BT-Drucksache 14/9924

Aufschüttung der Elbe im Mühlenberger Loch für den Bau des Airbus A380 und A400 M

Vom 3. September 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9924
14. Wahlperiode 03. 09. 2002

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Eva Bulling-Schröter und der Fraktion der PDS

Aufschüttung der Elbe im Mühlenberger Loch für den Bau des Airbus A380
und A400M

Das Mühlenberger Loch ist eine von zahlreichen Vogelarten genutzte, gering
durchströmte Bucht der Elbe mit tidebeeinflussten Vorland- und Süß-
wasserwattflächen sowie Auenböden. Es ist gegenüber der Kommission der
Europäischen Gemeinschaft als Europäisches Vogelschutzgebiet im Sinne der
Richtlinie 79/409/EWG des Rates der Europäischen Union vom 2. April 1979 –
Vogelschutz-Richtlinie – gemeldet. Es ist zudem dem Bundesministerium für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit als potenzielles Gebiet nach der
Richtlinie 92/34/EWG des Rates der Europäischen Union vom 21. Mai 1992 –
Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie – gemeldet.
Mit Planfeststellungsbeschluss „DA-Erweiterung A3XX“ vom 8. Mai 2000 der
Freien und Hansestadt Hamburg wurden die maßgeblichen rechtlichen Voraus-
setzungen für die Erweiterung des Werksgeländes der EADS Airbus GmbH in
Hamburg-Finkenwerder geschaffen, um dort die Fertigung des Großraumflug-
zeuges A3XX zu ermöglichen. Darüber hinaus soll dort auch die Endmontage
des umstrittenen Militärairbus A400M erfolgen. Vorgesehen ist dazu u. a. die
Verfüllung einer Teilfläche des Mühlenberger Lochs.
Das Mühlenberger Loch war zuvor als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen,
die vom Planfeststellungsbeschluss betroffene Teilfläche wurde jedoch durch
eine Änderungsverordnung aus dem Landschaftsschutzgebiet herausgenom-
men.
Nachdem Privatpersonen und Naturschutzverbände Klage gegen den Planfest-
stellungsbeschluss erhoben hatten, ordnete die Freie und Hansestadt Hamburg
in ihrer Eigenschaft als Planfeststellungsbehörde am 21. Juli 2000 die sofortige
Vollziehung auch für die Verfüllung einer Teilfläche des Mühlenberger Lochs
an. Einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gab das Verwal-
tungsgericht Hamburg statt. Diesen vorläufigen Baustopp hob das Hamburgi-
sche Oberverwaltungsgericht jedoch wieder auf. Eine hiergegen eingelegte Ver-
fassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht aus formalen Grün-
den nicht zur Entscheidung angenommen. Die Klagen sind in der Hauptsache
noch anhängig.
In ihrer Stellungnahme vom 19. April 2000 hatte die EU-Kommission – Presse-
berichten zufolge auf Grund einer Intervention des Bundeskanzlers (vgl. SPIE-
GEL Nr. 11/2002, S. 38 ff.) – die negativen Auswirkungen des Projekts auf das
Mühlenberger Loch aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen
Interesses für gerechtfertigt gehalten. Die Kommission war dabei davon ausge-
gangen, dass entsprechend den Vorschriften aus der Flora-Fauna-Habitat-Richt-
linie der Eingriff durch die Teilzuschüttung des Mühlenberger Lochs ausgegli-

