BT-Drucksache 14/8438

Umsetzung des Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz

Vom 26. Februar 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8438
14. Wahlperiode 26. 02. 2002

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz, Dr. Wolf Bauer, Aribert Wolf,
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), Dr. Sabine Bergmann-Pohl,
Dr. Hans Georg Faust, Ulf Fink, Hubert Hüppe, Dr. Harald Kahl, Eva-Maria Kors,
Hans-Peter Repnik, Wolfgang Zöller und der Fraktion der CDU/CSU

Umsetzung des Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz

Das Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz ist am 23. Februar 2002 in Kraft
getreten. Das Gesetz hat bereits im Laufe des parlamentarischen Beratungsver-
fahren heftige Kritik erhalten, weil die Bundesregierung und der Verband For-
schender Arzneimittelhersteller (VFA) im November 2001 eine Einmalzahlung
der Pharmaindustrie an die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in Höhe
von 400 Mio. DM vereinbart haben, dem als „Gegenleistung“ ein Verzicht des
Gesetzgebers auf eine Kostensenkung für bestimmte Arzneimittel für die Jahre
2002 und 2003 gegenüber steht. Im Gesetzentwurf zur Begrenzung der Arznei-
mittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (AABG) war zunächst
ein Preisabschlag von 4 % bei verschreibungspflichtigen und nicht festbetrags-
geregelten Medikamenten vorgesehen. Dadurch hätten die Krankenkassen pro
Jahr etwa 485 Mio. DM sparen können, darunter rund 390 Mio. DM zulasten
der Pharmaindustrie. Damit wären auf die Pharmaindustrie in 2002 und 2003
Kosten von insgesamt rund 780 Mio. DM zugekommen.
Presseberichten (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. Oktober 2001, Han-
delsblatt vom 8. November 2001 und Frankfurter Rundschau vom 13. Dezember
2001) zufolge soll Bundeskanzler Gerhard Schröder diesen „400-Mio.-DM-
Ablass“ selbst ausgehandelt und so zum Entstehen einer „Basarmentalität“ bei-
getragen haben. In einem Kommentar heißt es dazu: „Es zeigt sich, dass die
Vermutung der Käuflichkeit von Politik auch in Deutschland Ursprung und
Nahrung aus Stil und Arrangements des politischen Prozesses gewinnt, die vor-
demokratische Züge tragen: von der fallweise inszenierten Kanzlerintervention
bis zum Gruppenschacher im Bündnis für irgendwas.“ (Frankfurter Allgemeine
Zeitung vom 31. Oktober 2001).
Nachdem die Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren auf einen engen
Zeitplan gedrängt und den Bundesrat um Fristverkürzung ersucht hatte, damit
in diesem Jahr mit dem Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz das von der
Bundesregierung anvisierte Einsparziel von 2 bis 3 Mrd. DM erreicht werden
kann, wird jetzt bekannt, dass die Voraussetzungen für die Handhabung der aut-
idem-Regelung nur schrittweise geschaffen werden können, mit Folgen für die
von der Bundesregierung mit diesem Gesetz angestrebte Einsparsumme.

Drucksache 14/8438 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Sieht die Bundesregierung in dem von Bundeskanzler Gerhard Schröder

ausgehandelten Finanzbeitrag der Pharmaindustrie eine „Abgabe“ im
Rechtssinne und wenn ja, um welchen „Abgabetyp“ handelt es sich dabei?

2. Wenn nein, welche andere rechtliche Qualifizierung misst die Bundesregie-
rung dem bei?

3. Wie ordnet die Bundesregierung diesen vereinbarten Finanzierungsbeitrag
in die Rechts- und Verfassungsordnung ein?

4. Können die den Finanzbeitrag zahlenden Unternehmen diese Zahlungen
als betrieblich veranlasst verstehen und deshalb bei der Einkommen- und
Körperschaftsteuer als Betriebsausgaben geltend machen und wenn ja, wie
begründet die Bundesregierung ihre Auffassung dazu?

5. In welcher Höhe führt dies zu Steuermindereinnahmen bei Bund und /oder
Ländern?

6. Dürfen die gesetzlichen Krankenkassen dieses Finanzaufkommen entge-
gennehmen und wenn ja, dürfen sie es für ihre öffentlichen Aufgaben ver-
wenden oder gibt es dafür verfassungsrechtliche Hinderungsgründe?

7. Wieso hat die Bundesregierung die Einnahme des Finanzbeitrages durch
die Krankenversicherung gesetzlich nicht geregelt?

