BT-Drucksache 14/9085

Prävention umfassend stärken

Vom 14. Mai 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9085
14. Wahlperiode 14. 05. 2002

Antrag
der Abgeordneten Ulf Fink, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), Dr. Wolf Bauer,
Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Dr. Hans Georg Faust, Ingrid Fischbach, Hubert Hüppe,
Dr. Harald Kahl, Eva-Maria Kors, Heinz Schemken, Annette Widmann-Mauz,
Aribert Wolf, Wolfgang Zöller und der Fraktion der CDU/CSU

Prävention umfassend stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Das deutsche Gesundheitswesen steht in den kommenden Jahren und Jahrzehn-
ten vor großen Herausforderungen in den Bereichen Kuration, Rehabilitation
und Pflege, bedingt durch
– den demografischen Wandel, der zu einem immer höheren Versorgungs-

bedarf einer älter werdenden Bevölkerung führt, und
– den medizinisch-technischen Fortschritt, der immer neue und innovative Be-

handlungsmethoden und Medikamente hervorbringt, die gleichzeitig aber
kostenintensiv sind.

Eine entscheidende Voraussetzung, um die Herausforderung des Gesundheits-
wesens im 21. Jahrhundert zu bestehen, liegt in der Stärkung von Gesundheits-
förderung und Prävention. Tatsache ist jedoch, dass die Investitionen für Prä-
vention zur Zeit nicht einmal 4,5 % der gesamten Gesundheitsausgaben
ausmachen. Auf der anderen Seite sind sich die Experten einig, dass durch ver-
stärkte Investitionen in lang- und mittelfristige Prävention sich 25 bis 30 % der
heutigen Gesundheitsausgaben in Deutschland theoretisch einsparen ließen.
Wenn die Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht
dramatisch steigen sollen, ist es zwingend erforderlich, schon bei der nächsten
Gesundheitsreform der Prävention einen neuen, zentralen Stellenwert einzuräu-
men. Zum gleichen Ergebnis kommt auch die „Arbeitsgruppe 5“ des von der
Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt, einberufenen „Runden
Tisches“: Die „Arbeitsgruppe 5“ empfiehlt ausdrücklich eine „grundlegende
Neuausrichtung des Gesundheitswesens durch eine deutliche Stärkung der Prä-
vention und Gesundheitsförderung“ (September 2001).
Die politische Urheberschaft für diese Forderung ist jedoch der Union zuzu-
schreiben. Bereits im Juli 2001 hat die Gesundheitsreformkommission „Hu-
mane Dienste“ der CDU als Zwischenergebnis ihrer Reformüberlegungen ein
„umfassendes, ressortübergreifendes Aktionsprogramm Prävention“, darüber
hinaus die „Schaffung eines eigenständigen Bundes-Präventionsgesetzes“ und
„die Gleichstellung von Prävention und Rehabilitation mit der Kuration“ gefor-
dert (Quelle: Pressemitteilung von Ulf Fink MdB, Dr. Ulrich Oesingmann und
Staatssekretär a. D. Karl Jung vom 10. Juli 2001). Die CSU hat in ihrem Pro-

