BT-Drucksache 14/9215

Neuer Aufbruch im Bildungswesen

Vom 4. Juni 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9215
14. Wahlperiode 04. 06. 2002

Antrag
der Abgeordneten Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), Thomas Rachel,
Ilse Aigner, Dr. Maria Böhmer, Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), Detlef Helling,
Dr.-Ing. Rainer Jork, Steffen Kampeter, Werner Lensing, Erich Maaß
(Wilhelmshaven), Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn), Hans-Peter Repnik,
Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke), Dr. Erika Schuchardt, Bärbel Sothmann,
Angelika Volquartz, Heinz Wiese (Ehingen) und der Fraktion der CDU/CSU

Neuer Aufbruch im Bildungswesen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog hatte bereits 1997 gefordert,
der Bildungspolitik einen neuen Stellenwert einzuräumen. Wie die internatio-
nalen Vergleichsstudien der letzten Jahre gezeigt haben, liegen die Leistungen
des deutschen Bildungssystems im unteren Drittel der teilnehmenden Staaten.
Besonders gravierend ist die Tatsache, dass Schüler aus bildungsferneren
Schichten und vor allem Schüler mit Migrationshintergrund schlecht abschnei-
den. Besonders der Zuzug von Ausländerkindern in höherem Lebensalter und
die zum Teil unzureichende Integrationsbereitschaft oder die fehlende Möglich-
keit zum frühzeitigen Spracherwerb wirken sich auf die schulischen Leistungen
dieser Kinder negativ aus.
Familien sehen sich heute mit wachsenden Herausforderungen und Belastun-
gen konfrontiert. Durch den raschen gesellschaftlichen Wandel und die ausein-
ander fallenden Wertevorstellungen reagieren Eltern in Fragen der Erziehung
zunehmend verunsichert. Erwünschte und unerwünschte „Miterzieher“ aus den
Medien haben an Einfluss gewonnen. Durch eine intensivere Zusammenarbeit
zwischen Elternhaus und Schule können Eltern bei der Wahrnehmung ihrer Er-
ziehungsaufgaben besser unterstützt werden.
Die Einstellung zu Leistung und die Bereitschaft zur Übernahme von Verant-
wortung ist in unserer Gesellschaft nicht hinreichend ausgeprägt. Gleichzeitig
sind auch die Erwartungen an das Bildungssystem und der Wunsch, höhere Bil-
dungsabschlüsse zu erhalten, gestiegen. Diese Orientierung entspricht der
wachsenden Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften in einer Volkswirt-
schaft mit einem wachsenden Dienstleistungssektor, die ständig neue innova-
tive Produkte und Produktionsverfahren entwickeln muss, um wettbewerbsfä-
hig zu bleiben. Dabei müssen die das deutsche Bildungssystem prägenden
vielfältigen Angebote der beruflichen Ausbildung im internationalen Vergleich
mit den Absolventenzahlen der Hochschulen konkurrieren. Deshalb kann aus
einem bloßen Vergleich der Zahl der Hochschulabsolventen z. B. durch die
OECD kein Schluss auf die Qualität unseres Bildungssystems gezogen werden.

Drucksache 14/9215 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Diese Fragen haben zu einer bundesweiten Debatte über die Bildung, ihre Defi-
zite und ihre Herausforderungen geführt. Dabei wird ein bedeutsamer gesell-
schaftlicher Konsens deutlich: Unsere Bildungseinrichtungen müssen besser
werden, um international wieder einen Spitzenplatz zu erreichen. Dabei geht es
vor allem um Unterrichtsziele, die Qualität des Unterrichts und um die innere
Entwicklung der Schulen. Es geht aber auch um die gesellschaftliche Anerken-
nung der Lehrer und ihrer für unsere Gesellschaft so wichtigen und oft aufop-
fernden Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen. Es ist wenig hilfreich, wenn
Politiker Lehrer generell abqualifizieren.
Es geht mehr um Inhalte als um Strukturen. Zwar haben die Staaten, die in
PISA gut abgeschnitten haben, weitgehend integrierte Systeme. Solche Sys-
teme finden sich aber auch in Staaten, die unter dem Durchschnitt liegen. Auch
die Höhe der Bildungsinvestitionen sind kein Anhaltspunkt für die Leistungsfä-
higkeit eines Bildungswesens.
Nötig ist vor allem auch eine Umorientierung in der Gesellschaft selbst, eine
Wahrnehmung der Erziehungsaufgabe durch die Eltern und ein Klima des Ver-
stehens und der Zuwendung, das den Kindern und Jugendlichen die natürliche
Freude am Lernen und am Erbringen von Leistungen erhält.
Der Deutsche Bundestag zieht aus den bisher vorliegenden Studien folgende
Konsequenzen:
1. Es gibt keinen Grund, die alleinige Zuständigkeit der Länder für das Schul-

wesen in Frage zu stellen. Der Föderalismus sichert mehr Bürgernähe und
dezentrale Verantwortung. Der Glaube, dass bundeseinheitliche Lösungen
immer bundesweit richtige Lösungen sein werden, ist schlicht naiv. Die bes-
ten Schulsysteme und Unterrichtskonzepte müssen auch in Zukunft im Wett-
bewerb der Länder ermittelt werden. Fehlentwicklungen haben ihre Ursache
nicht in der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes, sondern in der bisher
oft fehlenden Qualitätskontrolle, der Feststellung der jeweils erzielten Er-
gebnisse durch vergleichende internationale und nationale Tests.
Einige SPD-Länder haben sich jahrzehntelang sogar gegen zentrale Prüfun-
gen an den weiterführenden Schulen gewehrt. Seit sie sich der Teilnahme an
internationalen Vergleichstests nicht entziehen können und die Bekanntgabe
der Ergebnisse eine breite öffentliche Diskussion ausgelöst hat, wächst er-
freulicherweise der Reformdruck. Seit Defizite präziser als bisher beschrie-
ben werden, nimmt der Konsens in der Bildungs- und speziell der Schulpoli-
tik zu.

