BT-Drucksache 14/9765

Entführung, Berichte über Folterung und Verurteilung des in Deutschland anderkannten kurdischen Flüchtlings Cevat Soyal in der Türkei

Vom 9. Juli 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9765
14. Wahlperiode 09. 07. 2002

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Entführung, Berichte über Folterung und Verurteilung des in Deutschland
anerkannten kurdischen Flüchtlings Cevat Soysal in der Türkei

35 Monate nach seiner Entführung durch ein türkisches Kommando aus Molda-
wien in die Türkei im Sommer 1999 ist der kurdische Politiker Cevat Soysal
vom Staatssicherheitsgericht in Ankara Ende Juni 2002 zu einer Haftstrafe von
18 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden.
Der kurdische Politiker lebte seit 1995 in Deutschland als anerkannter Flücht-
ling. Seine Entführung war also nicht nur völkerrechtswidriges Kidnapping,
sondern auch ein Bruch der Genfer Flüchtlingskonvention.
Nach Angaben seiner Anwälte wurde Cevat Soysal nach seiner Entführung elf
Tage lang gefoltert, mittels Elektroschocks, Aufhängen am so genannten Paläs-
tinenserhaken, nacktem Liegen auf Eisblöcken, Abspritzen mit Hochdruckwas-
serstrahl und erzwungener Einnahme von Medikamenten. Diese Misshandlun-
gen in der Haft verstoßen unter anderem gegen die UN-Konvention gegen die
Folter und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.
Kurz danach wurde Cevat Soysal unmittelbar vor Ankunft des Bundesministers
des Auswärtigen, Joseph Fischer, in Ankara als angebliche „Nr. 2 der PKK“,
die von Deutschland aus Terror organisiert habe, der Öffentlichkeit präsentiert.
Cevat Soysal hat alle ihm vorgeworfenen Straftaten stets bestritten. Auch seine
angebliche Führungsposition in der PKK ist von ihm selbst und sogar von deut-
schen Sicherheitsdiensten bestritten worden. Seine Anwälte haben Berufung
vor dem Obersten Gerichtshof der Türkei angekündigt und fordern seinen Frei-
spruch.
Gegen die Entführung und Misshandlung Cevat Soysals ist außerdem eine
Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig.
Menschenrechtsorganisationen haben auf die Verurteilung Cevat Soysals scharf
reagiert. „Damit findet ein Piratenakt des türkischen Geheimdienstes aus dem
Jahre 1999 seinen skandalösen Abschluss“, stellten Pro Asyl und medico inter-
national in einer Erklärung am 28. Juni 2002 fest. „Das Urteil belegt, dass die
türkische Justiz sich nicht scheut, Kidnapping und Folter als Voraussetzungen
für ein Gerichtsverfahren zu billigen. Damit sind die Justiz und die türkische
Regierung maßgeblich dafür verantwortlich, dass Folter und andere schwere
Menschenrechtsverletzungen in der Türkei nach wie vor an der Tagesordnung
sind und oftmals straflos bleiben.“ Sie fordern in der Erklärung vom 28. Juni
2002: „Für Deutschland ergibt sich aus dem Urteil, dass die Türkei nicht als
verlässlicher Vertragspartner angesehen werden kann, wo immer menschen-
rechtliche Fragen tangiert sind … Angesichts des Falles Soysal, dessen Asyl-
anerkennung und Aufenthaltsrecht in Deutschland die türkische Regierung

