BT-Drucksache 14/998

Bau- und Betriebsanordnung für regionale Eisenbahnstrecken

Vom 6. Mai 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/998 vom 06.05.1999

Antrag der Fraktion der PDS Bau- und Betriebsordnung für Regionale
Eisenbahnstrecken =

06.05.1999 - 998

14/998

Antrag
der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, Dr. Gregor
Gysi
und der Fraktion der PDS
Bau- und Betriebsordnung für Regionale Eisenbahnstrecken

Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
1. Das technisch-betriebliche Regelwerk der Eisenbahnen bedarf der
Überarbeitung.
Das historisch gewachsene Regelwerk der Eisenbahn-Bau- und -
Betriebsordung (EBO) sowie deren Umsetzung durch das Eisenbahn-
Bundesamt (EBA) wird von vielen Seiten als unnötig einengend
kritisiert. Insbesondere werden innovative Ansätze, die der Bahn
verlorengegangene Anteile des Verkehrssektors zurückgewinnen könnten,
behindert.
2. Ein verschiedentlich geforderter bloßer Abbau von Vorschriften,
bei dem die Betriebsbedingungen - in Anlehnung an die Verhältnisse bei
Straßenbahnen - weitgehend vom Betreiber und der Aufsichtsbehörde
ausgehandelt werden, wäre dem Problem nicht angemessen. Gerade die
spektakulären Eisenbahnunfälle der letzten Zeit machen deutlich, daß
die strenge Einhaltung und Überwachung von Sicherheitsbestimmungen
unverzichtbar sind.
3. Dem gegenüber stehen Anforderungen an die Wirtschaftlichkeit der
Eisenbahnen. Sowohl im Bau und Unterhalt als auch im Betrieb liegen die
gegenwärtigen Kosten vieler Bahnstrecken, gemessen am derzeitigen
Verkehrsaufkommen, über der Wirtschaftlichkeitsgrenze. Durch
attraktivere Angebote und eine Verkehrspolitik, die weniger Anreize zum
Autofahren und mehr Anreize zum Benutzen umweltfreundlicher
Verkehrsmittel bietet, ist zwar generell ein deutlich erhöhtes
Verkehrsaufkommen auf der Schiene zu realisieren. Dies allein reicht
jedoch meist nicht aus, ein wirtschaftlich vertretbares
Betriebsergebnis zu erreichen. Zusätzlich müssen deutliche
Kostensenkungen in den genannten Bereichen Bau, Unterhalt und Betrieb
realisiert werden.
4. Während hohe Sicherheitsanforderungen vor allem bei hohen
Fahrgeschwindigkeiten und starkem Verkehrsaufkommen von Bedeutung sind,
stellt sich die Wirtschaftlichkeitsfrage insbesondere bei Strecken mit
geringem Verkehrsaufkommen, auf denen in der Regel auch nur mäßige
Fahrgeschwindigkeiten erreicht werden.
Es ist daher sinnvoll, eine Differenzierung in den jeweiligen
Anforderungen für Bahnstrecken vorzunehmen, die über die bisherige in
der EBO verankerte Unterscheidung von Haupt- und Nebenstrecken
hinausgeht.
5. Mit einer Ausnahmegenehmigung von der Eisenbahn-Bau- und -
Betriebsordnung können fast beliebige besondere Betriebssituationen
berücksichtigt werden, da diese in § 3 eine entsprechende
Generalklausel enthält. Sollen aber viele einfach zu bauende und zu
betreibende Eisenbahnen das Land überziehen, wird die Ausnahme zur
Regel. Dann ist es sinnvoll, alle diesbezüglichen Regelungen zu einer
Bau- und Betriebsordnung für Regionale Eisenbahnen zusammenzufassen.
In der Gesamtheit muß deutlich werden, daß es nicht um eine
Verringerung der Sicherheit des Schienenverkehrs geht, sondern um eine
deutliche qualitative Abstufung, indem eine neue Kategorie von
Eisenbahnen im Schwachlastbereich definiert wird, bei der geringere
Anforderungen völlig ausreichen. Im Gegenzug können dann die
Sicherheitsbestimmungen für Vollbahnen auf hohem Niveau festgeschrieben
werden.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
dafür Sorge zu tragen, daß das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen im Benehmen mit dem Verkehrsausschuß des Deutschen
Bundestages und mit Zustimmung des Bundesrates eine Bau- und
Betriebsordnung für Regionale Eisenbahnen (BOR) erläßt, die
insbesondere folgende Punkte berücksichtigt (in Klammern zum Vergleich
geltende Bestimmungen):
1. Geltungsbereich
Die Verordnung soll gelten für regelspurige Eisenbahnen des
öffentlichen Verkehrs mit überwiegend lokaler Bedeutung und
Verkehrsfunktion sowie geringem Verkehrsaufkommen.
