BT-Drucksache 14/9102

Weiterentwicklung einer Biotechnologiestrategie für den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland

Vom 14. Mai 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9102
14. Wahlperiode 14. 05. 2002

Antrag
der Abgeordneten Katherina Reiche, Helmut Heiderich, Dr. Gerhard Friedrich
(Erlangen), Ilse Aigner, Dr. Maria Böhmer, Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), Detlef
Helling, Dr.-Ing. Rainer Jork, Steffen Kampeter, Werner Lensing, Erich Maaß
(Wilhelmshaven), Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn), Thomas Rachel, Hans-Peter
Repnik, Dr. Heinz Riesenhuber, Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke), Dr. Erika
Schuchardt, Bärbel Sothmann, Angelika Volquartz, HeinzWiese (Ehingen) und der
Fraktion der CDU/CSU

Weiterentwicklung einer Biotechnologiestrategie für den Forschungs-
und Wirtschaftsstandort Deutschland

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Biowissenschaften bieten die Chance zur Lösung zahlreicher globaler Prob-
leme im Zusammenhang mit Gesundheit, Alter, Ernährung und Umwelt sowie
nachhaltiger Entwicklung beizutragen. Die Bio- und Gentechnologie ist eine
Leittechnologie der nächsten Jahrzehnte mit sehr breiten Anwendungsmög-
lichkeiten in Genom- und Proteomforschung, Bioinformatik, Pharmazie und
Medizin, in Landwirtschaft, Lebensmittelherstellung und Umweltschutz. Die
Schlüsselfaktoren für die Entwicklung der Biotechnik sind erstklassige For-
schung, öffentliche Förderung, Mobilisierung privater Mittel, Vernetzung der
Forschung, strenge Sicherheitsregeln, gesellschaftliche Akzeptanz durch Trans-
parenz und Wahlfreiheit, Rechtssicherheit und Nachwuchsförderung.
Die Biotechnologiepolitik der rot-grünen Bundesregierung hat deutliche
Schwächen und ist inkonsistent. Wichtige Querschnitts- und Schlüsselfelder,
wie die Bioinformatik, kommen zu kurz. Die grüne Gentechnik wird aus ideo-
logischen Gründen ausgebremst. In der Forschungsförderung fehlt die
Planungssicherheit. Die zur Verstärkung der Genomforschung aus den UMTS-
Zinsersparnissen bereitgestellten Mittel decken nicht den von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) festgestellten Bedarf und stehen nur bis 2003
zur Verfügung. Auch gibt es kein wirtschaftliches Rahmenkonzept, das den seit
Mitte der 90er Jahre in einer großen Zahl gegründeten Biotechnologieunterneh-
men eine stetige und gesunde Entwicklung ermöglicht. Achillesferse des Bio-
und Gentechniksektors in Deutschland ist der Fachkräftemangel. Es gibt nur
punktuelle Maßnahmen der Nachwuchsförderung, aber kein abgestimmtes
nationales Konzept. Ebenso ist die Frage des Umgangs mit den rasant steigen-
den Möglichkeiten der Gendiagnostik, insbesondere im Hinblick auf ihre An-
wendung im Versicherungswesen und im Arbeitsleben, nicht geregelt. Um den
Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken, muss die natio-
nale Biotechnologiestrategie ergänzt und weiterentwickelt werden.

Drucksache 14/9102 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Erforderlich ist vor allem:
– Planungssicherheit in der Forschungsförderung;
– Fokussierung der Grundlagenforschung auf Zukunftsfelder, wie zum Bei-

spiel die Funktionsanalyse der entschlüsselten Genome, die Proteomfor-
schung und die Technologieentwicklung für die Genom- und Proteinfor-
schung;

– ein Konzept für den Ausbau der Bioinformatik. Der Bedarf an Bioinformati-
kern wächst rapide;

– die Entwicklung von nationalen Netzwerken unter Beteiligung von Unter-
nehmen, Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen so-
wie ihre Einbindung in internationale Netzwerke unter Berücksichtigung des
6. EU-Forschungsrahmenprogramms;

