BT-Drucksache 14/8752

Resituionsforderungen deutscher Privatpersonen und/oder Firmen gegenüber der Tschechischen Republik, der Republik Polen und anderen Staaten

Vom 10. April 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8752
14. Wahlperiode 10. 04. 2002

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Restitutionsforderungen deutscher Privatpersonen und/oder Firmen gegenüber
der Tschechischen Republik, der Republik Polen und anderen Staaten

Die durch die österreichische FPÖ vor Monaten angestoßene neuerliche De-
batte um die „Benes-Dekrete“ in der Tschechischen Republik reißt nicht ab und
droht zu einer ernsthaften Belastung nicht nur der deutsch-tschechischen Bezie-
hungen zu werden, sondern sich möglicherweise auch auf die Beziehungen zu
anderen Staaten in Mittel- und Osteuropa auszuweiten.
Insbesondere die Vertriebenenverbände verbreiten dabei erneut ihr einseitiges
und die deutschen Verbrechen der Nazizeit relativierendes Geschichtsbild. So
fehlt in ihrer Berichterstattung der Vertriebenenverbände in diesem Zusammen-
hang jede Erinnerung an das Münchner Abkommen und die damit eingeleitete
deutsche Okkupation der Tschechoslowakei, an den Überfall auf Polen und an
die daran anschließende verbrecherische Germanisierungspolitik mit ihren
Millionen Todesopfern, enormen Vermögensverlusten und schwersten wirt-
schaftlichen Schäden in Ländern wie Polen und der Tschechoslowakei, an
Lidice, Theresienstadt und andere Stätten deutscher Verbrechen.
Verbunden mit geschichtsrevisionistischen Darstellungen der Vergangenheit
sind zum Teil verhüllte, zum Teil offene Forderungen nicht nur nach Widerruf
der „Benes-Dekrete“, sondern auch nach Rückgabe ehemaligen deutschen
Eigentums in diesen Staaten.
So forderte die Vorsitzende des Bundesverbands der Vertriebenen (BdV) in
einer im „Deutschen Ostdienst“, dem Verbandsorgan des BdV, verbreiteten Er-
klärung „die Heilung der Vertreibungsverbrechen als absolute Bedingung der
Mitgliedschaft“ der Tschechischen Republik in der EU (DOD Nr. 9 S. 3).
In der gleichen Ausgabe wird deutlich, dass sich solche Forderungen nicht nur
gegen die Tschechische Republik richten. Unter der Überschrift „Die bösen
Deutschen“ polemisiert eine Autorin gegen „die übertrieben bußfertige Haltung
der Deutschen“ gegenüber Polen und gegen die polnische Nationalhymne, die
immer noch den Widerstand gegen die Germanisierung feiere (DOD Nr. 9
S. 11). Wörtlich heißt es in dem Artikel: „Man sollte auf der Aufhebung der
,Benes-Dekrete‘ bestehen … Doch einem ähnlichen Ansinnen Polens, nach
dem EU-Beitritt Ausländern den Bodenerwerb, also auch eine Ansiedlung zu
untersagen, mit dem klaren Beisatz, man befürchte, die Deutschen könnten ihr
Eigentum zurückkaufen, misst man viel weniger Beachtung bei. Dabei ent-
springt diese Forderung dem gleichen nationalistisischen Ungeist.“ (ebenda)
Daran wird deutlich, dass in den Vertriebenenverbänden die Diskussion um
diese „Benes-Dekrete“ auch mit der Absicht verbunden wird, früheres deut-
sches Eigentum in diesen Ländern zurückzuerhalten.

Drucksache 14/8752 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Klagen oder andere Anträge an Gerichte oder andere Behörden

osteuropäischer Staaten nach Restitution, d. h. nach Rückgabe von bis 1945/
46 in ihrem Besitz befindlichem Eigentum haben deutsche Staatsangehörige
und/oder deutsche Firmen nach Kenntnis der Bundesregierung in den Jahren
nach 1989
a) in der Tschechischen Republik
b) in der Republik Polen
c) in der Slowakei
d) in den baltischen Ländern
e) in Ungarn
f) in Rumänien
g) in Bulgarien
h) in Ländern des Balkan
i) in Staaten der früheren Sowjetunion
eingereicht
(bitte nach den einzelnen Ländern, nach Jahren und nach dem sachlichen
Gegenstand der Restitutionsforderung – Landbesitz, Hausbesitz, gewerb-
liches Eigentum, Hausrat und anderen Gegenständen und ggf. nach der
finanziellen Höhe der Rückforderung aufschlüsseln)?

2. Wie vielen dieser Klagen oder anderen Anträgen auf Rückgabe früher deut-
schen Eigentums wurden nach Kenntnis der Bundesregierung von Gerichten
und/oder Behörden der osteuropäischen Länder
a) stattgegeben
b) wie viele wurden abgelehnt
c) wie viele sind noch in Verhandlung
(bitte wie oben auflisten)?