2. Bahnanlagen
a) Der Bogenradius in durchgehenden Hauptgleisen soll nicht weniger
als 80 oder 100 m betragen (EBO: 180 m, ESBO: 50 m, BOStrab: keine
Begrenzung).
b) Die Längsneigung auf freier Strecke soll 60 % nicht übersteigen
(Nebenbahnen: 40 %).
c) Der Oberbau muß Radsatzlasten von mindestens 12 t aufnehmen können
(EBO: 16 bis 20 t).
d) Bauwerke müssen nach den Werten für Stadtschnellbahnen bemessen
werden (20 t Radsatzlast bei 6 t/m) (EBO sonst: 25 t, 8 t/m).
e) Es gilt ein gegenüber den Vollbahnen eingeschränktes
Lichtraumprofil mit u. a. folgenden Merkmalen:
- die obere Begrenzungslinie verläuft nicht höher als 4 650 mm (EBO:
4 800 mm) über Schienenoberkante,
- die seitliche Begrenzungslinie verläuft nicht weiter als 1 750 mm
(EBO: 2 000 mm) von Gleismitte.
f) Der Gleismittenabstand auf freier Strecke und bei durchgehenden
Bahnhofsgleisen ohne Zwischenbahnsteig muß mindestens 3,80 m betragen,
mit besonderer Genehmigung (entsprechend § 3 Abs. 2 EBO) kann er bis
3,50 m verringert werden.
g) Bahnübergänge können bei mäßigem Kfz-Querverkehr (nicht mehr als
2500 Kfz täglich) durch Übersicht auf die Bahnstrecke, bei mangelnder
Sicht durch hörbare Signale gesichert werden.
Bei mäßigem und starkem Verkehr (regelmäßig mehr als zwei Züge je
Stunde oder 20 Züge täglich) und nicht schwachem Kfz-Querverkehr (mehr
als 100 Kfz täglich) sind Bahnübergänge technisch zu sichern.
h) Bahnhöfe sind mit Bahnsteigen auszustatten, deren Bahnsteigkanten
mindestens 0,38 m über Schienenoberkante liegen sollen. Haltepunkte und
Haltestellen sollen mit Einstiegshilfen versehen sein, die den
örtlichen Verhältnissen und dem jeweiligen Verkehrsaufkommen angemessen
sind.
i) Feste Gegenstände auf Personenbahnsteigen müssen bis zu einer Höhe
von 3,05 m über Schienenoberkante mindestens 2,70 m (EBO: 3 m) von
Gleismitte entfernt sein. Ausnahmen bedürfen einer Genehmigung
entsprechend § 3 Abs. 2 EBO.
j) Ist auf Stationen ein Queren der Gleise nötig, so sind ebenerdige
Übergänge für Reisende einzurichten.
k) Soweit Regionale Eisenbahnen im allgemeinen Straßenraum verkehren,
gelten besondere Bestimmungen und Beschränkungen.
3. Fahrzeuge
a) Bei stillstehenden Fahrzeugen, deren Radsatzabstände 1 500 mm
nicht unterschreiten, sind Radsatzlasten bis zu 12 t und
Fahrzeuggewichte je Längeneinheit bis zu 4 t/m zulässig. Höhere Lasten
sind zulässig, wenn sie vom Oberbau und den Bauwerken sicher
aufgenommen werden können.
b) Für die Steifigkeit der Fahrzeuge genügen geringere Anforderungen
als nach EBO, u. a. eine Pufferlast von 800 statt 1400 kN.
c) Räder und Radsätze der Fahrzeuge müssen so beschaffen und gelagert
sein, daß Gleisbogen mit 80 m Radius (EBO: 150 m) und 1 450 mm
Spurweite einwandfrei durchfahren werden können. Fahrzeuge nach den
Bestimmungen der EBO dürfen auf Regionalen Eisenbahnen fahren, wenn
gewährleistet ist, daß alle zu durchfahrenden Gleisbögen mit
hinreichender Sicherheit ohne Entgleisung bewältigt werden und alle
Lasten vom Oberbau aufgenommen werden können.
d) Es gelten die Fahrzeugbegrenzungslinien GI der EBO. Triebwagen und
Reisezugwagen, die im Straßenraum verkehren, sollen jedoch nicht
breiter als 2,65 m sein.
e) Die Bremsausrüstung der Triebfahrzeuge im Güterverkehr muß den
Bedingungen für Kleinlokomotiven der EBO (§ 23 Abs. 4) genügen.
f) Die Fahrzeuge sind in der Regel mit Schraubenkupplungen und
Puffern gemäß EBO oder mit automatischen Mittelpufferkupplungen zu
versehen.
g) Eine Hauptuntersuchung der Fahrzeuge ist mindestens nach
Zurücklegung von 500 000 km, spätestens alle acht Jahre durchzuführen.