– die verstärkte Einwerbung von privatem Kapital für die Biotechnologiefor-
schung und -anwendung sowie eine Wirtschaftspolitik, die die Entwicklung
der jungen Biotechunternehmen stabilisiert;

– Beseitigung des Nachwuchskräftemangels in der Biotechnologie. Engpässe
gibt es nicht nur bei Wissenschaftlern, sondern auch bei Laboranten und
Technikern. Erforderlich sind eine Verstärkung des naturwissenschaftlichen
Unterrichts in den Schulen, die Verbesserung der Studienbedingungen in
den naturwissenschaftlichen Fächern, eine Reform der Fachschulausbil-
dung, die intensivere Förderung von Nachwuchswissenschaftlern und klare
Regelungen für die Beschäftigung von ausländischen Spezialisten;

– Beendigung der Vernachlässigung der grünen Biotechnologie. Auflage eines
10-Jahres-Programms für die Entwicklung der biotechnischen Potenziale in
den Sektoren Ernährung, natürliche Rohstoffversorgung, Energieeinsparung
und Umweltentlastung. Beendigung des De-facto-Moratoriums hinsichtlich
der Zulassung und des Inverkehrbringens von genetisch veränderten Orga-
nismen in Europa und Deutschland, schnellstmögliche Umsetzung der EU-
Freisetzungsrichtlinie und Etablierung von praktikablen Kennzeichnungsre-
gelungen mit allen für den Verbraucher relevanten Informationen;

– Rechtssicherheit bei Genehmigungs- und Zulassungsverfahren sowie bei der
Verwertung biotechnologischer Erfindungen. Das heißt, zunächst die EU-
Biopatentrichtlinie in deutsches Recht umzusetzen und gleichzeitig darauf
hinzuwirken, dass das internationale Patentrecht innovationsfördernd sowie
ethisch und sozialverträglich weiterentwickelt wird;

– die Schaffung verbindlicher Regelungen für den Umgang mit genetischer
Diagnostik, insbesondere prädiktiver Diagnostik im Bereich der Medizin,
der Versicherungen und im Arbeitsrecht.

1. Bildungs- und Forschungspolitik
Die Bio- und Gentechnik wird eine der wichtigsten Leittechnologien der nächs-
ten Jahrzehnte. Die gentechnische Forschung durchdringt die gesamte Medizin,
Biologie sowie weitere Teile der übrigen Natur- und Ingenieurwissenschaften.
Eine wichtige Voraussetzung für den Aufbau einer funktionierenden Bio-
technologiestruktur ist die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.
Deutschland muss in den Schulen das Interesse an den Naturwissenschaften
fördern. Wir brauchen mehr Naturwissenschaftler.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9102

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) biotechnische Forschungsschwerpunkte im Dialog mit den Ländern und den

Wissenschaftseinrichtungen festzulegen sowie die Forschungsmittel weiter
zu erhöhen, vor allem um die Spitzenforschung zu unterstützen;

b) die Mittel für die Forschung auch nach dem Auslaufen der Sonderförderung
aus UMTS-Mitteln, d. h. auch nach dem Jahr 2003, kontinuierlich zu erhö-
hen und dabei vor allem die Projektförderung auszubauen;

c) die Effizienz der Forschung durch mehr Wettbewerb bei der Vergabe von
Forschungsmitteln zu steigern;

d) den weiteren Auf- und Ausbau von Kompetenzzentren und von Netzwerken
bestehend aus Unternehmen, Hochschulen und außeruniversitären For-
schungseinrichtungen zu fördern. Dabei ist insbesondere die Voraussetzung
für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Biologen, Medizinern, Che-
mikern, Physikern, Informatikern und Ingenieuren zu schaffen. Die Integra-
tion der nationalen Bio-Netzwerke in die internationalen Netzwerke ist zu
unterstützen;

e) die Länder-, Bundes- und EU-Aktivitäten (insbesondere das 6. EU-For-
schungsrahmenprogramm) zu koordinieren;

f) die Forschungsmittel auch im Bereich der grünen Gentechnik aufzustocken;
g) die Umweltforschung in Bezug auf die Bio- und Gentechnik besser zu koor-

dinieren;
h) die Grundlagenforschung im Bereich ernährungsbedingter Erkrankungen

und der Nutrigenomics weiterzuführen;
i) spezifische Ausbildungsprogramme für die klinische Forschung im biotech-

nologischen Bereich zu entwickeln;
j) den internationalen Austausch von Studenten und Wissenschaftlern zu in-

tensivieren;
k) bei den Bundesländern dafür zu werben, dass der naturwissenschaftliche

Unterricht in den Schulen und das Interesse der Schüler für die Naturwissen-
schaften gestärkt, die Hochschulausbildung an internationalen Standards
orientiert und die Fachschulausbildung für Techniker modernisiert werden.