8. Hat Bundeskanzler Gerhard Schröder seine Absprache mit der gesetzes-
betroffenen Pharmaindustrie über zukünftige Gesetzgebung durch persön-
liche Zusage, sozusagen durch Handschlag getroffen, oder liegt dem eine
schriftliche Fixierung zugrunde und wenn ja, welche Rechtsqualität misst
die Bundesregierung dieser bei?

9. Gibt es zwischenzeitlich eine schriftliche Vereinbarung zwischen der Bun-
desregierung und dem VFA über eine Zahlung von 400 Mio. DM und
wenn nein, warum hat die Bundesregierung auf eine schriftliche Vereinba-
rung verzichtet?

10. Wenn es keine schriftliche Vereinbarung zwischen der Bundesregierung
und dem VFA gibt, gibt es eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem
VFA und den Spitzenverbänden der Krankenkassen?

11. Hat die Bundesregierung die Verfassungsmäßigkeit speziell des Artikels 2
des Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetzes durch die zuständigen Ver-
fassungsressorts prüfen lassen?
Wenn nein, warum nicht?

12. Wird Bundeskanzler Gerhard Schröder und die Bundesregierung aufgrund
ihres Verfassungsverständnisses auch künftig unter vergleichbaren Um-
ständen Gesetzesinhalte von Zahlungen der Gesetzesbetroffenen abhängig
machen und erkennt die Bundesregierung in der Vereinbarung mit der
Pharmaindustrie zur Vermeidung eines Gesetzesvorhabens ein neues Ge-
setzgebungsmotiv?

13. In welcher Weise hält die Bundesregierung die von ihr getroffene entgelt-
liche Vereinbarung über eine zukünftige Gesetzgebung für im Regelwerk
des Grundgesetzes (GG) vorgesehen, worauf stützt sich die Kompetenz da-
für?

14. Mit welcher verfassungsrechtlichen Begründung leitet die Bundesregierung
eine finanzielle Belastung von Grundrechtsberechtigten zur Finanzierung
öffentlicher Aufgaben außerhalb des Abgabensystems aus dem GG ab?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8438

15. Misst die Bundesregierung dabei dem Umstand Bedeutung bei, dass alle
staatlich auferlegten Zahlungslasten unter Gesetzesvorbehalt stehen, dass
also dem Parlament – als Repräsentanten der Abgabenzahler – die Entschei-
dung über Art und Intensität der Abgabenlast vorbehalten ist?

16. Hält die Bundesregierung die Erklärung dieses Gesetzgebungsverzichts für
in ihrer Verfassungskompetenz liegend und wenn ja, hat sie dadurch die
nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes zuständigen Gesetzge-
bungsorgane gebunden, so dass sich diese Gesetzgebungsorgane in ihrer
Gesetzesinitiative gehindert sehen müssen?

17. Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Vereinbarung mit einem beson-
ders zahlungskräftigen Industriezweig im Hinblick auf Artikel 3 GG gegen-
über weniger finanzkräftigen Akteuren?

18. Sieht die Bundesregierung hierdurch eine Verfassungsentwicklung einge-
leitet nach der sie, die Bundesregierung, im Bedarfsfall Entscheidungen im
Rahmen ihrer eigenen Kompetenz unter einen Vorbehalt von Zahlungs-
bereitschaft und Zahlungsfähigkeit von Entscheidungsbetroffenen stellt?

19. Soll die Bundesregierung künftig im Bedarfsfall Zahlungsvereinbarungen
veranlassen können, um auf das Parlament als Gesetzgeber im Sinne der
anderen Vertragspartei inhaltlich Einfluss auszuüben?

20. Trifft es zu, dass die in § 129 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetz
(SGB V) in der Fassung des Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetzes
verankerte aut-idem-Regelung nicht – wie von der Bundesregierung be-
absichtigt – mit dem Inkrafttreten des Arzneimittelausgaben-Begrenzungs-
gesetzes umgesetzt werden kann?
Wenn ja, was sind die Gründe hierfür?

21. Wann werden die Spitzenverbände der Krankenkassen entsprechend dem
gesetzlichen Auftrag die obere Preislinie des unteren Preisdrittels für die
jeweilige Arzneimittelgruppe bekannt machen (§ 129 Abs. 1 Satz 4 SGB V
in der Fassung des AABG) mit anderen Worten, wann ist mit einer voll-
ständigen Anwendbarkeit dieser Neuregelung zu rechnen?