Die Frist darf jedoch mehrmals um bis zu ein Jahr auf höchstens zehn
Jahre verlängert werden, wenn festgestellt ist, daß der Zustand des
Fahrzeugs dies zuläßt (BOStrab ebenso ohne Verlängerung, EBO:
Hauptuntersuchung nach sechs, spätestens acht Jahren).
h) Fahrzeuge der Regionalen Eisenbahnen, die nicht dem EBO-Standard
entsprechen, werden beim Übergang auf Vollbahngleise behandelt wie
Nebenfahrzeuge der EBO. Der "Sonderzweck" gemäß § 18 Abs. 1 EBO ist der
Anschluß an den nächsten Verknüpfungsbahnhof der Vollbahn oder eine
Überführungsfahrt.
i) Fenster von Fahrgasträumen müssen in der Regel so gestaltet sein,
daß ein Hinauslehnen nicht möglich ist (entspricht BOStrab).
4. Betrieb
a) Die Länge der Züge darf 24 Achsen, beim Verkehr im Straßenraum 75
m nicht überschreiten.
b) Als größter Bremsweg sind 400 m zulässig (Nebenbahnen: 700 m).
c) Die Eisenbahnverwaltungen haben über das Bremsen auf Strecken mit
einer Neigung über 40 % besondere Vorschriften aufzustellen und den
Aufsichtsbehörden zur Genehmigung vorzulegen (ebenso EBO).
d) Bevor ein Zug den Anfangsbahnhof verläßt, ist eine Bremsprobe
vorzunehmen.
e) Signale müssen in dem Umfang verwendet werden, den die Sicherheit
und die betrieblichen Verhältnisse erfordern. Soweit in der BOR Signale
vorgeschrieben sind, müssen die Signale der Eisenbahn-Signalordnung
(ESO) verwendet werden. Werden ansonsten Zeichen der ESO benutzt,
müssen sie die dort beschriebene Bedeutung haben.
Ein Zug darf einem anderen nur in einem solchen Abstand folgen, daß er
auch bei ungünstigen Betriebsverhältnissen, insbesondere bei
unvermutetem Halten des vorausfahrenden Zuges, rechtzeitig zum Halten
gebracht werden kann. Eingleisige Streckenabschnitte dürfen nicht
gleichzeitig in beiden Richtungen befahren werden.
f) Die zulässige Geschwindigkeit beträgt für Güterzüge im Straßenraum
und geschobene Züge 30 km/h, ansonsten maximal 70 km/h. Im Gleisbogen
ist die Geschwindigkeit entsprechend zu reduzieren. Bei
Geschwindigkeiten über 50 km/h gelten die Signalisierungsbestimmungen
des § 14 EBO und das Lichtraumprofil der Vollbahnen. Außerdem müssen
Züge, die schneller als 50 km/h fahren, eine durchgehende Bremse haben
und das Triebfahrzeug mit Schienenbremse ausgestattet sein.
Bahnübergänge mit starkem Kfz-Verkehr gemäß EBO sind technisch zu
sichern.
5. Im übrigen gelten, soweit anwendbar, die Bestimmungen der EBO
entsprechend.
6. Die Bundesregierung wird weiter aufgefordert, für eine
entsprechende Anpassung korrespondierender Rechtsvorschriften wie
Eisenbahn-Verkehrsordnung, Eisenbahn-Signalordnung,
Straßenverkehrsordnung, Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz,
Eisenbahnkreuzungsgesetz pp. Sorge zu tragen. Insbesondere soll ein
Entwurf für eine Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes (EkrG)
folgende Bestimmungen enthalten:
- in § 2 EkrG: Kreuzungen von neuen Regionalen Eisenbahnen und
Straßen, ausgenommen Bundesfernstraßen, sind im Regelfall als
höhengleiche Bahnübergänge herzustellen.
- in § 14 Abs. 2 EKrG: Regionale Eisenbahnen sind bei der Zuweisung
von Anlagen an Bahnübergängen wie Straßenbahnen zu behandeln.
