BT-Drucksache 14/9027

Jugendschutz stärken

Vom 14. Mai 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9027
14. Wahlperiode 14. 05. 2002

Antrag
der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Maria Eichhorn, Ilse Aigner, Antje
Blumenthal, Sylvia Bonitz, Dr. Ralf Brauksiepe, Wolfgang Dehnel, Renate Diemers,
Thomas Dörflinger, Anke Eymer (Lübeck), Ingrid Fischbach, Axel E. Fischer
(Karlsruhe-Land), Ursula Heinen, Eckart von Klaeden, Dr. Martina Krogmann,
Walter Link (Diepholz), Claudia Nolte, Katherina Reiche, Dr. Norbert Röttgen,
Marion Seib, Andreas Storm, Gerald Weiß (Groß-Gerau), Annette Widmann-Mauz
und der Fraktion der CDU/CSU

Jugendschutz stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Junge Menschen stellen die Zukunft des Staates und der Gesellschaft dar. Sie
leben jedoch in einer von Erwachsenen gestalteten und auf Erwachsene ausge-
richteten Welt. Zwischen ihren Interessen und den Anforderungen einer moder-
nen Informations- und Kommunikationsgesellschaft besteht ein zunehmendes
Spannungsverhältnis. Jungen Menschen müssen aber Chancen und Lebensbe-
dingungen eingeräumt werden, die ihren speziellen Entwicklungsbedürfnissen
gerecht werden. Gerade Jugendliche dürfen in ihrem Recht auf freie Entfaltung
der Persönlichkeit und auf positive Entwicklungsumstände nicht durch jugend-
gefährdende Faktoren benachteiligt oder eingeschränkt werden.
Besonders für Kinder und Jugendliche muss gewährleistet werden, dass Infor-
mation und Kommunikation frei sind von Ausgrenzung, Manipulation, extre-
mistischen Tendenzen und sozialer Einseitigkeit. Medienverantwortung heißt
insbesondere Verantwortung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, bedeu-
tet vor allem Verantwortung für die Vermittlung von Normen und Denk- bzw.
Verhaltensmustern, die mit unserer Gesellschafts- und Sozialordnung in Ein-
klang stehen.
Bei der furchtbaren Tat von Erfurt handelt es sich zwar um eine Einzeltat, deren
psychosoziale Beweggründe und Gesamtursachen derzeit noch nicht abschlie-
ßend bewertet werden können. Die immer kürzer werdenden Zeitabstände zwi-
schen einzelnen schrecklichen Vorfällen zeigen aber, dass es sich hierbei bereits
um ein gesamtgesellschaftliches Problem handelt. Dringend notwendig ist eine
breite Allianz in der Gesellschaft gegen die zunehmende Faszinationswirkung
und hemmungslose Darstellung von Gewalt.
Die Union hat bereits seit Beginn der Legislaturperiode eine Novellierung des
Jugendmedienschutzes auf nationaler und internationaler Ebene gefordert, um
beispielsweise die ungehinderte Weitergabe gewaltverherrlichender Videos an
Jugendliche zu stoppen. Angesichts der vielfachen Vermarktungs- und Verbrei-
tungsmöglichkeiten in Zeiten von Multimedia muss die Kontrolle der Medien
dieser neuen Entwicklung angepasst werden.

