BT-Drucksache 14/9906

zu der Aufgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler - Den Opfern helfen - Gemeinsinn stärken: Maßnahmen zur Bewältigung der Hochwasser-Katastrophe

Vom 29. August 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9906
14. Wahlperiode 29. 08. 2002

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill, Dr. Peter Paziorek, Dr. Klaus W. Lippold
(Offenbach), Klaus Brähmig, Matthias Wissmann, Dirk Fischer (Hamburg),
Dr. Christian Ruck, Cajus Caesar, Marie-Luise Dött, Georg Girisch, Helmut Lamp,
Dr. Paul Laufs, Vera Lengsfeld, Bernward Müller (Jena), Franz Obermeier, Christa
Reichard (Dresden), Hans-Peter Repnik, Hans Peter Schmitz (Baesweiler), Werner
Wittlich und der Fraktion der CDU/CSU

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler
Den Opfern helfen – Gemeinsinn stärken:
Maßnahmen zur Bewältigung der Hochwasserkatastrophe

Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag zollt allen vom Hochwasser betroffenen Men-

schen, die sich den immensen Herausforderungen und Belastungen mutig
und engagiert stellen, großen Respekt und Hochachtung. In der Not zeigen
die Deutschen ein großes und beispielgebendes Maß an Gemeinsinn. Dies
gilt nicht nur für die unmittelbar betroffenen Regionen sondern für ganz
Deutschland.
Der Deutsche Bundestag dankt allen Menschen, die uneigennützig und so-
fort helfend zugepackt haben. Dass und wie gerade junge Menschen sich en-
gagiert haben und noch engagieren, ist ein besonders ermutigendes Zeichen.
Der Deutsche Bundestag dankt den Feuerwehren, dem Technischen Hilfs-
werk, der Bundeswehr, dem Bundesgrenzschutz wie auch der Polizei und
allen Institutionen und Organisationen, die mit ihren Mitgliedern und techni-
schen Möglichkeiten seit vielen Tagen rund um die Uhr im Einsatz sind.
Hier zeigt sich die beeindruckende Stärke unserer ehrenamtlichen Struk-
turen.
Der Deutsche Bundestag dankt den Unternehmen, die durch Freistellung
ihrer Arbeitnehmer für die ehrenamtlichen Organisationen und darüber
hinaus ihren Beitrag leisten, wie auch den Menschen, die mit ihren groß-
zügigen Spenden materielle Hilfe leisten und schon geleistet haben.
In den Dank sind auch die Hilfe und Unterstützung unserer Freunde und
Partner in Europa und in aller Welt eingeschlossen.
Die Hochwasserereignisse haben deutlich gemacht, dass der Mensch immer
wieder extremen Naturereignissen ausgesetzt sein wird. Auch wenn sich die
Ursachen nicht vorschnell festmachen lassen: Das Ausmaß der Katastrophe
zeigt, dass alles daran gesetzt werden muss, menschliche Eingriffe in die
natürliche Umwelt und die Veränderung der klimatischen und meteorolo-
gischen Randbedingungen einzuschränken. Hochwasser lassen sich in der
Regel nicht verhindern. Ihr Ausmaß aber gilt es zu begrenzen. Von Men-
schen verursachte Veränderungen, wie die Begradigung von Bächen und