Bei schwachem Verkehr (nicht mehr als zwei Züge stündlich und 20 Züge
täglich) und starkem Kfz-Querverkehr sind die technischen Sicherungen
der Bahnübergänge (Schranken und Lichtzeichenanlagen) auf Kosten des
Straßenbaulastträgers zu unterhalten (Straßenanlagen gemäß Absatz. 2
Nr. 2).
Bonn, den 28. April 1999
Dr. Winfried Wolf
Christine Ostrowski
Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Begründung
Allgemeines
I
Nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a des Allgemeinen Eisenbahngesetzes
(AEG) ist die Bundesregierung ermächtigt, mit Zustimmung des
Bundesrates entsprechende Rechtsverordnungen über den Bau, Betrieb und
Verkehr von Eisenbahnen zu erlassen.
An rechtlichen Regelungen dieser Art bestehen derzeit die Eisenbahn-
Bau- und -Betriebsordnung (EBO), die Bau- und Betriebsordnung für
Schmalspurbahnen (ESBO) und - auf anderer rechtlicher Grundlage - die
Bau- und Betriebsordnung für Straßenbahnen (BOStrab), dazu in
verschiedenen Ländern noch Bau- und Betriebsordnungen für
Anschlußbahnen (BOA). Keine dieser Regelwerke bietet angemessene
Rahmenbedingungen für den Betrieb Regionaler Eisenbahnstrecken mit
geringem Verkehrsaufkommen.
Niemand erwartet, daß Bundesautobahnen und Kreisstraßen nach den
gleichen Normen gebaut und unterhalten werden. Vielmehr gibt es ein
ausdifferenziertes System von Richtlinien für die verschiedenen
Straßenkategorien. Im Eisenbahnbau ist jedoch die geeignete Kategorie
für Regionale Eisenbahnen in der Fläche verlorengegangen.
Beim fortschreitenden Eisenbahnbau im 19. Jahrhundert differenzierten
die Strecken sich bald in Hauptbahnen und Bahnen untergeordneter
Bedeutung. Der Begriff der Nebenbahn wurde erstmals eingeführt mit den
im Juli 1892 vom (damaligen) Bundesrat beschlossenen Betriebsordnungen
für Haupt- und Nebenbahnen, die am 1. Januar 1893 im ganzen damaligen
Deutschen Reich außer Bayern in Kraft traten.
Obwohl Haupt- und Nebenbahnen zu dieser Zeit bereits ein gut
ausgebautes, allgemein in Staatshand befindliches Netz umfaßten, gab es
weiteren Bedarf, auch kleinere Orte mit geringerem Verkehrsaufkommen an
das Bahnnetz anzuschließen. Oft rechtfertigte der geringe zu erwartende
Verkehrsertrag dieser "Bahnen untergeordnetster Bedeutung" nicht den
aufwendigen Bau einer Eisenbahn. Dem ließ sich durch Senkung der
Ausbaustandards begegnen. Maßgebend war hier vor allem das belgische
Vicinalbahngesetz von 1885.
In Preußen wurde ebenfalls im Juli 1892 nach langen Diskussionen
schließlich ein Kleinbahngesetz vom Landtag beschlossen, das bereits am
1. Oktober 1892 in Kraft trat.
Das Brockhaus-Konversations-Lexikon von 1905 bemerkt hierzu:
"Der Mangel jeglicher gesetzlicher Bestimmungen auf diesem Gebiete
hatte sich immer fühlbarer gemacht, je dringender das Bedürfnis
hervortrat, neben dem Ausbau des allgemeinen Zwecken dienenden
Eisenbahnnetzes auch die Entwicklung der kleinen, ausschließlich
örtlichen Verkehrsinteressen dienenden Bahnen energisch zu fördern.
Preußen war in dieser Beziehung unverkennbar zurückgeblieben, besonders
im Verhältnis zu anderen Staaten, in denen, wie z. B. in Belgien, das
Kleinbahnwesen in umfassender Weise geordnet ist. Seitdem haben die
Kleinbahnen auch in Preußen bedeutende Ausdehnung gewonnen."
Zu dieser Zeit hatte das belgische Eisenbahnnetz bereits eine Dichte
von 227 km/1000 km2 erreicht. Bis zum Jahre 1928 stieg diese noch auf
365 km/1 000 km2. Belgien hatte damit das dichteste Bahnnetz der Welt.
In Deutschland gab es die größte Eisenbahndichte im Freistaat Hessen
(Hessen-Darmstadt) mit 202 km/1 000 km2.
Finanziert wurden die Kleinbahnen hauptsächlich von Privatunternehmern,
Kommunen und Kreisen; es entstanden die typischen "Kreiskleinbahnen".