2. Grüne Gentechnik
Die Gentechnik wird in der Landwirtschaft vorwiegend in der Tier- und Pflan-
zenzucht eingesetzt. Weitere Entwicklungen erfolgen in der Nahrungsmittelher-
stellung sowie in der Tierseuchenbekämpfung. Durch die Anwendung der Gen-
technik bei Pflanzen und Tieren erwarten wir Entlastungen für die Umwelt,
Vorteile für den Verbraucher und neue Einkommensquellen für Landwirte.
Beispiele sind Pflanzen mit veränderten Inhaltsstoffen für die industrielle Pro-
duktion (nachwachsende Rohstoffe) oder Hilfs- und Aromastoffe für die Nah-
rungsmittelherstellung. Letztere werden bereits heute zu ca. 60 % mit gen-
technischen Methoden hergestellt. Für das Inverkehrbringen gentechnisch
veränderter Organismen besteht EU-weit seit 1998 ein faktisches Moratorium.
Es ist ein Zulassungsstau entstanden.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) ein 10-Jahres-Zukunfts-Programm für die Entwicklung der biotechnischen

Potenziale in den Sektoren Ernährung, natürliche Rohstoffversorgung und
Umweltentlastung aufzulegen;

Drucksache 14/9102 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

b) das De-facto-Moratorium hinsichtlich der Zulassung und des Inverkehrbrin-
gens von gentechnisch veränderten Organismen in Deutschland schnellst-
möglich aufzuheben;

c) die Transparenz für die Verbraucher zu verbessern, indem die Kennzeich-
nungsregelungen in der EU und in Deutschland im Interesse der Entschei-
dungsfreiheit der Verbraucher praktikabel weiterentwickelt werden;

d) die von Wissenschaft und EU vorgeschlagene Ein-Prozent-Regelung gene-
rell als Schwellenwert für die Kennzeichnung einzuführen sowie standardi-
sierte Nachweisverfahren zu entwickeln;

e) die Forschung und Entwicklung von Nahrungsmitteln mit verbesserten In-
haltsstoffen, die insbesondere der gesundheitlichen Prävention dienen, ver-
stärkt zu fördern;

f) bei der gentechnischen Veränderung von Tieren ethische Aspekte mit zu be-
rücksichtigen und den Tierschutz zu gewährleisten; gentechnisch veränderte
Tiere dürfen nur dann in der Forschung und Landwirtschaft eingesetzt wer-
den, wenn feststeht, dass dies im Hinblick auf Gesundheit und Wohlbefin-
den der Tiere vertretbar ist;

g) über behördliche Entscheidungen, entsprechend der Praxis in den USA, of-
fen zu informieren und rechtswidrige Eingriffe von Bundesministern in Ge-
nehmigungsverfahren und damit in die Unabhängigkeit von Genehmigungs-
behörden (wie bei der Zulassung von Bt-Mais geschehen) zu unterlassen.

3. Rote Gentechnik
Wichtige Anwendungen finden Bio- und Gentechnik vor allem im medizinisch-
pharmazeutischen Bereich, etwa in der Medikamenten- und Impfstoffentwick-
lung, der molekularen Diagnostik oder der Therapeutik. Aufgrund der Ergeb-
nisse der Gen- und Biotechnikforschung erwarten Experten, dass künftig viele
bisher nicht beeinflussbare schwere Erkrankungen geheilt werden können.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) die Akzeptanz für die biopharmazeutische Industrie in Deutschland weiter

zu verbessern; die Entwicklung von Arzneimitteln auch im biotechnischen
Bereich bleibt auch in Zukunft Aufgabe der Wirtschaft;

