BT-Drucksache 14/8721

Verhandlungen zur Dienstleistungsliberalisierung in der WTO

Vom 28. März 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8721
14. Wahlperiode 28. 03. 2002

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ursula Lötzer, Eva Bulling-Schröter, Maritta Böttcher,
Dr. Heinrich Fink, Rolf Kutzmutz und der Fraktion der PDS

Verhandlungen zur Dienstleistungsliberalisierung in der WTO

Das Dienstleistungsabkommen GATS (General Agreement on Trade in Ser-
vices) ist eines von 15 Abkommen, die als Teil der Handelsabkommen der
Uruguay-Runde 1994 abgeschlossen wurden. Zeitgleich mit der Gründung der
Welthandelsorganisation (WTO) trat das erste multilaterale Handelsabkommen
für den gesamten Dienstleistungssektor 1995 in Kraft. Bei der letzten WTO-
Verhandlungsrunde in Doha/Katar (November 2001) wurde beschlossen,
Dienstleistungen in eine Handelsrunde einzubeziehen, die bis zum 1. Januar
2005 abzuschließen ist. Im Zuge der umfassenden Revision des GATS werden
alle WTO-Mitglieder bis Ende Juni 2002 konkrete länderbezogene Liberalisie-
rungsforderungen formulieren und bis Ende März 2003 eigene Angebote vor-
legen.
Die vom GATS-Abkommen berührten Schwerpunkte liegen in den Bereichen
der öffentlichen Daseinsvorsorge, insbesondere der Bildung, Forschung und
des Gesundheitswesens, der internationalen Finanzdienstleistungen, der Tele-
kommunikation und des öffentlichen Beschaffungswesen. Das GATS ist durch
die mangelnde Abgrenzung des Dienstleistungsbegriffs und die zunehmende
Verbindung von Dienstleistungserbringung bei den materiellen/immateriellen
Vorleistungen für die Produktion bzw. Herstellung und Verteilung von Waren
und Gütern im Prinzip auf fast alle ökonomischen Aktivitäten anwendbar. Kein
Sektor, auch nicht im „sensiblen“ Bereich (Bildung, Gesundheit und Wasser),
ist nach derzeitigem Stand vom Liberalisierungsanspruch des GATS ausge-
schlossen. Hierzu müsste explizit eine Ausnahme vorgesehen werden. Selbst
die prinzipielle Liberalisierungsausnahme für öffentliche Dienstleistungen, die
„weder auf einer gewerbsmäßigen Grundlage noch in Konkurrenz mit einem
oder mehreren anderen Anbietern zur Verfügung gestellt werden“, dürfte in
letzter Konsequenz faktisch nicht anwendbar sein. Entscheidend ist, ob bei
einer Dienstleistung von einem Markt, d. h. einer Anbieterkonkurrenz, auszu-
gehen ist, und es ist umstritten, ob dieser Markt existieren oder nur potentiell
vorhanden sein muss.
Zudem gibt es selbst laut WTO keinen Bereich, der a priori aus den Verhand-
lungen ausgeschlossen wird, da u. a. die öffentlichen Dienstleistungsanbieter
„neben den privaten problemlos existieren“ könnten, „solange sie nicht in Wett-
bewerb treten“. Besonders mit dem horizontal wirkenden Artikel 6 (domestic
regulation) greift das GATS weit in innenpolitische Bestimmungen der WTO-
Mitglieder auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene ein. Tangiert wer-
den Fragen über die zukünftige demokratische Verfasstheit nationaler/regiona-
ler Entscheidungen und wie bzw. ob soziale, ökologische Ziele überhaupt von
ihnen verfolgt werden können, wenn primär Wettbewerbsaspekte und privat-

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wirtschaftliche Interessen hinsichtlich der Versorgung mit öffentlichen Dienst-
leistungen dominieren.
Trotz der zu erwartenden tief greifenden Auswirkungen sind die Abstimmun-
gen der Bundesregierung mit der zuständigen EU-Kommission über die im lau-
fenden Prozess vertretenen Positionen und konkret für einzelne Sektoren einge-
leiteten Verfahrensschritte wie Liberalisierungsanforderungen und -angebote
bislang weder parlamentarisch beraten noch der Öffentlichkeit zugänglich
gemacht worden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. In welchem Stadium befindet sich die Verhandlung zur Revision des GATS

nach der 4. Ministerkonferenz von Doha/Katar, und wie sieht der weitere
Ablauf konkret aus?