Schon in den zwanziger und dreißiger Jahren gerieten jedoch viele davon
unter Konkurrenzdruck der Straße. Investitionen in den Erhalt der
Bahnanlagen unterblieben, vom weiteren Ausbau ganz zu schweigen.
II
Wenn in der Nachkriegszeit Geld in den Ausbau der Schieneninfrastruktur
floß, diente dies in der Regel dazu, die Leistungsfähigkeit der
Hauptabfuhrstrecken zu erhöhen. Dazu gehörte vor allem die
Elektrifizierung des Kernnetzes und die Erhöhung der
Fahrgeschwindigkeit, außerdem Verbesserungen des Signalsystems.
Beide Phänomene - Rückzug von den Kleinbahnen der Fläche und Ausbau der
Magistralen - zogen ein immer weiteres Hinaufschrauben der Standards
nach sich, beginnend bereits mit der Neufassung der Eisenbahn-Bau- und
-Betriebsordnung von 1928. Eine weitere Stufe erreichte diese
Entwicklung, als erstmals seit einem halben Jahrhundert wieder größere
Neubaustrecken angegangen wurden. Die Maßgabe, auch mit schwersten
Zügen (Personen- wie Güterverkehr) höchste Geschwindigkeiten fahren zu
können, trieb die Baukosten auf Werte von 30 bis 40 und mehr Mio. DM
pro Kilometer. (Daß die Bundesbahn sich dabei eingestandenermaßen von
den Baufirmen mächtig über den Tisch ziehen ließ, kam noch dazu.)
Eine parallele Entwicklung vollzog sich im Stadtverkehr im Bereich der
Straßen-, Stadt- und U-Bahnen. Mit einfachen Mitteln erstellte und
unterhaltene Vorortbahnen und innerstädtische Verbindungen wurden
stillgelegt und mit enormem Aufwand hochgezüchtete Rumpfnetze
geschaffen. (Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel. Natürlich gab es
auch immer Städte und Betriebe, die sich gegen den hier ganz grob
dargestellten Trend entwickelten.)
In diesem Bereich zumindest deutet sich vorsichtig eine Trendwende an.
Angesichts nicht mehr bezahlbarer Baukosten für U-Bahnen und der
Kapazitätsprobleme in den Ballungsräumen bekommt hier und da die
Straßenbahn wieder eine Chance.
Auch wenn heute von Neubaustrecken der zweiten oder dritten Generation
die Rede ist, geht es doch immer um neue Magistralen für den
Hochgeschwindigkeitsverkehr mit nahezu keiner Flächenerschließung,
dafür aber mit viel Flächenverbrauch. Im allgemeinen Bahnnetz findet
dagegen ein Abbau in nie zuvor gekanntem Ausmaß statt.
III
Unzulänglichkeit der ESBO
Die geringere Spurweite (bis hinab zu 600 mm) der Schmalspurbahnen war
einst ein entscheidender Faktor für die gegenüber den Vollbahnen
reduzierten Baukosten. Doch traten hier auch bald die Nachteile zutage.
Diese bestanden weniger in der beschränkten Kapazität und der
reduzierten Standsicherheit als im Inselbetrieb der Schmalspurbahnen.
In der Regel bildeten diese keine zusammenhängenden Netze, sondern
isolierte Strecken. Die größten Schmalspurnetze in Deutschland waren -
vom oberschlesischen Revier abgesehen - die Harzer Schmalspurbahnen (1
000 mm Spurweite, heute 130 km Streckenlänge), die inzwischen
stillgelegte und abgebaute Bröltalbahn (785 mm Spurweite, 85 km
Strecke) im Rhein-Sieg-Raum und die meterspurigen Bahnen im Rhein-
Neckar-Raum, die zusammen mit den dortigen Straßenbahnen heute ein Netz
von rd. 150 km Länge umfassen.
Ein Wagenaustausch mit dem regelspurigen allgemeinen Eisenbahnnetz war
nur sehr eingeschränkt möglich. Bedeutendere Schmalspurstrecken wurden
daher schließlich auf das Regelmaß umgespurt, so z. B. die Mindener
Kreisbahn, die Köln-Bonner Kreisbahn oder die Albtalbahn. Zugleich
zeigt sich dabei die schrittweise Ausbaufähigkeit einer Kleinbahn:
einige dieser ehemaligen Schmalspurbahnen sind heute elektrische
Stadtschnellbahnen.
Der größte Teil der übrigen Schmalspurbahnen wurde stillgelegt. Nur wo
der Binnenverkehr gegenüber dem Wechselverkehr einen besonders hohen
Anteil hat und teils als Museumsbahnen konnten vereinzelt
Schmalspurbahnen wie die Brohltalbahn in der Eifel, die sächsischen
Schmalspurbahnen oder Bahnen an der Ostseeküste bestehen.
