BT-Drucksache 14/8720

Haltung der Bundesregierung zu Berichten über hohe Fehlerraten bei biometrischen Erkennungssystemen - Stand der Einführung biometrischer Daten in Ausweise

Vom 28. März 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8720
14. Wahlperiode 28. 03. 2002

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Haltung der Bundesregierung zu Berichten über hohe Fehlerraten bei
biometrischen Erkennungssystemen – Stand der Einführung biometrischer Daten
in Ausweise

Das zum 1. Januar 2002 in Kraft getretene Terrorismusbekämpfungsgesetz ent-
hält in Artikel 7 und 8 Änderungen des Passgesetzes bzw. des Gesetzes über
Personalausweise, nach denen der Ausweis „neben dem Lichtbild und der
Unterschrift auch weitere biometrische Merkmale von Fingern oder Händen
oder des Gesichts“ enthalten darf. Diese Daten sollen in verschlüsselter Form
gespeichert werden. Die Art der biometrischen Daten, ihre Einzelheiten sowie
die Art ihrer Speicherung und ihrer sonstigen Verarbeitung sollen durch ein
weiteres Bundesgesetz geregelt werden.
Für Flüchtlinge und Migranten sind Änderungen des Ausländergesetzes und
anderer Gesetze beschlossen, die ebenfalls die verschlüsselte Speicherung bio-
metrischer Daten erlauben. Hier bedarf es noch einer Rechtsverordnung des
Bundesministeriums des Innern (BMI), die mit Zustimmung des Bundesrats
in Kraft tritt.
In der Öffentlichkeit waren schon bei der Beratung des Gesetzes erhebliche
Bedenken gegen diese Speicherung biometrischer Daten aufgetaucht. Bürger-
rechtsgruppen sahen darin einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung.
Auch der Nutzen der geplanten Neuregelung für die Bekämpfung aktueller Be-
drohungen durch Terrorismus ist mehr als zweifelhaft. Für deutsche Staatsan-
gehörige ist der Zeitpunkt, zu dem die Erfassung und verschlüsselte Speiche-
rung dieser biometrischen Daten in Kraft treten soll, bis heute überhaupt noch
nicht absehbar. Schon von daher scheidet eine solche inhaltliche Begründung
für diesen schwerwiegenden Eingriff in Grundrechte aus.
In den USA, die Opfer der terroristischen Anschläge vom 11. September 2002
waren, gibt es bis heute keine Personalausweise, ihre Einführung wird auch
nicht erörtert, weil schon darin ein Eingriff in allgemeine Persönlichkeitsrechte
gesehen wird.
Inzwischen mehren sich die Stimmen, die solche grundrechtlichen Bedenken
ergänzen um Hinweise auf technische Probleme. So erschien Ende Februar in
der Zeitschrift „c’t, magazin für computertechnik“, Ausgabe 5/2002, ein aus-
führlicher „Report Biometrie“. Unter der Überschrift „Im Fadenkreuz. Auf dem
Weg in eine andere Gesellschaft“ wird dabei noch einmal darauf hingewiesen,
dass der bisherige § 3 des Gesetzes über Personalausweise „explizit die Auf-
nahme des Fingerabdrucks in das Dokument, die das nationalsozialistische
Deutschland noch praktiziert hatte“, verboten hat. In Spanien werde ein solcher
Fingerabdruck seit längerem erhoben: „den Eta-Terrorismus hat es nicht ver-
hindert“.

