BT-Drucksache 14/9255

Innerdeutschen Luftverkehr auf die Bahn verlagern

Vom 5. Juni 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9255
14. Wahlperiode 05. 06. 2002

Antrag
der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter, Rosel Neuhäuser
und der Fraktion der PDS

Innerdeutschen Luftverkehr auf die Bahn verlagern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
1. Der Luftverkehr weist eine besonders hohe ökologisch zerstörerische Quali-

tät auf. Sie liegt
l in den Schadstoff-Emissionen, vor allem durch Kohlendioxid-(CO2)Emis-sionen. Diese haben sich – bezogen auf von der Bundesrepublik Deutschland

ausgehende Flüge – in den letzten zwei Jahrzehnten bereits verdoppelt. 1980
wurden von Flugzeugen, die von der Bundesrepublik Deutschland ausgin-
gen, 9,5 Mio. Tonnen CO2 emittiert, im Jahr 2000 betrugen diese Emissio-nen bereits 20 Mio. Tonnen. (DIW-Wochenbericht 37/2000);

l in der besonderen Klimaschädlichkeit, die diesen Schadstoffen dann zuge-
sprochen wird, wenn sie – wie grundsätzlich beim Flugverkehr der Fall – in
großer Höhe emittiert werden;

l in der Lärmentwicklung: Die Zahl der Personen, die sich vom Fluglärm
belästigt fühlen, hat sich im Zeitraum 1980 bis 2000 verdoppelt (Umwelt-
bundesamt, 2001);

l im Flächenverbrauch: Flughafenbau und der Bau neuer Landebahnen finden
zu einem Zeitpunkt statt, wo – siehe als Beispiel die neuen Landebahnen in
Frankfurt/Main-Airport – die entsprechenden Regionen bereits dicht besie-
delt und meist bereits mit einem erheblichen „Lärmteppich“ belastet sind.
Zusätzliche Emissionen von Lärm und Abgasen und der zusätzliche Flä-
chenverbrauch treffen damit meist „sensiblere“ oder stärker belastete Men-
schen als zu früheren Zeiten.

2. Der Luftverkehr weist unter allen Verkehrsarten das größte Wachstum auf.
Grob gerechnet hat sich der Luftverkehr in den vergangenen zehn Jahren in-
ternational verdoppelt (Verkehr in Zahlen 2001/2002). Er soll sich in den
kommenden 15 Jahren hinsichtlich der zurückgelegten Flugkilometer ein
weiteres Mal verdoppeln. Die Luftfracht der dreizehn Verkehrsflughäfen
nahm von 1,1 Mio. Tonnen im Jahr 1980 auf 2,6 Mio. Tonnen im Jahr 2000
zu (Verkehr in Zahlen 2001/2002). Bis 2010 ist eine (weitere) Verdopplung
der Luftfrachtmenge und bis 2020 eine Vervierfachung (bezogen auf das
Jahr 1995) prognostiziert (DIW-Wochenbericht 37/2000).

3. Dieses Wachstum wird in erster Linie vom internationalen, grenzüber-
schreitenden Luftverkehr erzeugt. Doch auch der Binnenluftverkehr steigt
weiter massiv an, während der Schienenfernverkehr seit Beginn der Bahnre-
form 1994 stagniert. Der innerdeutsche Luftverkehr wuchs im Zeitraum

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1990 bis 2000 um weitere 58 Prozent. Dabei stellt der Regionalverkehr den
dynamischsten Wachstumsbereich dar. Dieses Segment soll sich in den
nächsten zehn Jahren verdoppeln. Im gesamten Inlands-Luftverkehr gab es
1980 eine Leistung von rund 4 Mrd. Personenkilometern (Pkm), 1990 lag
diese bei 6 Mrd. Pkm und 2000 bei 9,5 Mrd. Pkm (Verkehr in Zahlen 2001/
2002). Das heißt: Ausgerechnet in dem Bereich, in dem die Bahn eine echte
Alternative darstellen könnte, liegt das Wachstum des Luftverkehrs in den
zwei vergangenen Jahrzehnten jeweils bei 50 Prozent bzw. über 50 Prozent.

