BT-Drucksache 14/9103

Versprechungen der Bundesregierung einlösen - Deutschland wieder nach vorne bringen

Vom 14. Mai 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9103
14. Wahlperiode 14. 05. 2002

Antrag
der Abgeordneten Peter Rauen, MatthiasWissmann,WolfgangBörnsen (Bönstrup),
Klaus Brähmig, Dr. Hansjürgen Doss, Erich G. Fritz, Kurt-Dieter Grill, Ernst Hinsken,
Ulrich Klinkert, Werner Kuhn, Hans Michelbach, Elmar Müller (Kirchheim),
Günter Nooke, Friedhelm Ost, Dr. Bernd Protzner, Christa Reichard (Dresden),
Katherina Reiche, Dr. Heinz Riesenhuber, Hartmut Schauerte, Karl-Heinz Scherhag,
Max Straubinger, Dagmar Wöhrl und der Fraktion der CDU/CSU

Versprechungen der Bundesregierung einlösen – Deutschland wieder nach
vorne bringen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
– Die Bundesregierung hat wesentliche Versprechungen ihres Regierungspro-

gramms von 1998 (vgl. Koalitionsvereinbarung zwischen der SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 20. Oktober 1998 sowie 1. Regierungs-
erklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder vom 10. November 1998,
Plenarprotokoll vom 10. November 1998) nicht eingelöst. Gerade auch in
der Wirtschafts-, Finanz-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ist sie gescheitert.
Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte selbst angekündigt, sich an Erfolgen
am Arbeitsmarkt messen zu lassen.

– Deutschland ist beim Wirtschaftswachstum, bei der Überwindung der
Arbeitslosigkeit und beim Abbau der Staatsverschuldung in 2001 und 2002
absolutes Schlusslicht unter allen 15 Mitgliedstaaten der EU.

– Mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um nur 0,6 % war in
Deutschland im Jahr 2001 zudem die niedrigste absolute Wachstumsrate seit
1993 (Rezessionsjahr) zu verzeichnen. Für das laufende Jahr ist nicht mit
einer durchgreifenden Verbesserung zu rechnen. Das Wachstum wird nach
überwiegender Auffassung erneut unter 1,0 % bleiben.

– Diese negative Entwicklung ist nur zum Teil auf die Terroranschläge vom
11. September 2001 und auf außenwirtschaftliche Einflüsse zurückzuführen.
Schon seit dem ersten Quartal 2000 geht das wirtschaftliche Wachstum in
Deutschland von Quartal zu Quartal zurück. Seit dem 2. Quartal 2001
herrscht Stagnation bzw. Rezession. Während der Export im vergangenen
Jahr noch 1,6 Prozentpunkte zum Wachstum beitrug, ging die inländische
Verwendung (Konsum und Investitionen) im Jahr 2001 um 1,0 % zurück.

– Das vom Bundeskanzler ausdrücklich gesetzte Ziel, die Arbeitslosigkeit in
dieser Legislaturperiode unter 3,5 Millionen zu senken und sich daran für
die Wiederwahl messen zu lassen, konnte nicht annähernd erreicht werden.
Obwohl Jahr für Jahr über 200 000 mehr alte Menschen aus dem Erwerbs-
leben ausscheiden als junge nachrücken, wird die Arbeitslosenzahl im Jah-

Drucksache 14/9103 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

resdurchschnitt 4 Millionen erreichen oder wohl sogar überschreiten. Hinzu
kommt eine verdeckte Arbeitslosigkeit von weiteren 1,8 Millionen. Saison-
bereinigt steigt die Arbeitslosigkeit seit Januar 2001 mit nur einer einzigen
Unterbrechung von Monat zu Monat ununterbrochen an.

– In Arbeitsstunden gerechnet, ist der Beschäftigungsaufwuchs, der 1997 be-
gonnen hatte, bereits im Jahr 2000 zum Stillstand gekommen. Seitdem geht
das Beschäftigungsvolumen spürbar zurück. Der statistische leichte Anstieg
der Erwerbstätigenzahl beruht ausschließlich auf der Einbeziehung der ge-
ringfügig Beschäftigten in die Sozialversicherungspflicht und auf der Zu-
nahme der Teilzeitarbeit. In 2001 wurden in Deutschland weniger Arbeits-
stunden geleistet als in 1998.

