BT-Drucksache 14/9060

Neue Impulse füe die Zusammenarbeit von EU und Russland bei der Entwicklung der Region Kaliningrad

Vom 15. Mai 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9060
14. Wahlperiode 15. 05. 2002

Antrag
der Abgeordneten Markus Meckel, Monika Heubaum, Dr. Hans-Peter Bartels,
Wolfgang Behrendt, Dr. Michael Bürsch, Hans Büttner (Ingolstadt), Petra
Ernstberger, Reinhold Hiller (Lübeck), Hans-Ulrich Klose, Dr. Elke Leonhard,
Lothar Mark, Ulrike Mehl, Christoph Moosbauer, Volker Neumann (Bramsche),
Manfred Opel, Johannes Pflug, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Thomas Sauer, Dieter
Schloten, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Volkmar Schultz (Köln), Dr. Cornelie
Sonntag-Wolgast, Joachim Tappe, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Inge
Wettig-Danielmeier, Verena Wohlleben, Uta Zapf, Dr. Peter Struck und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Hans-Dirk Bierling, Dr. Karl-Heinz
Hornhues, Karl Lamers, Dr. Manfred Lischewski, Erika Reinhardt, Dr. Wolfgang
Schäuble, Bernd Schmidbauer, Christian Schmidt (Fürth), Dr. Andreas
Schockenhoff, Reinhard Freiherr von Schorlemer, Clemens Schwalbe, Carl-Dieter
Spranger, Dr. Rita Süssmuth, Dr. Theodor Waigel, Willy Wimmer (Neuss), Peter
Kurt Würzbach, Friedrich Merz, Michael Glos und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Rita Grießhaber, Dr. Helmut Lippelt, Christian Sterzing,
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Walter Hirche, Ulrich Irmer,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Neue Impulse für die Zusammenarbeit von EU und Russland bei der Entwicklung
der Region Kaliningrad

Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Über ein Jahrzehnt nach den friedlichen Revolutionen in Mittelosteuropa und
der Auflösung der Sowjetunion stehen wir vor neuen Herausforderungen und
Chancen, die Zusammenarbeit zu vertiefen sowie Sicherheit und Stabilität in
Europa zu schaffen. Die Erweiterung der Europäischen Union spielt dabei eine
zentrale Rolle. In der EU werden die Erweiterungsverhandlungen mit einer
Reihe von Kandidaten bis zum Jahresende abgeschlossen sein. Nach der Auf-
nahme von Polen, Tschechien und Ungarn 1999 entscheidet die NATO im
November 2002 über eine zweite Runde der Öffnung.
Parallel dazu hat die Kooperation mit Russland klare Formen gefunden. Die
NATO hat dafür mit der NATO-Russland-Grundakte vom Mai 1997 einen Rah-
men geschaffen. Das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) zwi-
schen der EU und Russland trat im Dezember 1997 in Kraft. Seit den terroristi-
schen Anschlägen vom 11. September 2001 haben sich die Beziehungen zu
Russland erheblich intensiviert.