Drucksache 14/9027 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Im Koalitionsvertrag der rot/grünen Bundesregierung zur Jugendpolitik heißt
es: „Die neue Bundesregierung wird alles daran setzen, dass den Jugendlichen
Chancen für ein selbstbestimmtes Leben eröffnet werden.“ Die Realität nach
fast 4 Jahren rot/grüner Bundesregierung zeigt ein anderes Bild: Die drängen-
den Probleme des Jugendschutzes und Jugendmedienschutzes wurden bisher
nicht gelöst. Die Bundesregierung hat, entgegen allen Versprechungen, in die-
ser Legislaturperiode bisher weder den Jugendschutz novelliert noch den Weg
freigemacht für eine Regelung des Jugendschutzes in den Medien durch einen
Staatsvertrag der Länder.
Daran ändert auch der jetzt vorgelegte Entwurf eines Jugendschutzgesetzes zu
wenig. Er bleibt weit hinter den ursprünglichen Ankündigungen zurück. Zwar
werden die zwischen den Ministerpräsidenten und dem Bundeskanzler verein-
barten Eckpunkte für die Reform der Medienordnung (Jugendmedienschutz-
Staatsvertrag) umgesetzt. In seinem originären Zuständigkeitsbereich nimmt
das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend jedoch nur
geringfügige Änderungen vor. In weiten Teilen bleibt es bei der bestehenden
Gesetzeslage. Die notwendigen Reformen, d. h. die Novelle des „klassischen
Jugendschutzes“ wurde von der Bundesregierung erneut auf die lange Bank ge-
schoben.
Der erste Entwurf des novellierten Jugendschutzgesetzes vom November 2001
sah noch die Lockerung der Ausgehzeiten vor. Von dieser Lockerung wurde
mittlerweile Abstand genommen. Der heftige Widerstand aus CDU und CSU
sowie von den Verbänden hat offensichtlich Wirkung gezeigt. Der Deutsche
Bundestag begrüßt die Rücknahme der Lockerung der Ausgehzeiten für Kinder
und Jugendliche auf die derzeit geltenden Grenzen.
Der nun vorliegende Gesetzentwurf genügt nicht den Anforderungen an ein
übersichtliches, organisiertes und vernetztes Schutzsystem mit eindeutigen Zu-
ständigkeitsregelungen für Jugendämter, Ordnungsämter, Gewerbeaufsichts-
ämter und Polizei, auf das sich Eltern auch verlassen können. Die Bundesregie-
rung entzieht sich damit erneut ihrer politischen Verantwortung.
Im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 2. Mai 2002 fehlt dementspre-
chend auch das Verbot zur Verbreitung schwer jugendgefährdender Videos und
Computerspiele sowie ein Verbot des gewerblichen Verleihs von Bildträgern
durch Automaten. Umgekehrt sieht der Entwurf eine Lockerung bei der Auf-
stellung von Bildschirmspielgeräten an öffentlich zugänglichen Orten vor. Mit
der Einführung der generellen Kennzeichnungspflicht für Video- und Compu-
terspiele sowie die Einführung einer Freiwilligen Selbstkontrolle wie beim
Film ist eine langjährige Forderung der Union erfüllt worden.
Erst nach der Tat von Erfurt sind weitere Konsequenzen für den Jugendschutz
eingeleitet worden. Auf Drängen Bayerns sind in der vergangenen Woche bei
der Besprechung des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten noch deut-
liche Verbesserungen beim Jugendmedienschutz erreicht worden. Der Bundes-
kanzler signalisierte Bereitschaft, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzube-
rufen, die Regelungen über ein generelles Verbot der Vermietung und des
Verleihs von schwer jugendgefährdenden Gewaltvideos und Killerspielen, ein
striktes Verbot von Videoautomaten und ein generelles Verbot von Killerspie-
len erarbeitet.
Der Deutsche Bundestag begrüßt die Einrichtung der Bund-Länder-Arbeits-
gruppe. Der dort noch zu erarbeitende Regelungsbedarf, wie ein generelles Ver-
bot der Vermietung und des Verleihs von schwer jugendgefährdenden Gewalt-
videos und Killerspielen, sowie ein striktes Verbot von Videoautomaten hätte
allerdings schon im Entwurf des Jugendschutzgesetzes geregelt sein müssen.
Gleichwohl werden die vereinbarten Regelungen begrüßt, aber eine weiter-
gehende strengere Regelung des Jugendmedienschutzes gefordert.
Gewaltprävention beginnt bei der Erziehung in der Familie. Eltern sehen sich
heute mit wachsenden Herausforderungen konfrontiert und reagieren vielfach

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9027

verunsichert bei Fragen der Erziehung und sinnvoller Freizeitgestaltung ihrer
Kinder. Dringend geboten ist daher eine bessere Unterstützung der Erziehungs-
aufgabe der Eltern. Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Rahmenbedin-
gungen zu verbessern, um Eltern bei der Übernahme von Erziehungsverantwor-
tung nachhaltig zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag fordert die
Realisierung von praktischen Hilfen sowie konkrete Informationen für Eltern,
die sie bei ihren Erziehungsaufgaben und in speziellen Krisensituationen be-
gleiten und unterstützen. Hierzu gehören zahlreiche Angebote von Partner-
schaftsberatung, Ehe- und Familienberatung, Erziehungsberatung bis hin zum
verantwortungsvollen Umgang mit Medien. Jugendliche, Eltern und Erzieher
müssen besser in die Lage versetzt werden, bestimmte Wertvorstellungen und
Menschenbilder, die durch Medien vermittelt werden, kritisch einzuordnen. Zur
Stärkung der Elternkompetenz fordern wir eine bessere Zusammenarbeit von
Elternhaus, Kinderbetreuungseinrichtungen, Schule, Bildungs- und Beratungs-
einrichtungen, den Ausbau der Familienbildung sowie eine effektivere Vernet-
zung bestehender Einrichtungen.
Der Deutsche Bundestag fordert neben der Weiterentwicklung des gesetzlichen
Jugendmedienschutzes die stärkere Verankerung des erzieherischen Jugend-
medienschutzes. Insbesondere geht es dabei um die Vermittlung von Hand-
lungskompetenzen, um sich selbst gegen gefährdende Einflüsse zu schützen.
Medienkompetenz gehört heute zu den Schlüsselqualifikationen. Kritischer
Umgang mit Medien bedeutet nicht Medienabstinenz, sondern in erster Linie
aktive Auseinandersetzung mit einer kaum mehr zu überblickenden Fülle an
Programminhalten und Informationen.
Erziehungskompetenz stärken heißt auch, Eltern zu ermutigen, Grenzen zu set-
zen. Dies darf durch die Regelungen des Jugendschutzes nicht konterkariert
werden. Es geht nicht um eine Lockerung des Jugendschutzes, sondern um eine
Stärkung.
l Die Lockerung der Schutzbestimmungen bei Spielautomaten betrachtet der

