BT-Drucksache 14/8662

zu dem Antrag der Abg. Pia Maier, Dr. Klaus Grehn, Dr. Heidi Knake-Werner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS -14/7294- Eine Grundsicherung in die Arbeitslosenversicherung einführen

Vom 21. März 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8662
14. Wahlperiode 21. 03. 2002

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Maier, Dr. Klaus Grehn,
Dr. Heidi Knake-Werner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
– Drucksache 14/7294 –

Eine Grundsicherung in die Arbeitslosenversicherung einführen

A. Problem
Trotz Erwerbstätigkeit nehme nach Ansicht der Antragsteller das Problem der
Armut kontinuierlich zu. Die Armutsquote der Arbeitslosen und ihrer Angehö-
rigen sei dreimal höher als die der gesamten Bevölkerung. Immer mehr
Erwerbslose und Menschen mit niedrigen Erwerbseinkommen benötigten Leis-
tungen aus der Sozialhilfe, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Diese Entwicklung mache eine grundlegende Reform der Arbeitslosenhilfe und
der Sozialhilfe notwendig. Ziel müsse es sein, Arbeitslose in die Arbeitslosen-
versicherung zurückzuholen und ihnen einen Anspruch auf eine Grundsiche-
rung und eine Beratung bzw. Förderung auf der Grundlage des SGB III zu
garantieren. Dadurch würde die Sozialhilfe in konsequenter Weise wieder auf
ihre ursprüngliche Funktion zurückgeführt.

B. Lösung
Annahme einer Entschließung, in der die Bundesregierung aufgefordert wird,
eine Grundsicherung in der Arbeitslosenversicherung einzuführen, die im Be-
darfsfall die Lohnersatzleistungen bis zum Existenzminimum aufstockt, sowie
eine Reform der Verwaltungswege mit der Zielsetzung zu entwickeln, Auf-
gaben der Arbeits- und Sozialämter bei der Bewilligung von finanziellen Leis-
tungen zusammenzufassen und effektive Dienstleistungen für die Bürgerinnen
und Bürger auf kommunaler Ebene zusammenzuführen.
Ablehnung des Antrags der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7294
gegen die Stimmen der Mitglieder der antragstellenden Fraktion

C. Alternativen
Annahme des Antrags auf Drucksache 14/7294.

D. Kosten
Der Ausschuss hat auf eine Kostenerörterung verzichtet.

Drucksache 14/8662 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
den Antrag – Drucksache 14/7294 – abzulehnen.

Berlin, den 20. März 2002

Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Doris Barnett
Vorsitzende

Peter Weiss (Emmendingen)
Berichterstatter

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8662

Bericht des Abgeordneten Peter Weiss (Emmendingen)

I. Beratungsverlauf
Der Deutsche Bundestag hat auf seiner 199. Sitzung am
9. November 2001 den Antrag der Fraktion der PDS auf
Drucksache 14/7294 in erster Lesung beraten und dem Aus-
schuss für Arbeit und Sozialordnung zur federführenden
Beratung und dem Finanzausschuss sowie dem Ausschuss
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Mitberatung
überwiesen.
Der Finanzausschuss hat auf der 123. Sitzung am 20. Feb-
ruar 2002 bei Abwesenheit der Fraktion der FDP beschlos-
sen, auf eine Stellungnahme zu dem Antrag auf Drucksache
14/7294 zu verzichten.
Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
hat auf der 83. Sitzung am 20. Februar 2002 mit den
Stimmen der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN und FDP gegen die Stimmen der Fraktion
der PDS die Ablehnung des Antrags der Fraktion der PDS
auf Drucksache 14/7294 empfohlen.
Der federführende Ausschuss für Arbeit und Sozialord-
nung hat auf seiner 112., 114. und 123. Sitzung am 23. Ja-
nuar, 28. Januar und 13. März 2002 die Vorlage beraten. Als
Ergebnis hat der Ausschuss gegen die Stimmen der Fraktion
der PDS beschlossen, die Ablehnung des Antrags auf
Drucksache 14/7294 zu empfehlen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage
Mit der Entschließung soll die Bundesregierung aufgefor-
dert werden, eine im Bedarfsfall die Lohnersatzleistungen
bis zum Existenzminimum aufstockende Grundsicherung in
der Arbeitslosenversicherung einzuführen sowie eine
Reform der Verwaltungswege mit der Zielsetzung zu entwi-
ckeln, Aufgaben der Arbeits- und Sozialämter bei der
Bewilligung von finanziellen Leistungen zusammenzufas-
sen und effektive Dienstleistungen für die Bürgerinnen und
Bürger auf kommunaler Ebene zusammenzuführen.

III. Öffentliche Anhörung von Sachverständigen
Der Ausschuss hat auf seiner 112. Sitzung am 14. Dezember
2001 die Durchführung einer öffentlichen Anhörung zu die-
sem Antrag, weiteren Anträgen der Fraktionen und dem Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 14/8010
und der Fraktionen SPD und BÜNDNIS/DIE GRÜNEN zur
Verlängerung von Übergangsregelungen im Bundessozial-
hilfegesetz beschlossen, die am 28. Januar 2002 als 116. Sit-
zung durchgeführt wurde. Die Mehrzahl der Sachverständi-
gen hat schriftliche Stellungnahmen abgegeben, die zusam-
mengefasst in der Ausschussdrucksache 14/2050 verteilt
wurden.
Nachstehend werden die wesentlichen Aussagen der gelade-
nen Sachverständigen dargestellt. Wegen weiterer Einzel-
heiten wird auf die erwähnten Ausschussdrucksachen und
die Wortprotokolle der Anhörungen verwiesen.
Der AOK Bundesverband hält als Fazit fest, eine kosten-
deckende Beitragsregelung sei aus der GKV-Perspektive im
Interesse der Beitragssatzstabilität in der GKV unverzicht-

bar. Die Einbeziehung sämtlicher Sozialhilfeempfänger in
die GKV würde jedoch zu erheblichen Verwerfungen unter
den einzelnen Krankenkassen führen. Von daher seien – bis
zum Wirksamwerden einer Reform des Risikostrukturaus-
gleichs (RSA) – flankierende Regelungen zu treffen, die
eine besondere Berücksichtigung des erhöhten Ausgaben-
risikos dieser Versichertengruppe (z. B. im Rahmen von
Sonderregelungen für so genannte Härtefallversicherte) im
RSA vorzusehen hätten.
Die Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e. V. fordert eine
Reform der Regelsatzfestlegung, die das jetzige System zu
vereinfachen und die Situation von Familien besonders zu
berücksichtigen hätte. Eine solche Vereinfachung, auch
durch sinnvolle Pauschalen, müsse bedarfsorientiert sein.
Gestärkt werden solle das Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe. Die
Integration von Sozialhilfeempfängern in den Arbeitsmarkt
müsse verbessert werden. Deshalb sei die Zusammenarbeit
zwischen Sozial- und Arbeitsämtern verpflichtend auszu-
bauen und die Beschäftigungsförderung eng mit dem ange-
sprochenen Hilfeplansystem zu verknüpfen. Eine besondere
Berücksichtigung bedürfe die Situation von Kindern in der
Sozialhilfe, die materielle Situation von Familien mit Kin-
dern müsse stärker berücksichtigt werden. Auch sollten aus-
reichende und bedarfsgerechte Betreuungsmöglichkeiten
für Kinder bis 14 Jahren zur Verfügung stehen. Gefordert
wird des Weiteren, dass sich die Bundesregierung und der
Deutsche Bundestag verbindlich darauf festlegen, dass dies
die letztmalige Verlängerung der Übergangsfrist zur Fest-
legung der Regelsätze nach § 22 BSHG sei und bis zu ihrem
Ablauf eine Reform der Sozialhilfe ausgearbeitet würde.
Prof. Dr. Bäcker ist u. a. der Ansicht, dass eine Reihe von
Argumenten deutlich mache, dass das Problem der Lang-
zeitarbeitslosigkeit nicht durch eine Verschiebung der Auf-
gaben auf die Kommunen „gelöst“ werden könne. Zusam-
menarbeit von Arbeits- und Sozialämtern hieße die wenig
spektakuläre und auch sicher mühevolle, aber einzig ziel-
führende Perspektive. Dabei gehe es wie im Modellpro-
gramm der Bundesregierung um gemeinsame Anlaufstellen
der beiden Träger, die Straffung der Verwaltungsabläufe
und eine Verbesserung des Informations- und Datenaustau-
sches sowie um die Durchführung gemeinsamer Qualifizie-
rungs- und Beschäftigungsmaßnahmen.
Die Bundesanstalt für Arbeit begrüßt den Entwurf eines
Gesetzes zur Verlängerung von befristeten Regelungen im
Bundessozialhilfegesetz. Erst nach Beendigung der derzeit
laufenden Modellvorhaben zur Verbesserung der Zusam-
menarbeit von Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe
(MoZArT) würden verwertbare Erkenntnisse für eine Wei-
terentwicklung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe bzw.
zur Gestaltung der zukünftigen Zusammenarbeit vorliegen.
Insoweit bliebe durch die angestrebte Verlängerung der Be-
fristung für die Übergangszeit ein erweiterter Handlungs-
spielraum für die Träger der Sozialhilfe – und im Zusam-
menwirken damit auch für die Arbeitsverwaltung – erhalten,
der einer verbesserten Eingliederung der Hilfeempfänger
dienen würde und damit potentiell kostenmindernd sei.