22. Besteht für die Apotheker dessen ungeachtet die Verpflichtung, in der
Übergangsphase bis zur Bekanntmachung der oberen Preislinien an Stelle
des verordneten Arzneimittels ein preisgünstigeres Arzneimittel mit dem
gleichen Wirkstoff und identischer Darreichungsform sowie identischer
Packungsgröße abzugeben?

23. Ist der Apotheker überhaupt befugt und in der Lage, in der Übergangsphase
bis zur Bekanntmachung der oberen Preislinien, Recherchen zur Preisgüns-
tigkeit eines Arzneimittels anzustellen?

24. Trifft es zu, dass die Substitutionsverpflichtung durch den Apotheker erst
dann gilt, wenn die Preisgünstigkeit eines Arzneimittels auch unter Be-
rücksichtigung zusätzlich austauschbarer Darreichungsformen bestimmt
und die obere Preislinie durch die GKV-Spitzenverbände im Bundesanzei-
ger bekannt gemacht worden sind?

25. Wie kann nach Auffassung der Bundesregierung eine geordnete Substitu-
tion erfolgen, ohne dass bisher die gesetzlichen Vorgaben erfüllt sind?

26. Wann ist damit zu rechnen, dass für die ersten Arzneimittelgruppen – vor-
aussichtlich analog der Festbetragsstufe 1 – erste Hinweise zu den aus-
tauschbaren Darreichungsformen vorliegen?

Drucksache 14/8438 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
27. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Einnahmeausfälle der gesetz-
lichen Krankenkassen in Folge der nicht rechtzeitigen Umsetzung der aut-
idem-Regelung in der Fassung des Arzneimittelausgaben-Begrenzungsge-
setzes bzw. mit welchen Einsparungen rechnet die Bundesregierung im
Jahr 2002?

28. Werden Importarzneimittel bei der Errechnung der oberen Preislinie des
unteren Preisdrittels mitberücksichtigt und werden damit Originalarznei-
mittel durch Importarzneimittel substituiert, obwohl § 129 Abs. 1 Nr. 2
SGB V i. V. m. dem Rahmenvertrag spezialgesetzliche Regelungen zur
Abgabe preisgünstiger Importarzneimittel enthalten?

29. Was ist unter dem unbestimmten Rechtsbegriff „gleicher Indikationsbe-
reich“ zu verstehen bzw. wer soll wie festhalten, ob das Surrogatarzneimit-
tel für den gleichen Indikationsbereich wie das verordnete Arzneimittel zu-
gelassen ist und wer prüft, ob der Apotheker in Übereinstimmung mit den
gesetzlichen Bestimmungen und der ärztlichen Versorgung Arzneimittel
abgegeben hat?

30. Welche Einsparungen würde die Bundesregierung im Falle der Einbezie-
hung von Parallelimporten bei der aut-idem-Regelung erwarten, insbeson-
dere vor dem Hintergrund, dass die vormals vorhandene Preisdifferenz von
Importen zu Originalpräparaten spürbar geringer wird, bei manchen Präpa-
raten beträgt sie bereits weniger als zwei Prozent?

31. Im Hinblick darauf, dass der Vertragsarzt zurzeit auf dem Kassenrezept eine
Substitution ausschließen kann, indem er das entsprechende aut-idem-Käst-
chen auf dem Rezept ankreuzt, das Kreuz in diesem Kästchen vorher aber
eine andere Bedeutung hatte, nämlich die Freigabe einer Substitution durch
den Vertragsarzt durch den Apotheker, stellt sich die Frage, wie sicher-
gestellt ist, dass es in der Übergangszeit nicht zu Unklarheiten bei der neuen
Bedeutung des aut-idem-Kästchens kommt?
Wo ist die neue Bedeutung des Kreuzes für den Patienten nachvollziehbar
veröffentlicht?

32. Was unternimmt die Bundesregierung, um Unsicherheiten und Verwirrung
über die aut-idem-Regelung bei Patienten, Ärzten, Apothekern und phar-
mazeutischen Industrie abzubauen?

33. Was unternimmt die Bundesregierung, um eine zügige Umsetzung des Arz-
neimittelausgaben-Begrenzungsgesetzes herbeizuführen?

Berlin, den 26. Februar 2002
Annette Widmann-Mauz
Dr. Wolf Bauer
Aribert Wolf
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dr. Hans Georg Faust

Ulf Fink
Hubert Hüppe
Dr. Harald Kahl
Eva-Maria Kors
Hans-Peter Repnik
Wolfgang Zöller

Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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