b) die Bereiche Humangenetik und Proteomforschung, sowie die Entwicklung
neuer Technologien zur Entdeckung von Wirkstoffen für Arzneimittel in der
Forschungsförderung stärker zu berücksichtigen;

c) das Verbot der Keimbahntherapie beizubehalten. Die Wissenschaft steht hin-
sichtlich der Folgenabschätzung bei der Gentechnik noch am Anfang. Sie ist
noch weit davon entfernt, die komplexen Funktionszusammenhänge auch
nur annähernd zu verstehen. Es wäre daher unverantwortlich, Manipulatio-
nen am menschlichen Genom vorzunehmen, die sich auf nachfolgende Ge-
nerationen erstrecken. Bisher gibt es auch keine medizinische Notwendig-
keit, über den Einsatz von Keimbahntherapie nachzudenken. Es muss beim
ethischen Grundsatz bleiben, dass das Erbgut von künftigen Generationen
nicht gezielt genetisch beeinflusst wird.;

d) die somatische Gentherapie weiterzuentwickeln. Auch hier ist weiter ein
umsichtiges Vorgehen notwendig. Für Untersuchungen in diesem Bereich
wie auch in der Biopharmaforschung spielen Hochschulkliniken eine beson-
dere Rolle. Sie müssen personell, organisatorisch und finanziell in die Lage
versetzt werden, derartige Untersuchungen vorzunehmen;

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/9102

e) bei der Stammzellforschung vorrangig mit Stammzellen tierischen Ur-
sprungs und mit humanen adulten Stammzellen zu arbeiten, um ethische
Probleme zu vermeiden. Das heißt konkret, dass Alternativen zur Forschung
an embryonalen Stammzellen vorrangig gefördert werden müssen. Auch das
Potenzial von Stammzellen aus Nabelschnurblut von Neugeborenen ist wei-
ter gezielt zu untersuchen;

f) das Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang
mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen, wel-
ches klare Grenzen für den Import und die Forschung an embryonalen
Stammzellen setzt, nach 3 Jahren dahin gehend zu prüfen, ob sich die neuen
Rahmenbedingungen bewährt haben;

g) klare Regelungen für die genetische Diagnostik, insbesondere die prädiktive
Diagnostik, in der Medizin, im Bereich der Versicherungen und des Arbeits-
rechts gemäß folgender Eckpunkte vorzuschlagen:
l wegen der Bedeutung genetischer Diagnosen darf die Inanspruchnahme

von genetischer Beratung und Diagnostik nur auf freiwilliger Basis erfol-
gen. Humangenetische Untersuchungen dürfen weder unmittelbar noch
mittelbar erzwungen werden. Es muss jedem Menschen freigestellt blei-
ben, ob und welchen Tests er sich unterzieht;

l jeder muss auch das Recht haben, seine genetische Disposition nicht zu
kennen. Insofern darf jeder ein Recht auf Nichtwissen seiner genetischen
Konstitution für sich in Anspruch nehmen;

l wer ohne Rechtsgrundlage oder Einwilligung der Betroffenen Gentests
durchführt, muss bestraft werden;

l das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Versicherungs- und
Arbeitsrecht durchzusetzen, um Nachteile beim Zugang zu Arbeitsplät-
zen, während einer Beschäftigung und beim Abschluss von Versicherun-
gen einschließlich der Kranken- und Lebensversicherung auszuschließen;

h) den Rückstand der Therapien auf die Diagnostik so schnell wie möglich zu
verringern. Dies gilt auch für die Pränataltherapie, um möglichst viele der
erkannten Krankheiten im Mutterleib behandeln zu können.

