l einfache, gerechte und transparente Ausgestaltung des Risikostrukturaus-

gleichs bei anzustrebender Begrenzung;
l Abbau der Bürokratie und Rückführung der Verwaltungskosten;
l Gleichbehandlung von GKV-Versicherten und Sozialhilfeempfängern, die

Krankenhilfe erhalten;
l Halbierung des Mehrwertsteuersatzes bei Arzneimitteln;
l private Absicherung von Zahnersatz sowie Herausnahme versicherungs-

fremder Leistungen aus der GKV;
l sozial begrenzte, verhaltenssteuernde, prozentuale Selbstbeteiligungen bei

Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen;
l Festschreibung des Arbeitgeberbeitrages;
l zeit- und wirkungsgleiche Anpassung der Maßnahmen in der Beihilfe.

Berlin, den 17. Juni 2003
Annette Widmann-Mauz
Andreas Storm
Dr. Wolf Bauer
Monika Brüning
Verena Butalikakis
Dr. Hans Georg Faust
Michael Hennrich
Hubert Hüppe
Volker Kauder
Barbara Lanzinger
Maria Michalk
Matthias Sehling
Jens Spahn
Matthäus Strebl
Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Wolfgang Zöller
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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