4. Die durchschnittliche Flugweite im innerdeutschen Flugverkehr liegt bei 530
Kilometern (Verkehr in Zahlen 2001/2002). Das heißt, mehr als die Hälfte
des Binnenluftverkehrs sind eindeutige Kurzstreckenflüge, die im Falle eines
gut ausgebauten Schienenverkehrs auf die Bahn zu verlagern wären.

5. Gemessen an der Verkehrsleistung der geflogenen Personenkilometer machte
der Binnenluftverkehr 1995 rund fünf Prozent der gesamten von der Bun-
desrepublik Deutschland ausgehenden Luftverkehrsleistung aus (5,8 Mrd.
Pkm von 112 Mrd. Pkm). Das innerdeutsche Luftverkehrsaufkommen
nimmt einen Anteil von gut 30 Prozent am gesamten Luftverkehrsaufkom-
men ein (20,2 Millionen Fluggäste im Jahr 1999 waren „innerdeutsche“; die
Gesamtzahl aller Luftverkehrs-Passagiere lag im selben Jahr bei 66,2 Millio-
nen Einsteigern). Bei den Flugbewegungen (Starts und Landungen) entfallen
sogar rund 40 Prozent auf Flüge mit innerdeutschem Ziel (Statistisches Bun-
desamt: Luftverkehr Reihe 6, Fachserie 8, 1999). 2,8 Millionen Passagiere
flogen eine innerdeutsche Strecke als Zubringer zu einer ins Ausland führen-
den Flugreise. Ganz offensichtlich könnte ein erheblicher Teil des bisherigen
Luftverkehrs und vor allem der größte Teil des Binnenluftverkehr und des-
sen weiteres Wachstum auf die Schiene verlagert werden.

II. Die Bundesregierung wird daher aufgefordert:
1. Sorge dafür zu tragen, dass die Bahn systematisch gefördert und im Beson-

deren für Verbindungen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland in der
Regel zur attraktiven Alternative zum Luftverkehr wird. Notwendig ist der
flächenhafte Erhalt und Ausbau des bestehenden Schienennetzes. Dabei
muss im Zentrum der Netzgedanke stehen – auch hinsichtlich Geschwindig-
keit: Wichtig ist eine insgesamt ausreichend hohe „Netzgeschwindigkeit“,
nicht nur Höchstgeschwindigkeiten von Zentrum zu Zentrum. Dieses Ziel
wird in erster Linie durch eine optimale Abstimmung von Nah-, Regional-
und Fernverkehr realisiert („integrierter Taktverkehr“). Die Zuggattung
InterRegio ist beizubehalten. Die Orientierung an Maßstäben des Luft-
verkehrs ist aufzugeben. Eine effiziente Nord-Süd-Verbindung ohne eine
ICE-Strecke Nürnberg–Erfurt ist mit dem bestehenden Netz herzustellen.

2. Ziel muss ein Prinzip der regelmäßigen Erreichbarkeit aller Städte (Mittel-
und Oberzentren) in Entfernungen bis zu rund 500 km in Reisezeiten bis zu
4 Stunden im Sinne des Netzgedankens sein.

3. Besonders die ostdeutschen Städte sind gut in ein optimiertes Bahnnetz zu
integrieren, da bei deren Flughäfen die Anteile innerdeutscher Flugbewe-
gungen weit über dem bundesdeutschen Durchschnitt von 40 Prozent liegen.

4. Flughafen-Anbindungen an den schnellen Fernbahnverkehr sind nur dort zu
realisieren, wo große Anteile des Personenverkehrs Umsteiger zu An-
schlussflügen sind. Danach kann die Herstellung von IR-, IC- oder ICE-An-
bindungen nur an Drehkreuz-Flughäfen gerechtfertigt werden. Die Anbin-
dung von Flughäfen an den schnellen Fernbahnverkehr darf nicht zur Strei-
chung von Halten an anderen Bahnhöfen führen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9255

5. Das Flughafenkonzept ist dahin gehend zu ändern, den weiteren Aus- und
Neubau von Flughäfen nicht mehr als Zielsetzung anzustreben.