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Die bevorstehende Erweiterung der EU berührt die Region Kaliningrad in be-
sonderer Weise. Mit der Aufnahme von Polen und Litauen wird die russische
Exklave Kaliningrad vollständig zu einer Enklave der Europäischen Union. In
dieser Perspektive bedeutet Kaliningrad eine besondere Herausforderung für
Russland und die EU, die ein spezifisches Vorgehen erfordert. Die EU-Kom-
mission hat mit ihrer Mitteilung an den Rat vom 17. Januar 2001 das Thema
aktiv und pragmatisch aufgenommen und ein gute Grundlage geschaffen, um
Lösungen für die mit der Erweiterung zusammenhängenden Fragen zu finden.
Russland scheint zunehmend bereit, gemeinsam mit der EU daran zu arbeiten.
Hier tragfähige Lösungen zu finden, liegt ebenso im Interesse der Russischen
Föderation wie der EU. Kaliningrad kann nach den Vorstellungen von Präsident
Wladimir Putin zu einer „Pilotregion“ für die Partnerschaft zwischen der EU
und Russland werden.
Noch ist offen, wie sich die Region in Folge der Erweiterung entwickeln wird.
In einem positiven Szenario würde Kaliningrad am wirtschaftlichen Auf-
schwung und den Wohlstandsgewinnen in der Ostseeregion teilhaben, die mit
der EU-Erweiterung einhergehen. Im letzten Jahr lag das Wirtschaftswachstum
der Region erstmals seit 1991 über dem russischen Durchschnitt. Die Lage im
Herzen der dynamischen Ostseeregion und des größten Binnenmarkts der Welt
allein eröffnet Kaliningrad ein großes Potential wirtschaftlicher Entwicklung.
Es liegt in Russlands Händen, die Chancen durch eine Öffnung Kaliningrads zu
nutzen. Kaliningrad könnte durch Verkehrsverbindungen, Handelsaktivitäten
und moderne Dienstleistungen zur Vernetzung in diesem Teil der Ostsee beitra-
gen und sich in den europäischen Wirtschaftsraum integrieren.
In den letzten Jahren haben sich Nichtregierungsorganisationen – oft im Rah-
men von Partnerschaften zwischen Kommunalverbänden – vor allem mit Initia-
tiven im humanitären Bereich einen guten Ruf in der Region Kaliningrad er-
worben. Das von der Bundesregierung geförderte Deutsch-Russische-Haus hat
sich zu einer bedeutenden Einrichtung der Begegnung, der Ausbildung und des
Kulturaustausches entwickelt und genießt bei der Bevölkerung und den Behör-
den hohes Ansehen. Deutschland fördert im Rahmen des Ostseerats auch die
Aktivitäten der Euro-Fakultät an der Universität Kaliningrad, die zur Moderni-
sierung der Lehrinhalte und der Entwicklung der Wissenschaftskontakte mit der
Region beiträgt. Die Länder Schleswig-Holstein, Brandenburg, Hamburg,
Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen arbeiten seit Jahren mit der Kalinin-
grader Region zusammen. Sie unterstützen den Aufbau von Verwaltungs- und
parlamentarischen Strukturen, die Modernisierung des Rechtssystems und der
Polizei, die Kooperation im Bildungswesen sowie in der Landwirtschaft und in
anderen Wirtschaftssektoren. Eine zentrale Rolle spielen dabei Beratungsvorha-
ben und Ausbildungshilfen. An solche Beziehungen kann man beim Ausbau
der Kooperation mit Kaliningrad anknüpfen.
Die Bevölkerung der Region Kaliningrad hat in den letzten Jahren praktisch
Visafreiheit mit Polen und Litauen genossen. Die Menschen haben auf diese
Weise einen Eindruck von westlicher Lebensweise und erfolgreicher Reform-
politik gewonnen. Gerade in der Jugend herrscht ein starkes Interesse an den
Nachbarländern im Ostseeraum und darüber hinaus an der EU vor. Viele
fürchten, bestehende Kontakte werden behindert und erschwert, wenn Polen
und Litauen die Regelungen des Schengener Abkommens an den zukünftigen
EU-Außengrenzen anwenden. Nicht nur für Besuche in Polen und Litauen,
sondern auch für Reisen zwischen Kaliningrad und dem russischen Kernland
würden die Bürger Kaliningrads ein Visum benötigen. Ein Visum für Reisen in
EU-Staaten ist derzeit nur in Moskau zu erhalten. Die technische Hilfskonstruk-
tion Deutschlands, Visa-Anträge über die Vertretung der Außenhandelskammer
nach Moskau weiterzuleiten, erleichtert das Verfahren für einen begrenzten
Personenkreis, stellt jedoch keine tragfähige Lösung dar. Bislang verfügt kein
EU-Land über eine konsularische Vertretung. Nach Polen und Litauen hat