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gramm „Gesundheitspolitik für das neue Jahrhundert“ vom August 2001 einen
wesentlichen strukturellen Mangel unseres Gesundheitssystems in der „unzu-
reichenden Gewichtung der Prävention und in der Überbetonung der Kuration“
erkannt. In ihrem Positionspapier zur „Zukunft der gesetzlichen Krankenver-
sicherung“ vom Januar 2002 sieht die CSU in der Prävention die erste von ins-
gesamt vier tragenden Säulen für eine grundlegende Gesundheitsreform.
Ziel muss es sein, Prävention in allen Sektoren des gesellschaftlichen Lebens
neu zu verankern. Es ist daher vornehmlich Aufgabe der Politik, Prävention als
gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu definieren und als solche auch zu vermit-
teln. Die Stärkung der Prävention könnte – dies hat die deutsche Aids-Aufklä-
rungskampagne beispielhaft bewiesen – eine notwendige Zukunftsinvestition
sein und zur Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung beitragen. Nicht
zuletzt gehört hierzu, auf eine ausreichende Durchimpfungsquote innerhalb der
Bevölkerung hinzuwirken. Präventive Maßnahmen machen sich in der Zukunft
bezahlt.
Bei der Prävention handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe,
die nicht allein von der GKV übernommen werden kann. Allerdings muss die
GKV in ihrem Leistungskatalog vermehrt auf Prävention und Früherkennung
ausgerichtet werden. Hierzu sollte ein Bonus-System gesetzlich verankert wer-
den.
Im Vordergrund der Betrachtung steht jedoch nicht die ökonomische, sondern
die ethische Seite der Prävention und Gesundheitsförderung: Nur ein Gesund-
heitswesen, das die Menschen gesund erhält, statt sich im Kurieren von Krank-
heiten zu erschöpfen, hat diesen Namen wirklich verdient.
Wenn Prävention gesamtgesellschaftlich neu verankert werden soll, sind drei
wesentliche Maßnahmen einzuleiten:
1. „Aktionsprogramm Prävention“
An erster Stelle steht die Vorbereitung und Durchführung eines umfassenden,
ressortübergreifenden „Aktionsprogramms Prävention“ und die Entwicklung
von Strategien im Sinne einer Bündelung von Ressourcen gemeinsam mit den
zuständigen Stellen und Einrichtungen auf Bundes-, Landes- und kommunaler
Ebene. Nicht zuletzt ist auf Länder- und kommunaler Ebene ein verändertes
Verständnis von Gesundheitspolitik erforderlich, das im Rahmen eines integ-
rierten und ressortübergreifenden Managements Ressourcen und präventive
Aktivitäten bündelt und bislang ungenutzte Potentiale ausschöpfen hilft. Erfah-
rungen aus anderen Ländern sind hierfür wegweisend:
– Zur Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung läuft seit 1998 in Groß-

britannien unter der Beteiligung von elf Ressorts die Kampagne „Our
healthier Nation“ (Great Britain Department of Health 1999). Definiert wur-
den Gesundheitsziele auf unterschiedlichen Ebenen, für deren nationale und
lokale Verwirklichung Ressourcen bereitgestellt wurden.

– Die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Finnland ist ein gelun-
genes Beispiel für einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz. Unter Beteiligung
zahlreicher Einrichtungen des Gesundheitswesens, der Betriebe, Medien,
und der Politik wurde seit Anfang der 70er Jahre ein Bündel von Maßnah-
men zur Reduktion von Risikofaktoren auf nationaler und kommunaler
Ebene eingeleitet und durchgeführt. Diese reichen von Information und Be-
ratung über Screeningprogramme bis hin zu gesetzlichen Regelungen zum
Rauchen. Innerhalb von 25 Jahren konnte Finnland die kardiovaskuläre
Mortalität um über 60 % senken und hierbei vom weltweit letzten Platz zu
den vordersten Plätzen aufsteigen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9085