2. Die für die Mobilität von Schülern unverzichtbaren Absprachen können und
müssen auch in Zukunft in der Kultusministerkonferenz bzw. der Konferenz
der Ministerpräsidenten getroffen werden. Dabei sollte mehr als bisher be-
rücksichtigt werden, dass Wettbewerb nur funktionieren kann, wenn Länder
und Bildungseinrichtungen über ausreichende Spielräume für eine Profilbil-
dung verfügen.

3. Die Bemühungen der Länder um grundlegende Qualitätsstandards mit kon-
kreten Aufgaben, die für eine Evaluation geeignet sind, sind zu begrüßen.
Die Länder sollten regelmäßig ihre Bildungssysteme an Hand dieser Stan-
dards evaluieren und zum internationalen Vergleich an weiteren Vergleichs-
studien der OECD teilnehmen.

4. Es bleibt Aufgabe vor allem der Länder, die Ursachen für das schlechte Ab-
schneiden der deutschen Schüler in den internationalen Vergleichsstudien zu
analysieren und Lösungen zu entwickeln. Diese haben durch die nationale
Ergänzungsstudie (PISA-E) die Voraussetzung für zusätzliche Transparenz
geschaffen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9215

Die Länder sollten auch in Zukunft gemeinsam an Lösungen arbeiten, um
das Bildungsniveau der Schülerinnen und Schüler zu verbessern. Die im
Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung und Forschungsförde-
rung nach Artikel 91b GG gewonnenen Erkenntnisse, z. B. des Forums Bil-
dung, sollten in diese Überlegungen einbezogen werden.

5. Die Länder müssen im Rahmen ihrer Zusammenarbeit mehr Transparenz im
Bildungswesen schaffen. In regelmäßigen Abständen sollten statistisches
Material und Analysen so veröffentlicht werden, dass die interessierte Öf-
fentlichkeit die bildungspolitischen Entwicklungen in den Ländern verfol-
gen und vergleichen kann. Die Daten und Berichte der Bundesregierung
über die bildungsrelevanten Aktivitäten des Bundes ergeben zusammen mit
einem gemeinsamen Bericht der Länder einen bundesweiten Überblick über
den aktuellen Stand und die Ergebnisse der Bildungspolitik in Deutschland.
Ein alle Bildungssektoren umfassender nationaler Bildungsbericht der Bun-
desregierung ist dann überflüssig. Dieser würde nur falsche Vorstellungen
über die Zuständigkeit und damit auch Verantwortung für den Schulsektor
erwecken und die Neigung z. B. der derzeitigen Bundesbildungsministerin
verstärken, sich quasi eine Aufsicht über die Schulpolitik der Länder anzu-
maßen.
Bundesregierung und Länder müssen darüber verhandeln, wie ihre Bil-
dungsberichte dort verzahnt bzw. zusammengeführt werden können, wo
Bund und Länder (wie bei den Hochschulen und in der Beruflichen Bildung)
gemeinsam Verantwortung tragen.

6. Auch in der Bildungspolitik kann auf einen begleitenden Sachverstand nicht
verzichtet werden. Ein nationaler Sachverständigenrat könnte aber die je-
weils Verantwortlichen nicht unmittelbar beraten; er würde der geteilten
Verantwortung in einem Bundesstaat und dem föderalen Wettbewerb nicht
gerecht.

7. Der Bund muss in seiner Zuständigkeit – vor allem im Bereich der Familien-
und Zuwanderungspolitik – die Reformanstrengungen der Länder unterstüt-
zen und ergänzen. Dazu gehört in finanzieller Hinsicht ein „Familiengeld“,
das Gerechtigkeit für Erziehende herstellt, indem es die Leistungen der Fa-
milie für die Gesellschaft wirklich anerkennt, finanzielle Benachteiligungen
von Familien abbaut und die Förderung junger Familien deutlich verbessert.
Auch Mittel für den Bildungssektor, die die Länder entlasten, müssen dort
bereitgestellt werden, wo der Bund – wie im Hochschulbau – nach dem
Grundgesetz schon jetzt Leistungen zu erbringen hat. Das Angebot der Bun-
desregierung, 4 Mrd. Euro für nicht näher definierte Ganztagsschulen zur
Verfügung zu stellen, führt zu neuen – in der Verfassung gar nicht vorgese-
henen – Formen der Mischfinanzierung, obwohl der Bundesrat aus guten
Gründen längst beschlossen hatte, die im Grundgesetz vorgesehene Misch-
finanzierung einzuschränken oder abzuschaffen.

Berlin, den 4. Juni 2002
Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen)
Thomas Rachel
Ilse Aigner
Dr. Maria Böhmer
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
Detlef Helling
Dr.-Ing. Rainer Jork
Steffen Kampeter
Werner Lensing

Erich Maaß (Wilhelmshaven)
Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)
Hans-Peter Repnik
Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke)
Dr. Erika Schuchardt
Bärbel Sothmann
Angelika Volquartz
Heinz Wiese (Ehingen)
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.