BT-Drucksache 14/8482

Mit der Internationalen Konferenz über Entwicklungsfinanzierung den Abwärtstrend der Finanzmittel für nachhaltige Entwicklung umkehren

Vom 12. März 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8482
14. Wahlperiode 12. 03. 2002

Antrag
der Abgeordneten Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Norbert Blüm, Siegfried Helias,
Joachim Hörster, Rudolf Kraus, Dr. Manfred Lischewski, Marlies Pretzlaff,
Erika Reinhardt, Hans-Peter Repnik, Dr. Christian Ruck, Heinz Schemken,
Peter Weiß (Emmendingen) und der Fraktion der CDU/CSU

Mit der Internationalen Konferenz über Entwicklungsfinanzierung den Abwärts-
trend der Finanzmittel für nachhaltige Entwicklung umkehren

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Zwischen dem 18. und 22. März 2002 trifft die Staatengemeinschaft in Mexiko
zur Internationalen Konferenz über Entwicklungsfinanzierung (Financing for
Development) zusammen. Sie soll sich in Fortführung und Ergänzung der VN-
Konferenzen der neunziger Jahre und des Millenium-Gipfels vom September
2000 mit der gesamten Palette privater, öffentlicher, lokaler und externer Fi-
nanzquellen für nachhaltige Entwicklung befassen. Hierzu gehören Fragen der
bilateralen und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit einschließlich ins-
titutioneller Aspekte der multilateralen Kooperation im Bereich Wirtschaft und
Finanzen. Weiter will sie die fortschreitende Liberalisierung des Welthandels,
die Verschuldungsproblematik und die Investitionsförderung in die Konferenz-
tagesordnung einbeziehen.
Die Konferenz findet statt vor dem Hintergrund eines rapiden Rückgangs der fi-
nanziellen Ressourcen für eine weltweite nachhaltige Entwicklung.
Die Auslandsinvestitionen in den Entwicklungsländern sind seit dem Ausbruch
der fernöstlichen Finanzkrise 1997/98 rapide zurückgegangen. Die Terrorakte
vom 11. September 2001 und deren weltwirtschaftliche und sicherheitspoliti-
sche Konsequenzen haben diesen Trend verschlimmert.
Ebenso haben die von den Industrieländern für Entwicklungszusammenarbeit
zur Verfügung gestellten Finanzmittel stark abgenommen. So hat beispiels-
weise die Bundesregierung den deutschen Entwicklungshaushalt seit 1999 um
ca. 7 Prozent gekürzt. Der Anteil des Haushalts des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung am deutschen Bruttosozial-
produkt wurde damit auf ein historisches Tief von 0,23 Prozent zurückgeführt.
Deutschland ist mehr denn je vom 1992 auf der UN-Konferenz für Umwelt und
Entwicklung zugesagten 0,7-Prozent-Ziel entfernt.
Zurecht positiv war 1999 weltweit die Initiative der erweiterten HIPC(Heavily
Indebted Poor Countries)-Entschuldungsinitiative bewertet worden. Die in sie
gesetzte Hoffnung, sie könnte merkliche zusätzliche finanzielle Spielräume zur
Armutsbekämpfung in den nationalen Budgets der Entwicklungsländer schaf-
fen, hat sie bislang nicht erfüllt. Ein Erfolg der Entschuldungsinitiative hängt
wesentlich von der Erarbeitung und Durchsetzung der für jedes Land zu erar-