Unzulänglichkeit der BOStrab
Die BOStrab hingegen ist - auch wenn dies nicht ausdrücklich in der
Betriebsordnung verlangt wird - auf elektrische Bahnen im städtischen
Verkehr ausgerichtet. Insbesondere der Güterverkehr bleibt - obwohl
über viele Jahrzehnte, vor allem in der DDR praktiziert - ein
Ausnahmefall im Straßenbahnbetrieb. Für einen systematischen
Mischverkehr, wie er auf einer Regionalen Eisenbahn zwecks besserer
Wirtschaftlichkeit dringend erwünscht ist, bietet die BOStrab kein
hinreichendes Regelwerk.
In den Randzonen der Ballungsräume findet sich auch vielfach
erfolgreicher Mischbetrieb zwischen Straßen- und Eisenbahnen, in dessen
Rahmen sowohl Straßenbahnfahrzeuge auf Eisenbahnstrecken fahren als
auch umgekehrt Eisenbahnfahrzeuge auf Straßenbahngleise wechseln.
Bekannte Beispiele dafür sind Köln und Karlsruhe (Mischbetrieb
BOStrab/EBO) und der schon erwähnte Rhein-Neckar-Raum (Mischbetrieb
BOStrab/ESBO). Es handelt sich dabei aber um eine verkehrlich sinnvolle
Verknüpfung ansonsten getrennt betriebener Netze, deren jedes ihren
eigenen Einsatzzweck hat. Typisch ist der Straßenbahnbetrieb in der
Stadt und der Eisenbahnbetrieb im Umland. Den Anforderungen einer
Regionalbahn im ländlichen Raum wird auch dieses Modell nicht
vollständig gerecht.
Unzulänglichkeit von Sondergenehmigungen
Viel wichtiger als der rein pragmatische Aspekt, Sonderregelungen nach
EBO nicht ausufern zu lassen, dürfte die Signalwirkung sein, die von
einem Bekenntnis zum "small is beautiful" ausgeht. Potentielle
Bahnbauer und -betreiber müssen nicht erst mühsam beim
Eisenbahnbundesamt oder einem Landeseisenbahnamt um
Ausnahmegenehmigungen nachsuchen, sondern haben ein passendes Regelwerk
zur Hand. In einen neuen Bundesverkehrswegeplan könnten so anstelle
einiger hundert nicht finanzierbarer Kilometer
Hochgeschwindigkeitsstrecke Tausende Kilometer bezahlbarer Regionaler
Bahnstrecken aufgenommen werden.
Zu den Regelungen im einzelnen
Eine moderne Regionale Eisenbahn kann keine bloße Kopie alter
"Bimmelbahnen" (die bekanntlich meist nur wenige Fahrten am Tag
aufwiesen) sein. Den offensichtlichen (oder auch weniger
offensichtlichen) Vorteilen einer nach reduzierten Standards gebauten
und betriebenen Bahn durch geringere Kosten bei Strecke, Fahrzeugen und
Betrieb stehen Einschränkungen bei Komfort, Kapazität und Sicherheit
gegenüber. Ein angemessenes Regelwerk darf hier nicht unnötig einengend
wirken.
Trassierungsparameter
Antragspunkte 2 a) und b): EBO-Fahrzeuge können in der Praxis durchweg
auch Kurvenradien von 80 m befahren, die meisten Wagen kommen auch mit
60 oder gar 40 m zurecht, was für die Bedienung von Anschlußgleisen
auch nötig ist. Die großen Kurvenradien der EBO beziehen sich nur auf
die Hauptgleise, ein Übergang auf BOR-Strecken ist somit problemlos
möglich.
Vereinfachungen der Trassierungsparameter (Gleisabstände, Kurvenradien,
Neigungen) wirken nur beim Neubau, nicht aber im Unterhalt
kostensenkend (enge Kurven erhöhen sogar den Verschleiß), können aber
beim heute sehr problematischen Flächenverbrauch für Neubauten
entscheidend sein.