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Schweden als erstes EU-Mitglied im Dezember 2001 die russische Zustim-
mung zur Schaffung eines Generalkonsulates erhalten. Für die Zukunft ist nach
Arrangements zu suchen, die den Bedürfnissen der EU nach einem sicheren
Schutz der Außengrenzen ebenso gerecht werden wie dem Interesse an einem
Ausbau der grenzüberschreitenden Kontakte und Kooperation zwischen Bür-
gern Russlands und der EU. Die EU-Kommission hat in dieser Frage eine fle-
xible Anwendung des Schengener Abkommens in Aussicht gestellt.
Die Verkehrsanbindung hat für die Teilnahme an der wirtschaftlichen Entwick-
lung entscheidende Bedeutung. In den letzten Jahren sind die Straßenverbin-
dungen immer schlechter geworden, die Wartezeiten an den Grenzen gestiegen
und zuletzt auch die direkten Zug- und Flugverbindungen zur EU eingestellt
worden. Auch beim Güteraustausch mit den Nachbarstaaten stehen Verände-
rungen bevor. Das Gebiet Kaliningrad ist bei der Versorgung mit Lebensmitteln
und anderen Gütern sowie mit Energie auf den Austausch mit den Nachbarn
und dem russischen Kernland angewiesen. Polen und Litauen sind – neben
dem Handel mit dem russischen Kernland – die wichtigsten Absatzmärkte für
Kaliningrad. Nach Einführung der Regeln des EU-Binnenmarktes ist mit er-
heblichen Einbußen zu rechnen, da die Unternehmen der Region Schwierigkei-
ten haben, technische, sanitäre und ökologische Normen der EU zu erfüllen.
Dies gilt insbesondere für die Bereiche der Fischerei und der Fisch verarbeiten-
den Industrie, die in der Wirtschaft Kaliningrads eine wichtige Rolle spielen.
Die Wirtschaft des Gebiets litt und leidet noch heute unter der Erblast des eins-
tigen militärischen Sperrgebiets. Dieser Status brachte ökologische Altlasten
und die Vernachlässigung der zivilen Infrastruktur mit sich. Der wirtschaftliche
Abschwung dauerte über ein Jahrzehnt. Auch die Bildung der Freihandels-
bzw. Sonderwirtschaftszone (1991 bzw. 1996) konnten ihn nicht aufhalten. Bis
Ende der 90er Jahre sank die Produktion in Industrie und Landwirtschaft auf
weniger als 30 bzw. 50 % des Standes von 1990. Auch die Hafenanlagen sind
nur zu knapp 25 % ausgelastet und fallen hinter den baltischen Konkurrenten
zurück. Die ausländischen Direktinvestitionen belaufen sich seit der Öffnung
bis zum Jahr 2000 auf nur 70 Mio. US-Dollar, während die benachbarten Bei-
trittskandidaten Milliardenbeträge angezogen haben – Polen allein 57,2 Mrd.
US-Dollar seit 1993. Die Schätzungen der realen Arbeitslosenrate schwanken
zwischen 25 bis 50 %. Der Lebensstandard der Bevölkerung fiel offiziellen
Statistiken zufolge auf 80 % des russischen Durchschnittseinkommens. Mit
dem Niedergang haben sich Armut, organisierte Kriminalität, Korruption,
Drogenmissbrauch und Seuchen wie Aids und Tuberkulose in der Region aus-
gebreitet.
Aufgrund der kontinuierlichen Reformpolitik in Polen und Litauen sowie der
umfangreichen Finanzhilfen der EU vergrößert sich der Abstand zu den Nach-
barländern schon heute. Dieser Trend wird sich nach dem EU-Beitritt der bei-
den Länder erheblich verstärken. Sollte Kaliningrad wirtschaftlich und sozial
weiter zurückfallen, dürfte sich dies destabilisierend auf den gesamten Ostsee-
raum auswirken. Russland und die EU haben daher ein gemeinsames Interesse
daran, solche Probleme möglichst schon im Vorfeld der Erweiterung zu lösen.
In naher Zukunft werden alle Ostseeanrainer bis auf die Russische Föderation
Mitglieder der EU sein. Die Ostseekooperation dürfte damit eine größere Be-
deutung im Rahmen der „Nördlichen Dimension“ der Gemeinamen Außen- und
Sicherheitspolitik (GASP) der Union gewinnen. Deutschland hat wie die ande-
ren Ostseeanrainer ein Interesse an gedeihlicher Zusammenarbeit in der Re-
gion. Es gibt zwar historisch spezifische Beziehungen zur Region Kaliningrad.
Deutschland verfolgt heute jedoch keine besonderen Interessen in dem Gebiet.
Deutschland legt Wert darauf, dass die EU in dieser Frage eine gemeinsame
Haltung vertritt und gemeinsam neue Initiativen entwickelt. Die Mitteilung der
EU-Kommission vom 17. Januar 2001 bietet eine umfassende Analyse der Pro-