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Flüssen, die intensivere Nutzung von Überschwemmungsflächen und die
großflächigen Entwässerungen, begünstigen Hochwasser oder verschlim-
mern sie. Zugleich sind Wasserstraßen auch umweltfreundliche Verkehrs-
träger. Denn ihre Nutzung hilft, den CO2-Ausstoß zu vermindern.
Die Anzeichen für Veränderungen von Klima und Wetter mitten in Europa
lassen erwarten, dass wir uns in Zukunft auf häufigere extreme Situationen
einstellen müssen. Dem gilt es Rechnung zu tragen in der Klimaschutz- und
Wasserpolitik.
Die CDU/CSU-geführte Bundesregierung hatte wesentlich dazu beigetra-
gen, dass bei der Konferenz von Rio die Grundlage für eine globale Strate-
gie für Umwelt und Entwicklung gelegt wurde. Die daraus entstandene Kli-
maschutzpolitik ist von uns vorangetrieben (Kyoto-Protokoll) und in eine
nationale Klimaschutzpolitik umgesetzt worden, deren Ziele bis heute gel-
ten. Deutschland hatte bis 1998 eine Vorreiterrolle im Klimaschutz.
Die aktuelle Verschärfung der Hochwassergefahren erfordert unabhängig
von der Klimaschutzpolitik eine nachhaltige und effiziente Vorsorge und
Schutzstrategie wie sie an Rhein, Donau, Mosel, Saar und Oder bereits be-
stehen oder in Arbeit sind. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Verlustes
von Menschenleben, der verheerenden Zerstörungen, der volkswirtschaft-
lichen und persönlichen Schäden sind alle Anlieger-Länder gefordert, eine
gemeinsame Strategie für den Hochwasserschutz ohne Rücksicht auf natio-
nale und internationale Grenzen zu entwickeln und umzusetzen.
In diesem Sinne hatten die unionsgeführte Bundesregierung und der dama-
lige Bundesminister für Verkehr, Matthias Wissmann, bereits vor fast genau
acht Jahren auf nationaler Ebene die Grundlage für einen sanften Elbausbau
geschaffen und damit einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung getan.
Gemeinsam mit den Umweltverbänden war hierzu am 5. September 1996
die Elbe-Erklärung unterzeichnet worden.
Die rot-grüne Bundesregierung ist grundlos von diesem nachhaltigen und
schlüssigen Konzept abgegangen.
Deshalb muss die Grundidee des sanften Elbausbaus umgehend wieder auf-
gegriffen und konsequent umgesetzt sowie die Arbeit der Internationalen
Kommission zum Schutz der Elbe (IKSE) verstärkt werden.
Die Schwerpunkte hierbei sind:
l Grundsätze zur Erhaltung und Wiederherstellung des natürlichen Wasser-

rückhalte- und Speichervermögens sowohl in der Landschaft aber auch in
Gewässern und Auen,

l Grundsätze für die Nutzung bzw. Nutzungsverbote in Überschwem-
mungsgebieten,

l Grundsätze für den technischen Hochwasserschutz,
l Grundsätze für den Wettervorhersage- und Hochwassermelde- und -vor-

hersagedienst.
Die Arbeit der IKSE muss schnellstmöglich Ergebnisse erzielen und sowohl
ökologische Kriterien wie die Sicherheit der Menschen berücksichtigen.
Vor dem Hintergrund dieser Gefahr sowie der aktuellen Ereignisse bietet die
Oktobertagung 2002 der IKSE eine Plattform zur Überarbeitung und Anpas-
sung der Hochwasserschutzstrategie und zur Verwirklichung des grenzüber-
schreitenden Hochwasserschutzes. In diese Arbeiten ist die Arbeitsgemein-
schaft Elbe (ARGE) im Hinblick auf die Vorsorge bei der Gewässergüte
einzubeziehen. Die kurz vor der Herausgabe stehende Gewässergütekarte
Elbe belegt, welche Erfolge bis zum August 2002 zu verzeichnen waren.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9906

Hier ist eine Grundlage für die Bemessung des Verlustes an Gewässergüte,
die für die Gesundheitsvorsorge des Menschen genauso bedeutend ist wie
für Fauna und Flora.
Ein vorsorgender Hochwasserschutz muss die Flut bereits im Entstehen ent-
schärfen. Daher sind flankierend zur Sicherung der Auen auch Renaturie-
rungsmaßnahmen an Bächen und Flüssen notwendig, denn sie sind das Ein-
zugsgebiet großer Ströme. Die Wasseraufnahmekapazitäten unserer Böden
müssen wieder erhöht werden. Dies ist eine Generationenaufgabe. Wenn die
Minderung der Schadens- und Hochwasserrisiken, ein besseres Wissen um
die Gefahren und die Verbesserung der Vorhersagen erfolgreich sein sollen,
muss berücksichtigt werden, dass
l eine flussgebietsbezogene Betrachtung zum Hochwasserschutz – unab-

hängig von politischen und staatlichen Grenzen – erforderlich ist,
l innerhalb eines Flussgebietes Unterlieger durch Maßnahmen der Ober-

lieger beeinflusst werden,
l das Gewässermanagement bereits an der Quelle auch der Nebenflüsse be-

ginnt,
l Hochwasserschutzinteressen an grenzüberschreitenden Gewässern inter-

national koordiniert werden müssen und vorbeugender Hochwasser-
schutz nach abgestimmten Kriterien durchgeführt werden sollte,

l Konzepte die Hochwasservorsorge, Naturschutz und die Anliegen der
Schifffahrt verbinden.