– Dem Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ist Deutschland in der laufenden
Legislaturperiode nicht näher gekommen. Mit 2,7 % erreichte die Verschul-
dungsquote im Jahr 2001 den höchsten Stand seit 1997 – dies ist mehr als
doppelt soviel als im Durchschnitt der EU. Für das laufende Jahr ist auch
hier eine Besserung nicht in Sicht.

– Die Chance, durch eine Begrenzung der konsumtiven Ausgaben die Staats-
quote spürbar zu senken, wurde vertan. Der Bund hat seine Steuermehrein-
nahmen (im Jahr 2001 19,2 Mrd. Euro mehr als 1998) nicht zu einer entspre-
chenden Verringerung seines Defizits genutzt, sondern für eine Erhöhung
der konsumtiven Ausgaben verbraucht.

– Die Investitionsquote im Bundeshaushalt ist von Jahr zu Jahr zurückgegan-
gen und im Haushaltsplan für 2002 mit 10,1 % auf einen historischen Tief-
stand gesunken. Trotz des aus den Zinsersparnissen der UMTS-Erlöse finan-
zierten „Zukunftsinvestitionsprogramms“ wird der Bund in diesem Jahr über
4 Mrd. Euro weniger als im Jahr 1998 für investive Zwecke ausgeben.

– Die Bundesregierung hat es versäumt, die Gemeindefinanzen auf eine
sichere und verlässliche Grundlage zu stellen. Im Jahr 2001 hatten die
Gemeinden einen Rückgang ihrer Steuereinnahmen um fast 10 % zu ver-
zeichnen. Durch die Erhöhung der Gewerbesteuerumlage hat die Bundes-
regierung die Finanzlage der Gemeinden noch verschärft.

– Das Versprechen, die Steuerbelastung der Arbeitnehmer und mittelständi-
schen Unternehmen spürbar zu senken, hat die Bundesregierung nicht einge-
löst. Für einen Durchschnittsverdiener gleicht die Steuersenkungsstufe 2001
nicht einmal die Mehrbelastungen durch Ökosteuer und Energiepreisanstieg
aus. Für mittelständische Unternehmen wird die geringfügige Senkung des
Spitzensteuersatzes durch Verschlechterungen an anderer Stelle (insbeson-
dere die massive Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen) erkauft.

– Die von der Bundesregierung fest angekündigte Senkung der Sozialver-
sicherungsbeiträge unter 40 % (vgl. Koalitionsvertrag vom 20. Oktober
1998, S. 12) wurde nicht erreicht. Im Gegenteil: In allen Zweigen des sozia-
len Sicherungssystems laufen die Kosten aus dem Ruder. Die Summe der
Sozialversicherungsbeiträge ist in 2002 trotz Ökosteuer fast genauso hoch
wie in 1998. Weitere Beitragserhöhungen sind bei einer Fortsetzung der bis-
herigen Politik unausweichlich. Die Regierung packt notwendige Reformen
nicht oder aber mit falschen Rezepten an.

– Der Rentenversicherungsbeitrag wurde nicht wie angekündigt nachhaltig
gesenkt. Dennoch haben Arbeitnehmer und Betriebe infolge der Ökosteuer
inzwischen Mehrbelastungen von insgesamt rund 17 Mrd. Euro jährlich zu
tragen. Im laufenden Jahr konnte trotz der zum 1. Januar 2002 vorgenomme-
nen weiteren Erhöhung der Ökosteuer eine Erhöhung des Rentenversiche-
rungsbeitrages nur durch eine Verminderung der Schwankungsreserve um
20 % vermieden werden.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9103

– In der gesetzlichen Krankenversicherung fehlen der Bundesregierung
sowohl ein tragfähiges Konzept als auch die Bereitschaft, notwendige Re-
formen in Angriff zu nehmen. In der Folge steigen die Beiträge trotz Leis-
tungsverschlechterungen auf breiter Front.

– Die Bedingungen für die Aufnahme und Ausübung einer selbständigen
Erwerbstätigkeit wurden im Lauf dieser Legislaturperiode spürbar ver-
schlechtert. Die bürokratischen Belastungen haben im Lauf der letzten Jahre
erheblich zugenommen. Die Zahl der Gewerbeanmeldungen ist vom Jahr
1998 bis zum Jahr 2001 um rund 10 % zurückgegangen, während die Zahl
der Unternehmensinsolvenzen kontinuierlich gestiegen ist und im Jahr 2001
mit rd. 32 300 einen neuen Höchststand erreicht hat.

