BT-Drucksache 15/1008

Für ein höheres Liberalisierungsniveau beim Welthandel mit Dienstleistungen - GATS-Verhandlungen zügig voranbringen

Vom 20. Mai 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1008
15. Wahlperiode 20. 05. 2003

Antrag
der Abgeordneten Erich G. Fritz, Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl,
Veronika Bellmann, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Alexander Dobrindt,
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Dr. Michael Fuchs, Dr. Reinhard Göhner,
Siegfried Helias, Ernst Hinsken, Robert Hochbaum, Volker Kauder, Dr. Martina
Krogmann, Dr. Hermann Kues, Wolfgang Meckelburg, Friedrich Merz, Laurenz
Meyer (Hamm), Dr. Joachim Pfeiffer, Hans-Peter Repnik, Dr. Heinz Riesenhuber,
Franz Romer, Hartmut Schauerte, Johannes Singhammer, Max Straubinger
und der Fraktion der CDU/CSU

Für ein höheres Liberalisierungsniveau beim Welthandel mit Dienstleistungen –
GATS-Verhandlungen zügig voranbringen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Das Allgemeine Abkommen der WTO über den Handel mit Dienstleistungen
(GATS), das seit dem 1. Januar 1995 in Kraft ist, ist neben demGüterabkommen
(GATT) und dem Abkommen über den Schutz geistigen Eigentums (TRIPS)
eine der tragenden Säulen der Welthandelsorganisation (WTO). Das GATS ist
zudem das erste multilaterale Abkommen zur fortlaufenden Liberalisierung des
internationalen Dienstleistungshandels. Es erfasst grundsätzlich alle Dienstleis-
tungsbereiche, z. B. Finanzdienstleistungen, Bildungsdienstleistungen, medizi-
nische und soziale Dienstleistungen, Telekommunikation, Tourismus. Ausge-
nommen sind hoheitlich erbrachteDienstleistungen und Luftverkehrsrechte. Das
GATS ermöglicht den WTO-Mitgliedstaaten eine „maßgeschneiderte“ Liberali-
sierung, d. h. eine individuelle Festlegung des Liberalisierungsniveaus in den
unterschiedlichen Dienstleistungssektoren. Das Übereinkommen erkennt aus-
drücklich das Recht der WTO-Mitglieder an, die Erbringung von Dienstleistun-
gen zu regeln, um ihre nationalen politischen Ziele zu erreichen.
Zentrales Anliegen des GATS sind die Verpflichtungen zur Meistbegünstigung,
zur Inländerbehandlung ausländischer Anbieter (Nichtdiskriminierung) und
zum freien Marktzutritt.
Dienstleistungen besitzen weltweit große Bedeutung für Wachstum und Be-
schäftigung. Seit Anfang der 80er Jahre stellt der internationale Dienstleistungs-
handel den Teil desWelthandels dar, der am stärksten expandiert (1980 bis 1999:
+ 6,9 % p. a. imVergleich zu + 5,6 % imWarenhandel). In allen hoch entwickel-
ten Volkswirtschaften machen Dienstleistungen den größten Teil an der gesamt-
wirtschaftlichen Wertschöpfung aus. So betrug der Anteil des Dienstleistungs-
sektors an der Bruttowertschöpfung in Deutschland im Jahr 2002 70,8 %. Aber
auch für viele Schwellen- und Entwicklungsländer besitzen die Dienstleistungen

