BT-Drucksache 14/8693

Abschiebungen kurdischer Flüchtlinge in den Nordirak

Vom 22. März 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8693
14. Wahlperiode 22. 03. 2002

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Carsten Hübner, Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Abschiebungen kurdischer Flüchtlinge in den Nordirak

Seitdem US-Präsident George W. Bush Ende Januar 2002 den Irak als Teil ei-
ner „Achse des Bösen“ bezeichnete (taz, 31. Januar 2002), gehen internationale
Beobachter davon aus, dass der Irak möglicherweise das nächste Ziel eines
US-amerikanischen Militärschlags im internationalen Kampf gegen den Terro-
rismus werden könnte (taz, 15. März 2002). In einem Gespräch mit Schrift-
stellern und Intellektuellen am 13. März 2002 sagte Bundeskanzler Gerhard
Schröder, dass sich Deutschland nur mit Legitimation durch die Vereinten
Nationen (VN) an einem US-Militärschlag gegen den Irak beteiligen werde
(taz, 16./17. Februar 2002).
Gleichzeitig gelten in der deutschen Rechtsprechung zum Asylrecht die kurdi-
schen Provinzen im Norden des Irak weiterhin als inländische Fluchtalternative
für abgelehnte kurdische Asylbewerber aus dem Irak. Am 6. Dezember 2001
entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Sachsen-Anhalt, dass die Hilfs-
lieferungen des Welternährungsprogramms der VN das wirtschaftliche Exis-
tenzminimum von Flüchtlingen in den Aufnahmelagern im Nordirak gewähr-
leisteten und aus diesem Grund einem irakischen Flüchtling kurdischer
Volkszugehörigkeit der Abschiebungsschutz (nach § 51 Abs. 1 Ausländerge-
setz) zu verwehren sei. Das Gericht nahm an, dass ein Minimum von 1 600 Ka-
lorien für den täglichen Bedarf ausreichend sei, „weil der zusätzliche Energie-
aufwand der Flüchtlinge, die insbesondere keiner Arbeit nachgehen, gering ist“
(Urteil des OVG Sachsen-Anhalt, 1 L 2/01). Gutachten des UNHCR und des
Deutschen Orient-Instituts kamen im Widerspruch hierzu zu dem Ergebnis,
dass die zur Verfügung gestellten Lebensmittelrationen keine ausreichende Ver-
sorgung gewährleisten. Laut WADI e. V. (Verband für Krisenhilfe und solidari-
sche Entwicklungszusammenarbeit) bedeutet dieses Urteil eine Senkung von
Basisstandards im Flüchtlingsschutz (Jungle World, 30. Januar 2002).
Die Agentur „Iraq Press“ vom 5. Februar 2002 meldete, dass seit Anfang Feb-
ruar 2002 eine Konzentration von irakischen Truppen entlang der Grenze zwi-
schen den kurdischen und den unter Herrschaft der irakischen Staatsführung
stehenden Gebieten stattfinde, die ein militärisches Vorgehen Bagdads gegen
die Kurdenregion befürchten lasse. Schon im September 1996 waren irakische
Truppen in den Nordirak einmarschiert und hatten Binnenflüchtlinge aus dem
Nordirak hingerichtet bzw. verschleppt (Jungle World, 30. Januar 2002).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie schätzt die Bundesregierung die Gefahr eines Militärschlags der USA

gegen den Irak ein, nach dem US-Präsident George W. Bush den Irak am
29. Januar 2002 als Teil einer „Achse des Bösen“ bezeichnet hatte?

Drucksache 14/8693 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
2. Welche Folgen hätte nach Ansicht der Bundesregierung ein Militärschlag
der USA mit oder ohne VN-Mandat gegen den Irak auf die Situation der
Flüchtlinge im Nordirak, insbesondere
a) auf ihre Versorgung durch das Welternährungsprogramm der VN,
b) auf einen Schutz vor Einmarsch und Verfolgung durch den Zentralirak?

3. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die gegenwärtig hochgradig
gespannte Lage Abschiebungen in den Nordirak verbietet?
Wenn ja, wird sie gegenüber den Bundesländern auf einen Abschiebestopp
in den Nordirak hinwirken?
Wenn nein, warum nicht?

4. Wie beurteilt die Bundesregierung die gegenwärtige innenpolitische Situa-
tion und Menschenrechtslage im Nordirak?
Inwieweit ist der Schutz der Menschenrechte dort auch für zurückkehrende
Flüchtlinge gesichert?
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit für Flüchtlinge, zwischen die Fronten
der rivalisierenden Kurdenparteien Patriotische Union Kurdistan (PUK) und
Demokratische Partei Kurdistan (KDP) im Nordirak zu geraten?

5. Wie schätzt die Bundesregierung die derzeitige humanitäre Situation in den
Flüchtlingslagern im Nordirak ein?
Werden alle Bewohner der Flüchtlingslager im Nordirak vom Welternäh-
rungsprogramm erreicht und mit Hilfeleistungen versorgt?

6. Teilt die Bundesregierung die zitierte Auffassung des OVG Sachsen-Anhalt
bezüglich des „Bedarfsminimums“ eines Flüchtlings von 1 600 Kalorien am
Tag?
Wenn ja: Warum?
Wenn nein: Warum nicht?

7. Welche Folgen hätte nach Ansicht der Bundesregierung ein jederzeit mög-
licher Einmarsch irakischer Truppen auf die Sicherheit der Kurden und Kur-
dinnen im Nordirak und ihre Versorgung durch das Welternährungspro-
gramm der VN?

8. Wie viele abgelehnte Asylbewerber sind seit Beginn des Jahres 2001 in die
so genannte Flugverbotszone des Nordirak abgeschoben worden?

9. Welche Möglichkeiten bestehen nach Ansicht der Bundesregierung für abge-
lehnte Asylbewerber aus dem Irak, sicher in die kurdischen Provinzen des
Nordiraks zu gelangen?

Berlin, den 18. März 2002
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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