BT-Drucksache 15/1095

Qualitätssicherung im Bildungswesen und kulturelle Vielfalt bei GATS-Verhandlungen garantieren

Vom 3. Juni 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1095
15. Wahlperiode 03. 06. 2003

Antrag
der Abgeordneten Katherina Reiche, Thomas Rachel, Günter Nooke, Bernd
Neumann (Bremen), Marion Seib, Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen), Dr. Christoph
Bergner, Renate Blank, Helge Braun, Vera Dominke, Axel E. Fischer (Karlsruhe-
Land), Dr. Peter Gauweiler, Volker Kauder, Michael Kretschmer, Dr. Günter Krings,
Dr. Martina Krogmann, Dr. Norbert Lammert, Vera Lengsfeld, Werner Lensing,
Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn), Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, Uwe Schummer,
Erika Steinbach, Christian Freiherr von Stetten, Edeltraut Töpfer, Angelika
Volquartz, Wolfgang Zeitlmann, und der Fraktion der CDU/CSU

Qualitätssicherung im Bildungswesen und kulturelle Vielfalt bei
GATS-Verhandlungen garantieren

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Das 1995 in Kraft getretene Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen
(GATS – General Agreement on Trade in Services) ist eine der tragenden Säu-
len der Welthandelsorganisation (WTO – World Trade Organization). Mit die-
sem Abkommen haben Deutschland und die übrigen EU-Mitglieder die grund-
sätzliche Verpflichtung zur Liberalisierung des Dienstleistungssektors über-
nommen. Als Rahmenabkommen verankert GATS die Verpflichtungen zur
Meistbegünstigung (Artikel II), zur Inländerbehandlung ausländischer Anbieter
(Artikel XVII) und zum freien Marktzutritt (XVI). Ziel der EU sind mehr und
ausgeglichene Verpflichtungen aller Mitglieder der Welthandelsorganisation.
Nicht zum Anwendungsbereich des GATS-Übereinkommens gehören hoheit-
lich erbrachte Dienstleistungen (Artikel I 3b).
Die Bildungsdienstleistungen sind als einer von zwölf großen Dienstleistungs-
sektoren in das GATS-Abkommen mit einbezogen. Damit wird die Bedeutung
der Bildungsdienstleistungen unterstrichen und festgestellt, dass Bildung und
der Handel mit Bildung bedeutsame wirtschaftliche Faktoren sein können.
Durch GATS bieten sich für Bildungseinrichtungen erhebliche Chancen im
Ausland, wie die Gründung neuer Hochschuleinrichtungen durch deutsche Uni-
versitäten, allein oder mit Kooperationspartnern, gezeigt hat. GATS eröffnet die
Möglichkeit, in Deutschland notwendige Veränderungen der Bildungs- und
Hochschullandschaft voranzutreiben. Die Liberalisierung im Dienstleistungs-
bereich trägt zum Wettbewerb auch zwischen den Bildungsanbietern und damit
zu mehr Leistungsorientierung und Qualitätssteigerung bei.
Allerdings gilt es, bei den konkreten GATS-Verhandlungen zu berücksichtigen,
dass Bildung zu den Kernaufgaben einer demokratischen Gemeinschaft gehört
und nicht ausschließlich wirtschaftlichen Gesichtspunkten untergeordnet wer-
den darf. Die Struktur des öffentlich finanzierten Bildungssystems in Deutsch-
land darf deshalb nicht generell zur Disposition gestellt werden. Ausländische
private Bildungsangebote sind willkommen und zu begrüßen, wenn sie vom
Staat überprüfte Qualitätsstandards erfüllen. Die Sicherstellung eines solchen

Drucksache 15/1095 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Qualitätsstandards im Bildungswesen bei in- und ausländischen Anbietern ge-
hört zum Kernbereich der staatlichen Daseinsvorsorge.
Im Bereich der Bildungsdienstleistungen hat die EU keine Forderungen an
Drittlandsstaaten gerichtet – bis auf eine Ausnahme: Dabei handelt es sich um
die an die USA gerichtete punktuelle Forderung für privat finanzierte Dienst-
leistungen der höheren Bildung („Higher education Services“), für die seitens
die EU bereits eine korrespondierende Liberalisierungsverpflichtung besteht.
Im Hinblick auf den Bereich der audiovisuellen und kulturellen Dienstleistun-
gen weist der Deutsche Bundestag auf die besondere historisch gewachsene
Struktur und die kulturelle Vielfalt in Deutschland und den Regionen Europas
hin. Er befürwortet ein völkerrechtliches Abkommen zum Schutz der kulturel-
len Vielfalt, das bei künftigen Liberalisierungsverhandlungen als Standard und
Referenzpunkt zu berücksichtigen sein wird.
Erfolgreiche Bildungspolitik trägt auch dazu bei, dass kulturelle Produktion in
ihren unterschiedlichen Ausprägungen nachgefragt und damit ihre Vielfalt er-
halten und gesichert wird. Die fortschreitende Liberalisierung darf nicht dazu
führen, die Identität und regionalen Zusammenhalt stiftende Rolle der Kultur
geringer zu bewerten.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt
l die Liberalisierung des Welthandels auch im Dienstleistungsbereich,
l eine weitere Verbesserung des Marktzugangs für Dienstleistungen, bei