Drucksache 14/9765 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

nicht gehindert hat, Entführung und Folter als Mittel gegen einen politischen
Gegner einzusetzen, verbieten sich einmal mehr die Versuche, völkerrechtliche
Zusicherungen von der Türkei als Freibrief für Abschiebungen zu fordern. Im
Gegenteil müssen die deutschen Behörden die Gefährdung von politischen
Gegnern in der Türkei endlich anerkennen und die restriktive Asylanerken-
nungspraxis korrigieren.“
Beide Menschenrechtsorganisationen fordern von der Bundesregierung, der
Türkei deutlich zu machen, „dass das Kidnapping Asylberechtigter … und die
Folter nicht als legitime Mittel der Terrorismusbekämpfung zu rechtfertigen
sind.“ Die Verhandlungen des Bundesministers des Innern, Otto Schily, mit sei-
nem türkischen Kollegen Rüstü Kazim Yücelen über die Abschiebung von
Flüchtlingen und dafür erforderlichen türkischen Zusicherungen, Abgescho-
bene nicht zu foltern etc., sollen beendet werden, die Bundesregierung ihre
„Abschiebungskollaboration mit der türkischen Regierung endgültig beenden.“

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Sind der Bundesregierung die Vorwürfe der Anwälte Cevat Soyals über des-

sen Folterung bekannt bzw. kann sie diese bestätigen?
2. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Verstößen der

türkischen Regierung und der türkischen Justiz gegen Menschenrechte und
internationale Konventionen wie das Verbot von Folter, das Verbot von Kid-
napping und die Genfer Flüchtlingskonvention (bitte aufschlüsseln auf die
Bereiche wirtschaftliche und finanzielle Zusammenarbeit, Entwicklungs-
hilfe, Kredite, Hermes-Bürgschaften, Zusammenarbeit in den Bereichen
Polizei und Justiz sowie Rüstungsexporte)?

3. Erwägt die Bundesregierung, wegen der schweren Menschenrechtsverlet-
zungen, die an Cevat Soysal begangen sind, gegen die Türkei Staatenbe-
schwerde zu erheben
a) nach Artikel 21 Abs. 1 der UN-Konvention gegen die Folter
b) zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nach Artikel 33

EMRK?
Wenn ja, wann ist mit dem Einlegen der Beschwerde zu rechnen (bitte für
beide Beschwerdemöglichkeiten einzeln beantworten)?
Wenn nein, warum nicht?

4. Für wie glaubwürdig stuft die Bundesregierung angesichts eines solchen
Umgangs der türkischen Regierung und Justiz mit internationalen Konven-
tionen und Menschenrechten türkische Zusicherungen ein, aus Deutschland
abgeschobene Flüchtlinge rechtsstaatlich zu behandeln, nicht zu foltern etc.?

5. Wird die Bundesregierung die Verhandlungen über ein neues Abschiebe-
abkommen mit der Türkei abbrechen?
Wenn nein, warum nicht?

6. Wie weit sind diese Verhandlungen gediehen und wann erwartet die Bundes-
regierung einen Abschluss dieser Verhandlungen?

7. Wie viele Personen sind im Jahr 2001 und in der ersten Hälfte 2002 gegen
ihren Willen aus Deutschland in die Türkei abgeschoben worden?
Welche Korrekturen dieser Abschiebepolitik erwägt die Bundesregierung
angesichts des Falles Cevat Soysal?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9765

8. Welche rechtlichen, wirtschaftlichen und anderen Schritte wird die Bun-
desregierung ergreifen, um dem entführten und in Deutschland anerkann-
ten Flüchtling Cevat Soysal wieder zu seiner Freiheit zu verhelfen und ihm
die ungehinderte Rückkehr nach Deutschland zu ermöglichen?

9. Welche Schritte soll nach Auffassung der Bundesregierung die EU ergrei-
fen, falls das Urteil gegen Cevat Soysal nicht umgehend korrigiert und der
entführte Flüchtling nicht freigelassen wird?
Gehört dazu auch eine Unterbrechung der Beitrittsverhandlungen und von
Zahlungen der EU an die Türkei?

10. Wird die Bundesregierung das Verfahren der Anwälte Cevat Soysals in der
Türkei und vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte unter-
stützen?
Wenn ja, in welcher Form?
Wenn nein, warum nicht?

11. Hat die Bundesregierung seit der Entführung Cevat Soysals seiner hier
lebenden Familie Hilfe zukommen lassen, um deren Situation zu mildern
und ihre Bemühungen um seine Freilassung zu unterstützen?
Wenn ja, welche?
Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 4. Juli 2002
Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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