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In technischer Hinsicht seien die Volksvertreter in die „Digitalisierungsfalle“
getappt, heißt es dort. Die bekannten biometrischen Systeme seien nämlich
durchweg sehr fehlerhaft. Alle biometrischen Verfahren würden „bei der Erfas-
sung mittels Scanner, Kamera oder Fingerabdruck-Sensor mit beträchtlichen
Schwankungen der Rohdaten zu kämpfen haben“. Bei der Fingerabdruck-
Erkennung seien diese Probleme schon bisher bekannt gewesen. So sei bei 2 bis
4 Prozent der Bevölkerung „auf Grund mangelnder Merkmalsausprägung“ der
Fingerabdruck zur Identitätserkennung „überhaupt nicht“ tauglich. Schmutzige
Finger u. ä. seien bei der Polizei bekannte praktische Probleme. Auch bei ande-
ren Systemen gebe es jede Menge Schwierigkeiten. So habe die Polizei in
Tampa (Florida) ein an Kriminalitätsschwerpunkten installiertes System „Face-
IT“, das die von einigen Dutzend Kameras aufgenommenen Bilder von Passan-
ten automatisch mit einer Bilddatenbank der Polizei abglich, „nach zwei Mona-
ten wieder abgeschaltet, weil es in dieser Zeit nicht einen einzigen Treffer, son-
dern nur Fehlalarme produzierte“. Die US-Bürgerrechtsorganisation ACLU
(American Civil Liberties Union) habe nach Einsicht in die Protokolle des Sys-
tems unter anderem berichtet, das System verwechsele „Männer und Frauen
oder vertat sich massiv beim Alter und Gewicht der angeblich übereinstimmen-
den Personen“.
Das Informationszentrum der Sparkassenorganisation in Köln (SIZ) sei bei ei-
nem anderen Versuch zu dem Ergebnis gekommen, „dass der technische Reife-
grad der Systeme zur biometrischen Benutzerauthentifizierung für Massen-
anwendungen bei weitem noch nicht ausreicht“. „In aktuellen Feldtests zeigen
sich schon bei kleinen Benutzergruppen Fehlerraten, die zwischen 2 bis 20 Pro-
zent, teilweise sogar darüber liegen“, wird ein Sprecher des SIZ zitiert. Mit ei-
ner Umstellung von Geldautomaten auf biometrische Verfahren sei deshalb „in
den nächsten zehn Jahren nicht zu rechnen“, so wieder der Sprecher des SIZ.
Zur Verdeutlichung: Eine Fehlerrate biometrischer Verfahren von nur 1 Prozent
z. B. bei Flughafenkontrollen könnte beim Flughafen Frankfurt mit seinen
jährlich über 40 Millionen Fluggästen zu umgerechnet 400 000 Fehlalarmen im
Jahr führen, eine Fehlerrate von 1 Promille wären immer noch 40 000 Fehl-
alarme im Jahr oder mehr als einhundert pro Tag.
Zusätzlich formuliert der Artikel noch einmal erhebliche Grundrechtsbedenken
gegen die Einführung biometrischer Systeme, zumal damit zu rechnen ist, dass
solche Daten auch an einer Vielzahl von Kontrollstellen privater Firmen abge-
fragt werden (Ausweiskontrolle beim Betriebseingang, im Kaufhaus, bei der
Bank, in der Bahn etc.): „Der Bürger wird zum Objekt und ist Auswertungsin-
teressen ausgeliefert, von denen er weder Kenntnis erlangen noch sie beeinflus-
sen kann. Die Verknüpfung biometrischer Identifikationen mit den Methoden
des ‚Data Mining‘ ermöglicht die Erstellung eines umfassenden und detaillier-
ten Bildes zur Person, eines Profils, das bis weit in die Intimsphäre hinein reicht
und ihn unmittelbar berührt – sei es, dass es in unerklärlicher Weise die Kun-
denbeziehung prägt, sei es, dass er unverschuldet ins Visier der Rasterfahndung
gerät. Der Bürger oder Kunde hätte nicht mehr in der Hand, wer welche Dos-
siers und Profile zu welchem Zweck über ihn anlegt – er wird zum öffentlichen
Wesen.“
Nach einem ausführlichen Zitat aus dem Volkszählungsurteil des Bundesverfas-
sungsgericht von 1983 zum informationellen Selbstbestimmungsrecht, zum all-
gemeinen Persönlichkeitsrecht und zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
schlussfolgert der Artikel: „Ob die Ermächtigung zur Aufnahme biometrischer
Merkmale in Pass und Personalausweis nach diesen bindenden Vorgaben einer
verfassungsrechtlichen Überprüfung standhält und nicht gegen das Übermaß-
verbot verstößt, steht dahin. Bisher hat sich noch niemand beschwert.“ (alle
Zitate aus c’t, a. a. O., Seite 146 ff.)