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chen würde durch die zeitgleiche oder zumindest zeitnahe Bereitstellung von
Ausgleichsflächen. Die Freie und Hansestadt Hamburg hatte hierfür unter ande-
rem die auf der schleswig-holsteinischen Elbseite liegende Haseldorfer Marsch
vorgesehen. Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht gab einem hier-
gegen gerichteten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes statt.
Die dagegen eingelegte Beschwerde wurde vom Schleswig-Holsteinischen
Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Denn das betroffene Gebiet der Ha-
seldorfer Marsch bildet nach Ansicht des Gerichts ein höchstwertiges Natur-
schutzgebiet, welches nicht aufwertungsbedürftig – wohl auch nicht aufwer-
tungsfähig – und somit auch keine geeignete Kompensationsfläche für den Ein-
griff im Mühlenberger Loch ist. Im Ergebnis fände somit keine Aufwertung der
Haseldorfer Marsch statt, sondern ein Austausch zwischen zwei schützenswer-
ten Lebensraumtypen. Selbst wenn der bundesweite Anteil an Ästuarflächen
deutlich geringer sei, könne daraus ein zur Veränderung bzw. Vernichtung be-
rechtigender Vorrang gegenüber anderen schutzwürdigen Gebietstypen nicht
abgeleitet werden, insbesondere dann nicht, wenn zuvor eine große Ästuarflä-
che vorhanden war und erst durch die hier zu kompensierende Maßnahme ver-
nichtet worden ist. Eine Kompensationsmaßnahme, die einen weitgehenden
Austausch von zwei schutzwürdigen Lebensräumen bewirkt, greife wegen der
fehlenden Aufwertungsbedürftigkeit erheblich in die Natur ein und sei somit
ungeeignet. Wegen der fehlenden Eignung der Haseldorfer Marsch sei die Freie
und Hansestadt Hamburg demnach nicht in der Lage, im Rahmen der zulässi-
gen gesamtbilanzierenden Betrachtung von Eingriff und Kompensationsmaß-
nahme ein günstiges Ergebnis zu erzielen. Daraus ergebe sich nach summari-
scher Prüfung die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Planfeststellungsbe-
schlusses.
Das Verwaltungsgericht Hamburg hat darüber hinaus Presseberichten zufolge
(vgl. SPIEGEL Nr. 20/2002, S. 32 f.) inzwischen erhebliche Bedenken an der
Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses auf Grund der mit dem Erwei-
terungsbau verbundenen Fluglärmemmissionen geäußert.
Nach den Hochwasserkatastrophen dieses Sommers wächst außerdem die Er-
kenntnis, dass bauliche Maßnahmen, die den natürlichen Verlauf von Flüssen
entscheidend verändern, gefährliche Eingriffe in die Natur darstellen und zu
Überschwemmungen führen können.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Bundesregierung:
1. Was hat nach Kenntnis der Bundesregierung zu der Entscheidung geführt,

den Standort für die Komponentenfertigung und andere Arbeiten im Zusam-
menhang mit Entwicklung und Bau des Airbus A3XX/380 und anderer Air-
bustypen in Hamburg zu wählen und nicht in Rostock-Laage oder in anderen
Orten in Ostdeutschland?

2. Trifft es zu, dass sich der Bundeskanzler seinerzeit massiv für den Standort
Hamburg eingesetzt hat?
Wenn ja: Welche Erwägungen haben zu diesem Einsatz für Hamburg und
nicht für andere Standorte in Ostdeutschland geführt?

3. In welcher Höhe sind Entwicklung und Bau des Airbus A3XX/380 und an-
derer Airbustypen aus Mitteln des Bundeshaushaltes gefördert worden (bitte
nach Jahren getrennt aufführen und die jeweiligen Haushaltsstellen nen-
nen)?

4. In welcher Höhe sind Entwicklung und Bau des Airbus A3XX/380 und an-
derer Airbustypen nach Kenntnis der Bundesregierung aus Mitteln der
Europäischen Union gefördert worden (bitte nach Jahren getrennt aufführen
und die jeweiligen Haushaltsstellen nennen)?

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5. Sind bereits aus dem Bundeshaushalt Mittel zur Förderung der Entwick-
lung und des Baus des Militärtransporters Airbus A400M geflossen?
Wenn ja: In welcher Höhe (bitte nach Jahren getrennt aufführen und die je-
weiligen Haushaltsstellen nennen)?

6. Wie groß ist bei den in den Antworten auf die Fragen 3, 4 und 5 aufgeführ-
ten Summen der Anteil der an Empfänger in Hamburg gezahlten Förder-
mittel (bitte nach Jahren getrennt aufführen)?