Drucksache 14/9060 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

bleme und eine gute Grundlage für neue Initiativen der Union zur Regelung des
Personenverkehrs, zur Erleichterung der Grenzabfertigung, zur Vorbereitung
Kaliningrader Unternehmen auf die Anforderungen des EU-Binnenmarktes, zur
infrastrukturellen Anbindung der Region und zur Förderung von Reformprojek-
ten.
Das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Russ-
land (PKA) bildet den geeigneten Rahmen für diese Bemühungen. Darin wird
das Ziel einer weitgehenden Integration Russlands in den Europäischen Wirt-
schaftsraum (EWR) in Aussicht genommen. Die Lösung der beschriebenen
Probleme sollte als Pilotprojekt der Kooperation zwischen der Europäischen
Union und Russland zügig in Angriff genommen und vorangetrieben werden.
Es ist daher als positiv zu werten, dass beim EU-Russland-Gipfel am 3. Oktober
2001 Übereinstimmung erzielt wurde, die Probleme Kaliningrads im Rahmen
des PKA auch als Ganzes bzw. „horizontal“ zu behandeln, und so die Ergeb-
nisse aus den sektoralen Arbeitsgruppen zu bündeln.
Die russische Regierung trägt die Verantwortung für die russische Region
Kaliningrad. Sie muss die Grundentscheidungen für die Entwicklung der Re-
gion fällen und entsprechende materielle Voraussetzungen schaffen. Sie legt die
sicherheits- und wirtschaftspolitische Ausrichtung des Gebiets fest. Sie be-
stimmt, welchen Handlungsspielraum sie den lokalen und regionalen Behörden
bei der Gestaltung der inneren Verhältnisse und der Außenbeziehungen gewäh-
ren will, welchen Beitrag die Zentralregierung zur Modernisierung der Region
zu leisten bereit ist, und inwieweit die EU und andere Partner dabei hilfreich
sein können. Erst wenn diese Weichenstellungen erfolgt sind, kann die EU
Kaliningrad wirksam unterstützen. Vor diesem Hintergrund sind wichtige Pro-
blemfelder, welche die Entwicklung des Gebiets behindern und von der russi-
schen Seite dringend angegangen werden müssen: der Ausbau der Infrastruktur,
insbesondere der Grenz- und Transportinfrastruktur, die erleichterte Erteilung
von Reisepässen an die gebietsansässige Bevölkerung, der Abbau von Büro-
kratie, insbesondere beim Zoll, die Bekämpfung organisierter Kriminalität und
eine engagierte Politik zur Verbesserung der Umwelt- und Gesundheitslage.
Präsident Wladimir Putin bezieht in den letzten 18 Monaten zunehmend kon-
struktive Positionen in Bezug auf das Kaliningrader Gebiet und ist bestrebt,
neue Wege zu gehen. Die russische Regierung hat im Dezember 2001 für Kali-
ningrad ein „Föderales Zielprogramm zur Entwicklung des Verwaltungsgebie-
tes Kaliningrad bis zum Jahre 2010“ verabschiedet, das eine Reihe positiver
Elemente enthält. Dieses Programm gilt es zu einem strategischen Konzept für
die Sonderwirtschaftszone Kaliningrad weiterzuentwickeln. Der Rahmen wäre
so zu gestalten, dass Projekte und Instrumente von Russland und Europäischer
Union ineinandergreifen und ein Höchstmaß an Synergieeffekten erzielen. Eine
gesicherte Finanzierung ist dabei von zentraler Bedeutung.
Die Bereitschaft zu gemeinsamem Engagement und gemeinsamer Finanzierung
von Projekten mit der EU wächst. Seit Mai 2000 ist Kaliningrad eine von
13 Regionen Russlands, in denen Projekte im Rahmen des EU-Programms
TACIS vorrangig gefördert werden. In diesem Zusammenhang wurde eine
Informationsstelle für das TACIS-Programm eingerichtet.
Damit Kaliningrad von den Wachstumschancen im Ostseeraum profitieren
kann, sind die Bedingungen für ausländische Investitionen in der Region zu
verbessern. Dies setzt Maßnahmen zum Aufbau effizienter, unabhängiger Ver-
waltungsstrukturen, zuverlässige Regelungen im Steuerrecht und beim Erwerb
von Grund und Boden sowie größere Rechtssicherheit voraus. Die Schaffung
einer Investitionsagentur würde Investoren das Überwinden von Verwaltungs-
hürden erleichtern.
Präsident Wladimir Putin und Außenminister Igor Iwanow haben immer wie-
der Ihr großes Interesse daran bekundet, Kaliningrad zu einer Pilotregion der

