BT-Drucksache 14/9858

Aufklärungsversuche der Bundesregierung und juristische Ermittlungen im Fall einer 1998 in der Türkei getöteten deutschen Staatsangehörigen

Vom 12. August 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9858
14. Wahlperiode 12. 08. 2002

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Aufklärungsversuche der Bundesregierung und juristische Ermittlungen
im Fall einer 1998 in der Türkei getöteten deutschen Staatsangehörigen

Die Festnahme und Erschießung der deutschen Staatsangehörigen und Mitglied
der PKK-Guerilla, A. W., beschäftigt seit längerem die Öffentlichkeit und auch
die deutsche und türkische Justiz. Nach diesen Berichten wurde A. W. am
23. Oktober 1998 in der Nähe des Dorfes Keles im Kreis Catal bei Van im Rah-
men einer Operation der türkischen Sicherheitskräfte gegen die PKK-Guerilla
festgenommen und später erschossen aufgefunden.
Eine „Internationale unabhängige Untersuchungskommission“ (IUK), die nach
Bekanntwerden dieser Nachrichten in München von Angehörigen sowie Freun-
dinnen und Freunden der Getöteten gebildet wurde, legte später eine umfang-
reiche Dokumentation ihrer Recherchen vor.
Darin wird u. a. ein Bericht des „Kurdish Observer“ vom 19. Januar 2000 do-
kumentiert. Danach hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main Ermittlungen
wegen des Todes von A. W. aufgenommen. Sodann werden in diesem Bericht
Aussagen von vier der bei der Operation im Oktober 1998 festgenommenen
Guerilleros gegenüber der IUK zitiert: „Vier der sieben überlebenden Guerille-
ros haben gegenüber der IUK Folgendes ausgesagt: ‚Die Guerilleros verbargen
sich während der Operation in einer Höhle. Soldaten umstellten die Höhle und
warfen eine Handgranate hinein. Deshalb verließen einige ihrer Freunde die
Höhle, sie wurden von den Soldaten umstellt. Eine, [A. W.], hielt keine Waffe
in der Hand, als sie die Höhle verließ. Sie sprach mit dem Kommandanten (…),
eine halbe Stunde später wurde sie hingerichtet. (…) ‚Her breasts were cut and
her body was covered with bullet holes.‘ (Deutsch: Ihre Brüste waren abge-
schnitten und ihr Körper war voller Schusswunden).‘“ An anderer Stelle in der
Dokumentation wird berichtet, die Tote sei, als sie später gefunden wurde, nur
noch mit Unterwäsche bekleidet gewesen. Nach der Festnahme der deutschen
Staatsangehörigen E. J. habe es, so an anderer Stelle der Dokumentation, bei
den türkischen Streitkräften einen Befehl gegeben, alle Ausländer, die fest-
genommen würden, umzubringen.
Am 25. September 2000 reichte die türkische Anwältin und Menschenrecht-
lerin Eren Keskin im Auftrag der Mutter von A. W. bei der Staatsanwaltschaft
Istanbul Strafanzeige gegen die an der Operation beteiligten Sicherheitskräfte
und Verantwortlichen ein. Die Anzeige erfolgte u. a. wegen Verstoßes gegen
§ 248, 450/3 des türkischen Strafgesetzbuches und gegen die Europäische Men-
schenrechtskonvention. Im April 2000 hatte Eren Keskin bereits ein Schreiben
des türkischen Innenministers Saadet Tantan auf eine Anfrage von ihr vom
Januar 2000 erhalten. Darin hatte der Innenminister die Festnahme von drei
Kombattanten bestätigt, die in Berichten der PKK über diese Auseinander-
setzung namentlich genannt worden waren.
Im Februar 2001 erhielt die IUK nach eigenen Angaben Auszüge aus den
Akten des Staatssicherheitsgerichts in Van zu den Ermittlungsverfahren gegen
die im Schreiben des Innenministers an Eren Keskin genannten Festgenomme-
nen. Die Vernehmungsprotokolle, Gerichtsbeschlüsse und Autopsieberichte
bestätigen nach Angaben der IUK imWesentlichen deren vorherige Ergebnisse.
Im März 2001 unterrichtete die IUK das Auswärtige Amt und die Staatsanwalt-
schaft in Frankfurt über diese Ergebnisse und Dokumente.
Am 4. Mai 2002 hat nun die Staatsanwaltschaft in Catak die Ermittlungen
wegen des Todes der deutschen Staatsangehörigen abgeschlossen. Nach ihren
Ermittlungen sei kein „Militanter der PKK“ lebend festgenommen und dann er-
mordet worden. Die Zeitung „Yedinci Gündem“ (4. Mai 2002) zitiert in diesem
Zusammenhang die Rechtsanwältin Eren Keskin mit der Aussage: „Wir haben
der Staatsanwaltschaft Informationen über den Ort, an dem A. W. begraben ist,
gegeben. Entsprechend den Zeugenaussagen haben wir gefordert, dass das
Grab geöffnet wird. Die Staatsanwaltschaft hat unsere Forderung jedoch nicht
beachtet und das Verfahren eingestellt. Obwohl wir den Ort des Grabes kennen,
wurde ohne das Grab zu öffnen auf Einstellung entschieden.“ Eren Keskin habe
gegen die Einstellung der Ermittlungen Widerspruch eingelegt (zitiert nach:
Kurdistan-Rundbrief Nr. 2, 15. Mai 2002).
Auch die „Menschenrechtsstiftung der Türkei“ (TIHV) berichtet in ihrem Men-
schenrechtsbericht für Mai 2002 über die Einstellung der Ermittlungen und den
Widerspruch von Eren Keskin dagegen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche heutigen Kenntnisse hat die Bundesregierung über die genauen Um-

stände des Todes von A. W. im Oktober 1998?
2. Hat die Bundesregierung Kenntnis von der Einstellungsentscheidung der

türkischen Staatsanwaltschaft und wie wird darin die Einstellung der Ermitt-
lungen begründet?

3. Welche juristischen, politischen und diplomatischen Schritte will die
Bundesregierung nun ergreifen, um eine weitere Aufklärung des Todes von
A. W. und eine Bestrafung der Schuldigen zu erreichen?

4. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über den Stand der Ermittlungen
der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main in dieser Angelegenheit?

5. Erwägt die Bundesregierung angesichts der vorliegenden Ermittlungsergeb-
nisse der Internationalen Untersuchungskommission (IUK) und der darin
gegen die türkischen Sicherheitskräfte erhobenen Vorwürfe eine Klage vor
Europäischen Gerichten, z. B. wegen Verletzung der Europäischen Men-
schenrechtskonvention?
Wenn ja, wann soll diese Klage eingereicht werden?
Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 7. August 2002
Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.