2. Wie sehen die konkreten „requests“ der Bundesregierung aus, d. h. welche
horizontalen und sektoralen Marktöffnungsforderungen werden gegenüber
welchen Drittstaaten erhoben?
Welche Marktöffnungsangebote („offers“) plant die Bundesregierung?
Welche Dienstleistungsbereiche in der Bundesrepublik Deutschland sollen
aus ihrer Sicht angemeldet werden?
Welche Gründe sprechen nach Ansicht der Bundesregierung dafür?

3. Welche über die allgemeinen Vorstellungen und Zielstellungen (Antwort
der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU,
Bundestagsdrucksache 14/6702) hinausgehenden konkreten Verhandlungs-
und Umsetzungsschritte hat die Bundesregierung in die Diskussion mit den
zuständigen EU-Gremien, die das Mandat bei der WTO wahrnehmen, ein-
gebracht und durchgesetzt?

4. Welche Forderungen wurden von den anderen Mitgliedsländern in die Sit-
zungen des „133er-Ausschusses“ im März eingebracht?
Auf welche Forderungen hat man sich verständigt, welche sind noch in der
Diskussion?
Wie sind die Abläufe für die weitere Verständigung in der EU?
Gibt es Überlegungen seitens der Bundesregierung, das Parlament, Gewerk-
schaften und andere zivilgesellschaftliche Gruppen in die Verfahren des
„133er-Ausschusses“ einzubeziehen oder sie zu informieren, wie dies z. B.
in Österreich mit der dortigen Arbeiterkammer der Fall ist?
Wie begründen Sie ihre Haltung?

5. Hat die Bundesregierung bzw. die EU für den Bereich Bildungsdienstleis-
tungen eine detailliertere Verhandlungsposition entwickelt, als in der Ant-
wort auf die Fragen 1 und 3 der Kleinen Anfrage der Fraktion der FDP
(Bundestagsdrucksache 14/7126) dargelegt, und um welche konkreten „re-
quest-offer“ Bestandteile gibt es?

6. Welche Positionen werden von den Kultusministern, der Bund-Länder-Kom-
mission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, dem Bundesminis-
terium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und dem Bundesministe-
rium für Bildung und Forschung (BMBF) vertreten?
Gab es eine detaillierte Verständigung, und wenn nicht, warum nicht, und
wie soll dieses behoben werden?

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7. Liegen erste Ergebnisse der in Antwort auf Frage 3 (Kleine Anfrage der
Fraktion der FDP, Bundestagsdrucksache 14/7126) angekündigten vertief-
ten Untersuchungen der EU-Kommission im Bildungsbereich vor, die auf-
grund „möglicher offensiver Exportinteressen der Gemeinschaft“ ange-
stellt würden?

8. Wie bewertet die Bundesregierung, falls „offensive Exportinteressen“ iden-
tifiziert werden, dass Bildungssysteme anderer Länder über die dabei impli-
zit enthaltene offensive Liberalisierungsstrategie der EU dann einem stär-
keren Liberalisierungsdruck ausgesetzt werden und der dortige, inländische
öffentliche Bildungssektor unterminiert werden könne?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung die Kritik von Gewerkschaften, Nichtre-
gierungsorganisationen (NOG) und studentischen Organisationen, eine
Einbeziehung von Bildungsdienstleistungen in den Geltungsbereich des
GATS könnte die öffentliche Verantwortung für den Bildungsbereich
untergraben und eine weitreichende Privatisierung des Bildungssystems
zur Folge haben?

10. Welche Positionen vertritt die Bundesregierung bei den Verhandlungen mit
dem „133er-Ausschuss“ hinsichtlich des Gesundheitswesens, und wie be-
gründet sie diese?
Liegen Forderungen sowie Bedenken für den Bereich des Gesundheitswe-
sens von anderen Ländern vor, und wenn ja, welche?

