BT-Drucksache 14/8782

Menschenrechte und Entwicklung in Tibet

Vom 16. April 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8782
14. Wahlperiode 16. 04. 2002

Antrag
der Abgeordneten Volker Neumann (Bramsche), Heide Mattischeck, Rudolf
Bindig, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. Angelica Schwall-Düren, Dr. Peter Struck
und der Fraktion der SPD
der Abgeordneten Dr. Christian Schwarz-Schilling, Hermann Gröhe, Hartmut
Koschyk, Dr.-Ing. Rainer Jork, Friedrich Merz, Michael Glos und der Fraktion der
CDU/CSU
der Abgeordneten Christa Nickels, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Wolfgang Gerhardt und der
Fraktion der FDP

Menschenrechte und Entwicklung in Tibet

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Deutsche Bundestag verfolgt aufmerksam die Politik der Volksrepublik
China gegenüber Tibetern in der Autonomen Region Tibet und den tibetisch be-
siedelten Provinzen. In einem interfraktionellen Antrag hat der Deutsche Bun-
destag 1996 seine Sorge über die Lage der Menschenrechte in Tibet formuliert.
Gegenwärtig unternimmt die Volksrepublik China große Anstrengungen zur
wirtschaftlichen Entwicklung in der Autonomen Region Tibet. Um die Unter-
schiede zwischen den reicheren Gebieten an der Ostküste und den ärmeren
westlichen Regionen auszugleichen, wurden in der vergangenen Planperiode
gut 8 Mrd. Yuan gezielt nach Tibet gelenkt. In der laufenden Fünf-Jahres-Peri-
ode (2001 bis 2005) sollen diese Investitionen in die Infrastruktur, Landwirt-
schaft, Technologie, Bildung und den Umweltschutz fast vervierfacht werden.
Der Lebensstandard der Bevölkerung hat sich in den letzten Jahren erheblich
verbessert. Diese Leistungen verdienen Respekt und Anerkennung.
Die Bemühungen um wirtschaftliche Entwicklung sind jedoch von fortgesetz-
ten Unterdrückungsmaßnahmen gegen die tibetische Bevölkerung begleitet:
Noch immer flüchten im Schnitt 4 000 Tibeter pro Jahr ins Ausland, weil sie
sich durch die Politik der Zentral- und Provinzregierung diskriminiert und in ih-
rer Religionsausübung stark eingeschränkt fühlen. Unter den Flüchtlingen sind
verdiente Funktionäre der Kommunistischen Partei und anerkannte religiöse
Würdenträger sowie jährlich 500 bis 600 Kinder. Diese Kinder werden aus
Sorge um ihre Ausbildung von den Eltern nach Dharamsala (Indien) geschickt.
Die Kampagne gegen das religiöse Oberhaupt der Tibeter, den Dalai Lama, ist
im In- und Ausland verstärkt worden und hat das Misstrauen der tibetischen Be-
völkerung gegenüber der chinesischen Führung erhöht.