Drucksache 14/8662 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Für die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung
e. V. sollte neben einer engeren Verzahnung der Maßnahmen
der Hilfe zur Arbeit durch die Sozialämter und der Arbeits-
vermittlung durch die Arbeitsämter auch die Intensivierung
der Kooperation zwischen Arbeitsvermittlung und Schuld-
nerberatung erfolgen. Neben den Schwerpunktbereichen
Vermittlung und Qualifizierung gehöre zu einem abgestuf-
ten, erfolgversprechenden Fallmanagement insbesondere
auch flankierende Maßnahmen wie Schuldnerberatung oder
andere soziale Hilfestellungen.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen
e.V. (BAG-SHI) ist der Meinung, zusammengefasst würden
alle Modelle die Parole beinhalten, raus aus der Sozialhilfe,
rein in die (fiktive) Erwerbstätigkeit. Ziel sei nicht eine ver-
nünftige, ausreichende Existenzsicherung für (allein) Erzie-
hende und Kinder durch staatliche Leistungen. In der Ziel-
richtung unterschieden sich die Modelle deutlich von der
Position der BAG-SHI. Deren Ziel sei die Existenzsicherung
von Kindern und Erziehenden deutlich über Sozialhilfeni-
veau und zwar auch außerhalb von Erwerbsarbeit. Sie seien
der Meinung, dass Erziehenden durch Gewährleistung der
Rahmenbedingungen eine Erwerbstätigkeit möglich ge-
macht werden sollte, allerdings sollte keine Verpflichtung
hierzu bestehen. Die Wahl, das Kind selbst zu betreuen oder
in Fremdbetreuung zu geben, dürften nicht nur Erziehende
mit gut verdienenden Partnern haben, sondern auch alle, die
auf staatliche Leistungen angewiesen seien.
Nach Überzeugung der Bundesvereinigung der Deutschen
Arbeitgeber (BDA) sollte das Bundessozialhilfegesetz im
Hinblick auf erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger so verän-
dert werden, dass es dem Anspruch an ein aktivierendes, die
Reintegration in den Arbeitsmarkt in den Mittelpunkt stel-
lendes Hilfesystem gerecht werde. Dazu sei die grundsätz-
lich bestehende Verpflichtung erwerbsfähiger Hilfeempfän-
ger wesentlich deutlicher zu akzentuieren, alles zu tun, um
die Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung ganz oder
zumindest teilweise zu überwinden. Zugleich müssten die
Anreize zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gestärkt wer-
den. Aus Sicht der BDA sei die Zusammenführung der für
die Gruppe der Langzeitarbeitslosen relevanten Transfer-
systeme Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe das wichtigste
und vordringlichste arbeitsmarktpolitische Gesetzgebungs-
projekt. Das Ziel der Reform müsse sein die Überführung
des bisher dreistufigen sozialrechtlichen Schutzsystems bei
Arbeitslosigkeit (Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Sozial-
hilfe) in ein zweistufiges System (Arbeitslosengeld, Sozial-
hilfe).
Für den Bund katholischer Unternehmer sei Bürgergeld
besser als Sozialhilfe. Eigenverantwortung und Subsidiari-
tät würden zum Menschenbild katholischer Unternehmer
gehören, das nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten um-
fasse. Je mehr alle Lebensrisiken staatlich reguliert würden,
desto mehr stürbe die Freiheit des Menschen. Zwar müsse
Solidarität geübt werden, aber möglichst von Person zu
Person und nur durch ein Mindestmaß an staatlicher Ver-
sorgung, damit auf privater Ebene genügend finanzieller
Handlungsspielraum verbliebe. Der Bund katholischer
Unternehmer fordert des Weiteren, dass das Lohnabstands-
gebot weit mehr als heute üblich – insbesondere bei Fami-
lien mit Kindern – gewahrt werden sollte. Dies könnte ins-
besondere neben dem Einfrieren der Regelsätze durch eine

Reduzierung der kumulierten Einmalleistungen, Zuschläge
und Mieterstattungen erfolgen. Nach Meinung des Verban-
des würde eine Sicherung des Existenzminimums durch den
Staat es den Tarifpartnern ermöglichen, die unteren Lohn-
gruppen wieder weiter nach unten zu flexibilisieren.
Nach Ansicht des Deutschen Caritasverbandes können
Pauschalierungen dazu beitragen, Selbständigkeit und
Selbstverantwortung der Leistungsempfänger zu erhalten
bzw. zu stärken und außerdem Verwaltungsressourcen für
persönliche Hilfen freimachen. Die zielgerichtete Über-
windung von Sozialhilfebedürftigkeit durch die Weiterent-
wicklung personenbezogener Hilfen in einem Fördersystem
(Beratung, Assessment, Hilfeplanung, Case-Management)
würde ausdrücklich begrüßt. Für den Deutschen Caritasver-
band sei das Lohnabstandsgebot bei der derzeitigen Regel-
satzbemessung und -höhe in der Sozialhilfe gegeben. Dis-
krepanzen würden sich allenfalls beim Haushaltsbedarf von
Familien mit mehreren Kindern ergeben. Für den Verband
liege die Lösung des Lohnabstandsproblems nicht in der Ab-
senkung der Sozialhilfe, sondern in der Herausnahme von
Kindern aus der Sozialhilfe über eine vorrangige Absiche-
rung von Kindern und Jugendlichen bzw. einem verbesserten
Familienlastenausgleich. Der Gesetzgeber sollte ein zeitlich
befristetes Einstiegsgeld für Langzeitarbeitslose schaffen.
Von einem Sozialhilfeempfänger hinzuverdientes Einkom-
men sollte maximal zu 50 % (und nicht wie heute zu 85 %)
mindernd auf die Sozialhilfe angerechnet werden. Unter-
stützt würden auch die Forderungen nach einer besseren
Verteilung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in Form
einheitlicher Fördermöglichkeiten, Zumutbarkeits- und
Sanktionsregelungen und der organisatorischen Verknüp-
fung/Zusammenfassung der Anlaufstellen bei den Arbeits-
und Sozialämtern. Angesichts der Tatsache, dass oberhalb
der Geringfügigkeitsgrenze der volle Sozialversicherungs-
satz zu entrichten sei, sei die Subvention der Sozialabgaben
der Beschäftigten ein richtiger Schritt zur Anhebung der
Nettolöhne im Niedriglohnbereich. Die bundesweite Aus-
weitung des sog. Mainzer Modells werde für richtig gehalten.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund teilt die Einschätzung
der Bundestagsfraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN, dass die Grundsätze der Sozialhilfe sich bewährt
hätten und beibehalten werden müssten. Der Deutsche
Gewerkschaftsbund setze sich für Reformen ein, die die
Mängel und Defizite der verschiedenen Zweige der Sozial-
versicherung möglichst reduzieren würden und vermieden,
dass Familien allein wegen ihrer Kinder sozialhilfebedürftig
würden, die Steuerungs- und Evaluationsinstrumente in der
Sozialhilfe entwickeln, strukturschwache Kommunen nicht
stärker belasten und den Rückzug des Bundes aus der
sozial- und arbeitsmarktpolitischen Verantwortung nicht
fördern, sondern ihr entgegen wirken würden. Weitere Re-
formschritte seien die Modernisierung der Verwaltungs-
strukturen und die Förderung der Bürgerfreundlichkeit, die
Verbesserung der Datenstruktur in den Sozialämtern und die
Erleichterung des Datenaustausches mit den Sozialversiche-
rungsträgern sowie eine bessere Verzahnung und Steuerung
der unterschiedlichen Hilfen, soweit sie nicht aus einer
Hand gewährleistet werden könnten.
Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband – Gesamt-
verband e. V. hält die Fristverlängerung in § 18 Abs. 5
Satz 4 BSHG für sinnvoll. Eingebaut werden sollte eine be-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/8662

