BT-Drucksache 14/9804

Durchführung eines register gestützten Zensus

Vom 8. Juli 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9804
14. Wahlperiode 08. 07. 2002

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Petra Pau und der Fraktion der PDS

Durchführung eines registergestützten Zensus

Ende Juli 2001 verabschiedete der Deutsche Bundestag ein Gesetz zur Vorbe-
reitung eines registergestützten Zensus. Der registergestützte Zensus sieht u. a.
vor
l auf flächendeckende Begehungen wie in früheren Volkszählungen zu ver-

zichten und stattdessen die Daten der Einwohnermelderegister auszuwerten
l diese Daten vor der statistischen Verwendung auf Fehler zu untersuchen und

durch Nachfragen bei den Betroffenen statistikintern zu bereinigen
l verschiedene Dateien – so auch die der Bundesanstalt für Arbeit (BA) – zur

Erwerbstätigkeit mit den Daten aus den Einwohnerregistern zu verknüpfen
l eine postalische Gebäude- und Wohnungszählung bei den Gebäudeeigen-

tümern durchzuführen und auch Wohnungsinhabern (ca. ein Prozent der Be-
völkerung) mit etwa 120 Einzelfragen zu befragen

l durch die Kombination der verschiedenen Dateien Inplausibilitäten einzel-
ner Datenbestände aufzudecken.

Der Stichtag für die Testuntersuchungen zur Erprobung des Zensusverfahrens
war der 5. Dezember 2001.
In einer Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 3. August 2001
heißt es zum Datenschutz beim registergestützten Zensus: „Alle für die Test-
untersuchungen erforderlichen personenbezogenen Daten werden von den –
auf das Statistikgeheimnis verpflichteten – statistischen Ämtern der Länder und
dem Statistischen Bundesamt erhoben und verarbeitet. Alle Einzeldaten ver-
bleiben ausschließlich in besonders geschützten Bereichen der statistischen
Ämter und fallen unter die statistische Geheimhaltung. Dort werden die Hilfs-
merkmale, wie beispielsweise Name und Anschrift, so bald wie möglich wieder
gelöscht. Die Datenüberprüfungen und -berichtigungen im Rahmen der metho-
dischen Untersuchungen erfolgen ebenfalls ausschließlich in den statistischen
Ämtern. Rückmeldungen von den Statistischen Ämtern an die registerführen-
den Verwaltungsbehörden, welche die Daten geliefert haben, erfolgen nicht und
sind nicht zulässig.“
Datenschutzbeauftragte der Länder haben schon in der Diskussion des Zensus-
vorbereitungsgesetzes dieses Verfahren kritisch hinterfragt und gerügt. Vor dem
Hintergrund des Volkszählungsurteils sah der Berliner Datenschutzbeauftragte
Prof. Dr. Hansjürgen Garstka erhebliche Bedenken gegen diese Volkszählung
„hinter dem Rücken der Bürger“. Er warnte vor „Missbrauch“ dieser Daten. Es
würden „Methoden getestet, die es erlauben, flächendeckend auch außerhalb
der Statistik den einzelnen Bürger in weiten Bereichen seiner Persönlichkeit zu
registrieren und zu katalogisieren“ (Berliner Zeitung 20. April 2001).

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Der Landesbeauftragte für den Datenschutz Brandenburg, Dr. Alexander Dix,
schrieb zum damaligen Gesetzesentwurf: „Datenschutzrechtlich ist die Über-
nahme und Verknüpfung von Daten unterschiedlicher Verwaltungsregister
nicht das mildere Eingriffsmittel, sondern stellt vielmehr einen erheblichen
Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen dar, hinter deren Rücken
die Daten zusammengeführt werden“ (Tätigkeitsbericht 2000; 4.6. Statistik,
4.6.1. Testgesetz zur Volkszählung).
In seinem Jahresbericht 2000 ging der Berliner Beauftragte für Datenschutz
noch genauer auf die Gefahren des registergestützten Zensus ein, bei der die
Dateien des Meldeamtes und der BA sowie eine stichprobenhafte Ergänzung
durch Einwohnerbefragung zusammengeführt werden. Der Berliner Daten-
schutzbeauftragte bilanziert, dass hier so viele verschiedene Hilfsmerkmale
über die Betroffenen erhoben und verarbeitet werden, dass sie „in ihrer Ge-
samtheit wie ein Substitut eines Personenkennzeichens wirken“ können.
Der Berliner Datenschutzbeauftragte forderte in dem Jahresbericht 2000 eben-
falls, „nicht nur das technische Instrumentarium der Registerzusammenführung
und intelligenten Registerauswertung zu testen, sondern zugleich auch Pseudo-
nymisierungsverfahren zu erproben, die die Eingriffstiefe vermindern“ könnten.
Der Berliner Datenschutzbeauftragte weiter: „Es wäre sehr bedauerlich, wenn
das Zensus-Testgesetz auf die Erprobung datenschutzfreundlicher Technologien
verzichten und nur die unmittelbare Zusammenführung der verschiedenen Da-
tenbestände zum Ersatz einer klassischen Volkszählung erlauben würde. Einmal
entwickelt, können solche Instrumente, die für ,harmlose‘ Zwecke wie die Sta-
tistik entwickelt wurden, die Nutzungsbegehrlichkeiten anderer öffentlicher
oder privater Stellen hervorrufen.“ (Jahresbericht 2000, Berliner Beauftragter
für Datenschutz und Akteneinsicht, 4.5.3. Statistik, Statt Volkszählung: rechner-
gestützter Zensus).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie hoch waren die tatsächlichen Kosten des registergestützten Zensus des