7. In welcher Höhe sind Mittel aus dem Bundeshaushalt für Programme zur
Luftfahrtforschung und zur Entwicklung der Luftfahrttechnologie nach
Hamburg gezahlt worden (bitte nach Jahren getrennt aufführen und die je-
weiligen Haushaltsstellen nennen)?

8. Wie groß ist der Anteil der Arbeiten, die am zukünftigen Standort Ham-
burg-Finkenwerder verrichtet werden sollen, an der Gesamtproduktion des
Airbus A380?

9. Wie groß ist der Anteil der Arbeiten, die am zukünftigen Standort Ham-
burg-Finkenwerder verrichtet werden sollen, an der Gesamtproduktion des
Airbus A400M?

10. Wie groß ist im Bundesgebiet die Gesamtfläche der unter dem Einfluss der
Gezeitenströme schlauch- oder trichterförmig erweiterten Flussmündun-
gen, in denen sich abfließendes Süßwasser und eindringendes Meerwasser
vermischen und mit den Gezeiten wechselnde Fließrichtungen vorherr-
schen?

11. Wie groß ist nach Ansicht der Bundesregierung die Bedeutung solcher
Ästuarflächen für den Schutz von Flora und Fauna?

12. Wie groß ist der Anteil
a) des von der Zuschüttung betroffenen Teiles des Mühlenberger Lochs,
b) der Haseldorfer Marsch
an der bundesweiten Gesamt-Ästuarfläche?

13. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die (teilweise) Zuschüttung
des Mühlenberger Lochs einen gravierenden Eingriff in den Natur- und
Landschaftschutz darstellt, dessen Auswirkungen nicht durch andere Fak-
toren aufgewogen werden?
Wenn ja: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung hieraus?
Wenn nein: Warum nicht?

14. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Aufwertung der Hasel-
dorfer Marsch lediglich eine Kompensationsmaßnahme zur (teilweisen)
Zuschüttung des Mühlenberger Lochs darstellen würde, die einen weit-
gehenden Austausch von zwei schutzwürdigen Lebensräumen bewirkte,
wegen der fehlenden Aufwertungsbedürftigkeit erheblich in die Natur
eingriffe und somit ungeeignet wäre?
Wenn ja: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung hieraus?
Wenn nein: Warum nicht?

15. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass nach gegenwärtigem Sach-
stand die (teilweise) Zuschüttung des Mühlenberger Lochs eine Verletzung
der in der Vorbemerkung zitierten Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der Eu-
ropäischen Union darstellt?
Wenn ja: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung hieraus?
Wenn nein: Warum nicht?

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16. Trifft es zu, dass sich der Bundeskanzler seinerzeit gegenüber der Europäi-
schen Kommission für die Abgabe einer die Maßnahme aus zwingenden
übergeordneten Gründen ausnahmsweise für zulässig erklärenden Stellung-
nahme eingesetzt hat?
Wenn ja: Welche Erwägungen haben zu diesem Eingreifen des Bundes-
kanzlers geführt?

17. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass mit der in der Vorbemer-
kung zitierten Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberverwal-
tungsgerichts gegen die kompensierende Aufwertung der Haseldorfer
Marsch eine wesentliche Grundlage für die in der Vorbemerkung zitierte
zustimmende Stellungnahme der EU-Kommission entfallen ist?
Wenn ja: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung hieraus?
Wenn nein: Warum nicht?

18. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Erfahrungen aus den
Hochwasserkatastrophen in diesem Sommer ein Umdenken auch in Bezug
auf Eingriffe in den natürlichen Verlauf der Flüsse erfordern?
Wenn ja: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung hieraus?
Wenn nein: Warum nicht?

19. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Erfahrungen aus den
Hochwasserkatastrophen in diesem Sommer einen Stopp der (teilweisen)
Zuschüttung des Mühlenberger Lochs gebieten?
Wenn ja: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung hieraus?
Wenn nein: Warum nicht?

Berlin, den 3. September 2002
Ulla Jelpke,
Eva Bulling-Schröter,
Roland Claus und Fraktion

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