darfsdeckende Kindergrundsicherung in das vorhandene
System. Die Lohnabstandsproblematik stelle sich nach allen
vorliegenden Untersuchungen nicht so, wie in der Öffent-
lichkeit gern dargestellt. Die meisten Berechnungen würden
beispielsweise die Anrechnung des Kindergeldes in der So-
zialhilfe unterschlagen. Insgesamt stelle sich die Finanzie-
rung der Sozialhilfe als eine Überforderung der betroffenen
Kommunen dar. Bei einem Hilfesystem, auf das Jahr für
Jahr mehr als 3 Millionen Menschen angewiesen seien, sei
eine unmittelbare Finanzierungszuständigkeit des Bundes
gefordert.
Für das Deutsche Rote Kreuz muss bedacht werden, dass
vorrangige Sicherungssysteme ihre Leistungen nicht auf
Kosten der Sozialhilfe absenken. Eine Sozialhilfereform
könne nur dauerhaft erfolgreich sein, wenn vorrangige Si-
cherungssysteme Leistungen gewähren, die ihre Empfänger
„sozialhilfefest“ machen. Um den Kreis der Anspruchs-
berechtigten zu verringern, sei eine Novellierung der Sozial-
hilfe und auch eine qualitative Weiterentwicklung der Sozi-
alverwaltung hin zu einer effektiver und effizienter
arbeitenden Organisation sinnvoll und notwendig. Hinsicht-
lich Hilfeplanungen sei an eine stärkere Vernetzung und Ko-
operation mit der Arbeitsverwaltung, aber auch mit anderen
Kostenträgern und Leistungserbringern zu denken. Ziel ei-
ner Sozialhilfereform sollte neben einer zielgenaueren Ver-
mittlung in die Arbeitswelt für arbeitsfähige Hilfeempfänger
und Senkung von Sozialhilfeausgaben aber auch eine pass-
genaue Hilfeleistung für nicht arbeitsfähige Sozialhilfeemp-
fänger sein. Der in § 3 BSHG festgelegte Grundsatz der So-
zialhilfe nach der Besonderheit des Einzelfalles dürfe auch
bei einer Reform nicht aus den Augen verloren werden.
Der Deutsche Städtetag (DST) und der Deutsche Städte-
und Gemeindebund (DSGB) fordern eine Reform der
Sozialhilfe. Dabei erfordere das Ziel notwendiger Verwal-
tungsvereinfachung eine weitergehende Pauschalierung der
Sozialhilfeleistungen unter Ausschluss der Möglichkeit,
sich auf Einhaltung des Bedarfsdeckungsprinzips im Einzel-
fall zu berufen. Ferner bedürfe es einer Überprüfung des
Kostenerstattungsrechts zwischen den Sozialhilfeträgern
mit dem Ziel weitestgehender Vereinfachung, möglichst
Abschaffung, bei gleichzeitig einzuführenden Ausgleichsre-
gelungen für Sozialhilfelasten auf Länderebene. Die allseits
geforderte Reform der Regelsätze müsse zügig umgesetzt
werden. Die Höhe der Regelsätze sei, wie bereits gesetzlich
festgelegt, konsequent am Verbraucherverhalten von Haus-
halten in unteren Einkommensgruppen zu orientieren. Die
nachhaltig wirksame Entlastung der Sozialhilfehaushalte sei
nur durch eine Stärkung der vorgelagerten Sicherungssys-
teme zu erreichen. Der DST und der DSGB wenden sich
entschieden gegen die Übertragung der Arbeitslosenhilfe
auf die Sozialhilfe. Der Bund dürfe sich aus der Verantwor-
tung für die Langzeitarbeitslosen nicht zurückziehen. Um
die Hilfen für Langzeitarbeitslose effektiver zu gestalten, sei
ein eigenständiges Leistungsgesetz für Langzeitarbeitslose
mit Transferleistungen notwendig, die den Lebensunterhalt
sichern und ergänzende Leistungen der Sozialhilfe aus-
schließen müssten. Dazu hätten Strategien zu treten, die am
einzelnen Langzeitarbeitslosen ansetzen und ihn ganzheit-
lich in den Integrationsprozess einbeziehen müssten. Die
befristete staatliche Subventionierung von Niedriglöhnen
wird von beiden Verbänden für eine Möglichkeit gehalten,
um Geringqualifizierten eine Chance zur Integration ins

Arbeitsleben zu bieten. Dabei werde allerdings die Finan-
zierung von Kombilöhnen über die Sozialhilfe entschieden
abgelehnt.
Der Deutsche Landkreistag schließt sich der gemeinsamen
Stellungnahme des Deutschen Städtetages und des Deut-
schen Städte- und Gemeindebundes an. Lediglich bei der
Frage der Verzahnung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
werde eine modifizierte Auffassung vertreten. Es würden
die Bemühungen unterstützt, die Arbeitsmarkt- und Sozial-
politik im Sinne verbesserter Wiedereingliederungschancen
Arbeitsloser umfassend neu zu gestalten. Dabei müsse si-
chergestellt sein, dass das im SGB III normierte Arbeitsför-
derungsrecht, das u. a. die Arbeitslosenhilfe regele, mit dem
BSHG im Sinne der rechtlichen Angleichung (z. B. Instru-
mente der aktiven Arbeitsmarktpolitik, Qualifizierungsmaß-
nahmen) harmonisiert werde. Auch sei das BSHG grund-
legend zu reformieren, z. B. durch die Bildung von
Haushaltsbudgets (Pauschalierung), Entbürokratisierung,
Wiederherstellung des Lohnabstandsgebotes in der Sozial-
hilfe, Schaffung eines ausreichenden Familienleistungsaus-
gleichs. Auch die Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpoli-
tik müssten überprüft werden. Die Förderung Arbeitsloser
müsse darauf ausgerichtet sein, sie wieder in den ersten
Arbeitsmarkt zu vermitteln. Punktuelle Neuregelungen z. B.
im Bundessozialhilferecht würden als nicht zielführend
ebenso abgelehnt wie eine einseitige Kommunalisierung der
Arbeitslosenhilfe.
Der Deutsche Verein für öffentliche und private Für-
sorge e. V. plädiert für eine Überprüfung der Regelsatz-
bemessung. Amtliche Verbrauchsstatistiken würden eine
geeignete Datengrundlage bilden, auch wenn die Bemes-
sung nicht allein auf wissenschaftlichen Grundlagen er-
folgen könne, sondern im Vorfeld politisch-normativer
Entscheidungen bedürfe. Eine weitere Pauschalierung ein-
maliger Leistungen würde den Verwaltungsvollzug verein-
fachen und sei mit den sozialhilferechtlichen Grundsätzen
vereinbar. Die Pauschalierung auch der Unterkunftskosten
würde Risiken der sozialpolitischen Fehlsteuerung bergen,
da Leistungen in erheblichem Maße nicht dem Bedarf ent-
sprächen. Ohne eine finanzielle Entlastung der Kommunen
bei materiellen Leistungen sei eine Ausweitung der persön-
lichen Hilfen nicht zu finanzieren. Die Sozialhilfelasten der
Kommunen infolge der Arbeitslosigkeit seien durch eine
Stärkung des Nachrangprinzips deutlich zu senken. Eine
vorgelagerte Grundsicherung für Minderjährige, durch die
diese aus der Sozialhilfe herausgelöst würden, könne prakti-
kabel sein. Der Einsatz aktivierender Instrumente mit dem
Ziel nachhaltiger Integration in den Arbeitsmarkt beinhalte
auf den individuellen Bedarf zugeschnittene Unterstützungs-
angebote. Es gelte, aufeinander abgestimmte Konzepte von
Arbeitsvermittlung, allgemeiner Sozialberatung, speziali-
sierten Beratungen (z. B. Schuldner- und Suchtberatung),
Hilfeplanung und Case-Management zu entwickeln, die da-
für notwendigen Kompetenzen der Fachkräfte zu benennen
und entsprechende (Nach-)Qualifizierungsangebote bereit-
zustellen.
Nach Meinung des Diakonischen Werks der Evangeli-
schen Kirche in Deutschland e. V. müssen die Regelsätze
in ihrer Höhe und Entwicklung wieder an ein verlässliches
System gekoppelt werden. Es sei ein Fehler zu glauben,
dass sich eine an Jahreszyklen orientierte jährliche Politik