3. In wie vielen Fällen haben sich die Klagenden bzw. Antragsteller dabei auf
die von deutschen Regierungen vorgenommene Einstufung der „Benes-
Dekrete“ oder anderer Verordnungen oder Gesetze anderer osteuropäischer
Staaten nach 1945 als „völkerrechtswidrig“ berufen?

4. Wie viele der in Frage 1 genannten Klagen gegen Privatpersonen, Firmen
oder staatliche Instititutionen der in Frage 1 genannten Staaten wurden seit
1989 vor deutschen Gerichten eingereicht?

5. Wie vielen dieser Klagen wurden seitdem nach Kenntnis der Bundesregie-
rung von deutschen Gerichten
a) stattgegeben
b) wie viele wurden abgelehnt
c) wie viele sind noch in Verhandlung
(bitte wie in Frage 1 aufschlüsseln)?

6. Wie verhält sich die Bundesregierung bei solchen Klagen vor deutschen Ge-
richten?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8752

7. Falls solchen Klagen stattgegeben wurde und wird, was geschieht dann mit
bisher von den Klägern erhaltenen deutschen Wiedergutmachungs- und/
oder Lastenausgleichszahlungen?
Müssen diese dann zurückgezahlt werden?
Wenn ja, in welchem Ausmaß erfolgten bisher solche Rückzahlungen?
Wenn nein, warum werden solche Zahlungen in solchen Fällen nicht zu-
rückgefordert?

8. Hat die Bundesregierung Kenntnis von vergleichbaren Anträgen bzw.
Klagen deutscher Privatpersonen und/oder Firmen vor europäischen oder
anderen westeuropäischen oder internationalen Gerichten?
Wenn ja, welche Klagen sind das genau und wie ist ihr Verfahrensstand?

9. Welche Anträge zur Erleichterung bzw. Unterstützung solcher Restitutions-
forderungen wurden in den Jahren seit 1989 im
– Europäischen Parlament
– anderen internationalen Institutionen
eingereicht und wie wurde darüber entschieden (bitte die Beschlüsse als
Anlage dokumentieren)?

10. Wie haben sich die Vertreter der Bundesregierung zu solchen Anträgen
deutscher Staatsangehöriger und/oder deutscher Firmen vor deutschen, ost-
europäischen oder anderen Gerichten und Institutionen verhalten und wie
beurteilt die Bundesregierung solche Anträge?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung solche Restitutionsforderungen insbe-
sondere
a) vor dem Hintergrund des Potsdamer Abkommens
b) vor dem Hintergrund des 2+4-Vertrages und der daran anschließenden

Verträge über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Beziehungen
mit den Nachbarstaaten in Osteuropa

c) vor dem Hintergrund der deutschen Verbrechen der Germanisierungs-
politik in Ländern wie Polen und der Tschechoslowakei und allgemein
der Verbrechen der deutschen Okkupationspolitik in diesen Ländern?

12. Hält die Bundesregierung solche Restitutionsforderungen und -klagen für
hilfreich oder eher für schädlich für die Entwicklung gutnachbarschaft-
licher Beziehungen zu den Staaten in Osteuropa?
Wenn solche Klagen als eher schädlich eingestuft werden, welche Schritte
will die Bundesregierung ergreifen, um solchen Klagen entgegenzuwirken?

13. Wie verhalten sich nach Kenntnis der Bundesregierung deutsche Gerichte
und Behörden bei Klagen und Anträgen polnischer, tschechischer oder
anderer osteuropäischer Opfer der deutschen Germanisierungs- und Okku-
pationspolitik der Nazi-Zeit auf Entschädigung für erlittene Verluste oder
Rückgabe von während dieser Zeit geraubtem Vermögen?

14. Welche Entschädigungszahlungen sind in den vergangenen Jahren auf-
grund solcher Klagen und/oder Anträgen von deutschen Behörden oder
aufgrund von deutschen Gerichtsurteilen an osteuropäische Opfer geleistet
worden?

Drucksache 14/8752 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
15. Wie beurteilt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die Forderun-
gen der Vertriebenenverbände nach einseitigen, d. h. von osteuropäischen
Staaten oder Personen zu leistenden Restitutionen für deutsche Vermögens-
verluste im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg?

16. Welchen Anteil haben deutsche Privatpersonen und/oder Firmen nach
Kenntnis der Bundesregierung
a) am Bodenbesitz im deutsch-tschechischen Grenzgebiet
b) an der Kontrolle von Firmen im deutsch-tschechischen Grenzgebiet
c) am Bodenbesitz im deutsch-polnischen Grenzgebiet
d) an der Kontrolle von Firmen im deutsch-polnischen Grenzgebiet
e) an polnischen und tschechischen Medien (Zeitungen, Zeitschriften, Radio

und Fernsehen)
f) an anderen, wirtschaftlich wichtigen Branchen in diesen beiden Ländern?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund Sorgen in
diesen Nachbarländern vor einem zunehmenden deutschen Einfluss auf
ihre Wirtschaft und ihre Politik und welche Maßnahmen will sie ergreifen,
um dieser Sorge entgegenzuwirken?

Berlin, den 5. April 2002
Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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