Deutsche Bundestag als nicht zu verantworten. Der Entwurf des Jugend-
schutzgesetzes sieht vor, dass Bildschirmspielgeräte nunmehr auf öffent-
lichen Flächen aufgestellt werden dürfen, wenn ihre Programme für Kinder
ab 6 Jahren freigegeben sind. Kinder und Jugendliche dürfen ohne Beglei-
tung daran spielen, wenn die Spiele für ihre Altersstufe entsprechend der
Kennzeichnungen freigegeben sind. Im geltenden Recht liegt die Alters-
grenze noch bei 16 Jahren. Völlig außer Acht bleibt bei der Neuregelung,
dass solche frei zugänglichen Geräte auf Kinder eine große Sogwirkung aus-
üben. Bei diesen Spielen handelt es sich in der Regel um Gewalt- und Kriegs-
spiele, die wiederum zu Gewalt animieren. Der Deutsche Bundestag fordert
die Bundesregierung auf, die bisher geltende Regelung beizubehalten.

l Im Entwurf des Jugendschutzgesetzes wird der Begriff der erziehungsbeauf-
tragten Person neu eingeführt. Erziehungsbeauftragte Person ist jede Person
über 18 Jahre, soweit sie auf Dauer oder zeitweise aufgrund einer Verein-
barung mit den Eltern Erziehungsaufgaben wahrnimmt. Der Deutsche
Bundestag lehnt die Verlängerung von Ausgehzeiten von Jugendlichen bei
Anwesenheit einer erziehungsbeauftragten Person ab. Sinn und Zweck der
Erziehungsaufgaben können dadurch allzu leicht umgangen werden, da kein
Autoritätsverhältnis zwischen Minderjährigen und erziehungsbeauftragter
Person besteht.

Investitionen in die junge Generation sind entscheidende Zukunftsinvesti-
tionen. Dazu brauchen wir einen wirksamen und umfassenden Jugendschutz.
Kinder und Jugendliche brauchen zur Persönlichkeitsentwicklung geschützte
Räume. Der Jugendschutz muss andererseits Garant dafür sein, dass die Kind-
heit bewahrt und beschützt bleibt. Dazu leistet dieser Gesetzentwurf einen zu
geringen Beitrag.

Drucksache 14/9027 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, entsprechende
Maßnahmen zu ergreifen, dass

1. ein klares und übersichtliches Jugendschutzgesetz mit eindeutigen Zustän-
digkeitsregelungen für Jugendämter, Ordnungsämter, Gewerbeaufsichts-
ämter und Polizei vorgelegt wird;

2. Regelungen zum Jugendmedienschutz auf internationaler Ebene getroffen
werden;

3. ein generelles Verbot schwer jugendgefährdender Videofilme, Computer-
und Videospiele erfolgt;

4. gesetzlich bindende Alterskennzeichnungen von Computer- und Videospie-
len eingeführt werden sowie eine Freiwillige Selbstkontrolle wie beim Film
installiert wird;

5. ein striktes Verbot von Videoautomaten gewährleistet wird;
6. ein generelles Verbot von Killerspielen erfolgt;
7. die Lockerung der Schutzbestimmungen bei Spielautomaten zurückgenom-

men wird;
8. die Verlängerung von Ausgehzeiten bei Anwesenheit einer sog. erziehungs-

beauftragten Person zurückgenommen wird;
9. die Voraussetzungen für eine Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern

geschaffen werden sowie der erzieherische Jugendmedienschutz besser ge-
fördert wird. Insbesondere sind verstärkte Familienbildungsangebote zur
Gewaltprävention anzubieten, eine verbesserte Vernetzung der Familien-
beratungs- und Familienbildungsangebote vor Ort sowie eine verstärkte
Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus.

Berlin, den 14. Mai 2002
Dr. Maria Böhmer
Maria Eichhorn
Ilse Aigner
Antje Blumenthal
Sylvia Bonitz
Dr. Ralf Brauksiepe
Wolfgang Dehnel
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Anke Eymer (Lübeck)
Ingrid Fischbach
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
Ursula Heinen
Eckart von Klaeden
Dr. Martina Krogmann
Walter Link (Diepholz)
Claudia Nolte
Katherina Reiche
Dr. Norbert Röttgen
Marion Seib
Andreas Storm
Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Annette Widmann-Mauz
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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