BT-Drucksache 14/9945

Klarheit über finanzielle Situation in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung vor der Bundestagswahl schaffen

Vom 11. September 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9945
14. Wahlperiode 11. 09. 2002

Antrag
der Abgeordneten Horst Seehofer, Karl-Josef Laumann, Wolfgang Lohmann
(Lüdenscheid), Dr. Wolf Bauer, Brigitte Baumeister, Dr. Sabine Bergmann-Pohl,
Maria Eichhorn, Rainer Eppelmann, Dr. Hans Georg Faust, Ulf Fink, Dr. Hans-Peter
Friedrich (Hof), Hubert Hüppe, Dr. Harald Kahl, Eva-Maria Kors, Julius Louven,
Wolfgang Meckelburg, Claudia Nolte, Hans-Peter Repnik, Franz-Xaver Romer,
Heinz Schemken, Johannes Singhammer, Dorothea Störr-Ritter, Andreas Storm,
Matthäus Strebl, Peter Weiß (Emmendingen), Gerald Weiß (Groß-Gerau), Annette
Widmann-Mauz, Aribert Wolf, Wolfgang Zöller und der Fraktion der CDU/CSU

Klarheit über finanzielle Situation in der gesetzlichen Renten-
und Krankenversicherung vor der Bundestagswahl schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
1. Mit der im Jahr 2001 verabschiedeten Rentenreform hat die Bundesregie-

rung vorgegeben, den Beitragssatz zur Rentenversicherung zu stabilisieren
und ein auskömmliches Rentenniveau zu sichern. Im Jahr 2003 sollte der
Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung auf 18,7 % sinken. Dieses
Ziel wird deutlich verfehlt. So wird der Rentenbeitrag im Jahr 2003 nach Be-
rechnungen des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) von
derzeit 19,1 % auf mindestens 19,5 % ansteigen, weil die Beitragseinnah-
men im ersten Halbjahr 2002 bedingt durch die hohe Arbeitslosigkeit deut-
lich hinter den Erwartungen geblieben sind. Verantwortlich hierfür sind al-
lein die verfehlte Arbeitsmarktpolitik der rot-grünen Bundesregierung und
die völlig unrealistischen Annahmen, die die Bundesregierung ihrer Renten-
reform zugrunde gelegt hat. Der Anstieg des Rentenbeitrages im Jahr 2003
auf 19,5 % belastet nicht nur erneut die Lohnnebenkosten, sondern ist auch
eine Zumutung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denn diese
müssen zusätzlich die Belastungen aus steigender Ökosteuer und steigenden
Beiträgen zur privaten Vorsorge tragen.
Trotz dieser alarmierenden Entwicklung verspricht die Bundesregierung den
Bürgerinnen und Bürgern vor der Bundestagswahl einen stabilen Rentenbei-
trag und verweist auf November 2002. Erst dann werde eine endgültige Ent-
scheidung über den Rentenbeitrag für 2003 getroffen. Bis dahin werde sich
die wirtschaftliche Lage erholen. Bei dem im Bundeshaushalt 2003 einge-
stellten Rentenbeitrag von 19,3 % handele es sich lediglich um eine „rein
rechnerische Größe“, so die beschönigende Aussage der Bundesregierung
von Mitte Juni 2002 bei Vorstellung des Bundeshaushalts. Mit einer solchen
Verharmlosung der dramatischen Finanzsituation der gesetzlichen Renten-
versicherung führt die Bundesregierung die Bevölkerung hinter das Licht.
Dies ist umso unverantwortlicher, als durch die Unsicherheiten bei Fortfüh-