4. Graue Gentechnik
Durch die Anwendung von gentechnisch erzeugten Enzymen und gentechnisch
veränderten Organismen werden biotechnische Verfahren im Umweltschutz
und bei der Schonung natürlicher Ressourcen an Bedeutung gewinnen.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
bio- und gentechnische Verfahren im Bereich der Umweltdiagnostik – insbe-
sondere bei der Entwicklung von Biosensoren auf biotechnischer Grundlage –
in der Forschungspolitik angemessen zu berücksichtigen.
5. Bioinformatik
Erfolgreiche Forschung in der Biologie, Chemie und Pharmazie setzt zuneh-
mend den Einsatz von Computern voraus. Wer in der Molekularbiologie, Neu-
robiologie, Chemie oder Pharmazie neue Erkenntnisse gewinnen oder bessere
Forschungsmethoden entwickeln will, muss sich auch an der Weiterentwick-
lung der informatischen Methoden beteiligen. Bereits heute werden jährlich
rund 800 bis 1 000 zusätzliche Bioinformatiker benötigt.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) die Projektförderung im Bereich der Bioinformatik zu verstärken,

Drucksache 14/9102 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

b) Anreize zu schaffen, um die Einführung des Studienganges Bioinformatik
an den Hochschulen zu beschleunigen,

c) verstärkt Mittel für die Weiterbildung von Naturwissenschaftlern und Ma-
thematikern zu Bioinformatikern zur Verfügung zu stellen.

6. Gesundheitspolitik
Im Gesundheitsbereich brauchen wir weltweit innovative Konzepte, die den
Bedürfnissen einer alternden Bevölkerung in den Industrieländern und der
Menschen in den armen Länder gerecht werden. Noch immer gibt es für die
Hälfte aller Krankheiten in der Welt keine Heilung; selbst bekannte Behand-
lungsmethoden wie der Einsatz von Antibiotika verlieren aufgrund zunehmen-
der Resistenz der Erreger an Wirkung. Die Biotechnologie erlaubt bereits heute
eine billigere, sichere und ethisch eher vertretbare Entwicklung von weiteren
traditionellen, wie auch neuartigen Medikamenten (etwa Wachstumshormone
für den Menschen, die nicht das Risiko einer Creutzfeldt-Jacob-Erkrankung mit
sich bringen, Humaninsulin und Impfstoffe gegen Hepatitis B sowie Tollwut).
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) eine schnellere Zulassung von „orphan drugs“ (Medikamente für seltene

Krankheiten) durch vereinfachte und damit kostengünstigere Verfahren zu
gewährleisten,

b) innovative Diagnosetests und Arzneimittel in den Leistungskatalog der ge-
setzlichen Krankenversicherung aufzunehmen,

c) eine frühzeitigere Zulassung von Medikamenten mit Auflagen zu ermögli-
chen (conditional approval),

d) „Compassionate Use“-Programme in Deutschland einzuführen.
7. Verbesserung der Akzeptanz
Die Akzeptanz in der Öffentlichkeit ist entscheidend für die Nutzung der Poten-
ziale der Bio- und Gentechnik. Um diese zu verbessern, müssen wir zum einen
die ethischen und gesellschaftlichen Fragen und Bedenken ernst nehmen, zum
anderen aber auch stärker auf den Nutzen einer Anwendung der Gentechnik
hinweisen.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) für mehr Transparenz und eine verstärkte Wissenschaftsorientierung bei der

Risikobewertung und dem Risikomanagement zu sorgen,
b) die Ergebnisse der nationalen und internationalen Sicherheitsforschung mit

Hilfe auch moderner Kommunikationstechnik (Internet) in der Öffentlich-
keit bekannt zu machen,

c) den Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Verbraucher zu fördern
und zu institutionalisieren.

8. Wirtschaftliche Stärkung der Biotechnologieunternehmen
Über die speziellen Forderungen im Bezug auf die rote, grüne und graue Gen-
technik hinaus müssen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert
werden. Ohne finanziell gesunde Biotech-Unternehmen kann Deutschland im
Bereich Life-Sciences im internationalen Wettbewerb nicht mithalten. Diese
sind forschungsintensiv und liefern Forschungs- und Entwicklungsergebnisse
für die Pharma-, Chemie- und Agrobioindustrie. Biotech-Unternehmen brau-
chen in der Startphase Eigenkapital in Form auch von Wagniskapital, günstige