Jahres 2001 für den Bund, die Länder und die Kommunen?
2. Wie hoch waren die tatsächlichen Kosten dieses registergestützten Zensus

für die BA?
3. Wie viele Zähler und Zählerinnen waren mit der Erhebung der Stichproben

beauftragt?
4. Wurden Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst mit der Erhebung be-

auftragt oder wurden private Firmen mit dieser Aufgabe betraut?
5. Wie wurden sie auf die Erhebung der Daten vorbereitet und wie wurde ihre

Tätigkeit vergütet?
6. Wie wurde die Auswahl von Stichprobenbefragungen vorgenommen und

was wurde unter unplausiblen Relationen von Personen und Wohnungen
verstanden, die durch Nachfrage vor Ort berichtigt werden sollten (vgl. Bun-
destagsdrucksache 14/5736, S. 11)?

7. Wie viele Personen haben nach Kenntnis der Bundesregierung die stichpro-
benartige Befragung verweigert und mit welchen rechtlichen Sanktionen
müssen diese Personen rechnen?

8. In welchen anderen Ländern der Europäischen Union werden die Daten der
Stichprobenbefragung des Zensus rechtlich verpflichtend mit der Möglich-
keit von Sanktionen erhoben und welche Mittel werden dort dafür angewen-
det?

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9. Wann wurden bzw. wann werden bei den statistischen Ämtern die Hilfs-
merkmale – wie beispielsweise Name und Anschrift – der beim Zensus er-
hobenen Daten gelöscht?

10. Weshalb mussten bei den stichprobenartigen Befragungen von Personen
ca. 120 Sachverhalte erfragt werden wie u. a. Datum der letzten Eheschlie-
ßung, Datum der Beendigung der letzten Ehe, nach Wohn- und Lebens-
gemeinschaft etc.?

11. Womit begründet die Bundesregierung die rechtliche Zulässigkeit, dass bei
einem Prozent der Bevölkerung durch die stichprobenartige Erhebung in
das informationelle Selbstbestimmungsrecht eingegriffen worden ist?

12. Hat die Bundesregierung Maßnahmen ergriffen, um bei dem registerge-
stützten Zensus Pseudonymisierungsverfahren zu erproben?
Wenn ja, welche Maßnahmen wurden ergriffen?
Wenn nein, warum unterblieb dies und besteht nicht durch den § 3a Bun-
desdatenschutzgesetz (BDSG) im Rahmen des technisch Möglichen bereits
eine Verpflichtung zur Pseudonymisierung?

13. Unter welchen Voraussetzungen und in welcher Form kann die private
Wirtschaft, die einer der Nutzer der Daten des registergestützten Zensus ist,
die erhobenen Daten für Standortentscheidungen und Bewertungen ihrer
Absatzmärkte nutzen (Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes
vom 3. August 2001)?

14. Wurden die Daten des registergestützten Zensus nach Kenntnis der Bun-
desregierung für Rasterfahndungen im Zusammenhang mit den Anschlä-
gen des 11. September 2001 genutzt?

15. Wurden die Daten des registergestützten Zensus nach Kenntnis der Bun-
desregierung von anderen Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder
in anderen Zusammenhängen genutzt?

16. Mit welchen Sicherheitsprogrammen sind die Computersysteme und Pro-
gramme der statistischen Ämter vor unbefugtem Zugriff gesichert, und ist
der Datenaustausch zwischen den einzelnen Ämtern und den Behörden be-
sonders gegen Lauschangriffe abgesichert?

17. Warum war es notwendig die Dateien der BA zum registergestützten Zen-
sus hinzuzuziehen?
Und verfügt die BA nicht über umfassendes und stets aktuelles Datenmate-
rial, welches die Entscheidungsträger jederzeit – auch ohne Zensus – in die
Lage versetzen würde, gegen die Arbeitslosigkeit vorzugehen?

Berlin, den 1. Juli 2002
Petra Pau
Roland Claus und Fraktion

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