BT-Drucksache 14/972

zur zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1999 - Drsn. 14/300 Anlage, 14/760, 14/601 bis 14/621, 14/622, 14/623, 14/624 - hier: Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern

Vom 5. Mai 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/972 vom 05.05.1999

Änderungsantrag und der Fraktion der PDS zur zweiten Beratung des
Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1999 14/300 14/760 14/606 14/622
14/623 14/624 hier: Einzelplan 06 Geschäftsbereich des
Bundesministeriums des Innern =

05.05.1999 - 972

14/972

Änderungsantrag
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau und der Fraktion der PDS
zur zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1999
- Drucksachen 14/300 Anlage, 14/760, 14/606, 14/622, 14/623, 14/624 -
hier: Einzelplan 06
Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern

Der Bundestag wolle beschließen:
den folgenden Titel des Einzelplans 06 um 2 Mio. DM zu erhöhen:
Kapitel 06 35 Bundeszentrale für politische Bildung
Titel 532 02
Bezeichnung 9. "Für die Bekämpfung des Antisemitismus und andere
Vorurteile", eingestellter Betrag 800 000 DM.
Bonn, den 19. April 1999
Ulla Jelpke
Petra Pau
Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Begründung
1998 widersprach der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in
Deutschland, Ignaz Bubis, entschieden der Auffassung, daß der
Antisemitismus in Deutschland abgenommen habe. Es wandte sich damit
gegen die Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV),
wonach die steigende Zahl antisemitischer Straftaten keine
entsprechende Einstellung der deutschen Bevölkerung widerspiegele.
Ignaz Bubis wies weiter darauf hin: Früher hätten sich die Antisemiten
"geniert", sich zu ihrer Einstellung zu bekennen und offen aufzutreten.
Mittlerweile erhalte er viele Briefe von Antisemiten, die auch einen
Absender enthielten. Auch die Anzahl solcher Hetzbriefe habe sich
erhöht (vgl. Junge Welt, 23. Februar 1998). In diesen Hetzbriefen werde
ihm u. a. eine "Einmischung in unsere deutsche Politik" vorgeworfen
(FR, 6. März 1998).
Wenige Tage später stellte Ignaz Bubis auf einer Veranstaltung in
Kassel fest, daß Antisemitismus "kein Tabu" mehr sei. Nach seiner
Einschätzung würden über 30 % der Bevölkerung in Deutschland "latent
oder manifest" antisemitisch eingestellt sein (FR, 6. März 1998).
Ignaz Bubis stützt sich dabei auf Meinungsumfragen, deren Ergebnisse
erschreckend sind.
Es sei daran erinnert: Nach einer EMNID-Umfrage von Anfang 1994 - im
Auftrag des Amerikanischen Jüdischen Commitees wollen
- 22 % der befragten Deutschen keinen jüdischen Nachbarn haben;
- 44 % der Westdeutschen und 19 % der Ostdeutschen meinten, daß "die
Juden den Holocaust für ihre Zwecke ausnutzen";
- 30 % der Westdeutschen und 20 % der Ostdeutschen sind nach dieser
Umfrage "gegen einen Juden als möglichen deutschen Bundespräsidenten".
Der Antisemitismus und die Leugnung des Holocaust werden längst nicht
mehr von Kleingruppen aus dem Nazi-Spektrum in verräucherten
Hinterzimmern deutscher Bierlokale propagiert. Diese Propaganda wird
heute auch schon aus der Mitte der Gesellschaft heraus betrieben.
Es sei daran erinnert,
- daß der Dominikanerpater Heinrich Basilius Streithofen, einer der
damaligen Berater des ehemaligen Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl, die
Juden und die Polen "als die größten Ausbeuter des Steuerzahlers"
bezeichnete,
- daß der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung,
Günter Reichert, den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in
Deutschland, Ignaz Bubis, anläßlich einer Rede des israelischen
Staatspräsidenten, Weizmann, 1996 in Deutschland fragte, ob ihm die
Rede seines Präsidenten gefallen habe (vgl. Drucksache 13/4651),
- daß der bundesdeutsche Konservatismus in beachtlichem Maße
antisemitische Hetze übernommen hat und den Holocaust leugnet oder
relativiert,
- daß die Zeitung der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen "Fritz" über
den amerikanischen Historiker Daniel Goldhagen schreibt: "Da hat ein
junger US-Bürger namens Daniel Goldhagen mit seiner Schrift ,Hitlers
willige Vollstrecker' den Deutschen aufs Neue kollektive Schuld
vorgeworfen. (. . .) Aber es gibt kollektive Diffamierung - wer diese
betreibt, macht sich schuldig, denn ,Völkerrufmord' geht dem Völkermord
voran. Der kollektive Schuldvorwurf an sich ist eine schwere
Menschenrechtsverletzung, ein Verbrechen gegen die Menschheit, egal
welches Volk von ihr in seinem geistigen oder seinem biologischen
Fortbestand bedroht wird" (Fritz, September 1996),
- daß das "Ostpreußenblatt", die Zeitung der Landsmannschaft
Ostpreußen, positiv das Buch Ernst Nolte "Streitpunkte" besprach, in
dem dieser sowohl die Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden
als auch die Existenz der Gaskammern in Auschwitz anzweifelte. Der von
Ernst Noltes Äußerungen offenbar begeisterte Autor schreibt hier: "Den
Atem verschlägt es einem, wenn Nolte (. . .) auch die Frage nach ,sechs
Millionen' und dem Vorhandensein von Gaskammern stellt, daß die Antwort
nicht bereits vorgegeben ist" (Ostpreußenblatt, 23. April 1994).
Die Notwendigkeit einer gezielten Aufklärungsarbeit wird auch gestützt
durch den Verfassungsschutzbericht des Bundes 1998. Danach hat 1998 die
"Zahl der antisemitisch motivierten (. . .) Gewalttaten" zugenommen.
Die Zahl der antisemitischen Straftaten bewegt sich seit Jahren auf
einen erschreckend hohem Niveau:
1994 wurden 1 147 antisemitische Straftaten verübt,
1995 waren es 958,
1996 waren es 719,
1997 waren es 825,
1998 waren es 707.
Unter diesen Straftaten waren Körperverletzungen, Fälle der Störung der
Totenruhe, Sachbeschädigungen und sonstige Verfahren, vorwiegend wegen
Volksverhetzung.
Die Verwüstungen des jüdischen Friedhofs in Nürnberg im April 1999 oder
das Attentat auf das Grabmal von Heinz Galinski in Berlin zeigen
schlaglichtartig die Konsequenz, mit der Neofaschisten agieren.
In welchem Ausmaß diese Straftaten heute wieder begangen werden, darauf
wies Ignaz Bubis hin. Ihm zufolge wurden allein im Jahr 1992 etwa 80
jüdische Friedhöfe geschändet: Das waren so viele Verwüstungen, wie sie
insgesamt zwischen 1926 und 1931 in der Weimarer Republik registriert
worden sind.
Vor diesem Hintergrund sollen die Mittel für Bildungsarbeit und
Aufklärung erhöht werden. Es sollen in Zusammenarbeit mit jüdischen
Organisationen und Verbänden Konzepte entwickelt werden, wie man
antisemitischen Einstellungen in der bundesdeutschen Gesellschaften
gezielt entgegengetreten kann.

05.05.1999 nnnn

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