Drucksache 14/8662 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

nach Kassenlage für ein existenzielles Sicherungssystem
leichter handhaben ließe als eine Festlegung auf ein Berech-
nungssystem, das die Haushaltsplanung bereits berücksich-
tigen könne. Unterstützt würde das Vorhaben der Eingliede-
rung des Bundessozialhilfegesetzes in das Sozialgesetzbuch
als SGB XIII. Hinsichtlich einer weitergehenden Pauscha-
lierung der Leistungen nähme das Diakonische Werk eine
diffenzierte Haltung ein. Pauschalen müssten den Kriterien
der Angemessenheit und der Nachvollziehbarkeit entspre-
chen. Nicht sinnvoll und keine Aufgabe der Sozialhilfe sei
es, generell die Erwerbstätigkeit von Personen, die keine so-
zialen Probleme hätten, dauerhaft zu subventionieren.
Durch Regelungen des SGB III und im Rahmen der Hilfe
zur Arbeit nach dem BSHG sei es möglich und am Einzel-
fall orientiert oft sinnvoll, unzureichendes Erwerbseinkom-
men aufzustocken und individuell die Integration in den Ar-
beitsmarkt zu fördern. Auch die Maßnahmen im Mainzer
Modell könnten für eine bestimmte Personengruppe die In-
tegrationsmöglichkeiten in den Arbeitsmarkt deutlich ver-
bessern. Eine Anwendung in der Breite, d. h. für alle ar-
beitslosen Sozialhilfeempfänger, führe aber zu einer
Fehlallokation von an anderer Stelle dringend benötigter Fi-
nanzmittel. Bei wissenschaftlichen Berechnungen gebe es
kein Kombi-Lohnmodell, das ökonomisch vertretbar wäre
und in der Breite angewandt zu erwähnenswerten Zuwäch-
sen bei der Beschäftigung führen würde. Unterstützt würde
eine engere Kooperation der zuständigen Behörden an der
Nahtstelle von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.
Herr Genz undHerr Schwendy vertreten in ihrer Stellung-
nahme die Position, dass die Sozialhilfe als letztes Glied im
System der sozialen Sicherung auf die ursprüngliche Auf-
gabe zurückgeführt werden sollte. Sie müsse durch den
Ausbau der vorgelagerten Systeme und durch Korrekturen
im Steuerrecht/Familienlastenausgleich, im Wohngeld, in
der Bildungsförderung etc. entlastet werden. Eine Reform
könne nur im Zusammenhang mit einer Gesamtreform aller
sozialen Systeme und des Steuerrechtes sowie des Finanz-
ausgleichs zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ange-
gangen werden. Aus der Sicht der Praxis könnten die derzeit
laufenden Bemühungen um die Pauschalierung positiv be-
wertet werden. Dies nicht nur unter dem Gesichtspunkt der
Verwaltungskostenersparnis, sondern aus grundsätzlichen
Erwägungen. Die Stadt Köln erziele bei rund 52 000
Arbeitslosen und 7 000 offenen Stellen vor allem in den
sog. Niedriglohnbereichen für Geringqualifizierte gute
Ergebnisse bei der Vermittlung. Die strengen Zumutbar-
keitsregelungen des Bundessozialhilfegesetzes, nach denen
Arbeit, die die Person nicht schädige, zugemutet werden
könne, würden dabei befolgt. Es sei z. B. nicht nachvoll-
ziehbar, warum Personenkreise, die freiwillig jahrelang ihre
akademische Laufbahn über Jobs im Niedriglohnbereich
(kellnern, Taxi fahren etc.) finanziert hätten, sich nach
Abschluss des Studiums plötzlich bei Sozial- und Arbeits-
ämtern arbeitslos melden und dann auf Hilfen pochen wür-
den, die nach dem Bundesangestelltentarif bzw. nach den
Regeln des öffentlichen Dienstes finanziert würden. Die
Kölner Arbeitsverwaltung und die Kölner Sozialverwaltung
würden schon seit vielen Jahren eine vertraglich vereinbarte
Kooperation zum Abbau der Jugend- und Langzeitarbeits-
losigkeit erfolgreich praktizieren.
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten begrüßt
den vorgelegten Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Verlängerung von Über-
gangsregelungen im Bundessozialhilfegesetz und den Antrag
der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „För-
dern und Fordern – Sozialhilfe modern gestalten“ und
schließt sich der entsprechenden Stellungnahme des DGB
an. Die Vorschläge von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, alle
Jobs im Niedriglohnbereich gestaffelt zu subventionieren,
und auch die von Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem
Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Walter
Riester, sowie der SPD angekündigten Pläne, das Mainzer
Modell bundesweit anzuwenden, würden nach Ansicht der
Gewerkschaft in eine Sackgasse führen und mittelfristig nur
wenige Arbeitsplätze bringen, die in keinem Verhältnis zu
dem Subventionsaufwand stünden. Die bisherigen Kombi-
lohn-Modellprojekte würden zeigen, dass dies ein untaug-
liches Instrument sei, um nachhaltige und wirksame Verbes-
serungen der Arbeitsmarktlage zu erreichen.
Prof. Dr. Hauser spricht sich ebenfalls für eine Pauschalie-
rung so genannter einmaliger Ausgaben aus. Unterstützt wird
ebenfalls die Einführung einer vorgelagerten Existenzmini-
mumsicherung für Kinder. Diese könnte in einem einkom-
mensabhängigen Kindergeldzuschlag in Höhe von ca. 300
DM/ca. 150 Euro pro Monat bestehen. Zum Verhältnis von
Sozial- und Arbeitslosenhilfe spricht sich Prof. Dr. Hauser
für den Einbau einer Mindestregelung in die Arbeitslosen-
hilfe mit Leistungen für die Kernfamilie auf dem Niveau der
Sozialhilfe aus.
Die IG Metall wendet sich nicht dagegen, in Modellvorha-
ben neue Wege zu erproben, um zusätzliche Arbeitsplätze zu
schaffen und Menschen in Arbeit zu bringen. Allerdings er-
scheine der Weg, aus Mitteln der Sozialhilfe Zuschüsse zum
Arbeitslohn zu zahlen (ausgestaltet als Zuschuss an den Ar-
beitnehmer), bereits hinreichend erprobt und begegne
Bedenken. Diese Bedenken würden sich gegen die diesen
Öffnungsklauseln zugrunde liegende Ansicht richten, wo-
nach Arbeit im niedrig entlohnten Bereich zu teuer und eine
so genannte Sozialhilfefalle zu überwinden sei. Die wirt-
schaftsliberale Grundannahme, dass durch niedrigere Lohn-
kosten mehr Arbeitsplätze zu schaffen seien, sei – empirisch
ausreichend belegt – falsch. Seit Anfang der 80er Jahre sinke
in der Tendenz die Lohnquote der Bundesrepublik Deutsch-
land, während gleichzeitig die Arbeitslosigkeit in der Ten-
denz zugenommen habe. Die IG Metall ist ferner der Auffas-
sung, dass die Arbeitslosenhilfe erhalten und nicht unter dem
Deckmantel ihrer Harmonisierung mit der Sozialhilfe abge-
schafft werden dürfe. Begrüßt würden Überlegungen, eine
bedarfsorientierte Grundsicherung in die Arbeitslosenversi-
cherung zu implementieren. Diese sei nicht als Alternative
zur bestehenden Arbeitslosenhilfe zu realisieren, sondern
müsste für die Fälle greifen, in denen die Höhe der Arbeits-
losenhilfe nicht bedarfsdeckend sei. Sicherzustellen sei die
Möglichkeit, auch Ansprüche auf aktive Maßnahmen von
Seiten der Arbeitsämter leichter zu realisieren. Ferner müsste
die Sozialhilfe in höherem Maße als bisher auf ihre ur-
sprüngliche Funktion, Armut in besonderen Ausnahmefällen
zu vermeiden, beschränkt werden. Eine solche Maßnahme
könnte eine Entlastung der Kommunen darstellen, wenn
diese bedarfsorientierte Grundsicherung aus steuerfinanzier-
ten Bundesmitteln abgewickelt würde.
Das Institut für Angewandte Sozialforschung (IAW)
Tübingen plädiert für die Begrenzung der Erwartungen hin-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/8662