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Partnerschaft mit der EU auszubauen. Auch die russische Duma hat dies gefor-
dert. Leider kommt die Verständigung über die zu lösenden Probleme nur lang-
sam voran. Die Gespräche sollten realistischer, dynamischer und zielorientier-
ter geführt werden. Die zahlreichen konstruktiven Vorschläge der EU-
Kommission vom Januar 2001 bilden dafür eine gute Grundlage.
Bei der Übernahme des Vorsitzes im Ostseerat unterstrich der russische Außen-
minister Igor Iwanow im Juni 2001 das Interesse Moskaus, das Potential regio-
naler Kooperation für den Aufbau eines einheitlichen Europa zu nutzen. Er hob
in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Region Kaliningrad im Rahmen
der Ostseekooperation hervor. Vom 3. bis 4. März 2002 trafen sich die Außen-
minister aus Anlass des zehnjährigen Gründungsjubiläums des Ostseerats in
Kaliningrad. Am 28. Mai 2002 findet der nächste EU-Russland-Gipfel in
Moskau statt. Dieses Treffen könnte den Bemühungen um eine Lösung der
Probleme der russischen Region Kaliningrad neue Impulse geben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung im Rahmen der fi-
nanzpolitischen Leitlinien auf,

1. im Rahmen von EU und Ostseerat sowie mit Zustimmung Russlands Initia-
tiven anzuregen bzw. zu unterstützen, welche Chancen für den Ausbau der
Zusammenarbeit mit der russischen Region Kaliningrad bieten;

2. Polen und Litauen schon vor dem Beitritt bei Initiativen der EU zu beteili-
gen, die auf die Lösung der sich aus der Erweiterung ergebenden Probleme
für die Region Kaliningrad abzielen;

3. sich dafür einzusetzen, dass im Rahmen des Partnerschafts- und Koopera-
tionsabkommens zügig Vereinbarungen zu Kaliningrad gefunden werden;

4. die EU-Kommision bei der Suche nach einvernehmlichen Regelungen für
das Grenz-, Visa- und Transitregime zu unterstützen, die gleichzeitig der
wirtschaftlichen Prosperität der Region Kaliningrad dienen. Zu den
Regelungen, die es im Sinne einer künftigen flexiblen Anwendung des
Schengener Abkommens an der EU-Außengrenze zu prüfen gilt, gehören
insbesondere:
– kostengünstige bzw. kostenlose Visa, Mehrfachvisa, Visaerteilung an der

Grenze,
– Regelungen zum „kleinen Grenzverkehr“, die es der Bevölkerung von

Kaliningrad ermöglichen, die bisherigen Kontakte zu den Nachbarregio-
nen in Polen und Litauen aufrechtzuerhalten,

– vereinfachter Transit auf Straße und Schiene für die Einwohner Kalinin-
grads bei Reisen vom und ins russische Kernland,

– eine Lösung für die Frage des militärischen Transits zu suchen, welche
die Sicherheitsinteressen der Nachbarn wahrt und zugleich die sicher-
heitspolitische Anbindung an Russland respektiert;