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/9102

steuerliche Rahmenbedingungen und den Verzicht auf unnötige bürokratische
Hürden im Bereich der Genehmigungs- und Zulassungsverfahren.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) die steuerlichen Rahmenbedingungen für Mitarbeiteroptionen (Stock-Op-

tions) zu verbessern,
b) eine vernünftige Bagatellregelung im Rahmen des § 17 Einkommensteuer-

gesetz vorzuschlagen, da die Absenkung der Beteiligungsgrenze, ab der Ver-
äußerungsgewinne von Privatpersonen einkommensteuerpflichtig sind, von
10 auf 1 Prozent den Zugang von Existenzgründern zu Venture-Capital deut-
lich erschwert hat,

c) öffentliche Eigenkapitalförderprogramme in Ausrichtung, Dotierung und
Konditionen beizubehalten,

d) einen Vorschlag zur Änderung von § 8 Abs. 4 Körperschaftsteuergesetz vor-
zulegen, damit bei einer Venture-Capital-Finanzierung oder einem Börsen-
gang weiter ein Verlustvortrag geltend gemacht werden kann,

e) die nachgelagerte Besteuerung der Prämien für Pensionsfonds zu ermögli-
chen,

f) bürokratische Hemmnisse gerade in der Phase der Gründung und Konsoli-
dierung von Unternehmen abzubauen, z. B. durch die Abschaffung des
Scheinselbstständigengesetzes sowie durch Erleichterungen bei der Verein-
barung von Teilzeitarbeit, von Zeitarbeit und von befristeten Arbeitsverhält-
nissen.

9. Patentschutz
Ein wirksamer Patentschutz ist eine wesentliche Voraussetzung für Investitio-
nen von Biotechnologieunternehmen. Unternehmen sind nur dann bereit, die
hohen Kosten für die Entwicklung von Produkten, z. B. Arzneimitteln, aufzu-
bringen, wenn Investitionen durch Patente geschützt werden.
Vor allem kleine, forschungsintensive Biotech-Unternehmen sind auf einen
ausreichenden Patentschutz angewiesen, da nur so Zufluss von Kapital sicher-
gestellt werden kann. Venture Capitalists oder Anleger in börsennotierte Unter-
nehmen gehen branchenübliche Risiken nur ein, wenn die für den Geschäftser-
folg wesentlichen Produkte oder Verfahren durch Patente geschützt werden
können.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) die EU-Biopatentrichtlinie zügig umzusetzen, dabei Gene und sonstige Be-

standteile des menschlichen Körpers möglichst nur im Hinblick auf eine
konkrete Anwendung (Funktion) zu schützen und dafür einzutreten, dass das
nationale Patentrecht in diesem Sinn fortentwickelt wird;

b) den Aufbau privatwirtschaftlich organisierter und unternehmerisch handeln-
der Patent-/Lizenzverwertungsgesellschaften an den Hochschulen und im
Bereich institutionell geförderter Forschungseinrichtungen zu unterstützen;

c) den Sortenschutz von der Patentierung im biotechnologischen Bereich klarer
abzugrenzen. Pflanzensorten und Tierrassen müssen von direkten und mit-
telbaren Patentansprüchen ausgenommen bleiben; dies gilt insbesondere für
Lizenzgebühren.

10. Gesetzliche Regelungen
Eindeutige rechtliche Rahmenbedingungen sind die Basis für ein funktionie-
rendes Zusammenspiel zwischen der Industrie, der Forschung und der Öffent-
lichkeit. Sie geben dem Verbraucher Sicherheit und den Unternehmen Investi-

Drucksache 14/9102 – 8 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

tionssicherheit, worauf vor allem kleine und mittlere Unternehmen angewiesen
sind.
Die Harmonisierung von nationalen und internationalen Regelwerken in der
Bio- und Gentechnik hat zunehmende Bedeutung für den weltweiten Handel
und die internationale Zusammenarbeit.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) sich dafür einzusetzen, dass in der EU eine zentrale Einrichtung geschaffen

wird, die bei Anträgen auf Zulassung von gentechnisch veränderten Orga-
nismen, Pflanzen und Futtermitteln für einheitliche wissenschaftliche Maß-
stäbe und Grundsätze sorgt;

b) die Vorschriften für Genehmigungsverfahren, die zu beachtenden Standards
und die Kennzeichnungsvorschriften international zu vereinheitlichen. Ver-
einbarungen wie der Codex Alimentarius und das Biosafety-Protocol sind zu
begrüßen;