Drucksache 15/1008 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

erhebliches Gewicht. Ihr BIP-Anteil beträgt beispielsweise in Indien 45 % oder
in Kenia 56 % und dies mit steigender Tendenz.
Auch die internationale Dimension des Strukturwandels wird immer deutlicher
sichtbar. Die grenzüberschreitenden Dienstleistungsexporte machen 1/5 des
weltweiten Handels aus. Die Dynamik der globalen Dienstleistungsexporte
übersteigt sogar das starke Wachstum der Warenausfuhren. Seit Anfang der
90er Jahre hat der grenzüberschreitende Dienstleistungshandel um über 50 %
zugelegt und wuchs damit rund 10 % schneller als der Warenexport. Die EU ist
mit einem Anteil von über 26 % der weltweit größte Exporteur grenzüber-
schreitender Dienstleistungen und gleichzeitig auch der größte Importeur. Die
Bedeutung des internationalen Dienstleistungsgeschäfts geht jedoch weit über
den grenzüberschreitenden Verkehr hinaus. Meist werden grenzüberschreitende
Dienstleistungen von Unternehmen im internationalen Geschäft vor Ort, d. h.
in Verbindung mit Direktinvestitionen, erbracht. Rund 60 % der weltweiten
grenzüberschreitenden Investitionen werden im Dienstleistungssektor getätigt.
Das große deutsche Interesse an Liberalisierungsfortschritten im Dienstleis-
tungsbereich lässt sich u. a. damit erklären, dass die Dienstleistungen in den
letzten Jahren überproportional zum deutschen Export beigetragen haben. Mehr
als zwei Drittel der Beschäftigten in Deutschland arbeiten in der Dienstleis-
tungsbranche. Zudem war Deutschland 2002 der weltweit drittgrößte Exporteur
und sogar der zweitgrößte Importeur beim Handel mit Dienstleistungen. 2002
flossen Dienstleistungen im Wert von rund 130 Mrd. Euro nach Deutschland,
was 9 % der weltweit gehandelten Dienstleistungen entspricht.
Trotz der Bedeutsamkeit des Dienstleistungssektors wird der internationale
Dienstleistungshandel durch vielfältige Handelshemmnisse behindert. Schät-
zungen des Institute for International Economics zufolge liegt die Höhe des
Einfuhrschutzes in den Dienstleistungsbranchen in allen drei großen Handels-
regionen durchschnittlich noch deutlich über 50 %. Es gibt somit noch erheb-
lichen Spielraum für die Erhöhung der Wohlfahrt der Konsumenten.
Insbesondere aus dem Lager der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wird
die Sorge geäußert, mit dem GATS die Privatisierung etwa der öffentlichen
Wasserversorgung oder der Hochschulausbildung vorantreiben zu wollen.
Kampagnen seitens ATTAC oder VENRO enthalten u. a. die Forderung nach
Ausnahmeregeln vom GATS für Dienstleistungen im Bereich der Daseinsvor-
sorge („public services“ wie Bildung, Gesundheit, Umwelt und Wasser).
Die Befürchtung, dass mit Hilfe von GATS die nationale Gesetzgebung der
Parlamente ausgehebelt wird, öffentliche Monopole durch private ersetzt wer-
den und es unter dem Druck des Marktes zu einer allgemeinen Niveausenkung
der Angebote kommt, ist jedoch unbegründet, da die EU die Daseinsvorsorge
nicht in die GATS-Verhandlungen hineingenommen hat. Vielmehr wird in den
EU-Forderungen und EU-Angeboten ausdrücklich klargestellt, dass sie weder
auf eine Beeinträchtigung von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge noch auf
Privatisierung zielen.
Vor diesem Hintergrund und um einen Beitrag zur Klärung der noch offenen
Fragen im Zuge der Dienstleistungsverhandlungen zu leisten, hat der Aus-
schuss für Wirtschaft und Arbeit am 7. April 2003 eine Anhörung unter dem
Titel „GATS – Chancen und Risiken für Wirtschaft und Beschäftigung in
Deutschland“ durchgeführt.
Der Deutsche Bundestag ist sich bewusst und wird darauf drängen, dass in der
nun beginnenden Verhandlungsetappe nach der Einbringung der so genannten
EU-Offers Modifizierungen der vorgelegten und ohnehin nur vorläufigen Ein-
gangsangebote nach wie vor möglich bleiben.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1008

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. konsequent dafür einzutreten, dass das Verfahren zwischen Berlin, Brüssel

und Genf nicht durch den von der Regierungskoalition beschlossenen Par-
lamentsvorbehalt verzögert, sondern zügig fortgesetzt wird. Eine Verzöge-
rung des Verfahrens hätte gravierende Konsequenzen mit Nachteilen für
Deutschland, die in keinem Verhältnis zu den noch zu klärenden Fragen
stehen;

2. bei den laufenden GATS-Dienstleistungsverhandlungen weiterhin darauf
hinzuwirken, ein höheres Liberalisierungsniveau beim Welthandel mit
Dienstleistungen zu erzielen. Dies dient nicht nur verbesserten Exportmög-
lichkeiten der deutschen und europäischen Dienstleistungsindustrie, son-
dern auch der Sicherung von Arbeitsplätzen und Exporterlösen;

3. sich dafür einzusetzen, dass die Liberalisierungslücke zum Güterbereich
im Rahmen der laufenden GATS-Verhandlungen weiter geschlossen wird;

4. für substanzielle Liberalisierungsfortschritte in allen kommerziellen
Dienstleistungssektoren einzutreten;