gleichzeitig hohen Qualitäts- und Sicherheitsstandarts,
l dass keine weiteren Liberalisierungsangebote im Bereich der audiovisuellen

und kulturellen Dienstleistungen gemacht werden,
l die von der Bund-Länder-Kommission (BLK) für Bildungsplanung und For-

schungsförderung im Oktober 2002 beschlossene gemeinsame Grundsatz-
position von Bund und Ländern zur Behandlung von Bildungsdienstleistun-
gen in den GATS-Verhandlungen,

l die Bestrebungen und Anstrengungen der EU-Kommission, ihre Verhand-
lungsführung in Fragen des Welthandels für die Öffentlichkeit transparenter
zu gestalten und für mehr Information und Aufklärung zu sorgen.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
folgende Sachverhalte sicherzustellen und bei den GATS-Verhandlungen zu be-
rücksichtigen:
1. Die von den Ländern und dem Bund wahrgenommene öffentliche Aufsicht

über das Bildungswesen muss erhalten bleiben und darf durch das GATS-
Abkommen nicht beeinträchtigt werden.

2. Die von den Bundesländern wahrgenommene Kulturhoheit darf durch das
GATS-Abkommen nicht beeinträchtigt werden.

3. Die Setzung und Sicherung von Qualitätsstandards sowie die Akkreditie-
rung und die Anerkennung von Hochschulabschlüssen müssen grundsätzlich
in der Regelungsbefugnis des Staates bleiben.

4. Die Regeln zur „Inländerbehandlung“ gemäß Artikel XII des GATS-Vertra-
ges dürfen nicht so ausgelegt werden, dass eine generelle Verpflichtung zur
staatlichen Subventionierung auch privater Anbieter entsteht. Die staatliche
Finanzierung von Bildungs- und Kultureinrichtungen in Deutschland darf
keine Subventionsansprüche ausländischer Anbieter erzwingen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1095

5. Vor weiteren Liberalisierungszugeständnissen der europäischen Seite ist im
Sinne der Gegenseitigkeit eine Angleichung im Verpflichtungsniveau der
wichtigsten Verhandlungspartner anzustreben, da die bisherigen Verpflich-
tungen der EU bzw. ihrer Mitglieder zur Liberalisierung erheblich weiter
reichen als die anderer Mitgliedstaaten der WTO, insbesondere diejenigen
der USA und Australiens.

6. Der deutsche Bildungsmarkt ist in dem Maße weiter zu öffnen, in dem an-
dere Länder ihren Bildungsmarkt gleichzeitig und in der gleichen Intensität
dem Wettbewerb öffnen.

7. Ein völkerrechtliches Abkommen zum Schutz kultureller Vielfalt als Refe-
renzgröße für weitere Liberalisierungen im Dienstleistungssektor ist anzu-
regen und Schritte zu dessen Verwirklichung sind zu unternehmen.

8. Die EU-Kommission wird gebeten, die wichtigsten internationalen Abkom-
men mit Drittstaaten und Staatengruppen auf ihre Vereinbarkeit mit den zu
GATS eingenommenen Positionen zu überprüfen.

9. Dem Deutschen Bundestag – besonders seinen mit der Thematik betrauten
Fachausschüssen – und den Bundesländern sind im Vorfeld der weiteren
Verhandlungsstufen im Rahmen des GATS Planungsstand, Veränderungen
und weitere Liberalisierungsangebote umfassend und rechtzeitig zur Bera-
tung vorzulegen.

Berlin, den 19. Mai 2003
Katherina Reiche
Thomas Rachel
Günter Nooke
Bernd Neumann (Bremen)
Marion Seib
Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen)
Dr. Christoph Bergner
Renate Blank
Helge Braun
Vera Dominke
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
Dr. Peter Gauweiler
Volker Kauder
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Norbert Lammert
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Uwe Schummer
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Edeltraut Töpfer
Angelika Volquartz
Wolfgang Zeitlmann
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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