Insgesamt besteht ein nachhaltiger und umweltgerechter Hochwasserschutz
aus einem sinnvoll vernetzten Maßnahmenbündel für den natürlichen Hoch-
wasserrückhalt auf der gesamten Fläche des Einzugsgebietes sowie in Ge-
wässern und Auen, dem technischen Hochwasserschutz, vor allem durch
Deiche, Sperrwerke, Rückhaltebecken und Talsperren sowie der weiter-
gehenden Vorsorge, wie Flächen-, Bau- und Risikovorsorge.
Die aktuellen Ereignisse müssen insgesamt über nationale, regionale und
parteipolitische Grenzen hinweg zu einer verbesserten internationalen und
zu einer vorbehaltlosen Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern füh-
ren. Neben der Schadenshilfe muss kurzfristig für den Hochwasserschutz im
Binnenland eine Priorität im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Agrar-
struktur und Küstenschutz“ gesetzt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Flutschäden so bald wie

möglich überwunden werden können;
2. die Zusammenarbeit mit den Ländern zu verstärken;
3. die internationale Zusammenarbeit beim Hochwasserschutz zu intensi-

vieren;
4. kurzfristig folgende Maßnahmen zu ergreifen:

– die Fähigkeiten zur Vorhersage extremer meteorologischer und gewässer-
kundlicher Ereignisse zu verstärken,

– die Kommunikation über Hochwasserabläufe und Pegelstände zwischen
Bundes- und Landesbehörden, insbesondere aber zu den Verantwort-
lichen vor Ort erheblich zu verbessern,

– ein Sofortprogramm zur Schließung der Deichlücken und zur Ertüch-
tigung von alten Deichen zusammen mit den Ländern aufzulegen,

Drucksache 14/9906 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
– gesundheitliche Vorsorge durch flächendeckende Impfprogramme, so-
weit erforderlich, durchzuführen;

5. ein Industrierisikokataster einschließlich verbesserter Kennzeichnungs-
pflichten im Interesse der jetzt vorhandenen Arbeitsplätze einzuführen;

6. mit Blick auf die Elbe
– die internationale Zusammenarbeit inner- und außerhalb der IKSE zu in-

tensivieren,
– das Monitoring auch der Nebenflüsse, insbesondere im mittleren Elbe-

bereich, im Hinblick auf Altlasten, Verfrachtungen von Grundwasser-
belastungen und Veränderung von Grundwasserfließrichtungen zu ver-
bessern,

– auf der Basis der Vereinbarung (Elbe-Erklärung) zwischen dem damali-
gen Bundesminister für Verkehr, Matthias Wissmann, und den Umwelt-
verbänden eine ökologisch verträgliche Erhaltung der Schiffbarkeit der
Elbe als Alternative für den Güterstraßenverkehr sicherzustellen;

7. auch beim Weltgipfel in Johannesburg die Grundlagen für eine nachhaltige
Entwicklung voranzutreiben. Die Europäische Union und die nationale Poli-
tik sind hier in der Verantwortung. Wenn eine globale Klimapolitik gelingen
soll, muss eine größere Anstrengung bei der Bereitstellung von Kapital
unternommen werden. Deutschland muss seine Führungsrolle in der interna-
tionalen Klimapolitik wieder zurückgewinnen.

Berlin, den 29. August 2002
Kurt-Dieter Grill
Dr. Peter Paziorek
Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)
Klaus Brähmig
Matthias Wissmann
Dirk Fischer (Hamburg)
Dr. Christian Ruck
Cajus Caesar
Marie-Luise Dött
Georg Girisch
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Vera Lengsfeld
Bernward Müller (Jena)
Franz Obermeier
Christa Reichard (Dresden)
Hans-Peter Repnik
Hans Peter Schmitz (Baesweiler)
Werner Wittlich
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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