sichtlich der Beschäftigungswirkungen von Kombilohn-
und Kombieinkommensmodellen auf ein realistisches Maß.
Die besondere Bewährung des Mainzer Modells im Ver-
gleich zu anderen Modellversuchen werde in der öffent-
lichen Diskussion immer wieder mit dem Verweis auf die
größten absoluten Beschäftigungseffekte begründet. Dieser
Vergleich alternativer Modellversuche anhand von absolu-
ten Beschäftigungseffekten sei aber schlicht unzulässig, da
er nicht berücksichtige, dass sich die Zielgruppen der ein-
zelnen Maßnahmen ganz erheblich in ihrer Struktur und
Größe unterschieden. So richte sich das Mainzer Modell an
gering Verdienende, während die Zielgruppe des Einstiegs-
geldes auf langzeitarbeitslose Sozialhilfeempfänger be-
grenzt sei. Ferner sei die Zielgruppe des Mainzer Modells
um ein Vielfaches größer als die des Einstiegsgeldes. Das
IAW Tübingen hält die Einführung eines bundesweiten
Kombieinkommens zum jetzigen Zeitpunkt für verfrüht. Es
sei beschäftigungs- und finanzpolitisch gefährlich, sich vor
Abschluss der Modellprojekte und ihrer wissenschaftlichen
Auswertung auf ein Modell festzulegen. Ungeachtet der
Einführung eines bundesweiten Modells müssten die beste-
henden Modellversuche fortgesetzt werden. Eine weitere
wissenschaftliche Evaluation der laufenden Modellversuche
gerade auch unter Verwendung von Kontrollgruppen und
unter Berücksichtigung möglicher Mitnahmeeffekte sei
unerlässlich, um den tatsächlichen Erfolg und die Kosten
der Maßnahmen beurteilen zu können. Entsprechende Expe-
rimentierklauseln im Bundessozialhilfegesetz sollten über
2002 hinaus verlängert werden. Die Ergebnisse der Modell-
versuche müssten in eine spätere Modifikation des bundes-
weiten Kombieinkommens Eingang finden. Ebenfalls wird
sich für eine Lohnsubvention auf Seiten der Arbeitnehmer
ausgesprochen. Eine Arbeitnehmersubvention ließe größere
Beschäftigungseffekte erwarten als eine Subvention auf Ar-
beitgeberseite. Das entscheidende Beschäftigungshemmnis
für Sozialhilfeempfänger sei die Sozialhilfefalle, nicht die
Belastung mit Sozialversicherungsbeiträgen. Während das
baden-württembergische Einstiegsgeldmodell die Sozialhilfe-
falle für den Förderungszeitraum beseitige, bleibe diese beim
Mainzer Modell grundsätzlich erhalten. Das Einstiegsgeld-
modell sei besser geeignet, Arbeitsanreize für Sozialhilfe-
empfänger zu schaffen, während das Mainzer Modell den
Aufbau eines subventionierten Niedriglohnsektors fördere. In
der Sozialhilfe sei die Einführung des Einstiegsgeldes daher
die Voraussetzung für den Erfolg des Mainzer Modells. Zwi-
schenergebnisse aus den laufenden Modellversuchen ließen
erkennen, dass für den Erfolg des ökonomischen Anreiz-
instrumentariums auch flankierende Maßnahmen von ent-
scheidender Bedeutung sein könnten. Dabei müsse auch das
soziale Umfeld einbezogen werden. Insbesondere Maßnah-
men der Qualifizierung, der Kinderbetreuung oder der
Schuldnerberatung könnten genannt werden.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
sieht die „Sozialhilfefalle“ als Fehlanreiz. Hintergrund hier-
für sei, dass Sozialhilfe nur dann bewilligt werde, wenn der
Hilfeempfänger bereit sei, sowohl seine Arbeitskraft als
auch sein gesamtes Nettoeinkommen zur Bestreitung des
Lebensunterhalts einzusetzen (vgl. Trabert et al. 1998). Aus
diesem Grund werde die Anrechnung von Zusatzverdiens-
ten bei Hilfeempfängern derzeit sehr restriktiv gehandhabt.
Erwerbseinkommen von Hilfeempfängern (ohne einge-
schränkte Leistungsfähigkeit) werde oberhalb eines nicht

anzurechnenden Sockelbetrags von ca. 70 Euro im Monat
zu 85 % auf den Hilfeanspruch angerechnet, bis sich ein
maximaler Zuwachs an verbleibendem Erwerbseinkommen
in Höhe von ca. 140 Euro im Monat ergebe. Über diesen
Betrag hinausgehende Verdienste würden bis zur Bedürftig-
keitsgrenze voll angerechnet und dem Hilfeempfänger da-
her entzogen. Die eher geringen, nicht anzurechnenden und
quasi als Lohnsubvention zu sehenden Beträge zielten vor
allem darauf, auch bei Anspruch auf ergänzende Sozialhilfe
einen Lohnabstand zwischen erwerbstätigem und nicht-
erwerbstätigem Hilfeempfänger zu gewährleisten. Sper-
mann (1999) spreche in diesem Zusammenhang zu Recht
von einem „Spitzensteuersatz“ für Transferempfänger, der
je nach Einzelfall zwischen 85 % und 100 % liegen könne.
Die weitgehende Vollanrechnung von Zusatzverdiensten auf
den Hilfeanspruch gelte als Fehlanreiz, der zur Verlänge-
rung des Hilfebezugs beitragen könne. Bei einem derart
hohen Grundsteuersatz würden Sozialhilfeempfänger
durchaus ökonomisch rational handeln, wenn sie keine
Arbeit anböten. Ähnliches treffe im Übrigen auch zu auf die
Anrechnung von Arbeitseinkommen bei Bezug von Arbeits-
losenhilfe, bei der der maximale Hinzuverdienst auf etwa
165 Euro begrenzt sei. Nicht anreizkompatibel sei auch die
spezifische Konstruktion des Familienlastenausgleichs.
Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes liege das
bisher unabhängig vom Einkommen gezahlte Kindergeld
(und auch der alternativ in Abzug zu bringende Kinderfrei-
betrag) weit unter den tatsächlichen Kosten für den Lebens-
unterhalt eines Kindes. Die Folge sei, dass Familien mit
niedrigem Erwerbseinkommen am Rande der Armuts-
schwelle lebten. Da sich aber im Gegensatz zum Kindergeld
die Sozialhilfesätze an dem tatsächlichen finanziellen Auf-
wand für Kinder orientierten, sei der finanzielle Anreiz für
Sozialhilfeempfänger mit Kindern, einer niedrig entlohnten
Erwerbstätigkeit nachzugehen, verständlicherweise eher
gering (vgl. Gerster/Deubel 1999).
Das Institut der Deutschen Wirtschaft Köln vertritt die
Ansicht, dass ungeachtet der kräftigen konjunkturellen Er-
holung in den Jahren 1998 bis 2000 es bereits im vergange-
nen Jahr wieder zu einer Akzentuierung der Arbeitsmarkt-
probleme in Deutschland gekommen sei. Es zeichne sich ab,
dass das Land bei der Therapie des gravierendsten Problems
der deutschen Wirtschaftspolitik praktisch auf der Stelle
trete. Als eines von wenigen Ländern habe sich der Anteil
der strukturellen Arbeitslosigkeit in Deutschland in den
neunziger Jahren weiter erhöht. Der derzeitige Anteil von
knapp 34 % sei höher, wenn Maßnahmen zur Frühverren-
tung nicht die Statistik beeinflussen würden. Keines der ver-
schiedenen regionalen Kombilohnmodelle komme bisher
über eine Zahl von 1 000 Förderfällen hinaus. Ein nennens-
werter Beitrag zur Verminderung der Arbeitslosigkeit für
die hier in Rede stehende Zielgruppe der Arbeitslosenhilfe-
und Sozialhilfeempfänger könnte damit nicht geleistet wer-
den. An diesem Befund werde sich auch durch die geplante
bundesweite Einführung des Mainzer Modells und dessen
Modifikationen in den Förder- und Anrechnungsregeln
nichts ändern, so lange die grundsätzlichen Probleme unbe-
achtet blieben. Das Institut spricht sich für eine Abkehr von
der Alimentation von Arbeitslosigkeit hin zur Aufstockung
von Niedrigverdiensten aus.
Nach Ansicht des Institutes für Sozialforschung und Ge-
sellschaftspolitik weist das System der Regelsätze im Prin-