Antragspunkte 2 c) und d): Große Achslasten werden überhaupt nur im
Güterverkehr benötigt. Für reinen Personenverkehr wären auch 8 t
Achslast durchaus hinreichend, sofern nur Triebwagen fahren. Geringe
Achslasten ermöglichen beträchtliche Einsparungen bei Oberbau, Unterbau
und bei Brücken. Manch eine Strecke ist heute gefährdet, weil niemand
bereit ist, die notwendigen Brückensanierungen zu bezahlen. Reduzierte
Anforderungen können gerade hier segensreich wirken. Der Übergang von
Vollbahnwagen bleibt trotzdem möglich. Ein normaler zweiachsiger
Güterwagen kann bei einer zulässigen Achslast von 12 t je nach
Eigengewicht etwa 10 bis 14 t Zuladung aufnehmen, gut die Hälfte der
auf Nebenbahnen (Streckenklasse A) möglichen Beladung. Mit Vierachsern
können auch Lasten bis etwa 25 t transportiert werden. Bei hinreichend
starkem Binnenverkehr könnten auch eigene Leichtgüterwagen eingesetzt
werden, die stärkere Zuladung vertragen. Ein Ausbau auf größere
Achslasten müßte ggf. mit besonderen Geschwindigkeitsbeschränkungen für
schwere Fahrzeuge verbunden werden. Wenn aber bei schwachem
Güterverkehr die Wagen ohnehin nicht voll ausgelastet sind, sollte man
aus der Not eine Tugend machen und bei den Streckenkosten sparen. Die
Mehrkosten, die anfallen, wenn gelegentlich bei größerem
Frachtaufkommen statt einem zwei Güterwagen beladen werden müssen, sind
demgegenüber vernachlässigbar.
Antragspunkte 2 e), f) und i) (Lichtraumprofil und Gleisabstände): Die
vorgeschlagenen Lichträume lassen genug Platz für das Lademaß I der
EBO. Alle Vollbahnfahrzeuge, ausgenommen Sendungen mit
Lademaßüberschreitung, können somit auf BOR-Strecken wechseln.
Lediglich das dynamische Spiel ist eingeschränkt, entsprechend den
geringeren Fahrgeschwindigkeiten. Entsprechende Lichträume waren - bei
gleichem Lademaß - auch in der bis 1928 geltenden EBO verankert.
Antragspunkt 2 h): Eine besonders intensive Diskussion gibt es um die
notwendige Bahnsteighöhe. Einerseits ist nach Möglichkeit ein
stufenloser Einstieg in die Fahrzeuge wünschenswert, gerade im Hinblick
auf mobilitätsbehinderte Menschen. Andererseits sind hohe Bahnsteige
ein erheblicher Kostenfaktor. Überdies erfordern Bahnsteige von 76 oder
mehr Zentimeter Höhe wiederum Stufen oder Rampen als Zugang. Bei
Regionalen Bahnen mit oft straßenbahnähnlichem Betrieb erscheint es
sinnvoller, auf einen möglichst niedrigen Wagenfußboden der Fahrzeuge
hinzuarbeiten. Zudem gibt es technische Möglichkeiten für
fahrzeugseitige Einstiegshilfen, die auch mobilitätsbehinderten
Menschen gerecht werden. Gelder können hierfür sinnvoller eingesetzt
werden als in die Aufrüstung von Bahnsteigen an jeder Haltestelle, auch
wenn dort nur wenige Menschen am Tag ein- oder aussteigen.
Mit geringen Anforderungen an Achslast und Trassierung sollten
Regionale Eisenbahnstrecken für ein, höchstens 2 Mio. DM je Kilometer
zu bauen sein, bei günstigem Gelände vielleicht sogar für noch weniger.
Natürlich erlauben solche Strecken keine hohe Geschwindigkeit. Es nützt
aber nichts, großzügig für hohe Geschwindigkeiten zu trassieren, wenn
dann das Geld für den Unterhalt fehlt und man doch lauter
Langsamfahrstellen hat.
Fahrzeugeigenschaften
Antragspunkte 3 a), c) und d): Natürlich müssen die Anforderungen an
die Fahrzeuge den Streckenparametern angepaßt sein.
Antragspunkte 3 b), e) und f): Wenn vorwiegend leichte Fahrzeuge bei
durchweg niedrigen Geschwindigkeiten verkehren und vor allem ohnehin
meist nur ein Fahrzeug auf der Strecke unterwegs ist, können auch die
sehr hohen Anforderungen an die Festigkeit der Fahrzeuge gesenkt
werden. Da hier unmittelbar die Sicherheit betroffen ist, ist dies ein
besonders heikler Punkt. Ein Punkt, beim dem eine scharfe Scheidung
zwischen Regionaler Eisenbahn und Vollbahn besonders wichtig scheint.