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rung der rot-grünen Wirtschaftspolitik und durch die erhöhte Inanspruch-
nahme der Entgeltumwandlung zur betrieblichen Altersvorsorge kaum anzu-
nehmen ist, dass die optimistischen Annahmen der Bundesregierung zur
Entwicklung der Einnahmesituation der Rentenversicherung im zweiten
Halbjahr 2002 zutreffen.
Genau wie im Jahr 2001, als die Bundesregierung die Schwankungsreserve
von einer Monatsausgabe auf 0,8 Monatsausgaben gesenkt hat, um einen
Anstieg des Rentenbeitrages im Jahr 2002 von 19,1 % auf 19,4 % zu vermei-
den, ist eine erneute Senkung der Schwankungsreserve nicht das geeignete
Mittel zur Kompensation eines Beitragsanstiegs im Jahr 2003. Bei einer wei-
teren Absenkung der Reserve besteht die Gefahr, dass die Rentenversiche-
rung in den beitragsschwachen Monaten im Herbst 2003 in Liquiditäts-
probleme gerät. Auch die Rentenversicherung hat hiervor gewarnt und ge-
fordert, dass die Reserve am Ende des Jahres 2002 zunächst die gesetzlich
vorgeschriebene Höhe von 0,8 Monatsausgaben erreichen muss. Nach der-
zeitigen Berechnungen wird die Reserve Ende 2002 diese Grenze deutlich
unterschreiten. Trotz der Bedenken der Rentenversicherung beabsichtigt die
Bundesregierung aber offenbar eine weitere Absenkung der Reserve auf
0,6 Monatsausgaben, um einen Beitragssatzanstieg im Jahr 2003 zu ver-
meiden, so ausdrücklich die Aussage des Generalsekretärs der SPD, Franz
Müntefering, in der „Berliner Zeitung“ vom 14. Juni 2002. Auf diese Weise
will die Bundesregierung die letzten finanziellen Optionen nutzen, um die
Auswirkungen ihrer unzureichenden Rentenreform aus dem Jahr 2001 zu
kaschieren.

2. Die Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP hat 1998 eine gesetzliche
Krankenversicherung mit jahrelangen stabilen Beiträgen, Überschüssen von
einer Mrd. DM und Rücklagen in Höhe von etwa 8 Mrd. DM übergeben.
Innerhalb von drei Jahren hat die Koalition aus SPD und Grünen durch ihre
verfehlte Gesundheitspolitik bis zum 1. Januar 2002 einen Anstieg der
Krankenkassenbeiträge auf das Rekordniveau von 14 % und ein Defizit von
2,8 Mrd. Euro herbeigeführt. Gleichzeitig hat sich die medizinische Versor-
gung der Bevölkerung verschlechtert. Das Vertrauen der Versicherten und
Patienten ist durch diese Entwicklung nachhaltig beeinträchtigt worden.
Vor diesem Hintergrund hat die Bundesministerin für Gesundheit noch am
7. März 2002 erklärt, dass für das Jahr 2002 in der gesetzlichen Krankenver-
sicherung mit schwarzen Zahlen und stabilen Beiträgen zu rechnen sei. Die
zum 1. Januar 2002 erfolgten Beitragsanhebungen seien deutlich höher als
zum Ausgleich des Defizits erforderlich. Man könne – so die Bundesministe-
rin für Gesundheit – in 2002 mit einem ausgeglichenen Finanzergebnis der
gesetzlichen Krankenversicherung rechnen und somit zum Abbau des ge-
samtstaatlichen Defizits beitragen.
Diese Prognose hat sich bereits im ersten Halbjahr 2002 als falsch erwiesen.
Ungeachtet der Beitragssatzerhöhungen zu Jahresbeginn haben die gesetz-
lichen Krankenkassen bereits im ersten Halbjahr erneut ein Defizit von fast
2,4 Mrd. Euro zu verzeichnen. Aufgrund der desolaten Finanzlage steht zu
befürchten, dass die Krankenkassen ihre Beiträge um bis zu 0,5 Prozent-
punkte auf durchschnittlich 14,5 Prozent erhöhen müssen. Die bereits im
vergangenen Jahr bei der Vorstellung der Halbjahresbilanz seitens der Bun-
desministerin für Gesundheit geäußerte Einschätzung, dass durch Mehr-
einnahmen im 4. Quartal das aufgelaufene Defizit wieder ausgeglichen
würde, wird auch in diesem Jahr nicht zutreffen. Das zum Halbjahr 2001
festgestellte Defizit von 2,5 Mrd. Euro war bis zum Jahresende auf 2,8 Mrd.
Euro angestiegen. Auch in diesem Jahr werden auf Grund der niedrigeren
Einmalzahlungen (Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld) die kompensatorischen
Einnahmeeffekte gering ausfallen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9945