Drucksache 14/8662 – 8 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

zip angemessene Relationen auf. Allerdings ließe es sich
durch Aufsplittung des Eckregelsatzes in einen personenbe-
zogenen Teil und eine Haushaltskomponente flexibler ge-
stalten. So könnte die erforderliche Anhebung des Regelsat-
zes für allein Lebende vorgenommen werden, ohne die
Leistungen für größere Haushalte in gleichem Maße zu er-
höhen. Der Abstand zwischen der Hilfe zum Lebensunter-
halt und den verfügbaren Einkommen von Arbeitnehmer-
haushalten sei groß genug und zudem seit Jahren gestiegen.
Die Diskussion um unzureichende Arbeitsanreize verlaufe
abgekoppelt von empirischen Befunden. Die Arbeitslosig-
keit vieler Sozialhilfeempfänger sei keine Frage der subjek-
tiven Motivation, sondern der objektiv rückläufigen Nach-
frage nach gering qualifizierten Arbeitskräften. Die
erheblichen Qualifikationsdefizite der Sozialhilfeempfänger
im arbeitsfähigen Alter ließen sich nicht allein durch Schu-
lungen beheben, sondern eher in einer Kombination von ge-
ring entlohnter Beschäftigung und Qualifizierung. Außer-
dem sei ein individuelles Case-Management zu empfehlen.
Ein Vergleich der Niveaus der Hilfe zum Lebensunterhalt
mit den Leistungen der Mindestsicherung in europäischen
Nachbarstaaten würde ein differenziertes Bild ergeben. In
Deutschland erhielten Mehr-Personen-Haushalte im Ver-
gleich zum Haushalt eines allein Lebenden relativ hohe Leis-
tungen; aber das Ausgangsniveau sei relativ niedrig, d. h.,
der allein Lebende müsste höhere Leistungen beziehen.
Prof. Dr. Raffelhüschen vertritt die Auffassung, dass eine
Reform der deutschen Grundsicherung überfällig sei, weil
die Ausgaben im Verhältnis zum BIP überproportional ge-
wachsen seien. Dieser Trend müsse gebrochen werden. Fast
2,5 Millionen Grundsicherungsempfänger stünden dem Ar-
beitsmarkt potentiell zur Verfügung. In den 70er Jahren
wäre nur etwa ein Drittel der Grundsicherungsempfänger
potentiell erwerbsfähig gewesen, heute seien es zwei Drittel
– Tendenz weiterhin steigend. Die gegenwärtige Sozialhilfe/
Arbeitslosenhilfe sei eine Subvention der Untätigkeit. Die
eigentliche Intention der sozialen Sicherung werde völlig
verkannt: Fast jeder könne sich ein Stück weit selbst helfen;
nur das, was dann noch fehle, sei von der Gemeinschaft zu
tragen. Dieser Subsidiaritätsgedanke sei dem Problem ange-
messen und müsse Leitfaden einer zukunftsfähigen Grund-
sicherung sein. Die zukünftige Grundsicherung müsse ziel-
gruppen- und arbeitsmarktorientiert sein. Selbstverständlich
hätten nicht arbeitsfähige Grundsicherungsempfänger wei-
terhin Anspruch auf Geldleistungen in Höhe des vollen so-
zio-kulturellen Existenzminimums. Dies gelte auch für
häuslich gebundene Personen, soweit sie für die Erziehung
von Kindern unter drei Jahren verantwortlich seien. Arbeits-
fähige Grundsicherungsempfänger seien schon heute zur
Selbsthilfe verpflichtet. In Zukunft sollten Geldleistungen
für Erwerbsfähige im Regelfall nur als Hilfe zur Arbeit ge-
währt werden. Anspruch auf eine monetäre Grundsicherung
hätten demnach nur Personen, die einer bezahlten Arbeit
nachgingen oder sich in Qualifizierungsmaßnahmen befän-
den. Diejenigen, die das Arbeits- bzw. Qualifizierungsgebot
nicht einhielten, hätten nur Anspruch auf Sicherung des
physischen Existenzminimums, und zwar im Regelfall
durch Sachleistung. Unter Einbeziehung der steuer- und
sozialversicherungsrechtlichen Regelungen müsse sicher-
gestellt sein, dass die Selbsthilfe zu einer verbesserten
Gesamteinkommenssituation führe. Eine zugleich kosten-
neutrale und anreizwirksame Reform der Grundsicherung

könne nur durch die Kombination zweier Transferformen
mit spezifischen Entzugsraten bewerkstelligt werden. Sie
bestünde aus einem kommunalen Grundversorgungstransfer
und eine durch den Bund finanzierte Beschäftigungssubven-
tion samt Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge im
Niedriglohnsektor. Die darin begründeten Anreize zur
Offenbarung von Schwarzmarktaktivitäten würden die
öffentlichen Kassen mittelfristig sogar entlasten.
Für Prof. Dr. Claus Reismuss die Bewertung „aktivierender
Instrumente“ vor dem Hintergrund der Ausgangssituation
gesehen werden, d. h. der Probleme, auf die sie antworten
sollen. Aktivierende Instrumente würden auf das Individuali-
sierungsprinzip rekurrieren und implizit den individuellen
Bedarf an Unterstützung betonen. Sie setzten an den diffe-
renzierten Lebenssituationen von Sozialhilfeempfängern an
und stünden somit generalisierenden und pauschalen Ange-
boten entgegen. Damit trügen sie den empirisch zu konstatie-
renden Entwicklungen Rechnung. Beratung, Assessment,
Hilfeplanung und Leistungssteuerung seien Handlungsfor-
men in dem Sinne, dass sich in ihnen die konkrete Interak-
tion zwischen Berater und Klient Ausdruck verschaffe; nur
über diese Interaktion, die „Ko-Produktion“ komme ein Ar-
beitsergebnis zustande. Diese Handlungsformen könnten für
sich alleine stehen, sie bildeten in einer spezifischen Kombi-
nation (ihrer „vertikalen Integration“) aber auch Elemente
eines „Case-Management“. Dieses ziele darauf ab, Bedarfs-
lagen präzise zu erfassen, hieraus gemeinsame Ziele zu ent-
wickeln und Hilfeangebote so zu kombinieren, dass sie zur
Zielerreichung optimiert werden könnten. Damit dies effek-
tiv und zeitnah gelinge, müsse die einzelfallbezogene „verti-
kale Integration“ durch eine einzelfallübergreifende „hori-
zontale Integration“ der verschiedenen Angebote ergänzt
werden. Konkret bedeute dies die Planung und Steuerung
von Hilfsangeboten. Um die effektive Planung und Steue-
rung von Angeboten sowie ihre konkrete Bereitstellung für
die jeweiligen Einzelfälle zu gewährleisten, müssten adä-
quate Instrumente (Monitoring und Controlling) entwickelt
und eingesetzt werden. Um sowohl einzelfallorientiertes
Case-Management wie einzelfallübergreifende Steuerungs-
konzepte auf kommunaler Ebene weiter entwickeln zu
können, sei die Unterstützung durch den Gesetzgeber erfor-
derlich, denn die – bislang eher experimentelle – Praxis
müsse weiter systematisiert und ausgebaut werden können.
Hierzu bedürfe es gesetzlicher Regelungen im BSHG,
analog zu den Vorschriften im SGB VIII.
Dr. Schneider sieht in der Praxis nur einen mäßigenden
Erfolg kommunaler arbeitsmarktpolitischer Programme,
arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger in den regulären
Arbeitsmarkt zu integrieren. Dennoch dürften sich die Maß-
nahmen aus kommunaler Sicht rechnen, da es mit ihrer
Hilfe gelinge, die Maßnahmeteilnehmer für längere Zeit von
der Sozialhilfe unabhängig zu machen, wenn auch in der
Regel zu Lasten von anderen föderalen Finanzierungsin-
stanzen. Gleichwohl gebe es zwischen einzelnen Projekten
Unterschiede, der Erfolg sei von der Ausgestaltung abhän-
gig. Das betreffe sowohl die Aufgabenverteilung im Sozial-
amt, die Zahl und die Qualifikation des dort eingesetzten
Personals als auch die Form der Zusammenarbeit mit Trä-
gern von beschäftigungspolitischen Maßnahmen. Durch die
Förderung der Kooperation zwischen Arbeits- und Sozial-
ämtern auf lokaler Ebene durch die Bundesregierung wür-
den die fiskalischen Anreize zur Lastenverschiebung nicht