5. dafür einzutreten, dass die Industrieländer bei den Dienstleistungsverhand-
lungen Entwicklungsländerinteressen angemessen berücksichtigen, um so
die notwendige Liberalisierung in Entwicklungsländern zu unterstützen
und die damit einhergehenden Chancen für die Entwicklungsländer zu er-
höhen;

6. die Beteiligungsrechte des Parlaments ernst zu nehmen und zu wahren, da
die veränderte Form internationaler Rechtsetzung über multilaterale Ver-
handlungen einer stärkeren Beteiligung des Parlaments bedarf, wenn der
Prozess der Globalisierung in der Bevölkerung Akzeptanz finden soll;

7. mit dem Deutschen Bundestag ein standardisiertes Informations- und Be-
teiligungsverfahren zur Vorbereitung auf supranationale und multilaterale
Verhandlungen zu entwickeln;

8. bei den laufenden Dienstleistungsverhandlungen die Vorbereitung von Ver-
handlungspositionen wie auch wesentliche Schritte der Verhandlungen
selbst so transparent wie möglich zu gestalten und damit auf Vertraulich-
keit zu verzichten;

9. der Bevölkerung zu verdeutlichen, dass die von Deutschland bereits auf na-
tionaler Ebene eingegangenen Verpflichtungen jetzt in einen verlässlichen
international, multilateral, völkerrechtlich verbindlichen Rahmen gegossen
werden. Die Liberalisierungen, die nun im GATS gewährt werden sollen,
sind nicht so weitreichend, wie die Verpflichtungen, die Deutschland be-
reits auf nationaler Ebene eingegangen ist;

10. nachdrücklich der Öffentlichkeit deutlich zu machen, dass die Befürchtun-
gen über nachteilige Auswirkungen auf die Innenpolitiken der Nationen
und auf Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge wie auch die Befürch-
tungen über Einschränkungen der nationalen Gesetzgebungskompetenzen
falsch und unbegründet sind, da die Struktur des GATS-Übereinkommens
es der freien und souveränen Entscheidung jedes Landes überlässt, ob und
in welchem Umfang bestimmte Verpflichtungen übernommen werden und
das GATS-Übereinkommen ausdrücklich das Recht der WTO-Mitglieder
anerkennt, die Erbringung von Dienstleistungen zu regeln, um ihre nationa-
len politischen Ziele zu erreichen;

11. deutlich zu machen, dass einmal eingegangene Verpflichtungen zurück-
genommen werden können, sofern Kompensationsleistungen gegenüber
anderen Mitgliedstaaten erfolgen und sofern diese Mitgliedstaaten kon-
krete wirtschaftliche Nachteile nachgewiesen haben;

Drucksache 15/1008 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
12. sicherzustellen, dass durch GATS keine generelle Öffnung der Arbeits-
märkte und keine dauerhafte Einwanderung stattfindet, sondern notwen-
dige und zeitlich begrenzte grenzüberschreitende Personenbewegungen vor
allem hoch qualifizierter Fach- und Führungskräfte anstrebt werden. Die
bestehenden nationalen Regelungen haben dabei uneingeschränkt Geltung;

13. sich für eine eindeutige und entsprechend den deutschen Zuwanderungs-
regeln eng begrenzte Definition des Begriffs „independent professional“
einzusetzen, da beispielsweise das Wort self-employed europaweit unter-
schiedlich definiert wird;

14. gegenüber dem Deutschen Bundestag klarzustellen, wer bei der neu auf-
genommenen Unterkategorie der „independent professionals“ unter wel-
chen Bedingungen und in welchem Zeitrahmen in die EU einreisen kann
und dabei sicherzustellen, dass die nationalen Zuwanderungsregeln unein-
geschränkt eingehalten werden;

15. dafür einzutreten, dass Dienstleistungen im Bereich der Daseinsvorsorge
privatwirtschaftlich erbracht werden, soweit dies effektiver und effizienter
und ohne Beeinträchtigung der an die Leistungserbringung geknüpften Ge-
meinwohlanforderungen möglich ist.

Berlin, den 20. Mai 2003
Erich G. Fritz
Karl-Josef Laumann
Dagmar Wöhrl
Veronika Bellmann
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
Alexander Dobrindt
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Dr. Michael Fuchs
Dr. Reinhard Göhner
Siegfried Helias
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Volker Kauder
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Wolfgang Meckelburg
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)
Dr. Joachim Pfeiffer
Hans-Peter Repnik
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hartmut Schauerte
Johannes Singhammer
Max Straubinger
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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