6. Die massive Subventionierung des Luftverkehrs ist zu beenden. Dazu ist
darauf hinzuwirken, dass die Investitionen in Flughäfen aus öffentlichen
Mitteln stark eingeschränkt werden. Erforderlich ist die Aufhebung der Mi-
neralölsteuer-Befreiung bzw. für den Fall, dass eine solche Lösung zumin-
dest auf EU-Ebene nicht realisierbar ist, ersatzweise eine Emissions-Abgabe
auf den Luftverkehr einzuführen.

7. Güterverkehr als Massentransport ist in der Regel im Luftverkehr aus ökolo-
gischen und ökonomischen Gründen zu vermeiden und auf die Schiene zu
verlagern. Schienenseitige Güterverkehrszugangsstellen sind an allen Ver-
kehrsflughäfen, insbesondere am Flughafen Köln/Bonn zu errichten. Am
Flughafen Frankfurt/Main ist der Container-Bahnhof unverzüglich wieder in
Betrieb zu nehmen.

Berlin, den 5. Juni 2002
Dr. Winfried Wolf
Eva Bulling-Schröter
Rosel Neuhäuser
Roland Claus und Fraktion

Begründung
Zu 1 und 2: Mit dem dargelegten Bahn-System kann ein Großteil des innerdeut-
schen Flugverkehrs auf die Schiene verlagert werden und damit die hohe ökolo-
gische Zerstörungskraft des Luftverkehrs stark vermindert werden. Mindestens
die Hälfte der innerdeutschen Flüge liegt im Bereich von 500 Kilometer Entfer-
nung und ist bei akzeptablen Reisezeiten von 3 bis 4 Stunden verlagerbar. So
nahm mit der Einführung des ICE-Sprinter Berlin-Zoo bis Frankfurt/Main Hbf.
in 3 Stunden 29 Minuten für die 560 km lange Strecke die Zahl der Flugreisenden
auf dieser Strecke deutlich ab (Ungefug, H.-G.: Umstieg vom Flug zum Zug).
Eine attraktive Nord-Süd-Verbindung kann ohne ICE-Strecke Nürnberg–Erfurt
entstehen, wenn stattdessen ein Ausbau des bestehenden Netzes erfolgt. Diese
Alternative bringt mehr Fahrgästen Reisezeitgewinne und Vorteile als die Be-
schränkung auf den engen Korridor der geplanten ICE-Trasse.
Die Deutsche Bahn AG (DB AG) verfolgt seit rund 10 Jahren eine Politik, bei
der sie im Luftverkehr den entscheidenden Maßstab sieht. Das reicht von der
Farbgestaltung (ICE, Umlackierung der übrigen Zuggarnituren) über die
Raumgestaltung (Großraumwagen) bis zum Service: Zukünftig sollen die Spei-
sewagen abgeschafft und in der 1. Klasse mit fertig auf Tabletts abgepackten
Portionen – wie in Flugzeugen – am Platz bedient werden. Das für Dezember
2002 geplante neue Preissystem der DB AG übernimmt insbesondere mit dem
Frühbucher-Rabattsystem wesentliche Elemente des Luftverkehrs und macht
damit die Bahnnutzung unflexibel und komplizierter für einen Großteil der
Kunden. Indem die DB AG sich in vielen Bereichen am Flugverkehr orientiert,
verzichtet sie auf die Nutzung ihrer speziellen Systemvorteile (wie Reisegenuss
und -komfort, flexible Zugangsmöglichkeiten u. ä.).
Zu 3: Das Potenzial an verlagerungsfähigen Flugreisen auf die Bahn ist bei den
ostdeutschen Flughäfen besonders groß, da bei diesen die Anteile der Binnen-
flüge an allen Flügen weit über dem bundesdeutschen Durchschnitt liegen: Ber-
liner Flughäfen 58 Prozent, Leipzig/Halle 67 Prozent, Dresden 69 Prozent, Er-