Die Ursachen dieser finanziellen Misere sind eine Vielzahl gesetzlicher
Fehlgriffe der Bundesregierung: So wurde in den letzten drei Jahren die
Einnahmebasis der gesetzlichen Krankenversicherung massiv geschwächt.
Allein durch Verschiebebahnhöfe zu Gunsten des Bundeshaushalts (Arbeits-
losenhilfe) und der Rentenversicherung wurde den Krankenkassen ein Volu-
men von über 2Mrd. Euro entzogen. Darüber hinaus wurden im Rahmen der
Gesundheitsreformgesetze von 1999 und 2000 ausgabensteigernde Maßnah-
men beschlossen. Ein besonders gravierender politischer Fehler war die Ab-
schaffung des Arzneimittelbudgets ohne flankierende ausgabensteuernde
Regelungen. Dies hat im Jahr 2001 zu einem Ausgabenschub von etwa 2
Mrd. Euro geführt. Die für 2002 beschlossenen Veränderungen beim Risiko-
strukturausgleich (Einführung von sog. Disease-Management-Programmen)
werden nach Einschätzung von Experten ebenfalls deutliche Ausgabenstei-
gerungen der Krankenkassen zur Folge haben, sodass auch kurzfristig keine
Entspannung der finanziellen Situation zu erwarten ist.
Die Prognose der Bundesministerin für Gesundheit im Hinblick auf stabile
Beitragssätze und Finanzen in der gesetzlichen Krankenversicherung hat
sich bereits im Jahr 2001 nicht bewahrheitet. Und auch im laufenden Jahr
steht diese erneut vorgetragene Prognose in deutlichem Widerspruch zu den
vorliegenden Zahlen und zu den Aussagen aus dem Bereich der Krankenkas-
sen. Bei Fortsetzung der verfehlten Gesundheitspolitik dieser Bundesregie-
rung werden weitere Beitragssatzanhebungen somit unausweichlich sein.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. die Bürgerinnen und Bürgern vor der Bundestagswahl über die tatsächliche

Finanzsituation der gesetzlichen Rentenversicherung zu unterrichten, ins-
besondere über die zu erwartende Entwicklung des Rentenbeitrages im Jahr
2003, die Höhe der Schwankungsreserve Ende 2002 und der Bundeszu-
schüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung;
die Mindestschwankungsreserve von 0,8 Monatsausgaben nicht weiter zu
senken und Vorschläge vorzulegen, wie sie kurz-, mittel- und langfristig ei-
nen stabilen Rentenbeitrag bei einem auskömmlichen Rentenniveau sicher-
stellen will;

2. die Bürgerinnen und Bürger vor der Bundestagwahl über die tatsächliche
Finanzsituation, die Rücklagen und Beitragssatzentwicklung der gesetzli-
chen Krankenversicherung zu unterrichten, insbesondere realistische und
nachvollziehbare Fakten darzulegen, wie sich diese kurz- und mittelfristig
weiterentwickeln wird;
Vorschläge vorzulegen, wie die finanzielle Situation der gesetzlichen Kran-
kenversicherung stabilisiert werden kann und gleichzeitig eine qualitativ
hohe medizinische Versorgung sichergestellt wird.

Berlin, den 11. September 2002
Horst Seehofer
Karl-Josef Laumann
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Hubert Hüppe
Dr. Harald Kahl
Eva-Maria Kors
Julius Louven
Wolfgang Meckelburg
Claudia Nolte
Hans-Peter Repnik
Franz-Xaver Romer
Heinz Schemken

Johannes Singhammer
Dorothea Störr-Ritter
Andreas Storm
Matthäus Strebl
Peter Weiß (Emmendingen)
Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Annette Widmann-Mauz
Aribert Wolf
Wolfgang Zöller
Friedrich Merz, Michael Glos
und Fraktion

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