Die hohen Bedingungen für die Festigkeit von Eisenbahnfahrzeugen
bestehen zu Recht. Wenn aber ein Triebwagen allein auf der Strecke
unterwegs ist und dabei nur gelegentlich einigen Güterwagen mit
Kleinlok begegnet, besteht wenig Gefahr, mit einem Intercity
zusammenzustoßen. Dann kann man die Wagenkästen der im normalen
Straßenverkehr fahrenden Straßenbahn anpassen. Die Baukosten für solche
Leichttriebwagen ließen sich vermutlich auf 1 Mio. DM oder (je nach
Seriengröße) weniger senken. Damit wäre ein Schienenbus kaum teurer als
ein Straßenbus, der heutzutage auch kaum unter einer halben Million zu
haben ist, für Gelenkbusse muß man mit einer Dreiviertelmillion
rechnen.
Antragspunkt 3 g): Ein Fall, in dem die Anforderungen von
Wirtschaftlichkeit und Sicherheit besonders kraß aufeinandertreffen,
sind die regelmäßigen Hauptuntersuchungen (HU). Kosten von 100 000 DM
und mehr für eine HU können ein kleines Eisenbahnunternehmen in
beträchtliche Schwierigkeiten bringen. Daher verstärkt sich in letzter
Zeit die Tendenz, die Fristen bis an die äußerste Grenze des Zulässigen
zu strecken. Gerade hier bietet sich eine sinnvolle Differenzierung an:
EBO-Fahrzeuge werden weiter nach den hohen Sicherheitsstandards
untersucht. Fahrzeuge Regionaler Bahnen mit geringer Laufleistung und
geringen Sicherheitsproblemen vertragen jedoch auch längere
Untersuchungsfristen.
Antragspunkt 3 h): Diese Regelung sichert einen EBO-konformen Übergang
von BOR-Fahrzeugen auf Vollbahnstrecken, soweit dies nötig ist.
Antragspunkt 3 i): Abweichend von den Bestimmungen der Straßenbahnen
sind hier Ausnahmen von der Fenstersicherung sinnvoll und nötig zum
einen beim Übergang von Vollbahnwagen auf Regionale Bahnstrecken, zum
anderen bei Fahrten mit besonderem touristischen Aspekt, bei denen eine
freie Sicht erwünscht ist.
Betriebsablauf
Antragspunkt 4: Wenn man bedenkt, mit welchen Geschwindigkeiten
tonnenschwere Fahrzeuge im Straßenverkehr ohne jede technische
Sicherung oder Flankenschutz auf Fahrspuren einfädeln oder niveaugleich
kreuzen, wirken die Sicherheitsanforderungen für Eisenbahnen
aberwitzig. Nun sollte man sicher nicht das Unsicherheitsniveau des
Straßenverkehrs mit seinen jährlich achttausend Todesopfern zum Maß
nehmen, aber eine Anlehnung des Regionalen Eisenbahnbetriebes an die
Straßenbahn könnte sinnvoll sein. Diese fährt auch bei erheblicher
Geschwindigkeit noch auf Sicht.
Die reduzierten Anforderungen der Antragspunkte 4 d) und e) werden
durch zusätzliche Begrenzungen in den Antragspunkten 4 a), b), c) und
f) austariert.
So fordert Antragspunkt 4 b) eine höhere Bremsleistung, die speziell
bei der Bahnübergangssicherung von Bedeutung ist. Moderne
Leichttriebwagen erbringen ohne Schwierigkeiten Bremsleistungen von 1
m/s2 und mehr. Bei einer Bremsverzögerung von 0,5 m/s2 kann ein Zug mit
einer Anfangsgeschwindigkeit von 48 km/h binnen 225 m zum Stillstand
kommen. Bei einer Anfangsgeschwindigkeit von 72 km/h reichen mit dieser
Bremsverzögerung die genannten 400 m Bremsweg gerade aus. Bei einer
Bremsverzögerung von nur 0,2 m/s2, wie sie bei Güterzügen oder schlecht
gebremsten Triebwagen vorkommen mag, ist immer noch eine
Fahrgeschwindigkeit von 45 km/h möglich.
Bei höheren Geschwindigkeiten ist eine Annäherung an die EBO-
Vorschriften vorgesehen (Antragspunkt 4 f).
Weitere Bestimmungen
Antragspunkt 5 fordert eine Anlehnung an die sonstigen Vorschriften der
EBO, die die Einheitlichkeit des Eisenbahnwesens sichert.
Antragspunkt 6 enthält zum einen notwendige Folgeänderungen in
korrespondierenden Vorschriften. Oft wird es sich dabei nur um
redaktionelle Änderungen handeln.
Zum anderen sind zwei spezielle Punkte beispielhaft genannt, die die
einfacherere Trassierung und den geringeren Platzbedarf Regionaler
Eisenbahnen betreffen.

06.05.1999 nnnn

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