– Für Arbeitsuchende wurde der Zugang zum Beschäftigungsmarkt erschwert.
Durch die Einschränkungen beim Abschluss befristeter Arbeitsverhältnisse,
durch Schaffung eines generellen Rechtsanspruchs auf Teilzeitarbeit und die
bürokratische Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse
wurden zusätzliche Einstellungshindernisse geschaffen.

– Durch die Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes wurden die Ent-
scheidungsabläufe in den Unternehmen erschwert und vor allem mittelstän-
dische Unternehmen mit erheblichen Kosten belastet. Die Chance, die Be-
dingungen für betriebliche Bündnisse für Arbeit zu verbessern, wurde
vertan.

– Das Versprechen, die Lebensbedingungen in den neuen Ländern an die der
alten Länder anzunähern, wurde nicht eingehalten. Seit dem Jahr 2000 fallen
die neuen Länder sogar wieder zurück. Im Jahr 2000 machte die Wachs-
tumsrate in Ostdeutschland (1,1 %) nicht einmal ein Drittel der Wachstums-
rate in Westdeutschland aus (3,3 %); in 2001 kam es dort sogar zu einer
Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts (minus 0,1 %). Die Arbeitslosen-
quote ist in den neuen Bundesländern fast zweieinhalb Mal so hoch wie in
den alten Bundesländern. Ein wesentlicher Grund dafür ist die weiterhin be-
stehende Infrastrukturlücke in den neuen Bundesländern (rund 150 Mrd.
Euro). Dadurch können die strukturellen Defizite nicht annähernd ausgegli-
chen werden.

– Die Chancen personalintensiver Dienstleistungsbranchen wie z. B. der Tou-
rismuswirtschaft, deren Arbeitsplätze an den Standort Deutschland gebun-
den sind, sind nicht genutzt worden.

Der Deutsche Bundestag hält es für notwendig,
– durch einen Politikwechsel einen grundlegenden Kurswechsel insbesondere

auch in der Wirtschafts-, Finanz-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik herbeizu-
führen;

– die Staatsquote von derzeit knapp 50 % schrittweise und dauerhaft auf unter
40 % zu senken;

– eine große Steuerreform auf den Weg zu bringen, die Arbeitnehmer und Un-
ternehmer deutlich und nachhaltig entlastet und die Benachteiligung von
Personenunternehmen gegenüber Kapitalgesellschaften beseitigt. Eckpunkte
einer solchen Steuerreform sind ein Eingangssteuersatz unter 15 % und ein
Spitzensteuersatz unter 40 %;

– den Anteil der Investitionen an den Ausgaben imBundeshaushalt zu erhöhen;
– durch eine umfassende Gemeindefinanzreform die finanzielle Eigenverant-

wortung der Kommunen zu gewährleisten;
– eine umfassende Bürokratie-Entrümpelungsoffensive zu starten;

Drucksache 14/9103 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
– den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren und das Arbeitsrecht zu modernisieren;
– Selbständigkeit zu ermutigen und den Mittelstand zu stärken;
– in den sozialen Sicherungssystemen durch eine neue Balance von Eigenver-

antwortung, privater Risikovorsorge und Solidarität die Ausgabendynamik
zu drosseln und die Sozialversicherungsbeiträge von Arbeitnehmern und Ar-
beitgebern schrittweise unter 40 % zu senken und

– die Förderung Ostdeutschlands zu einem besonderen Schwerpunkt der deut-
schen Politik zu machen.

Berlin, den 15. Mai 2002
Peter Rauen
Matthias Wissmann
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
Klaus Brähmig
Dr. Hansjürgen Doss
Erich G. Fritz
Kurt-Dieter Grill
Ernst Hinsken
Ulrich Klinkert
Werner Kuhn
Hans Michelbach
Elmar Müller (Kirchheim)
Günter Nooke
Friedhelm Ost
Dr. Bernd Protzner
Christa Reichard (Dresden)
Katherina Reiche
Dr. Heinz Riesenhuber
Hartmut Schauerte
Karl-Heinz Scherhag
Max Straubinger
Dagmar Wöhrl
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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