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8720

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wann beabsichtigt die Bundesregierung bzw. das BMI, die Rechtsverord-

nung zur verschlüsselten Speicherung biometrischer Daten in Papieren hier
lebender Flüchtlinge und Migranten ohne deutsche Staatsangehörigkeit
vorzulegen?

2. Welche biometrischen Daten sollen infolge dieser Rechtsverordnung genau
erhoben und gespeichert werden?

3. Welche technischen Verfahren will die Bundesregierung für die Speiche-
rung und Ablesung dieser biometrischen Daten benutzen?

4. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Fehlerraten dieser
Systeme?
Aufgrund welcher Feldversuche, Großversuche oder auf welche andere
Weise wurde diese vermutete Fehlerrate ermittelt?

5. Wie beurteilt dies Bundesregierung die möglichen Folgen, z. B. unberech-
tigte Verhaftungen oder andere Maßnahmen gegen irrtümliche „Verdäch-
tige“, unter den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und angesichts der
Verpflichtung aller staatlichen Organe zum Schutz der Menschenwürde?

6. Wie viele Fälle von falschen Angaben zur Person sollen durch das neue
Verfahren nach Erwartungen der Bundesregierung verhindert werden?
Auf welche Tests, Feldversuche oder andere Erfahrungen stützt sich diese
Erwartung der Bundesregierung?

7. Durch welche Vorschriften will die Bundesregierung verhindern, dass die
biometrischen Daten dieser Flüchtlinge und Migranten nicht auch von pri-
vaten Stellen (z. B. Betreibern von Asylheimen, Arbeitgebern, Unterneh-
men des öffentlichen Nahverkehrs, Banken etc.) erfasst, gespeichert und
für ihre privaten Zwecke genutzt werden?

8. Falls eine solche Sperre nicht geplant ist, wie beurteilt die Bundesregierung
die dann zu befürchtende Verfügung von privaten Firmen oder Personen
über eine Vielzahl biometrischer Daten von Privatpersonen in grundrecht-
licher Hinsicht?

9. Wird die Bundesregierung ihre Rechtsverordnung vor der Weiterleitung an
den Bundesrat und der Beschlussfassung im Bundesrat den Datenschutz-
beauftragten des Bundes und der Länder vorlegen?
Wenn ja, welche Möglichkeiten sollen diese haben, grundsätzliche Ein-
wände oder konkrete Änderungsforderungen vor der Beschlussfassung im
Bundesrat vorzubringen?

10. In welchen anderen Ländern liegen nach Kenntnis der Bundesregierung
bisher Erkenntnisse aus dem Einsatz biometrischer Verfahren bei der Per-
sonenkontrolle vor und wie lauten diese Erfahrungen (bitte nach einzelnen
Ländern auflisten und bewerten)?

11. Bestätigt die Bundesregierung die Berichte über hohe Fehlerraten bei bio-
metrischen Systemen, die in dem oben genannten Artikel unter Berufung
auf die SIZ berichtet werden?
Wenn ja, wie hoch genau liegen diese Fehlerraten?
Wenn nein, welche anderen Erkenntnisse hat die Bundesregierung über
diese Versuche?

Drucksache 14/8720 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
12. Hat die Bundesregierung seit Inkrafttreten des Terrorismusbekämpfungs-
gesetzes Verhandlungen mit anderen EU-Ländern über eine mögliche EU-
weite Einführung solcher Systeme begonnen?
Wenn ja, wann und mit wem wurden diese Verhandlungen geführt und was
waren ihre Ergebnisse?
Wenn nein, wann sollen diese Verhandlungen auf welcher Ebene beginnen?

13. Wann plant die Bundesregierung die Vorlage des im Antiterrorgesetz
angekündigten Gesetzentwurfs zur Erhebung und Speicherung biometri-
scher Daten bei deutschen Staatsangehörigen?

14. In welchem zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang steht diese Erhe-
bung und Speicherung nach Ansicht der Bundesregierung dann noch mit
dem Ziel der Bekämpfung des Terrorismus?

15. Plant die Bundesregierung zur Vorbereitung dieses Gesetzes technische
Studien und datenschutzrechtliche Prüfungen über die Problematik bio-
metrischer Verfahren?
Wenn ja, welche?
Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 27. März 2002
Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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