c) die Zulassungs- und Genehmigungsverfahren zu straffen sowie das mate-
rielle Gentechnikrecht zu vereinfachen, ohne das bestehende hohe Schutz-
niveau für Mensch und Umwelt in Frage zu stellen;

d) die Wissenschaft stärker in Entscheidungsprozesse einzubeziehen;
e) die Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG zügig in deutsches Recht umzusetzen;
f) die EU-Kommissionsvorschläge zur Kennzeichnung und Rückverfolgung

von gentechnisch veränderten Organismen sowie zur Regulierung von gen-
technisch veränderten Lebens- und Futtermitteln sollten zügig in nationales
Recht umgesetzt werden. Bei der Festlegung eines Rückverfolgbarkeitssys-
tems („Traceability“) sollte die internationale Handelssituation berücksich-
tigt werden.

11. Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit
Biowissenschaften und Biotechnologie bieten die Chance, einige der grundle-
genden Probleme der Dritten Welt in Bezug auf Nahrung und Gesundheit zu lö-
sen. Biowissenschaften sind kein Allheilmittel und können nicht die Vertei-
lungsprobleme der Dritten Welt lösen – sie können dazu aber einen wichtigen
Beitrag leisten. Die Innovationen können den Entwicklungsländern helfen, Er-
tragssteigerungen mit einer nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen, wirt-
schaftlicher Effizienz und Sozialverträglichkeit zu vereinbaren.
Die UNDP (United Nations Development Programme) betont in ihrem Human
Development Report 2001 das Potenzial der Biotechnologie für die Dritte Welt.
Einige Schwellenländer wie China, Indien und Mexiko haben bereits ehrgei-
zige nationale Entwicklungsprogramme aufgelegt.
Potenzielle Anwendungen müssen untersucht und bewertet werden. Dabei sind
als Aspekte die Umweltsicherheit, die Verringerung von Armut, die Stärkung
der Versorgungssicherheit und die Nahrungsmittelqualität zu berücksichtigen.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) für Rahmenbedingungen einzutreten, die es allen Ländern erlauben, Biowis-

senschaften und Biotechnologie nach ihren eigenen Bedürfnissen und Gege-
benheiten zu entwickeln;

b) die Entwicklungsländer im Bereich der Forschung und darüber hinaus bei
der Ausbildung von Fachpersonal, beim Aufbau von Behörden und bei der
Zulassung von Produkten zu unterstützen;

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 9 – Drucksache 14/9102

c) bei biotechnischen Erfindungen mit hohem therapeutischen Wert gegebe-
nenfalls Zwangslizenzen zu erteilen, damit auch in Entwicklungsländern
Krankheiten wie Aids wirkungsvoll bekämpft werden können;

d) die Interpretation des Biosafety-Protocols und der Aarhus-Konvention („en-
vironmental information“) auf streng wissenschaftlicher Basis vorzuneh-
men;

e) zu helfen, auf allen internationalen Foren (einschließlich FAO, UNEP, CBD,
WTO, WHO und UNCTAD) ein kohärentes, umfassendes, wirksames,
transparentes und integratives Konzept für die Biotechnologie zu entwi-
ckeln, um Überschneidungen zu vermeiden und den jeweiligen Sach-
verstand optimal zu nutzen. Dies gilt insbesondere für die OECD (Organi-
zation for Economic Cooperation and Development) und beim Codex
Alimentarius („Ad Hoc Intergovernmental Task Force on Foods Derived
from Biotechnology“).

Berlin, den 14. Mai 2002
Katherina Reiche
Helmut Heiderich
Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen)
Ilse Aigner
Dr. Maria Böhmer
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
Detlef Helling
Dr.-Ing. Rainer Jork
Steffen Kampeter
Werner Lensing
Erich Maaß (Wilhelmshaven)
Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)
Thomas Rachel
Hans-Peter Repnik
Dr. Heinz Riesenhuber
Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke)
Dr. Erika Schuchardt
Bärbel Sothmann
Angelika Volquartz
Heinz Wiese (Ehingen)
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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