5. im Rahmen des Aufbaus transeuropäischer Netze auf die Verbesserung der
Verkehrsverbindungen nach Kaliningrad zu dringen. Insbesondere sollte
beim Ausbau der „Via Baltica“ für eine Anbindung Kaliningrads gesorgt
und eine direkte Verbindung nach Westeuropa über die durch Stettin,
Danzig, Kaliningrad nach Sankt Petersburg verlaufende „Via Hanseatica“
sichergestellt werden;

6. darauf hinzuwirken, dass die EU-Förderung für das Gebiet projektbezogen
und in Verbindung mit russischer Kofinanzierung Zug um Zug erfolgt, um
ein gemeinsames Interesse an der Umsetzung der Vorhaben sicherzustellen.
Als Schwerpunkte der Projektkooperation bieten sich folgende Bereiche an:
Telekommunikations- und Verkehrsinfrastruktur, Unterstützung der Grün-

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dung von kleinen und mittleren Unternehmen, Finanzdienstleistungen, Vor-
bereitung auf die Erfüllung technischer und sanitärer Normen der EU, öko-
logische Sanierung veralteter Militäranlagen, Vorhaben zur Wasserreinhal-
tung sowie zur Energieversorgung, Modernisierung und Spezialisierung
der Häfen sowie Tourismus. Zur Einschätzung, Begleitung und Kontrolle
der Umsetzung dieser Projekte sollte eine gemeinsame Expertengruppe
von EU und Russland unter Beteiligung der Regionalverwaltung geschaf-
fen werden;

7. sich noch vor der mit dem Beitritt Polens und Litauens in Kraft tretenden
Förderung durch die EU-Programme INTERREG und PHARE für eine
Steigerung der für die Projektkooperation verfügbaren Mittel einzusetzen.
Künftig müssen die Instrumente TACIS, PHARE und INTERREG besser
miteinander verzahnt werden, um die grenzüberschreitende Kooperation an
den EU-Außengrenzen zu vertiefen. Zunächst kommen für Projekte in
Kaliningrad nur die Förderung durch TACIS, in Ausnahmefällen durch die
PHARE-Mittel für grenzüberschreitende Kooperation sowie nationale Mit-
tel im Rahmen der Ostseekooperation in Frage. Darüber hinaus wäre zu er-
wägen, das Engagement internationaler Finanzinstitutionen, insbesondere
der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung sowie der
Europäischen Investitionsbank, zu verstärken;

8. die öffentliche Information über die EU in der Region Kaliningrad zu
verstärken und zu diesem Zweck ein Informationsbüro der EU zu schaffen;

9. entsprechend den Vorschlägen der EU-Kommisson die Vertretung Deutsch-
lands in der Region zu verstärken und – in Abstimmung mit der russischen
Regierung – eine konsularische Präsenz in Kaliningrad anzustreben. Eine
Kooperation oder gemeinsame Unterbringung mit EU-Partnern sollte ge-
sucht werden;

10. die Intensivierung der Kontakte auf der gesellschaftlichen Ebene zu
fördern. Dabei spielt das Deutsch-Russische-Haus eine große Rolle. Seine
Finanzierung ist auf eine langfristig stabile Grundlage zu stellen;

11. die Ostseepolitik weiterhin im kooperativen Geiste mit den nord- und ost-
deutschen Bundesländern durchzuführen, auch im Hinblick auf ihre
Kooperation mit dem Gebiet Kaliningrad;

12. im Rahmen der „Task Forces“, Sondergremien und Arbeitsgruppen des
Ostseerates aktiv mitzuwirken und die Einbeziehung des Kaliningrader
Gebietes in diese multilaterale Zusammenarbeit zu befördern;

13. sich gemeinsam mit ihren Partnern in der EU gegenüber der russischen
Regierung nachhaltig dafür einzusetzen, dass die Entwicklung des Gebiets
Kaliningrad sektorübergreifend prioritäre Bedeutung erhält. Dabei sollte
die Tatsache unterstrichen werden, dass die Entwicklung des Gebiets in ers-
ter Linie von einem noch stärkeren Engagement Russlands abhängig ist
und durch eine intensivere Kooperation zwischen Russland und der EU ge-
fördert werden kann.

Berlin, den 15. Mai 2002
Dr. Peter Struck und Fraktion
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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