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furt 81 Prozent (Flughafenkonzept der Bundesregierung 2000). Diese Situation
korrespondiert damit, dass das Schienennetz und Bahn-Angebote in den neuen
Ländern deutlich schlechter als in Westdeutschland sind.
Zu 4: Neben dem Ersatz von innerdeutschen Flügen, die zur Erreichung eines
Zieles in der Bundesrepublik Deutschland unternommen werden, sind für
Zubringerflüge zu internationalen und interkontinentalen Anschlussflügen die
Bedingungen des schnellen Fernbahnverkehrs so zu gestalten, dass diese Zu-
bringerflüge zum größten Teil auf die Schiene verlagert werden. Bei Flughäfen
mit einem geringen Anteil an Umsteigern führt die Anbindung an das Fern-
bahnnetz zur Attraktivitätssteigerung des Luftverkehrs und damit tendenziell
zur Ausweitung des innerdeutschen Luftverkehrs. Dies ist auch nicht zu recht-
fertigen vor dem Hintergrund der erheblichen Zeitverluste im Schienenverkehr
zwischen den Städten, die durch zusätzliche Halte an Flughäfen entstehen.
In der Vergangenheit wurden Flughäfen an den ICE-Verkehr angeschlossen,
während gleichzeitig größere Städte schlechter angebunden und teilweise
abgehängt wurden. Ein Beispiel dafür ist die neue ICE-Strecke, die zurzeit zwi-
schen Köln und Frankfurt/Main in Bau ist. Nach deren Inbetriebnahme werden
Städte wie Bonn, Koblenz, Wiesbaden oder Mainz wesentlich schlechter an den
Fernverkehr angebunden sein.
Zu 5 und 6: Der Luftverkehr ist erheblich defizitär. Dies wird teilweise auch
durch eine Marktordnung verdeckt, die den Luftverkehr massiv begünstigt. Da-
mit sind der hohe Anteil des Luftverkehrs an allen Verkehrsarten und seine wei-
tere Expansion in erster Linie den Subventionen und einer verkehrten Verkehrs-
ordnung geschuldet: Der größte Teil der Investitionen in Flughäfen wird aus
Steuermitteln bestritten. Dies gilt für alle Regional- und für alle Großflughäfen.
Weiterhin unterliegen Kerosin und Flugbenzin nicht der Mineralölsteuerpflicht.
Das heißt auch, dass Kraftstoffe für den Luftverkehr durch die Ökosteuer kei-
nen Zuschlag erfahren. Damit hat die Ökosteuer den komparativen Vorteil, den
der Flugverkehr gegenüber der Schiene hat, nochmals vergrößert. Mit der Ein-
führung einer Kerosinbesteuerung oder ersatzweise einer Emissionsabgabe auf
den Luftverkehr könnten wichtige Schritte zur Kostenwahrheit im Verkehr un-
ternommen werden. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
stellt hierzu fest: „Eine Kerosinsteuer analog zur Mineralölsteuer ist … schwie-
rig, weil der internationale Luftverkehr auf bilateralen Abkommen beruht, die
faktisch alle eine Steuerfreiheit vorsehen und somit geändert werden müssten.
… Die Erhebung einer Emissionsabgabe bei jeder Landung könnte dagegen
ohne eine Änderung dieser Abkommen erfolgen, wenn sie allgemein eingeführt
würde, also keine Nation oder Fluggesellschaft benachteiligt wäre“ (DIW-Wo-
chenbericht 37/2000). Mit einer drastischen Absenkung der Investitionen aus
öffentlichen Mitteln für Flughafen-Aus- und Neubauten kann die Wettbewerbs-
verzerrung zu Ungunsten der Bahn verringert werden.
Zu 7: Im Güterverkehr gilt: Güter sind nur auf die Schiene zu verlagern, wenn
die Bahn in der Fläche präsent ist und unter anderem möglichst viele Unterneh-
men und Gewerbeparks erschließt. Zur Verlagerung von Luftfracht auf die
Schiene sind insbesondere an den mit Abstand aufkommensstärksten Flughäfen
Frankfurt/Main und Köln/Bonn schienenseitige Güterzugangsstellen zu betrei-
ben, da hier ein hohes Verlagerungspotenzial besteht. In Frankfurt/Main werden
67 Prozent und in Köln/Bonn noch einmal 17 Prozent der gesamten Luftfracht
der deutschen Verkehrsflughäfen umgeschlagen (Verkehr in Zahlen 2001/2002).
Der seit August 2000 außer Betrieb befindliche Container-Bahnhof am Frank-
furter Flughafen ist unverzüglich wieder in Betrieb zu nehmen.

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