BT-Drucksache 14/9019

Aufnahme der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) in die Liste terroristischer Personen und Organisationen der Europäischen Union

Vom 14. Mai 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9019
14. Wahlperiode 14. 05. 2002

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Aufnahme der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) in die Liste terroristischer
Personen und Organisationen der Europäischen Union

Auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 des Rates vom 27. De-
zember 2001 „Über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen
gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus“, veröf-
fentlicht im Amtsblatt der EU vom 28. Dezember 2001, hat die EU eine Liste
von ihr als „terroristisch“ eingestufter Personen und Organisationen beschlos-
sen. Durch Beschluss des Rates vom 2. Mai 2002 zur Durchführung dieser Ver-
ordnung, veröffentlicht am 3. Mai 2002 im Amtsblatt der EU, hat der Rat der
EU diese Liste um eine Vielzahl weiterer Personen und Organisationen ergänzt,
darunter die PKK.
Die Verordnung der EU soll Behörden und Banken insbesondere verpflichten,
„alle Gelder“ und andere Vermögenswerte von auf der Liste der EU genannten
Personen oder Vereinigungen einzufrieren. Dass aus dieser Einstufung auch
weitere Maßnahmen gegen die genannten Personen und/oder Organisationen
folgen sollen, versteht sich von selbst.
Welche Personen und/oder Organisationen angeblich „terroristisch“ sind, defi-
niert der Rat der EU dabei durch einen logischen Zirkelschluss: „Terroristisch“
sind laut Artikel 2 der Verordnung vom 27. Dezember 2001 Personen und/oder
Organisationen, „die eine terroristische Handlung begehen oder zu begehen
versuchen oder sich an deren Begehung beteiligen“. Damit werden von
Menschenrechtsorganisationen erhobene Bedenken über eine angemessene
Definition von „Terrorismus“ und über die Abgrenzung von „Terrorismus“ auf
der einen und berechtigter politischer Opposition auf der anderen Seite schlicht
ignoriert.
Ähnlich lakonisch lautet die Begründung dieser Verordnung: „Diese Verord-
nung ist eine auf Gemeinschaftsebene erforderliche Maßnahme, die die Verwal-
tungs- und Gerichtsverfahren gegen terroristische Organisationen in der Euro-
päischen Union und in Drittländern ergänzt“ (unter Punkt 6 der Eingangs-
Erwägungen der Verordnung).
Die am 2. Mai 2002 beschlossene Erweiterung der Liste „terroristischer“ Per-
sonen und/oder Organisationen wird ähnlich lakonisch begründet: „Es ist
wünschenswert, eine aktualisierte Liste der Personen, Gruppen und Organisa-
tionen, auf die die genannte Verordnung Anwendung findet, anzunehmen.“
Warum die im Folgenden genannten Personen und/oder Organisationen „ter-
roristisch“ sind und aus welchen Rechtsgründen so weitreichende Maßnahmen
wie die Beschlagnahme allen Vermögens erlaubt sein sollen, wird ebenso
wenig begründet wie schon in der Verordnung vom 27. Dezember 2001. Wo
sich betroffene Personen und/oder Organisationen gegen die Aufnahme in diese

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Liste und daraus folgende Beschlagnahmungen und andere Verwaltungsakte
beschweren können, welche Rechtsmittel oder parlamentarische Schritte gegen
die Aufnahme in diese Liste möglich sind – all das wird mit keinem Wort
erklärt.
In der türkischen Presse wurde die Aufnahme der PKK in die neue Liste der EU
als großer Erfolg im Kampf gegen den kurdischen „Terror“ bewertet. Alle
Hardliner in Ankara, die auf kurdische Forderungen seit Jahren nur mit Verbo-
ten, Militär und Repression reagieren, fühlen sich durch diese Maßnahme der
EU bestätigt.
Auf kurdischer Seite dagegen hat die Entscheidung der EU große Besorgnis
und Empörung ausgelöst. Dort überwiegt der Eindruck, die EU passe sich der
menschenrechtsverletzenden Politik von Regierung und Militärs in der Türkei
im Umgang mit der kurdischen Frage an und habe alle Bemühungen um eine
politische und demokratische Lösung der kurdischen Frage aufgegeben.
Dieser Eindruck wird bestärkt durch die Tatsache, dass bisher kein einziges
deutsches Gericht die PKK jemals insgesamt als „terroristisch“ bezeichnet hat.
Nicht einmal die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, die viele Jahre beim Thema
PKK zu extrem repressiven Mitteln bereit war, hat diese insgesamt als „terroris-
tisch“ eingestuft. Im Gegenteil: Die Bundesanwaltschaft hat schon vor längerer
Zeit alle Ermittlungen gegen eine „terroristische Vereinigung“ in der PKK ein-
gestellt. Seit den kurdischen Protesten nach der Entführung Abdullah Öcalans
in die Türkei Anfang 1999 hat keine deutsche Behörde der PKK „terroristi-
sche“ Taten vorgeworfen, geschweige denn ein Gericht solche Vorwürfe bewie-
sen. Die PKK selbst hatte schon vor der Entführung Abdullah Öcalans ihren
Guerillakampf in der Türkei beendet und sich danach auch förmlich durch
Beschlüsse ihrer Parteitage von dieser Form des Kampfes losgesagt.
Kurdischen Einrichtungen wie dem Fernsehsender Medya-TV droht nun mög-
licherweise die Schließung, kurdischen Vereinen eine neue Welle der Repres-
sion. Politische Information über kurdische Anliegen kann nun mit Hilfe des
§ 129b Strafgesetzbuch (StGB) als „Werbung für eine terroristische Vereini-
gung“ verfolgt werden. Kurdischen Oppositionellen droht die Abschiebung als
„Terroristen“ in die Türkei. Menschenrechte und Selbstbestimmungsrecht des
kurdischen Volkes werden wieder einmal machtpolitischen Interessen der euro-
päischen Mächte untergeordnet.
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie begründet die Bundesregierung ihre Zustimmung zur Aufnahme der