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 9 – Drucksache 14/8662

aufgehoben. Eine ursachenorientierte Politik sollte stattdes-
sen an einer Zusammenfassung von Arbeitslosen- und Sozi-
alhilfe ansetzen. Faktisch dürfte dies allerdings einer aus
transfersystematischen Gründen ohnehin längst fälligen Ab-
schaffung der Arbeitslosenhilfe gleichkommen.
Für Frau Prof. Dr. Spindler ist die Pauschalierung von
Sozialhilfeleistungen bei häufig wiederkehrenden, notwen-
digen Bedarfen sinnvoll. Allerdings bedürfe es einer seriö-
sen Ermittlung des notwendigen Bedarfs. Die Festlegung
der persönlichen Hilfe auf die Methode des Case-Manage-
ments sei nicht empfehlenswert und bürge bei unfachlicher
Anwendung nicht nur die Gefahr des Eingriffs in individu-
elle Persönlichkeitsrechte, sondern darüber hinaus der Ver-
letzung des Subsidiaritätsprinzips in Zusammenarbeit mit
der Freien Wohlfahrtspflege und sozialen Verbänden und
der Missachtung von deren Selbständigkeit bei Zielsetzung
und Durchführung ihrer Aufgaben. Vorgeschlagen wird
ferner, § 22 Abs. 4 BSHG im Interesse der betroffenen
Familien mit mehreren Kindern zu ändern und ein sozial-
politisch redliches Abstandsverhältnis festzuschreiben. Ab-
gelehnt werde die Zusammenlegung der Sozialhilfe mit der
Arbeitslosenhilfe, außer korrigierbaren Fehlentwicklungen
in der Praxis der beteiligten Behörden gebe es für sie keine
Notwendigkeit.
Univation e. V. vertritt die Thesen, dass persönliche Hilfen,
welche die Hilfeberechtigten in ihren Lebenslagen begleiten
und entsprechend ihrer Ressourcen mobilisieren würden, als
Kernbestandteil der Sozialhilfe auszubauen und qualitativ
fortzuentwickeln seien. Die Ausweitung pauschalierter
Sozialhilfezahlungen erschlössen hierfür erforderliche Per-
sonalressourcen und stießen bei vielen Beteiligten und
Betroffenen auf Akzeptanz. Der Zuschnitt einer existenz-
sichernden Gesamtpauschale könne auf Basis von Eva-
luationsergebnissen genauer bestimmt werden. Ein viel
versprechender Weg, die Umsetzung bundesgesetzlicher
Reformen der Sozialhilfe zu befördern, bestünde in der akti-
ven Nutzung des Sachverstandes der Sozialhilfeträger – so-
wie weiterer lokaler sozialpolitischer Akteure – im Gesetz-
gebungsprozess.
Für die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) hat
sich das System der Sozialhilfe grundsätzlich bewährt. Al-
lerdings sei sie zuförderst finanziell zu entlasten von Risi-
ken, die nicht in der Person des einzelnen Sozialhilfe-
empfängers lägen, also vom Risiko der Arbeitslosigkeit. In
diesem Zusammenhang käme es auch darauf an, die infolge
des schrittweisen Fortfalls der originären Arbeitslosenhilfe
durch den Gesetzgeber ausgelöste unterschiedliche Behand-
lung erwerbsloser Sozialhilfe- und Arbeitslosenhilfeemp-
fänger durch strikte gesetzliche Regelungen über die
Zusammenarbeit von Arbeits- und Sozialämtern zu über-
winden. Darüber hinaus sei im Rahmen der Familienpolitik
bereits vorgelagert die Existenzsicherung von Kindern und
Jugendlichen zu gewährleisten sowie die Situation von
allein Erziehenden durch ein hinreichendes Angebot an
Kinderbetreuungseinrichtungen zu erleichtern. Demgegen-
über seien Fragen der technischen Grundlagen zur Festset-
zung der Sozialhilfeleistungen von sekundärer Bedeutung.
Prof. Dr. Wagner vertritt die Ansicht, dass die seit 1993
nicht mehr vorgenommene Prüfung der Sozialhilferegel-
sätze auf der Basis des Statistikmodells und die seit 1997
übergangsweise an der Entwicklung des aktuellen Renten-

wertes orientierte Anpassung der Regelsätze dazu geführt
hätten, dass der Nominalwert der Regelsätze vom 1. Juli
1993 bis 1. Juli 2001 in Westdeutschland lediglich um 8,9 %
und in Ostdeutschland um 7,9 % angestiegen sei, während
der Preisindex für die Lebenshaltung aller Haushalte (ohne
Mieten) von 1993 bis 2001 sowohl in West- wie in Ost-
deutschland um etwa 13 % zugenommen hätte. Selbst ohne
Berücksichtigung der 1993 unterlassenen Anpassung ergäbe
sich damit eine reale Minderung der Regelsätze. Zur Weiter-
entwicklung der Sozialhilfe werde die Pauschalierung von
einmaligen Ausgaben, die zwar nicht monatlich, aber auf
Grund der Verbrauchsgewohnheiten und der Produktlebens-
dauer normalerweise regelmäßig anfallen, unterstützt. Um
eine größere Flexibilität bei der administrativen Handha-
bung zu erreichen, sollten die pauschalierten einmaligen
Ausgaben nicht in die Regelsätze integriert, sondern als
Mehrbedarfszuschläge getrennt ausgewiesen werden. Der
gegenwärtig diskutierte „Niedriglohnsektor“ umfasse vie-
lerlei Problembereiche. Kombilöhne seien erwägenswert,
um Transferempfängern einen größeren Arbeitsanreiz zu
bieten und um Arbeitgebern die Arbeitskosten zu verrin-
gern. Grundsätzlich seien Kombilöhne für Arbeitslose we-
niger problematisch als eine generelle Subventionierung
von Niedriglohnjobs, da bei Arbeitslosen Mitnahmeeffekte
und Auswirkungen auf die Struktur der Arbeitsplätze gerin-
ger seien. Grundsätzlich sollten nach Ansicht von Prof. Dr.
Wagner die Kosten der Arbeitslosigkeit – zumindest soweit
sie gesamtwirtschaftlich und nicht lokal bedingt seien –
vom Bund bzw. der Arbeitslosenversicherung getragen wer-
den.
Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger
thematisiert den Vorschlag der weitgehenden Verknüpfung
von Hilfegewährung an die Ausübung gemeinnütziger
Arbeit und unterstreicht, dass eine Rente grundsätzlich nur
aus Zeiten gewährt würde, in denen eine Vorleistung gegen-
über der Solidargemeinschaft der Rentenversicherung
erbracht worden sei (z. B. wie bisher durch Beiträge des
Bundes für den Bezug von Arbeitslosenhilfe) oder für die
der Rentenversicherung Leistungen erstattet würden (z. B.
Erstattungen für wiedervereinigungsbedingte Mehrleistun-
gen). Bei der Ausübung einer gemeinnützigen Tätigkeit
handele es sich nicht um eine Beschäftigung gegen Arbeits-
entgelt. Deswegen müssten für eine rentensteigernde Be-
rücksichtigung dieser Tätigkeit die rechtlichen Vorausset-
zungen geschaffen werden, die die Versicherungspflicht, die
Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen und die Beitrags-
tragung zu regeln hätten. Eine beitragsfreie Anrechnung der
Zeiten der gemeinnützigen Tätigkeit (z. B. ähnlich der An-
rechnungszeiten wegen Schulausbildung) oder die fiktive
Berücksichtigung als Beitragszeit (wie z. B. unter bestimm-
ten Voraussetzungen bei gleichzeitigen Berücksichtigungs-
zeiten wegen Kindererziehung oder Zeiten der nicht er-
werbsmäßigen Pflege eines pflegebedürftigen Kindes für
mehrere Kinder) sei ohne Klärung der externen Finanzie-
rung der daraus entstehenden Ansprüche abzulehnen, da an-
dernfalls die Leistungen allein von der Solidargemeinschaft
der Versicherten zu finanzieren wären. Die Absicherung
gegen arbeitsmarktbedingte Risiken sei aber als gesamtge-
sellschaftliche Aufgabe nicht allein von dem begrenzten
Personenkreis der Versicherten der gesetzlichen Rentenver-
sicherung zu tragen. Sie sei deshalb ordnungspolitisch sach-
gerecht aus Steuermitteln zu finanzieren.