Diese Beispiele verdeutlichen, dass auch in Deutschland, wenn die Notwendig-
keit zur Prävention von der Politik erkannt und ihre Umsetzung nachhaltig un-
terstützt wird, ein konzertiertes Vorgehen machbar und erfolgversprechend ist.
2. Bundesgesetzgebung
Der Bund muss innerhalb seiner gesetzgeberischen Kompetenzen gemäß Arti-
kel 74 Abs. 1 Nr. 12 GG eine Harmonisierung der unterschiedlichen Präventi-
onsbegriffe herbeiführen. Über die GKV und die soziale Pflegeversicherung
hinaus lassen sich Vorschriften zur Prävention auch im Bereich der gesetzlichen
Unfallversicherung am Arbeitsplatz, im Behindertenrecht (§ 3 SGB IX), in
öffentlichen Einrichtungen, in Schulen und Kindergärten finden (§§ 1, 14 bis
25, 26 ff. SGB VII). Auch die Rentenversicherung und das Bundessozialhilfe-
gesetz enthalten Regelungen, die präventive Inhalte und Leistungen tangieren.
Daneben bestehen weitere Leistungs- und Organisationsregelungen, wie die
Gesetze und Rechtsverordnungen zum Arbeitsschutz und zum gewerblichen
Gesundheitsschutz (Mutterschutzgesetz, Jugendarbeitsschutzgesetz, Arbeits-
stättenrichtlinien). Die einzelnen Gesetze und Rechtsverordnungen sind nur in
Ausnahmefällen unmittelbar miteinander verzahnt (wie z. B. Krankenkassen
und Berufsgenossenschaften in § 20 SGB V). Eine Bündelung, Abstimmung
und Neukodifizierung der weit verstreuten Ansätze zur Prävention sollte er-
reicht werden. Bei der gesetzlichen Verzahnung, Bündelung und Neuregelung
sollte gleichzeitig die Gleichstellung von Prävention und Rehabilitation mit der
Kuration herbeiführt werden.
3. Anreizsysteme
Schutz, Förderung, Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit sind eine
zugleich gesellschaftliche wie individuelle Aufgabe. Kein Gesundheitswesen in
der Welt kann darauf verzichten, dass sich jeder Versicherte auch selbst um
seine Gesundheit kümmert. Großes Gewicht kommt daher der Verhaltensprä-
vention zu. Neben dem Zugewinn an Gesundheit müssen auch finanzielle An-
reize gesetzt werden, die ein gesundheitsbewusstes Verhalten der Versicherten
fördern und belohnen. Eine im Frühjahr 2002 im Auftrag der Berlin-Kölni-
schen Versicherung durchgeführte Umfrage des EMNID-Instituts hat ergeben,
dass die Mehrheit der Deutschen mehr Sport treiben, sich gesünder ernähren
und mehr ärztliche Vorsorgeleistungen in Anspruch nehmen würde, wenn dies
von der Krankenkasse belohnt werden würde. Dieses Ergebnis verdeutlicht: Ein
durchgängig angelegtes Anreizsystem verspricht eine positive Beeinflussung
von individuellen Einstellungen und Lebensgewohnheiten und ist die Grund-
voraussetzung für einen funktionierenden verhaltenspräventiven Ansatz.
Als finanzielle Anreize kommen vornehmlich die Ermäßigung von Zuzahlun-
gen in bestimmten Leistungsbereichen, die Ermäßigung des Beitragssatzes oder
die Beitragsrückgewähr in Betracht.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. ein Aktionsprogramm Prävention vorzubereiten, das folgende Schritte ent-

hält:
– eine Bestandsaufnahme der deutschen Aktivitäten auf Bundes-, Landes- und

kommunaler Ebene im Bereich der Prävention, deren Auswertung unter Ein-
beziehung von Ergebnissen und Erfahrungen aus anderen Ländern wie der
Schweiz, Finnland, Großbritannien oder Australien

– Definition von Zielvorstellungen; Festlegung der Prioritäten; Abstimmung
von Strategien; Verteilung von Aufgaben an die Beteiligten auf Bundes-,
Landes- und kommunaler Ebene; Analyse der bestehenden Präventionsakti-
vitäten im Hinblick auf ihre Wirtschaftlichkeit, Qualität und Erfolgschancen

Drucksache 14/9085 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
– Schaffung eines Finanzierungsfonds für die Durchführung des Aktionspro-
gramms

– Schaffung geeigneter Instrumente zur Steuerung und Koordination des
Aktionsprogramms,

2. einen Gesetzentwurf vorzubereiten, mit dem die bestehenden gesetzlichen
Grundlagen der Prävention harmonisiert, gestärkt und ausgebaut werden,

3. ein durchgängiges Anreizsystem in der GKV zu schaffen, das gesundheits-
bewusstes Verhalten finanziell belohnt, etwa durch Verminderung von Zu-
zahlungen, Ermäßigung des Beitragssatzes, Beitragsrückgewähr etc.

Berlin, den 15. Mai 2002
Ulf Fink
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)
Dr. Wolf Bauer
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Hubert Hüppe
Dr. Harald Kahl
Eva-Maria Kors
Heinz Schemken
Annette Widmann-Mauz
Aribert Wolf
Wolfgang Zöller
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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