PKK in die von der EU geführte Liste „terroristischer“ Personen und/oder
Organisationen?

2. Welche Feststellungen deutscher Gerichte über die PKK oder Beschlüsse
des deutschen Parlaments rechtfertigen nach Ansicht der Bundesregierung
die Aufnahme der PKK in diese Liste?

3. Welche terroristischen Taten der PKK und/oder der PKK zuzurechnenden
Organisationen und/oder Personen in den letzten drei Jahren machen es nach
Ansicht der Bundesregierung erforderlich, die PKK in diese Liste aufzuneh-
men (bitte die jeweiligen Taten und die gerichtlichen Feststellungen zur Zu-
ordnung dieser Taten zur PKK in den letzten drei Jahren einzeln aufführen)?

4. Wer hat die Aufnahme der PKK in diese Liste vorgeschlagen, wer hat diesen
Vorschlag auf welche Weise geprüft?

5. Hat die türkische Regierung bei der EU und /oder bei der Bundesregierung
förmlich oder auf indirektem Wege die Aufnahme der PKK in diese Liste
verlangt?
Wenn ja, wann und in welcher Form?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9019

6. Wie will die Bundesregierung den Eindruck entkräften, die Aufnahme der
PKK in die Liste der EU sei ein Sieg der Militärs und der Regierung in An-
kara über die kurdische Opposition in ihrem Land und ein schwerer Rück-
schlag für alle kurdischen Bemühungen um eine politische und demokrati-
sche Lösung der kurdischen Frage in der Türkei?

7. Welche Möglichkeiten haben Betroffene, sich gegen eine solche, mit weit-
reichenden Eingriffen in ihre Grundrechte verbundene Einstufung ihrer
Person und/oder Organisation im Vorfeld oder im Nachhinein zu wehren?

8. Wo sind diese Beschwerde- und Interventionsmöglichkeiten für Betroffene
veröffentlicht?

9. Welche direkten und indirekten Folgen hat die Aufnahme der PKK in diese
Liste
a) für die PKK selbst, ihre Funktionäre und alle ihre Mitglieder,
b) für die vielen kurdischen Personen in der EU, die sich in den letzten

Monaten im Rahmen der Kampagne „Ich bin PKK“ öffentlich als Mit-
glied und/oder Sympathisant der PKK erklärt haben,

c) für Presseberichte über die Arbeit der PKK und ihre Beschlüsse,
d) für kurdische Flüchtlinge, die wegen Verfolgung in der Türkei unter

Berufung auf ihre vermeintliche Mitgliedschaft oder Unterstützung der
PKK Asyl suchen,

e) für offizielle Auslieferungsforderungen der Türkei gegen hier lebende
Migrantinnen/Migranten und Flüchtlinge wegen angeblicher Mitglied-
schaft oder Unterstützung der PKK,

f) für der PKK in türkischen Publikationen und/oder in Verfassungsschutz-
berichten des Bundes und der Länder zugerechnete Organisationen und
Einrichtungen, darunter
– den Fernsehsender Medya-TV,
– die Tageszeitung Özgür Politika und andere kurdische Presseorgane

und -verlage,
– den Kurdischen Nationalkongress (KNK) und
– andere kurdische Institutionen und Einrichtungen in Europa
(bitte für jede der genannten Institutionen und Einrichtungen gesondert
beantworten)?

10. Welche Rechtsfolgen hat die Aufnahme von Personen und/oder Organisa-
tionen in diese Liste der EU in der Bundesrepublik Deutschland im Hin-
blick auf eine nach dem neuen § 129b StGB mögliche Strafverfolgung?

11. Welche Folgen hat nach Ansicht der Bundesregierung die auf dem 8. Par-
teikongress der PKK beschlossene Einstellung der Arbeit der PKK und ihre
damit verbundene Umwandlung von einer in Programm und Statut auf den
bewaffneten Kampf zur Verfolgung ihrer Ziele festgelegten Partei in einen
„Kongress für Freiheit und Demokratie in Kurdistan“ (KADEK), der aus-
drücklich nur noch mit zivilen, d. h. nichtmilitärischen Mitteln für seine
Ziele kämpfen soll?
Wenn die Beschlüsse der EU zur PKK nicht automatisch für den neuen
KADEK gelten, gilt diese Nichtübertragbarkeit auch für das bisher in der
Bundesrepublik Deutschland geltende „PKK-Verbot“?

Berlin, den 6. Mai 2002
Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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