Drucksache 14/8482 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

beitenden Poverty Reduction Strategy Papers (PRSPs) ab. Diese sind nicht nur
Voraussetzung für eine Entschuldung, sondern werden vom Internationalen
Währungsfonds (IWF) und der Weltbank künftig als Voraussetzung für konzes-
sionäre Kreditmittel an die ärmsten Entwicklungsländer angesehen. Eine Reihe
von bilateralen staatlichen Gebern will ebenso verfahren. Damit stellen die
PRSPs nicht mehr nur die Bedingung für einen Schuldenerlass dar, sondern
sind nunmehr zusätzliche Voraussetzung für die Entwicklungszusammenarbeit
mit den ärmsten Staaten dieser Welt. Die neuen Strategiepapiere sollen unter
Partizipation von zivilgesellschaftlichen Vertretern entwickelt werden, um dem
Prinzip der gesellschaftlichen „Ownership“ der Armutsbekämpfungspolitik ge-
recht zu werden, ihre Qualität zu verbessern und ihre Wirksamkeit zu erhöhen.
Leider sind sowohl für die inhaltliche Qualität als auch für die gesellschaftli-
chen Mitwirkungsprozesse bislang keine internationalen Mindeststandards fest-
gelegt worden. Dass eine nachhaltige umfassende Partizipation der Menschen
in den Entwicklungsländern eine entscheidende Erfolgsbedingung für Armuts-
bekämpfung darstellt, ist in der entwicklungspolitischen Diskussion sowohl bei
den zivilgesellschaftlichen Akteuren als auch bei den Institutionen der internati-
onalen Entwicklungszusammenarbeit unumstritten. Auch die deutsche Bundes-
regierung sieht den Grundsatz der „Guten Regierungsführung“ einschließlich
gesellschaftlicher Partizipation als zentrale Voraussetzung für die Erzielung von
Entwicklungsfortschritten an.
Markant steht hierzu aber das Versäumnis vieler Entwicklungslandregierungen
im Widerspruch, ihre nationalen Haushalte auf die Finanzierung von für nach-
haltige Entwicklung unverzichtbare Politiksektoren wie z. B. Armutsbekämp-
fung, Gesundheit oder Bildung auszurichten.
Einen kleinen Lichtblick hinsichtlich der Erschließung neuer Einnahmequellen
für Entwicklungsländer hat die 4. Ministerkonferenz der WTO (World Trade
Organization) im November 2001 in Doha erbracht. Kaum jemand zweifelt da-
ran, dass Handelsliberalisierung ein wichtiger Wachstumsmotor nicht nur für
die Industrie-, sondern gerade auch für die Entwicklungsländer ist und ein zen-
trales Element für nachhaltige Entwicklung darstellt. Hierfür hat die 4. WTO-
Ministerkonferenz wichtige Weichenstellungen getroffen, indem sie eine neue
Verhandlungsrunde zu für die Entwicklungsländer wichtigen Bereichen wie
z. B. einem erweiterten Marktzugang zu den Industrielandmärkten oder einer
Verbesserung der Rahmenbedingungen für Auslandsinvestitionen in Entwick-
lungsländern eingeläutet hat. Dieser Ausblick darf allerdings nicht darüber
hinwegtäuschen, dass vielen Entwicklungsländern bisher die erfolgreiche Teil-
nahme am internationalen Handel vor allem wegen mangelhafter interner
Rahmenbedingungen und einer nur engen, wenig diversifizierten Palette von
Exportprodukten verschlossen blieb.
Die Internationale Konferenz über Entwicklungsfinanzierung wird sich aber
auch mit neuen Vorschlägen zur Erschließung zusätzlicher internationaler Quel-
len für die Entwicklungsfinanzierung zu beschäftigen haben. Hier dürfte vor
allem die Diskussion um die Einführung der Tobin-Steuer, also die Besteuerung
kurzfristiger Devisenhandelsgeschäfte, im Mittelpunkt stehen. So unvoreinge-
nommen an die Analyse derartiger neuer Ideen herangegangen werden sollte,
so deutlich äußern Experten bislang Skepsis gegenüber Tobin-Steuer oder an-
deren Formen von Devisenhandelssteuern. Sie verweisen dabei auf den Wi-
derstand wichtiger westlicher Wirtschaftsnationen wie z. B. der USA. Ihrer
Meinung nach können Devisenhandelssteuern nur flächendeckend weltweit er-
hoben werden, da ansonsten die Verlagerung des Devisenhandels hin zu Fi-
nanzzentren droht, die auf eine Besteuerung verzichten. Zudem wird davor
gewarnt, in der Tobin-Steuer das Allheilmittel für nachhaltige Entwicklung zu
sehen, da hierdurch die eigentlichen Ursachen von Unterentwicklung und An-
fälligkeit für Finanzkrisen in Form der instabilen Wirtschafts- und Finanzstruk-
turen der Entwicklungsländer überdeckt werden könnten.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8482

Überraschend kam für viele Fachleute der kürzliche Vorstoß der stellvertreten-
den Direktorin des Internationalen Währungsfonds Anne Krueger und einiger
europäischer Politiker in Richtung der Schaffung eines internationalen Insol-
venzrechts für überschuldete Staaten. Gerade bei einem derart tiefgreifenden
Eingriff in das internationale Finanzgefüge sollten der Vorschlag und seine
möglichen Auswirkungen zunächst einer sorgfältigen Prüfung unterzogen wer-
den. Es wäre daher verfrüht, hierzu bereits bei der anstehenden Konferenz in
Mexiko konkrete Beschlüsse zu erwarten.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. intensiver als bisher auf bilateraler und multilateraler Ebene, beispielsweise

im Rahmen der Internationalen Konferenz über Entwicklungsfinanzierung,
darauf hinzuwirken, dass die Entwicklungsländer solide, nachhaltig ausge-
richtete nationale Haushaltspolitiken betreiben;

