BT-Drucksache 14/9274

Rechtssicherheit bei Verordnungen außerhalb der Indikation

Vom 4. Juni 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9274
14. Wahlperiode 04. 06. 2002

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid),
Dr. Wolf Bauer, Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Dr. Hans Georg Faust, Ulf Fink, Hubert
Hüppe, Dr. Harald Kahl, Eva-Maria Kors, Hans-Peter Repnik, Heinz Schemken,
Aribert Wolf, Wolfgang Zöller und der Fraktion der CDU/CSU

Rechtssicherheit bei Verordnungen außerhalb der Indikation

In den vergangen Jahren haben schwerstkranke Patienten, insbesondere Krebs-
und Aids-Patienten, Arzneien nicht mehr nach dem neuesten Erkenntnisstand
erhalten. Anlass dafür ist, dass die Krankenkassen, gestützt auf die Rechtspre-
chung des Bundessozialgerichts (BSG), Ärzte in Regress nehmen, wenn sie
Arzneimittel außerhalb der zugelassenen Indikation verordnen. Dabei schuldet
der Arzt nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches dem Patienten
eine Behandlung nach dem medizinischen Standard. In der Versorgung Krebs-
kranker wurden ca. 70 bis 80 Prozent der Arzneimittel jenseits der zugelasse-
nen Indikation eingesetzt, 80 Prozent sind es in der pädiatrischen Intensivmedi-
zin (Deutsche Ärztezeitung vom 24. April 2002). Nunmehr hat das jüngste
Urteil des ersten Senats des BSG vom März 2002 unter eng begrenzten Voraus-
setzungen die Möglichkeit einer Arzneimitteltherapie außerhalb der zugelasse-
nen Anwendungsgebiete erlaubt, nämlich dann,
l wenn es sich um eine lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer

nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung handelt,
l bei der keine andere Therapie verfügbar ist und
l aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem be-

treffenden Präparat ein Behandlungserfolg zu erzielen ist.
Die zuvor genannten Bedingungen müssen aditiv vorliegen, damit der Arzt,
ohne Gefahr zu laufen, in Regress genommen zu werden, eine Verordnung
außerhalb der zugelassenen Indikation vornehmen kann. Dessen ungeachtet er-
leben zahlreiche Patienten, dass ihnen die Erstattung eines Arzneimittels von
den Krankenkassen verweigert wird. Deshalb bleiben diese Menschen, die viel-
fach mit dem Tode ringen, auf den Kosten einer Arzneimitteltherapie sitzen,
obgleich das Medikament die einzige Chance bietet, das Leben zu gewinnen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Maßnahmen hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in

Reaktion auf das Urteil des BSG vom März 2002 ergriffen?
2. Trifft es zu, dass eine Sachverständigenkommission eingerichtet werden

soll, die Empfehlungen für den Einsatz von Arzneimitteln außerhalb der zu-
gelassenen Indikation auswerten und abgeben soll?

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3. Wenn ja, welche Aufgabenstellung soll diese Sachverständigenkommis-
sion exakt haben?

4. Wann wird dieses Expertengremium eingerichtet?
5. Wer gehört dieser Sachverständigenkommission an?
6. Wo wird diese Sachverständigenkommission angesiedelt (Bundesinstitut

für Arzneimittel oder Medizinischer Dienst der Krankenkassen oder Koor-
dinierungsausschuss etc.)?

7. Ist die Bundesregierung der Überzeugung, dass mit der Berufung einer
Sachverständigenkommission die notwendige Rechtssicherheit für Ärzte
und Patienten hergestellt werden kann?

8. Denkt die Bundesregierung daran, eine Novellierung des Arzneimittel-
rechts vorzunehmen?
Wenn ja, was werden die Schwerpunkte einer Novellierung sein?

9. Hat die Bundesregierung Kenntnisse, dass Arzneimittel in neuerer Zeit nur
in relativ engen Indikationen zugelassen werden?
Wenn ja, worauf führt die Bundesregierung dies zurück?

10. Inwieweit erschwert das europäische Arzneimittelrecht eine unkompli-
zierte Erweiterung einer Zulassung?

11. Sind auf EU-Ebene Bestrebungen im Gange, hier Abhilfe zu schaffen?
Wenn ja, inwieweit hat die Bundesregierung hierzu Reformvorstellungen
unterbreitet?

12. Wie will die Bundesregierung bis zu einer Novellierung des Arzneimittel-
rechts sicherstellen, dass Ärzte, beispielsweise niedergelassene Onkolo-
gen, nicht in Regress genommen werden, wenn sie Medikamente im sog.
off-lable-use einsetzen?

13. Welche Möglichkeiten erkennt die Bundesregierung, um den Patienten
Rechtssicherheit zu verschaffen?

14. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag, den Patienten zumindest
in einer Übergangsphase zu ermöglichen, die Differenz zwischen einem
innovativen Medikament, das außerhalb der Indikation angewendet wird,
und dem bisher übliche Mittel selbst zu bezahlen?

15. Warum hat das BMG zu den Gesprächen um das Thema off-lable-use
lediglich die Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung,
nicht aber die besonders betroffenen Fachgesellschaften, die betroffenen
Selbsthilfeorganisationen und die Industrie eingeladen?

Berlin, den 4. Juni 2002
Annette Widmann-Mauz
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)
Dr. Wolf Bauer
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Hubert Hüppe

Dr. Harald Kahl
Eva-Maria Kors
Hans-Peter Repnik
Heinz Schemken
Aribert Wolf
Wolfgang Zöller
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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