Drucksache 14/8662 – 10 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks sieht Re-
formerfordernisse bei der Sozial- und Arbeitslosenhilfe ins-
besondere bei der Anrechnung von Erwerbseinkommen auf
diese beiden Hilfen. Die bestehenden Anrechnungsvor-
schriften würden keine ausreichenden Anreize zur Arbeits-
aufnahme setzen, sondern eher dazu führen, dass Hilfeemp-
fänger im Sozial- bzw. Arbeitslosenhilfebezug verharren
und das Einkommen durch Schwarzarbeit aufbessern wür-
den. Notwendig seien ferner Schritte, die den Nettolohn-
abstand, insbesondere zwischen Leistungsbeziehern und
Erwerbstätigen mit mehreren Kindern, sichern würden. Not-
wendig sei ferner eine Deregulierung des Arbeitsmarktes.
Hierzu müsse gehören, dass Teilzeitkräfte anteilig bei der
Berechnung aller Schwellenwerte im Arbeits- und Sozial-
recht berücksichtigt würden.

IV. Ausschussberatungen
Die Mitglieder der Fraktion der SPD erklärten, die Einfüh-
rung einer – bedarfsorientierten – Grundsicherung in die
Arbeitslosenversicherung würde zu einer unzulässigen Ver-
mischung des Versicherungsprinzips in der Arbeitslosenver-
sicherung mit dem Fürsorgeprinzip führen. Sie widerspre-
che dem Grundprinzip der Arbeitslosenversicherung, nur
das Arbeitsentgelt für einen befristeten Zeitraum zu ersetzen
und – durch die Befristung – dem Arbeitslosen einen Anreiz
zu geben, schnellstmöglich eine neue Beschäftigung aufzu-
nehmen. Der Hinweis auf die im Rahmen der Rentenreform
verabschiedete Grundsicherung für Ältere und Erwerbsge-
minderte gehe fehl, da das Gesetz über eine bedarfsorien-
tierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
dieses Anliegen keineswegs im Kontext eines Sozialversi-
cherungszweiges, sondern bewusst völlig getrennt von und
außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung, nämlich
auf der kommunalen Ebene, regele. Die ebenfalls von der
Fraktion der PDS erhobene Forderung zur Zusammenarbeit
von Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe werde schon
heute weitestgehend im Rahmen der vom Bundesministe-
rium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) geförderten Mo-
dellvorhaben zur Verbesserung der Zusammenarbeit von
Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe erprobt.
Die Mitglieder der Fraktion der CDU/CSU betonten, die
Einführung einer Grundsicherung in die Arbeitslosenversi-
cherung sei ein völlig falsches Signal und würde zur Verste-
tigung von Arbeitslosigkeit führen. Die Fraktion der CDU/
CSU sei vielmehr für eine Zusammenlegung der Sozial- und
Arbeitslosenhilfe, um die Verwaltungseffizienz zu steigern,
Kosten zu verringern und Anreize für Arbeitslosenhilfe-

empfänger zu schaffen, sich aktiv um eine neue Beschäfti-
gung zu bemühen.
Die Mitglieder der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
vertraten ebenfalls die Ansicht, dass die Einführung einer
bedarfsorientierten Grundsicherung in die Arbeitslosenver-
sicherung zu einer unzulässigen Vermischung des Versiche-
rungsprinzips der Arbeitslosenversicherung mit dem Für-
sorgeprinzip führen würde. Schon aus den derzeit noch
laufenden Modellvorhaben könne zweifelsfrei entnommen
werden, dass die notwendige Reform der Sozial- und Ar-
beitslosenhilfe nicht in der Einführung einer entsprechenden
Grundsicherung bestehen könne. Der Antrag der Fraktion
der PDS sei populistisch und nicht durchdacht. Dies würde
sich auch in den Forderungen zur Zusammenarbeit der Ar-
beitsämter und der Träger der Sozialhilfe zeigen, die schon
weitestgehend im Rahmen der vom BMA geförderten Mo-
dellvorhaben zur Verbesserung zur Zusammenarbeit von
Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe erprobt würden.
Die Mitglieder der Fraktion der FDP hoben hervor, dass
die Einführung einer Grundsicherung jeden Anreiz für Ar-
beitslosenhilfeempfänger beseitigen würde, sich selbst um
eine Beschäftigung zu bemühen. Die breite wissenschaftli-
che Diskussion zur Reform der Sozialhilfe zeige vielmehr,
dass in vielen Fällen und insbesondere bei Familien mit
Kindern das erzielbare Nettoeinkommen nur noch wenig
über den Einkünften von Sozialhilfeempfängern liegen
würde. Arbeit werde damit unattraktiv, Arbeitslosigkeit ver-
stetigt und Schwarzarbeit gefördert.
Die Mitglieder der Fraktion der PDS erklärten, die Einfüh-
rung einer Grundsicherung in der Arbeitslosenversicherung
würde allen beim Arbeitsamt registrierten Arbeitslosen, die
ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten
könnten, einen Anspruch auf Leistungen der Grundsiche-
rung geben. Damit wäre die finanzielle Unterstützung zur
Sicherung ihres Lebensunterhaltes aus einer Hand und ohne
überflüssige Doppelverwaltung gewährleistet. Gleichzeitig
entstünde ein einheitlicher Anspruch auf Beratung, Betreu-
ung und Förderung durch die Arbeitsämter für alle Arbeits-
losen auf der Grundlage des SGB III. Auch dürfe die Sozial-
hilfe nicht länger als letztes Auffangnetz für Arbeitslose
missbraucht werden. In den vergangenen fünf Jahren sei der
Anteil der arbeitslos gemeldeten Bezieher deutlich angestie-
gen. Dadurch würden das Problem der Arbeitslosigkeit als
auch die Unterstützung der Arbeitslosen immer stärker auf
die Kommunen abgewälzt, auf eine Ebene, auf der diese
Probleme nicht lösbar seien. Gut ein Drittel der Arbeitslo-
senhilfebezieher bezöge gleichzeitig ergänzende Sozial-
hilfe.

Berlin, den 20. März 2002
Peter Weiss (Emmendingen)
Berichterstatter

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.