2. die Entwicklungsländer gezielter als bisher z.B. durch den vermehrten Ein-
satz von Regierungsberatern bei der Erarbeitung einer nationalen effektiven
und gerechten Steuergesetzgebung und der möglichst lückenlosen Durch-
führung einer Steuererhebung zu unterstützen;

3. die Entwicklungsländer auch weiterhin auf die elementare Bedeutung sta-
biler interner Rahmenbedingungen für nachhaltige Entwicklung und die
Anziehung ausländischer Direktinvestitionen hinzuweisen und die Ent-
wicklungsländer bei deren Bemühungen um „Gute Regierungsführung“ in
Form von Rechtssicherheit, Achtung der Menschenrechte, Stärkung des
Humankapitals, Infrastrukturverbesserung etc. intensiv zu unterstützen;

4. stärker als bisher von den Regierungen der Entwicklungsländer den Kampf
gegen die Korruption und die Vermeidung missbräuchlicher Verwendungen
von öffentlichen Mitteln einzufordern;

5. darauf zu drängen, dass bei der Internationalen Konferenz über Entwick-
lungsfinanzierung international verbindliche Mindeststandards für die in-
haltliche Qualität, die zivilgesellschaftliche Beteiligung und die Umset-
zungskontrolle der PRSPs festgelegt werden, um die Wirksamkeit des
Entschuldungsprozesses zu gewährleisten;

6. gemeinsame Vereinbarungen über Programme und Finanzierungsinstru-
mente zu treffen, mit denen Capacity-Building-Maßnahmen für die Beteili-
gung zivilgesellschaftlicher Akteure in den Entwicklungsländern gefördert
werden. Nutznießer aus diesen Förderungen müssen einerseits die formalen
Institutionen gesellschaftlicher Partizipation sein, insbesondere demokra-
tisch legitimierte Parlamente, und andererseits die Repräsentanten der
Zivilgesellschaft sein. Für die Förderung einer wirkungsvollen zivilgesell-
schaftlichen Partizipation sollte vor allem die nichtstaatliche Entwicklungs-
kooperation z. B. der kirchlichen Entwicklungsorganisationen und Nicht-
regierungsorganisationen genutzt werden;

7. in der von der 4. WTO-Ministerkonferenz eingeleiteten neuen Verhand-
lungsrunde in enger Kooperation mit der EU-Kommission und den europä-
ischen Partnerstaaten auf ein Verhandlungsergebnis hinzuarbeiten, das auch
den schwächeren Mitgliedern der internationalen Staatenfamilie ermög-
licht, an der Globalisierung mit den gleichen Rechten und Chancen wie die
wirtschaftlich potenteren Länder partizipieren zu können;

8. in der WTO auf einen möglichst baldigen Beginn der auf der 4. WTO-Kon-
ferenz in Doha beschlossenen Verhandlungen zu den Themen Investitionen
und Wettbewerb mit dem Ziel der Verbesserung des internationalen Regel-
werks für Auslandsinvestitionen in Entwicklungsländern zu drängen;

Drucksache 14/8482 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
9. die Entwicklungsländer bei der Intensivierung des grenzüberschreitenden
Handels untereinander zu unterstützen;

10. dem Deutschen Bundestag den Entwurf für ein Gesetz vorzulegen, das die
Bundesregierung darauf verpflichtet, mit einem Zeitziel von 10 Jahren stu-
fenweise das 1992 bei der UN-Umwelt- und Entwicklungskonferenz in Rio
festgelegte und bei der Nachfolgekonferenz „Rio plus zehn“ zu bekräfti-
gende Ziel einer Ausstattung der Entwicklungszusammenarbeit mit
0,7 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts anzustreben;

11. neben der Quantität auch die Qualität der staatlichen Entwicklungszusam-
menarbeit durch eine Straffung und Flexibilisierung der Verfahren sowie
durch eine intensivere Geberkoordinierung zu verbessern.

Berlin, den 12. März 2002
Klaus-Jürgen Hedrich
Dr. Norbert Blüm
Siegfried Helias
Joachim Hörster
Rudolf Kraus
Dr. Manfred Lischewski
Marlies Pretzlaff
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Dr. Christian Ruck
Heinz Schemken
Peter Weiß (Emmendingen)
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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