11. Welche Positionen bezieht die Bundesregierung hinsichtlich einer Einbe-
ziehung der Wasserversorgung in den Geltungsbereich des GATS, und wie
wird dies begründet?
Welchen Zusammenhang sieht die Bundesregierung zwischen dem Erhalt
der Vielzahl kommunaler Wasserbetriebe, der Förderung einer international
wettbewerbsfähigen deutschen Wasserwirtschaft und der Liberalisierung
von Wasserdienstleistungen im Rahmen des GATS?
Sieht die Bundesregierung Risiken hinsichtlich Wasserqualität, Ressour-
censchutz, preisgünstigem Zugang zu Wasserver- und -entsorgung sowie
kommunaler Kontrollmöglichkeiten von Wasserbetrieben durch GATS-
Liberalisierungen?
Liegen Forderungen sowie Bedenken für den Bereich der Wasserversor-
gung von anderen Ländern vor, und wenn ja, welche?

12. Welche konkreten Schritte sind von der Bundesregierung geplant, um Par-
lament, Gewerkschaften, Verbände und Nichtregierungsorganisationen in
die „request-offer“ Identifizierung und die Verhandlungen mit einzubezie-
hen, bevor im Juni eine endgültige Vorlage bei der WTO erfolgt?

13. Wie begründet die Bundesregierung, dass „die Befürchtungen der Öffent-
lichkeit, die Dienstleistungsverhandlungen könnten einen Zwang zur Libe-
ralisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge mit sich bringen und insbe-
sondere im Bereich von Bildung, Hochschulen und sozialen Dienstleistun-
gen gravierende Folgen haben“ (Antwort der Bundesregierung auf Frage 8,
Bundestagsdrucksache 14/6702) unbegründet seien?

14. Welche empirisch belastbaren Begründungen führt die Bundesregierung
zur Notwendigkeit der weiteren Dienstleistungsliberalisierung in einer
neuen GATS-Runde an, obwohl nach Artikel XIX Abs. 3 eine Analyse des
Dienstleistungshandels und der Auswirkungen der vergangenen Liberali-
sierungsschritte vorauszugehen hätte?
Wie soll dies behoben werden?

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15. Wie bewertet die Bundesregierung wissenschaftlich und empirisch begrün-
dete Untersuchungen, dass die Privatisierung und Liberalisierung vormals
öffentlicher Dienstleistungen, z. B. im Bereich der Ver- und Entsorgung,
sowie des öffentlichen Personennah- und Fernverkehrs negative Effekte für
die Gesundheitsvorsorge, im präventiven Unfallschutz, der Versorgungs-
sicherheit hatte und zudem mittel- und langfristig zu steigenden Preisen für
den Privatverbraucher führte?

16. Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zu der Entschließung des
Europäischen Parlaments zur öffentlichen Daseinsvorsorge ein, mit der die
EU-Kommission zur genauen und vergleichbaren Bewertung der tatsäch-
lichen Auswirkungen der Liberalisierung der Leistungen der Daseinsvor-
sorge aufgefordert wurde, bevor neue Liberalisierungsmaßnahmen einge-
leitet werden, und wie soll diese umgesetzt werden?

17. Welche Haltung hat die Bundesregierung zu der zusätzlichen Forderung
des Europäischen Parlaments an die EU-Kommission, „im Rahmen der
WTO-Verhandlungen Klarstellungen bei einigen Bestimmungen des Ab-
kommens über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) verlangen zu
müssen, um deutlich zu machen, dass die WTO-Regeln das Recht der Mit-
gliedstaaten, die Leistungen der Daseinsvorsorge zu reglementieren und in
diesen Bereich einzugreifen, nicht beeinträchtigen“?
Welche Klarstellungen sind aus Sicht der Bundesregierung notwendig, und
warum?

18. Wie steht die Bundesregierung dazu, dass Wirtschaftsverbänden die GATS-
Verhandlungsentwürfe der EU-Kommission mit der Bitte um Kommentar
zugestellt wurden, nicht jedoch dem Parlament, Gewerkschaften, Verbän-
den sowie Nichtregierungsorganisationen?

19. Welche Liberalisierungswünsche im Rahmen der GATS-Verhandlungen hat
die deutsche Wirtschaft bisher gegenüber der Bundesregierung/dem BMWi
in horizontaler und sektoraler Hinsicht geäußert?
Welche Forderungen wurden hinsichtlich der GATS-Erbringungsarten 3
(kommerzielle Präsens) und 4 (grenzüberschreitende Personenbewegun-
gen) seitens der deutschen Wirtschaft erhoben?

Berlin, den 25. März 2002
Ursula Lötzer
Eva Bulling-Schröter
Maritta Böttcher
Dr. Heinrich Fink
Roland Claus und Fraktion

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