Drucksache 14/8782 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zur Folter weist in seinem
Bericht vom 25. Januar 2001 auf mehrere Fälle von Misshandlungen an Tibe-
tern in Gefängnissen der Autonomen Region Tibet hin. Opfer der Misshandlun-
gen waren insbesondere Nonnen und Mönche.
Der Deutsche Bundestag ist weiterhin tief besorgt über den nach wie vor unge-
klärten Verbleib des 12-jährigen Gedhun Choekyi Nyima. Der vom Dalai Lama
als Reinkarnation des Panchen Lama benannte Junge und seine Familie ver-
schwanden im Mai 1995 aus ihrem Haus in Lhari in der Autonomen Region
Tibet.
Mit der Ratifizierung des VN-Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Rechte am 27. März 2001 hat die Volksrepublik China auch für Tibeter ein
positives Signal gegeben. Darin hat sich die Volksrepublik China unter anderem
völkerrechtlich verpflichtet, Verständnis und Toleranz unter allen rassischen,
ethnischen und religiösen Gruppen zu fördern. Sie erkennt zugleich das Recht
eines jeden an, am kulturellen Leben teilzunehmen.
Zwischen der Volksrepublik China und der Bundesrepublik Deutschland sowie
auf europäischer Ebenemit der EuropäischenUnion hat sich ein Dialog etabliert,
der ausdrücklich Menschenrechtsfragen mit einschließt. Der Deutsche Bundes-
tag begrüßt den am 30. Juni 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der Volksrepublik China vereinbarten Rechtsstaatsdialog. Seminare und
Symposien sind bei Politikern, Fachleuten und Wissenschaftlern beider Länder
auf große Resonanz gestoßen. Der Deutsche Bundestag fordert die Beteiligten
auf, diesen Dialog auch für eine Erörterung der Tibet-Frage zu nutzen.
Der Deutsche Bundestag unterstützt ebenfalls nachdrücklich den Menschen-
rechtsdialog zwischen der Europäischen Union und der Volksrepublik China.
Mit zunehmender Offenheit werden dabei Menschenrechtsfragen diskutiert. In
Angelegenheiten des tibetischen Volkes konnten jedoch keine Fortschritte er-
zielt werden.
Da es sich bei der Tibet-Problematik um ein gemeinsames europäisches Anlie-
gen handelt, appelliert der Deutsche Bundestag an die Parlamente der Mit-
gliedsländer der Europäischen Union sowie an das Europäische Parlament und
fordert die Europäische Union und die Regierungen ihrer Mitgliedsländer auf,
sich bei bilateralen Kontakten mit China für eine baldige Aufnahme eines Dia-
logs zwischen dem Dalai Lama und der chinesischen Führung einzusetzen. Für
eine dauerhafte politische Lösung hält der Deutsche Bundestag den mehrfach
vom Dalai Lama angeregten direkten Dialog über die Lage Tibets für unver-
zichtbar. Es wäre für China und die in China beheimateten Menschen ein großer
Gewinn, wenn der Dialog über die Lage in Tibet alsbald beginnen und zu einer
dauerhaften politischen Lösung führen würde.
Der Deutsche Bundestag wünscht einen konstruktiven Dialog mit den Mitglie-
dern des Volkskongresses der Volksrepublik China und bittet sie,
1. in ihren Bemühungen um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der

Autonomen Region Tibet fortzufahren und zugleich dafür Sorge zu tragen,
dass die natürlichen Lebensgrundlagen in der Autonomen Region Tibet und
in den von Tibetern besiedelten Gebieten erhalten bleiben und der Abbau
von Bodenschätzen ökologisch verträglich gestaltet wird;

2. im Volkskongress eine Debatte über die gegenwärtige Lage und die politi-
sche Zukunft der Autonomen Region Tibet und der von Tibetern besiedelten
Gebiete zu führen;

3. sich dafür einzusetzen, dass ein direkter Dialog mit dem Dalai Lama aufge-
nommen wird mit dem Ziel, ein Tibet-Statut auszuhandeln, das auf dem
Selbstbestimmungsrecht der Tibeter basiert und ihnen weitgehende Autono-
mierechte im Rahmen der Volksrepublik China garantiert;

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8782

4. sich dafür einzusetzen, dass die Person und das Amt des Dalai Lama respek-
tiert und nicht weiter beschädigt werden;

5. sich dafür einzusetzen, dass Tibeter gemäß des 17-Punkte-Abkommens vom
23. Mai 1951 ihre eigene ethnische und kulturelle Identität bewahren und
ihre Religion ungehindert ausüben können;

6. sich dafür einzusetzen, dass der Verbleib des 12-jährigen Gedhun Choekyi
Nyima und seiner Familie aufgeklärt wird;

7. sich für eine Amnestie aller tibetischen politischen Gefangenen einzusetzen;
8. sich dafür einzusetzen, dass der VN-Pakt über wirtschaftliche, soziale und

kulturelle Rechte systematisch umgesetzt wird;
9. sich dafür einzusetzen, dass im Menschenrechtsdialog mit der Europäischen

Union auch die Lage in Tibet offen diskutiert werden kann.

Berlin, den 16. April 2002
Dr. Peter Struck und Fraktion
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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